Sie sind nur aus Zufall auf diese Seiten geraten, und Sie haben auch keinen richtigen Draht zu Kunst? Zum Beispiel deshalb, weil Sie in Ihrem Alltag nun einmal nicht täglich von Kunst umgeben sind? Das stimmt für viele Einwohner Deutschlands nicht ganz.
Denn Sie sind täglich von Kunst umgeben, auch wenn diese nicht an Ihrer Wohnzimmerwand hängt, zumindest wenn Sie nicht gerade in einem abgelegenen Museumsdorf leben und nie einen größeren Ort aufsuchen.
Sie sind jeden Tag von einer Kunst umgeben, die unsere Städte mitunter aufsehenerregend verändert, sich oft aber einfach nur gekonnt zurückhaltend einfügt, auf jeden Fall aber schon seit langer Zeit als Kunst angesehen ist: Die Baukunst.
Viele der Bauwerke, die das Gesicht unserer Städte und Gemeinden formen und verändern, werden nach allgemeiner Übereinstimmung ganz klar als Kunst betrachtet. Unabhängig davon, ob es sich um Bauten handelt, die ganz klar mit dem Anspruch antreten, Kunst im öffentlichen Raum zu verwirklichen oder ob es eher um Bauwerke geht, die die traditionelle Baukunst in die heutige Zeit transformieren.
Wie zum Beispiel die Bauwerke der Architekten Jacques Herzog und Pierre de Meuron, die wunderbar mit der Umgebung verschmelzende Bauten, aber auch deutlich herausragende neue Konstruktionen in unsere Städte bringen. Beide Architekten wurden 1950 geboren, beide beendeten 1975 ihr Architekturstudium an der Eidgenössischen Technischen Hochschule Zürich mit dem Diplom, beide waren dort als Assistenten tätig. 1978 gründeten Herzog und de Meuron dann gemeinsam ihr Architekturbüro in Basel.
Die Entwicklung ihrer Bauten zu in der gewachsenen Umgebung fast organisch wirkenden Elementen fing langsam an, 1979 mit privaten Aufträgen wie einer blauen Fassade, der Anfang der 1980er einige ungewöhnliche Häuser aus Sperrholz oder als Beton-Skelettbau folgten. Schon in den Anfängen waren es häufig Aufträge, in denen Wohnen mit Arbeiten verbunden werden sollte oder mit dem Sammeln und Ausstellen von Kunst oder mit einem anderen besonderen Zweck.
Ab 1987 kamen die Aufträge für die ersten größeren Projekte, die Wohnanlage Pilotengasse in Wien (1991 fertiggestellt) mit rund 200 Häusern, die sich in gekrümmten Zeilen um ihr Zentrum gruppieren, das Galeriehaus der Sammlung Goetz in München, ein beeindruckender Solitär, der sich wie selbstverständlich in den dichten Baumbestand des Bauplatzes einfügt.Es folgten verschiedene Arbeiten für den öffentlichen Raum wie ein Studentenwohnheim in Antibes, Frankreich (1990 – 1992), Projektarbeiten für Museumserweiterungen und Bibliotheken, bald entwickelten die Entwürfe ungewöhnliche Glasfassaden, z. B. für das Wohn- und Geschäftshaus in der Schützenmattstraße in Basel und das in neuer Transparenz umgestaltete Bürohaus einer großen Versicherung in Basel (beide 1993 beendet).
Von geraden Formen, Licht und Transparenz profitierten auch Projekte wie das “Stellwerk 4 Auf dem Wolf” in Basel (1988 – 1994), ein Laboratorium für das Pharma-Unternehmen Novartis (1992 – 1993), das private Koechlin Haus (1993 – 1994) und weitere Bauten in Basel und in der näheren Umgebung.
Während bis hierher häufig Geradlinigkeit dominierte, wurden die Entwürfe in der Folgezeit freier und aufsehenerregender, und die Aufträge kamen auch aus weiter Entfernung. So erhielten Herzog & de Meuron den Auftrag für die Erstellung eines Fabrikationsgebäudes für Ricola Europe in Brunstatt in Frankreich (1993-94), das einen überaus interessanten Vorbau bekam, die Fassade einer Luzerner Apotheke bekam eine ungewöhnliche grüne Glashaut, 1994 kam auch der Auftrag für die städtebauliche Sanierung der Plattenbausiedlung “Neustädter Feld” in Magdeburg.
