Im Artikel „Roy Lichtensteins Weg zum Ruhm“ wurde eben dieser dargestellt, und auch wie das Ganze endete, nämlich in einer geradezu unglaublichen Wertsteigerung seiner Kunstwerke. Dabei hat Lichtenstein lange warten müssen, bis seine Kunstwerke ihn überhaupt ernährt haben:
Leben und Kunst oder Leben für die Kunst? Lichtenstein hat es ausprobiert
Roy Lichtenstein war fast 40 Jahre alt, als er seinen künstlerischen Durchbruch erleben durfte, und für diese Tatsache gab es auch Gründe: Lichtenstein hatte sich nie unter den Vollblutkünstlern eingereiht, deren Leben aus Kunststudium und Kunst machen und Zeit mit Künstlern und der Kreativwirtschaft verbringen und aus sonst nichts anderem besteht.
Lichtenstein war Künstler und normaler Mensch – er begann eine Ausbildung zu einem ganz normalen (Lehrer-) Beruf und wurde zum Militär einberufen, er konnte den Umstand, dass das Militär ihn nach Paris geführt hatte, nicht wie geplant für seine künstlerische Fortbildung (und die Bekanntschaft mit Picasso) nutzen, weil er wegen einer schweren Erkrankung seines Vaters zurück in die Heimat musste.
Er beendete seine Lehrer-Ausbildung an der Ohio State University nach dem Krieg und hatte dann zwar ein Studium zum Master of Fine Arts begonnen, aber 1949 seiner „freien Entwicklung als Künstler“ ein weiteres Hindernis in den Weg gelegt, indem er heirate und in den nächsten Jahren mit seiner Frau Isabel Wilson zwei Söhne bekam.
Lichtenstein war also für die Ernährung einer Familie mitverantwortlich, und er arbeitete in den 1950er Jahren in allen möglichen Jobs, die weniger seiner künstlerischen Entwicklung und mehr der Bereitstellung des Lebensunterhalts dienten.
So hatte er im ersten Teil seines Lebens wirklich nicht endlos Zeit, um sich mit künstlerischen Experimenten und der eigenen Stilfindung zu beschäftigen – er nahm in einem Umfang am wirklichen, prallen Leben teil, der es auch einem Kreativen nicht leicht macht, nebenbei ausgesprochen feinziselierte künstlerische Ideen zu entwickeln.
Aufwachen, Lichtenstein! Oder: Was ein neuer Job alles bewirken kann
Dieses Leben in Ohio mit gelegentlichen, der Kunst geschuldeten Ausflügen ins 750 km entfernte New York wäre vielleicht noch ewig so weitergegangen, wenn Lichtenstein nicht 1960 eine Lehrtätigkeit an der Rutgers-Universität in New Jersey angenommen hätte. Denn hier kam er in ein konzentriert kreatives Umfeld und lernte all die Künstler kennen, die heute zu den „Vätern der Pop-Art“ gezählt werden.
An der Universität in Ohio hatten sich einige der wichtigsten zeitgenössischen Künstler versammelt: Jim Dine und Claes Oldenburg, Lucas Samaras und George Segal, George Brecht und Geoffrey Hendricks, Dick Higgins und seine Frau Allison Knowles, George Maciunas und Robert Whitman, alle scharten sich in New Jersey auf dem Campus der Rutgers University rund um zwei Professoren: Allan Kaprow, den „Erfinder des Happenings“, Robert Watts, Bildhauer und Expressionist und Fluxus-Freund.
So viel Kreativität beflügelte auch Lichtenstein erneut und bestärkte ihn, auch den verrückteren seiner Einfälle nachzugehen. Bisher war Lichtensteins künstlerischer Ausdruck eher dem Expressionismus zugeneigt, dem eigentlichen „künstlerischen Mainstream“ der Zeit, in dem sich Lichtenstein nicht so richtig zwischen die zwei herrschenden Schulen einordnen konnte: „Action Painting“ oder die „introvertierten Expressionisten“, die mit großflächigen Farbaufträgen „zur Meditation aufrief“.
Die Werke, die bei diesen Positionierungsversuchen herauskamen, hatten auf jeden Fall in den New Yorker Ausstellungen bisher keine große Aufmerksamkeit erregen können, erst recht nicht, als er Ende der 1950er Jahre immer mehr an seinem Stil zweifelte.
