Wie soll man die Biografie eines Menschen beginnen, der sein ganzes Leben in seinem Beruf hervorragende Arbeit geleistet hat und von dem dennoch manche flüchtigen Betrachter das Gefühl haben, dass er gerade erst zum Star geworden ist, dass also sein eigentliches Leben gerade erst, mit 56 Jahren, so richtig begonnen hat?
Nun ja, ähnlich geht es gar nicht so wenig Menschen auf dieser Welt, nämlich all den Menschen, die eine bestimmte Leidenschaft zu ihrem Beruf gemacht haben und die sich erst sehr spät im Leben in diesem Betätigungsfeld in dem Umfang durchsetzen konnten, der ihnen von Anbeginn an zugestanden hätte.
Hinter der obigen erst so erschreckend erscheinenden Aussage verbirgt sich also in Wirklichkeit ein sehr beruhigendes Statement: Qualität setzt sich durch, immer! Auch wenn es bis zu Christoph Waltz Triumph eine Weile gedauert hat …
Herkunft verpflichtet
Oben angesprochene flüchtige Betrachter gehen ohnehin meist von falschen Voraussetzungen aus: Waltz ist keineswegs erst durch seine neuesten Hollywoodauftritte in die Riege der großen Schauspieler aufgestiegen ist, er kann vielmehr seit Jahrzehnten auf eine beeindruckende und kontinuierlich fortschreitende Karriere zurückblicken: Waltz ist 1956 in Wien geboren, und mit seiner Familie gab es für ihn eigentlich nur den Weg ans Theater:
Sein Vater Johannes Waltz war Bühnenbildner und Kostümbildner, ebenso seine Mutter Elisabeth Urbancic, an den Münchner Kammerspielen und am Bayerischen Staatsschauspiel, am Burgtheater und für die Salzburger Festspiele, und auch die Kulisse der vieler bekannter Filme wie die “Bekenntnisse des Hochstaplers Felix Krull” in der bekannten Horst-Buchholz-Verfilmung von Regisseur Kurt Hoffmann stammt aus ihrer Hand.
Waltz Großvater Emmerich Reimers war Schauspieler am Wiener Burgtheater, ebenso wie seine Großmutter Maria Mayen, die 1926 mit dem Titel der österreichischen Kammerschauspielerin geehrt wurde.Beide traten damit in die Fußstapfen Christophers Urgroßvaters Georg Reimers, der vom Dresdner Residenztheater ans Wiener Hofburgtheater aufstieg und dort zum Hofschauspieler, Ensemblemitglied auf Lebenszeit, Ehrenmitglied und Oberregisseur reüssierte.
Ausbildung und frühe Werke
Kenner der Familie überraschte es also nicht, dass Christoph Waltz nach dem Abitur erst am berühmten Wiener Max-Reinhardt-Seminar Schauspiel studierte und seine Ausbildung dann noch am legendären Lee Strasberg Theatre Institute in New York vollendete.
Schon mit 20 Jahren gab er in der Produktion “Der Einstand” für das ZDF sein Spielfilmdebüt und stand in Wien auf der Theaterbühne, ebenso wie auf den bekannten Bühnen vieler anderer deutscher, östereichischer und schweizer Stadttheater.
Es folgten unzählige Rollen in Fernsehfilmen und -serien und Kinofilmen, in Krimis und Literaturverfilmungen, Historiendramen und Thrillern, leichten und schwarzen Komödien und Politsatiren, Dokumentarspielen und Actionfilmen, Liebesfilmen und Heimattragödien, immer internationaler angesiedelt und endlich auch in Hollywood in Kriegsfilmen und Comic-Verfilmungen und internationalen Literaturfilmen und Italowestern und Katastrophenthrillern.
Qualität wird gewürdigt
Waltz hat immer viele Preise bekommen, als Preisträger des zweiten Jahrgangs erhielt er 1982 renommierten O.E. Hasse-Preis, 1996 einen Sonderpreis der Baden-Badener Fernsehspielstage, 1997 den Bayerischen Fernsehpreis für die “Roy Black Story”, 2002 empfing er gemeinsam mit Regisseur Peter Keglevic und den Schauspieler-Kollegen Sebastian Koch und Tobias Moretti für die Verfilmung der Entführung des Industriellensohns Richard Oetker, “Der Tanz mit dem Teufel”, den Adolf-Grimme-Preis, und 2004 bekam er ihn gleich noch mal für seine Darstellung in der schwarzen Komödie “Dienstreise – Was für eine Nacht”.
