Am vergangenen Sonntag, den 14. Juli 2024 wurde im Haus der Kunst in München im Rahmen der Abschlussfeier der Ausstellung „Samaneh Atef, Belén Sánchez, Desmond Tjonakoy. euward9“ der Gewinner des Publikumspreises euward9 bekannt gegeben.
Der glückliche Sieger ist Jakob Ujvari.
Über den Preisträger Jakob Ujvari
Jakob Ujvari kam im Jahr 2000 in Miskolc, Ungarn, zur Welt. Zusammen mit seinem Zwillingsbruder Jonas und zwei weiteren Geschwistern wuchs er in München auf. Nach seinem Abschluss an einer Förderschule in München im Jahr 2019 begann er als junger Künstler im Atelier Augustinum in Vollzeit zu arbeiten.
Das künstlerische Schaffen von Ujvari zeichnet sich durch einen eigenständigen grafisch-linearen Stil aus. Mit wenigen kräftigen und präzisen Linien schafft er klare Formen auf indischem Büttenpapier oder Radierplatten.
Er bevorzugt abstrakte Formen, die sich über das gesamte Blatt erstrecken und miteinander verschmelzen. Durch eine durchgehende, rhythmische Innenzeichnung werden die einzelnen Formen zu einem harmonischen Ganzen vereint. Die entstehenden Gebilde wirken sowohl archaisch als auch zeitgenössisch und modern.
The European Art Award – Der Kunstpreis und seine internationale Bedeutung
Der euward ist ein renommierter internationaler Kunstpreis von bedeutender globaler Relevanz, der talentierten Künstlerinnen und Künstlern mit geistiger Behinderung gewidmet ist. Er würdigt das Schaffen herausragender zeitgenössischer Künstlerinnen und Künstler mit kognitiven Einschränkungen. Einzigartig ist, dass es in Europa oder einem anderen Kontinent keinen vergleichbaren Kunstpreis mit einer vergleichbaren Kontinuität gibt.
Die Konzeption des euward erfolgte zwischen 1998 und 1999, wurde schriftlich festgehalten und von Klaus Mecherlein im Jahr 2000 für das Augustinum umgesetzt. Die Verleihung des euward fand anfänglich im Zweijahresrhythmus statt (2000/2002/2004) und erfolgt seitdem in etwa dreijährigem Abstand (2007/2010/2014/2018/2021/2024).
Von 2004 bis 2010 wurde die euward-Ausstellung dreimal im renommierten Haus der Kunst in München präsentiert und seit 2021 wird sie wieder fest in das Programm integriert.
Positionierung des euward
Die Kunstwelt öffnet sich nach und nach für die Werke von Menschen mit geistiger Behinderung. Der euward Kunstpreis setzt sich für die Anerkennung dieser kritischen und qualitativen Kunst ein, die oft noch von der traditionellen Kunstszene abgelehnt wird.
Durch eine wissenschaftliche Herangehensweise erforscht der euward dieses neue künstlerische Phänomen und betont dessen Bedeutung innerhalb des Gesamtkontextes der Kunst.
Inklusion bedeutet für die Künstler mit Behinderung, dass ihre einzigartigen Perspektiven und Lebenserfahrungen in ihrer Kunst respektiert werden müssen, ohne dabei ihre Vielfalt zu nivellieren oder zu verlieren. Die Negierung von Behinderungen führt nicht zu mehr Inklusion, sondern schränkt die Diversität in der Kunst ein.
Preisträger- und Querschnittsausstellung
Das Konzept des euward beinhaltet von Anfang an eine doppelte Ausrichtung bei der Präsentation und Veröffentlichung der ausgezeichneten Kunst. Die euward-Ausstellung, die hauptsächlich mit der Ehrung und Präsentation der Preisträger in Form einer umfassenden Solo-Ausstellung verbunden ist, bietet gleichzeitig einen repräsentativen Überblick über die zeitgenössische Kunstszene im Kontext geistiger Behinderung in Europa.
Durch die Präsentation aller ca. 20 für den euward nominierten Künstler entsteht die einzigartige Möglichkeit, einen europäischen Querschnitt zu präsentieren. Dies stellt einen zusätzlichen Anreiz für das Publikum dar und ermöglicht es, auf das Phänomen der Kunst im Kontext geistiger Behinderung umfassend hinzuweisen.
Kunst im Kontext geistiger Behinderung
Seit dem Jahr 2000 bietet der euward eine Plattform für Kunstwerke, die im Zusammenhang mit geistiger Behinderung entstehen. Diese Werke werden als Ausdruck eines einzigartigen Zugangs zur Welt und Wahrnehmung gewürdigt. Die kognitive Beeinträchtigung wird nicht als Hindernis, sondern als Potenzial betrachtet.