Lichtenstein hatte danach bereits begonnen, mit Abbildungen verschiedener Comic-Figuren und Disney-Charakteren zu experimentierten, hatte diese ersten Disney-Bilder aber nie öffentlich gezeigt. Diese Bilder wurden vielmehr von ihm selbst wieder übermalt, er gab später zu, dass er sie eher als „Verzweiflungstaten“ eingeordnet hatte. Schade eigentlich, denn diese Bugs Bunnys, Donald Ducks und Mickey Mouses hätten ihm gar nicht so viele Jahre später wahrscheinlich sehr viel Geld eingebracht.
Denn als sich Lichtenstein nun anstecken ließ von den Ideen der Kreativen um ihn herum, war das Ergebnis dieser Experimentierphase, dass er sein bisher erworbenes künstlerisches Können absichtlich komplett „vergaß“ und als erstes Bild ohne expressionistischen Einschlag eben ein solches „Comic-Bild“ schuf.
Damit war der typische Lichtenstein-Stil geboren, „Look Mickey“ folgten noch im gleichen Sommer 1961 einige andere Bilder in diesem neuen Stil, in dem er klare und durch kräftige Linien abgegrenzte Bilder mit einfarbigen Flächen, imitierten Elementen der industriellen Drucktechnik (Ben-Day-Dots) und der aus dem Comic bekannten Sprechblase kombinierte.
Im Herbst 1961 vermittelte Professor Kaprow ihm einen Termin mit Ivan Karp, dem Direktor der angesagten New Yorker Leo Castelli Galerie, dem Lichtenstein einige seiner Bilder im neuen Stil vorlegte. Karp schätzte die Bilder als vielversprechend ein und zeigte sie deshalb seinem Chef Leo Castelli, beim „Girl with Ball“ soll Castelli entschieden haben, Lichtenstein zu vertreten, „Look Mickey“, die einzige Abbildung eines Comic-Charakters, bekam er nicht von Karp gezeigt.
Lichtenstein „in aller Munde“ – ohne Castelli fast undenkbar
Vielleicht war es diese Unterlassung, die Lichtensteins Karriere erst ermöglicht hat, denn Andy Warhol hatte etwa gleichzeitig begonnen, Comic-Figuren in seiner Kunst zu verarbeiteten, er soll diese Comic-Bilder ebenfalls in der Castelli-Galerie gezeigt haben und damit abgelehnt worden sein. Anderseits – Castellis Ablehnung und die Vereinnahmung der Comics durch Lichtenstein sollen Warhol veranlasst haben, sich von den Comics ab und den Konsumgütern zuzuwenden, und damit ist er heute die Nr. 1 in der „ewigen Rangliste der Kunst“, und Roy Lichtenstein nur auf Platz Nr. 23.
Aber das kommt alles viel später, jetzt im Jahr 1961 hat Lichtenstein es erst einmal geschafft, in einer der damals gefragtesten New Yorker Galerien unterzukommen, und damit ging es steil nach oben: Die ersten Bilder wurden schnell verkauft, seine erste Einzelausstellung war ausverkauft, bevor sie eröffnet war, Lichtenstein konnte nun von seinen Bildern leben.
Er ordnete daraufhin sein Leben völlig neu: Die durch ein Jahrzehnt gemeinsam verbrachter Hinterland-Winter, die Jahre des Existenzkampfes oder sonstwie verschlissene Ehe mit Isabel Wilson wurde geschieden, Lichtenstein zog ins Kunstzentrum New York, er lernte andere Größen der Pop-Art wie Robert Rauschenberg and Jasper Johns kennen und konzentrierte sich nur noch auf die Malerei. Castelli hatte gute Verbindungen nach Europa, durch seine ehemalige Frau Ileana Sonnabend wurde Lichtenstein auch in Europa bekannt gemacht.
Tatkräftige Produktion im Lichtenstein-Stil
Das war’s – In der 1960er Jahren wurde Lichtenstein immer berühmter, 1963 entstand sein wohl berühmtestes Bild „Whaam!“, das schon 1966 in der Tate Modern in London hängt. Er erschuf in der folgenden Zeit eine Vielzahl von Kunstwerken, widmete sich unterschiedlichsten Themenbereichen, Plastiken und Installationen von Kunst-Objekten und malte nicht selten gleich in Serien.
Vielleicht in bewusster Abgrenzung zu Andy Warhol nutzte Lichtenstein niemals Fotografien als Vorlagen, sondern setzt weiter auf Comicserien oder kommerzielle Druckerzeugnisse wie das Branchenbuch, aus dem „Girl with Ball“ entstanden war, und er produzierte immer sichtbar im besonderen Lichtenstein-Stil.