Die ersten Projektarbeiten für Museumsbauten, andere Kunst beherbergende Bauten und neuartige Bankgebäude von inländischen oder ausländischen Auftraggebern liegen ebenfalls in dieser Zeit.
1994 bis 1997 verwirklichten Herzog & de Meuron auch ihre ersten bedeutenden Kulturbauten: Das Karikatur- und Cartoonmuseum in Basel wurde hinter seiner spätgotischen Fassade mit einem völlig unerwarteten und modernen Innenleben und einem mit dem alten Gebäude harmonisierenden Neubau an der hinteren Seite ausgestattet, neu gebaut wurde das ebenso zurückhaltende wie außergewöhnliche Studio des Malers und Konzeptkünstlers Rémy Zaugg in Mulhouse-Pfastatt, Frankreich nach ihrem Entwurf.
Es folgten einige Bauten, die sich von Gestaltung und Grundriss nahtlos in die Landschaft einfügen, aber im Detail betrachtet um so aufsehenerregender sind: Das Gebäude der Dominus Winery im kalifornischen Yountville mit seiner Fassade aus steingefüllten Gabionen scheint schon immer im Napa Valley gestanden zu haben.
Dieser Eindruck entsteht jedoch nicht ohne trickreiche Nachhilfe: Er wird dadurch forciert, dass die Gabionen eben nicht nur mit Steinen, sondern auch mit Glasbruch gefüllt sind, der die Hülle lichtdurchlässig macht. Auch die Bibliothek der Hochschule für nachhaltige Entwicklung in Eberswalde sieht von außen erst einmal einfach wie ein sehr schlichter Quader aus.
Bis der Betrachter sich die zunächst zurückhaltend erscheinende Fassade näher betrachtet und die Fotografien des Künstlers Thomas Ruff entdeckt, die in einem speziellen Verfahren auf die gesamte Außenhaut des Gebäudes gedruckt wurden und ihm Informationen über das geben, was er in der Bibliothek finden wird.
Um die Jahrtausendwende wurden immer mehr Bauherren vieler Nationen auf die Architekten aufmerksam, spätestens mit dem Projekt für die Tate Modern in Londonwurde das Architekturbüro Herzog & de Meuron international bekannt.In diesem Bauvorhaben ging es darum, die Bankside Power Station, ein am Südufer der Themse gelegenes Ölkraftwerk, das bereits seit 1981 nicht mehr in der Lage war, wirtschaftlich Energie bereitzustellen, für die Kunst fitzumachen.
Herzog & de Meuron gewannen 1995 die Ausschreibung, im Jahre 2000 konnte die Tate Gallery of Modern Art einziehen, der seitdem anhaltende und unerwartet große Andrang hat inzwischen schon zur Planung einer Erweiterung geführt.
Unabhängiger von einer unmittelbaren Umgebung und damit auch spektakulärer konnten die Stadionbauten geplant werden, mit dem St. Jakob-Park in Basel, der Allianz Arena in München und dem Nationalstadion Pekings für die Olympischen Spiele 2008 konnten Herzog und de Meuron drei eindrucksvolle Sportarenen gestalten. So außergewöhnlich diese Stadien auch aussehen, die Architekten haben es dennoch geschafft, heutige Anforderungen, Geschichte und Traditionen in diesen Bauten zu vereinen.
Ähnlich sieht es auch der Entwurf von Herzog & de Meuron für die Hamburger Elbphilharmonie vor, den der Hamburger Senat 2005 auswählte, und auch hier soll wie beim Tate Modern durch Umbau und Ausbau eines alten Gebäudes ein neues Ensemble mit völlig neuen Nutzungsmöglichkeiten entstehen.
Neben Ihrem Hauptsitz in Basel hat das Architekturbüro Herzog & de Meuron heute Zweigstellen in München und London, Barcelona, San Francisco und Tokio, in denen etwa 330 Mitarbeiter tätig sind. Im Laufe der Zeit sind mehrere weitere Partner dazugekommen, die Gründer Herzog und de Meuron nehmen heute auch Lehraufgaben wahr, an der heimischen ETH Zürich und an der Harvard University.
Passionierte Autorin mit regem Kunstinteresse