Der euward hebt sich von reinen Kunstausstellungen von Menschen mit Behinderungen ab und vermeidet eine rein ästhetische Betrachtung. Es ist jedoch möglich und sinnvoll, diese besondere Kunst sowohl im Kontext der Zeitkunst als auch in anderen Zusammenhängen zu sehen.
Die Entstehungsbedingungen solcher Kunstwerke verdienen besondere Aufmerksamkeit, während die Rezeption verschiedene Perspektiven einnehmen kann. Es ist wichtig, zwischen der Kunstproduktion und -rezeption klar zu unterscheiden, insbesondere bei Begriffen wie „Outsider Art“ oder „Art Brut“, um Missverständnisse zu vermeiden.
Künstlerische Praxis und geistige Behinderung
Die Kunst von Menschen mit geistiger Behinderung wird zunehmend als Teil der neurodiversen Künstlerlandschaft anerkannt. Die individuelle Prägung durch die Beeinträchtigung ermöglicht einen einzigartigen Zugang zur Welt und zum künstlerischen Schaffen.
Die persönlichen Objekte haben eine tiefe Bedeutung für die Künstler selbst und werfen interessante Fragen auf. Die Kontextualisierung dieser Kunst erweitert den Blick auf das breite Spektrum menschlichen künstlerischen Schaffens. Diese spezielle Form des kreativen Ausdrucks bleibt auch heute noch relevant und inspirierte Künstler wie Paul Klee, Alfred Kubin und Salvador Dali.
Rezeption der Werke von Schöpfern mit geistiger Behinderung
Das Phänomen der künstlerischen Außenseiter (also ungeschulte, spontane Schöpfer und Form-Erfinder aus innerer Notwendigkeit) wurde erstmals Mitte des 19. Jahrhunderts von Medizinern in psychiatrischen Anstalten entdeckt, untersucht und veröffentlicht (Cesare Lambroso, 1887).
Sie wurden erstmals als „Künstler“ bezeichnet (Walter Morgenthaler, 1921) und später von Jean Dubuffet (1945) in das Konzept der Art Brut (eine rohe, anti- oder außerkulturelle Kunst) aufgenommen. Bis etwa 1960 gab es jedoch keine Vorstellungen von einer Kunst von Menschen mit geistiger Behinderung, da es keine Vorstellung von diesen Menschen gab.
Erst mit der Gründung von heilpädagogischen Heimen und Kunstinitiativen wie dem Atelier von Annedore Spellenberg (1965) in Stetten wurde die Kunst von Menschen mit kognitiver Beeinträchtigung sichtbar. Da diese Kunst meist in Institutionen, betreuten Kunst-Einrichtungen und unter Anleitung entstand (manchmal sogar mit pädagogischen Zielen), fand sie keinen Platz im Kanon der Art Brut und stieß teilweise auf Ablehnung und Ausgrenzung seitens der Vertreter der Art Brut.
Michel Thévoz (Collection de l’Art Brut, Lausanne) schrieb ihr in einer Veröffentlichung die existenzielle Energie und subversive Kraft der Art Brut ab.
Reihenweise Missverständnisse um Outsider Art
Outsider Art ist ein Kunstphänomen, das oft missverstanden wird und daher einer näheren Betrachtung bedarf. Künstler, die in dieser Stilrichtung arbeiten, sehen sich nicht als traditionelle Künstler, sondern bringen eine einzigartige Perspektive und kreative Energie in ihre Werke ein.
Diese Art der Kunst unterscheidet sich deutlich von etablierter „kultureller Kunst“ und bietet Einblicke in die Vielfalt menschlicher Kreativität jenseits etablierter Normen. Outsider Art repräsentiert einen alternativen Ansatz zur westlichen Kunsttradition und betont die individuellen Ausdrucksformen der Künstler, die häufig neurodivers sind.
Es handelt sich hierbei nicht um eine soziale Kategorie oder eine Form der Diskriminierung, sondern um eine unkonventionelle, authentische Form der Kunst, die das etablierte Kunstsystem hinterfragt und herausfordert.
Indem wir Outsider Art als eigenständige künstlerische Strömung anerkennen, öffnen wir Raum für kritische Reflexion innerhalb des Kunstbetriebs und ermöglichen eine wertschätzende Auseinandersetzung mit vielfältigen Ausdrucksformen.
Inhaber und Geschäftsführer von Kunstplaza. Publizist, Redakteur und passionierter Blogger im Bereich Kunst, Design und Kreativität seit 2011. Erfolgreicher Abschluss in Webdesign im Rahmen eines Hochschulstudiums (2008). Weiterentwicklung von Kreativitätstechniken durch Kurse in Freiem Zeichnen, Ausdrucksmalen und Theatre/Acting. Profunde Kenntnisse des Kunstmarktes durch langjährige journalistische Recherchen und zahlreichen Kooperationen mit Akteuren/Institutionen aus Kunst und Kultur.