Im frühen Werk hatte er noch viele Themen ausprobiert, mit teilweise nachvollziehbaren Vorlagen und unter Einbezug sehr einfacher Objekte, er ließ sich damals wie Warhol von der neuen Flut kommerzieller Werbung für neuartige Gebrauchsgeräte beeinflussen. So entstanden Bilder wie „Sock“ („Socke“), „Roto Broil“ („Friteuse“) und „Washing Mashine“ („Waschmaschine“), alle noch von 1961, die alle von Kunstkritikern verdammt, aber wegen der neuen und subtilen Darstellung von Castellis Kunden begeistert aufgenommen wurden.
Lichtenstein führte die Verbindung von Kunst und Kommerz gezielt fort, ein erster Höhepunkt war das Bild „Art“ von 1962, das nicht mehr als eben dieses Wort auf fast zwei Quadratmetern darstellte. Es folgten Abstraktionen des Comicstils, die an Picassos Bilder erinnerten, Keramik- und Metallskulpturen und Landschaftsgemälde und Pinselstrich-Serien, immer gleich blieb die Zusammensetzung farbiger Flächen mit kräftiger schwarzer Umrandung und punktierten Bereichen.
Mit dieser Produktion beginnen die großen Ausstellungen: 1964 wird Lichtenstein als erster Amerikaner in der Londoner Tate Gallery ausgestellt, 1967 findet im Pasadena Art Museum in Kalifornien die erste Retrospektive seiner Werke statt und seine erste Einzelausstellung in Europa, die nach Amsterdam, London, Bern und Hannover wandert. 1968 nimmt Lichtenstein zum ersten Mal an der documenta (IV) in Kassel teil, 1969 folgt die erste Retrospektive im Guggenheim Museum in New York.
Die Zeit der Ehrungen, Ausstellungen und Sammlungen
1969 wird Lichtenstein auch von Gunter Sachs beauftragt, für die Pop-Art-Suite seines Palace Hotels in St. Moritz „Leda und den Schwan“ zu malen. 1970 wurde er Mitglied in der American Academy of Arts and Sciences und kauft eine Remise in Southampton auf Long Island, wo er sich ein Studio baut und eine Zeit der relativen Abgeschiedenheit verbringt.
Im folgenden Jahrzehnt kam zu seinem Stil nicht viel Neues hinzu, er entdeckte die optischen Täuschungen und fertigte verschiedenste Stillleben, beschäftigte sich auch wieder mit Kunstgeschichte und malte Bilder nach dem Vorbild berühmter Künstler, wie 1974 den „Red Horseman“ nach der Vorlage Carlo Carràs und 1980 die „Forest Scene“ nach Claude Monet.
Bereits in den frühen 1960 Jahren hatte Lichtenstein Meisterstücke von Cézanne, Picasso und Mondrian reproduziert, insgesamt hat er mehr als 100 Interpretationen bekannter Gemälde berühmter Kollegen angefertigt, die Ausstellung „Roy Lichtenstein. Kunst als Motiv.“ im Museum Ludwig in Köln beschäftigte sich 2010 mit dieser Seite des Künstlers.
Die hier gebotene Reise durch Lichtensteins Werk berührt Kubismus und Expressionismus, Futurismus und die Moderne, vom Stil der 1930er Jahre bis hin zu Minimal Art und abstrakter Malerei. Lichtenstein kopiert nicht etwa, sondern findet für seine Neuauflage der Klassiker so interessante persönliche Interpretationen, dass seine ausschließliche Reduktion auf Comic-Pop-Art vermutlich zu bedauern ist.
In dieser Zeit verarbeitete Lichtenstein auch bereits eigene Werke neu, in der Artist’s Studio-Serie entstanden 1973 und 1974 „Artist’s Studio, Look Mickey“ und andere Neuauflagen. Dazu kamen weitere Auftragsarbeiten, 1977 ein Art Car für Autohersteller BMW, 1978 eine Skulpturen-Lampe für die Kirche St. Mary’s in Georgia und 1979 die „Mermaid“, ein öffentlicher Auftrag, sie steht heute vor dem Fillmore Miami Beach at Jackie Gleason Theater. 1977 bekam Lichtenstein auch seinen ersten Ehrendoktor, von California Institute of the Arts, 1980 wird er zum Ehrendoktor vom Southampton College ernannt.