Inzwischen kann er sich über ein Dutzend Auszeichnungen als bester Nebendarsteller freuen, darunter den Golden Globe Award, den Preis für den besten Darsteller bei den Filmfestspielen in Cannes, den Screen Actors Guild Award, den British Academy Film Award und den Oscar (als bester Nebendarsteller in “Inglourious Basterds”).
Meister der leisen Töne
Einige Details zu Filmen und Rollen folgen in wenigen Tagen in einem eigenen Artikel zu seinem Werk, auf jeden Fall gab es für seine insgesamt Hunderte von Rollen jede Menge Lob, nur der echte Durchbruch ließ auf sich warten. Das mag auch damit zu tun haben, dass Christoph Waltz nicht zu den Individuen gehört, die großes Aufhebens um seine Person mögen, er lebt sein Leben lieber ohne begleitenden PR-Rummel und gibt Interviews so sparsam wie möglich.
Über sein Privatleben erfährt die Öffentlichkeit deshalb wenig, er hat eine erste Ehe mit einer Amerikanerin hinter sich und längst, aber von den Medien völlig unbemerkt, die zweite Frau geheiratet; und wenn er 2011 anlässlich seiner Vater-Rolle in Roman Polanskis Theater-Verfilmung “Der Gott des Gemetzels“ von Journalisten gefragt wird, ob er als Vater von vier Kindern (so viel wusste man immerhin) denn auch gelegentlich Streitfälle aus dem Sandkasten schlichten müsse, lächelt er nur verschmitzt und merkt an, dass man Kinder im Alter der seinen in Streitfällen eher im Gefängnis besuchen müsse.
Vom wenig beachteten Charakterdarsteller zum Hollywood-Liebling
Dass Waltz noch nicht zum Liebling aller wurde, liegt vielleicht auch an den Rollen, für die der Akteur üblicherweise besetzt wird: Seine durchdachte Empfindsamkeit, seine helle und fein akzentuierte Stimme und seine undurchsichtige, mit dem Minimalismus eines Könners mimisch eingesetzte “Visage”, die Waltz nach eigener Aussage nicht zur erst denkbaren Besetzung für einen “Otto Normalverbraucher” machen, prädestinierten ihn als Protagonisten für die abgründigen, labilen und verschlagenen Gestalten, er wurde festgelegt als “angesehener Charakterdarsteller weniger angesehener Charaktere” (Zitate nach www.faz.net).
Einen charmanten und interessanten Auftritt lieferte Waltz im Jahre 2001 in der Harald Schmidt Show:
Nach “Inglourious Basterds” hatte aber nun endlich Hollywood den Ausnahme-Schauspieler entdeckt, und nun geht es richtig los: Etliche Rollen in etlichen großen Hollywood-Produktionen, Regie- und Drehbucharbeit (“Auf und davon”), Beteiligung als Koproduzent und Mitarbeit am Soundtrack (“Django Unchained”), für seine Rolle des deutschen Kopfgeldjägers Dr. King Schultz in diesem Italowestern Tarantinos erhält Waltz 2012 auch zum zweiten Mal den Golden Globe als bester Nebendarsteller, weitere Nominierungen in 2013 sind erfolgt, weitere Preise warten, und weitere, immer anspruchsvollere Rollen auch.
Wie viel Freude die späte, aber um so fulminantere Anerkennung dem Schauspieler macht, ist an seiner unbegrenzten Planungsfreude mit zahlreichen zukünftigen Projekten zu merken, aber auch an seinem immer entspannteren Auftreten in der Öffentlichkeit, und es ist auf fast allen Fotos zu sehen, die von Christoph Waltz in letzter Zeit gemacht wurden:
Er lächelt oder er strahlt, die ganze Mimik ist weicher geworden, aus den Augen blitzt ein Übermut, der uns bitte noch lange erhalten bleiben möge!
Passionierte Autorin mit regem Kunstinteresse