In den 1980ern hat Lichtenstein dann offensichtlich genug von den Comics und wendet sich wieder mehr seinen Wurzeln zu, so entstehen Landschaften wie „Sunrise“ von 1984 und „Landscape with Red Roof“ von 1985 und eine ganze Reihe von „Landscape Sketches“. Weitere öffentliche Aufträge kommen herein: 1984 entsteht die Skulptur „Brushstrokes“, die heute am Port Columbus International Airport steht, im Jahr darauf die „Mural with Blue Brushstrokes“ am Equitable Center in New York, 1992 anlässlich der olympischen Spiele die Skulptur „El Cap“ in Barcelona und 1994 das riesige Wandbild in der U-Bahn-Station „Times Square“ in New York.
Und weitere Ehrungen: 1987 wird er Ehrendoktor der Ohio State University, 1993 bekam er den Ehrendoktor des Royal College of Art, 1995 werden ihm der Kyoto-Preis und die amerikanische „National Medal of the Arts“ verliehen, 1996 wird er Ehrendoktor der George Washington University von Washington D.C., insgesamt bekam er noch etliche Auszeichnungen mehr.
Lichtensteins letzte Arbeit war dann ironischerweise ein Firmenlogo, für DreamWorks Records und im typischen Stil, obwohl sich Lichtenstein doch von seinen Comic-Bildern inzwischen so weit entfernt hatte. Wenn ein Betrachter hier einen Widerspruch entdeckt, würde das den 1997 verstorbenen Künstler jedoch sicher nicht stören, Lichtenstein hat sich nie zu ernst genommen: „I don’t think that whatever is meant by it is important to art“ (“Was auch immer meine Arbeit ausdrückt – ich glaube nicht, das es wichtig für die Kunst ist“) ist ein bekanntes Zitat von ihm (zu finden im Buch „Roy Lichtenstein“ von John Coplans, erschienen 1972 im Praeger-Verlag in New York, S. 54.).
Die Kritik soll teilweise wirklich heftig gewesen sein, z. B. hat das „Life Magazine“ einen Artikel mit der Frage überschrieben, ob Lichtenstein “the Worst Artist in the U.S.” (der schlechteste Künstler in den USA) sei, legendär ist auch der Ausspruch des berühmten Comic-Autoren und Pulitzer-Preis-Träger Art Spiegelman, nach dem „Lichtenstein did no more or less for comics than Andy Warhol did for soup.“ (“Lichtenstein genauso viel oder wenig für Comics getan hat wie Andy Warhol für Suppe“).
Lichtenstein soll sich zwar gelegentlich zugegeben haben, dass Kritik ihn mitunter verletzt habe, wird aber insgesamt als freundlicher und in Bezug auf seine Bewertung ausgesprochener gelassener Gesprächspartner beschrieben.
Kunstwerke von Roy Lichtenstein auf Pinterest
Unschöner Nachhall
Wenn man von den Preisen ausgeht, die für einen „Lichtenstein“ heute gezahlt werden, hatte er auch wirklich jeden Grund zu solcher Gelassenheit – die zu seinen Lebzeiten gezahlten Millionensummen haben sich seitdem ungefähr verzehnfacht.
Um so bedauerlicher ist es, wenn noch im Jahr 2013, also über anderthalb Jahrzehnte nach dem Tod des Künstlers, angebliche „Musen“ auftauchen, die ohne jeden Respekt vor der fast drei Jahrzehnte währenden zweiten Ehe Lichtensteins am Vorabend einer großen Retrospektive seiner Werke Kapital aus der Bekanntschaft mit dem Künstler schlagen möchten.
Oder wenn der Galerist, der Lichtenstein gegen Ende seines Lebens vertrat und seitdem seinen Nachlass vermarktet, vor allem mit juristischen Streitigkeiten rund um die Kunst Lichtensteins von sich reden macht …
Über diesen Galeristen ist insgesamt nicht viel Gutes zu hören, aber das ist wieder ein anderes Thema, über das es demnächst etwas zu lesen gibt.
Inhaber und Geschäftsführer von Kunstplaza. Publizist, Redakteur und passionierter Blogger im Bereich Kunst, Design und Kreativität seit 2011. Erfolgreicher Abschluss in Webdesign im Rahmen eines Hochschulstudiums (2008). Weiterentwicklung von Kreativitätstechniken durch Kurse in Freiem Zeichnen, Ausdrucksmalen und Theatre/Acting. Profunde Kenntnisse des Kunstmarktes durch langjährige journalistische Recherchen und zahlreichen Kooperationen mit Akteuren/Institutionen aus Kunst und Kultur.