Das Kaleidoskop will trockenen Stoff strukturieren und „mit Spaß tränken“, so dass er greifbarer wird und Neues erfahren (das heute häufig eher unangenehm besetzte Lernen) zum Vergnügen und Verstehen wird.
Dazu gibt es erst einmal Überblick über die großen Zusammenhänge, die dann anhand einzelner prägnanter Spots (gerne mit Blick auf die leicht verrückten Auswüchse eines Themengebietes) punktuell beleuchtet werden.
Gerade geht es um Kunstgeschichte, ganz am Anfang darum, wie die Wissenschaftler, die sich mit Kunstgeschichte beschäftigen, ihren Stoff einteilen. Die Kunstgeschichtler teilen die Geschichte der Kunst in vier große Epochen, für die sich bestimmte, alles andere als feststehende Kerndaten etabliert haben:
- 1. Ur- und Frühgeschichte der Kunst: 600.000 v. Chr. (erste Werkzeuge) – 3.100 v. Chr. (erste Hochkulturen mit Schrift)
- 2. Kunstgeschichte des Altertums: 3.100 v. Chr. (erste Hochkulturen mit Schrift) – 500 n. Chr. (Ende Antike, Beginn Mittelalter)
- 3. Kunstgeschichte des Mittelalters: 500 n. Chr. (Ende Antike, Beginn Mittelalter) – 1.500 n. Chr. (Ende Mittelalter, Beginn Neuzeit)
- 4. KKKKK der Neuzeit: 1.500 n. Chr. (Ende Mittelalter, Beginn Neuzeit) – heute
Im ersten Kaleidoskop der Kunstgeschichte ging es um Überblick über die Epochen der Ur- und Frühgeschichte der Kunst und der Kunstgeschichte des Altertums. Hier folgt nun ein Überblick über die Epoche der Kunstgeschichte des Mittelalters, die 3. Epoche der Kunstgeschichte:
Zur Kunst des Mittelalters gehört die Kunst, die zwischen ca. 500 n. Chr. bis ca. 1.500 entstanden ist.
Wie gesagt, die Jahreszahlen sind niemals so ganz genau zu nehmen – Im Westen beginnt das Mittelalters mit dem Untergang der Antike, der sich schon über ein paar Jahrhunderte hinzog. Hier ein paar Daten zur Auswahl, an denen das Ende der Antike im Laufe der letzten Jahrhunderte festgemacht wurde oder wird:
- Die Teilung des Römischen Reiches in Ost- und Westrom 395 n. Chr. (beliebter Ansatz der älteren Forschung)
- Die Absetzung des letzten weströmischen Kaisers Romulus Augustulus 476 n. Chr.
- Die Niederlage des Syagrius (letzter selbständige „römischer“ Herrscher in Gallien) gegen den fränkischen König Chlodwig I. 486/87
- Gründung des ersten Benediktinerklosters (Abtei Montecassino im italienischen Latium) und Verbot der Platonischen Akademie (kritische Philosophenschule) 529
- Tod des oströmischen Kaisers Justinian I., der die Philosophenschule verboten hatte, 565
- Einfall der Langobarden in Italien 568
- Beginn der islamischen Expansion 632
Die drei letzten Ereignisse bezeichnen für die jüngeren Forscher das Ende der Antike treffender; für den östlichen Teil des Römischen Reiches betrachtete auch die ältere Forschung den Start der islamischen Eroberungen als Ende der Antike/Beginn des Mittelalters.
Insgesamt wird der Beginn des Mittelalters also recht variabel irgendwo zwischen 500 und 700 n. Chr. angesetzt. Wenn man vor allem den westlichen Kulturkreis betrachtet, wie die traditionelle (westlich geprägte) Kunstgeschichtswissenschaft es tut, ist das Mittelalter eine dunkle Zeit.
Die antiken Kulturen der von den klassischen Kunstwissenschaftlern so bewunderten Römer und Griechen waren schon eine Weile Geschichte:
Die Griechen haben von Kreta aus eine immerhin 1.000 Jahre (1.300 bis 300 v. Chr.) blühende Kultur durchlebt, bis ein Herrscher namens Alexander (20. Juli 356 v. Chr. – 10. Juni 323 v. Chr.) sich aufmachte, das ganze Umfeld zu erobern. Alexander der Große wurde er genannt, die Abfolge seiner Schlachten nimmt einen großen Teil dessen ein, was heutiger Geschichtsunterricht über diese Zeit vermittelt.
Seine Nachfolger konnten sich bloß nicht einigen, wer das griechische Reich nach Alexanders Tod gegen die vielen Feinde verteidigen sollte, die er seinem Reich geschaffen hatte, so zerfiel Alexanders „Griechisches Weltreich“ in vier Teilreiche, die sich selbst auflösten oder unter die Herrschaft der gerade zur Großmacht aufsteigenden Römer gerieten.
Im Römischen Reich lief es ganz ähnlich, erst regierten Könige, dann kam ein Stück Republik, dann Kaiser, dann wurden immer mehr Gebiete erobert. Bis das riesige Reich in Ost- und Westrom zerfiel, danach ging es nur noch abwärts, mit allen gerade oben genannten Ereignissen, an denen das Ende der Antike festgemacht wird.
Es folgte das Mittelalter, eine Zeit von Krieg und Krach und wieder Krieg, eine raue Zeit, in der nicht nur die Kunstkultur der Antike, sondern auch viele gesellschaftliche Errungenschaften untergingen. Die Menschen kämpften mit politischen Unruhen und der damit einhergehenden hohen Kriminalitätsrate, mit Krankheiten und Kälte und mit einem zu geringen Einkommen, um auskömmlich zu leben.
Die Menschen damals wurden von Adel und Klerus ausgebeutet wie die Menschen heute von unregulierten Finanzkonzernen; wenn Kultur, war sie Sache des Adels und der Kirche (läuft heute auch schon in die Richtung, die schönsten Gemälde der Welt verschwinden gerade per Auktion und für sechsstellige Beträge bei den immer reicher werdenden Reichen dieser Welt).
Die Zeit zwischen dem Ende der Antike und dem Aufkommen des Humanismus (15. Jahrhundert) wird von den später rückwärts schauenden Generationen deshalb als eine Zeit des Verfalls von Bildung und Kultur empfunden, es gab unter den normalen Menschen kaum Künstler – und damit auch kaum freie Kunst: Was Adel und Kirche gemalt haben wollten, hatte nicht im geringsten die Variationsbreite, die Kunstschaffende in freien Gesellschaften entwickeln.
Dieser unsichere, beschwerliche und unfreie Zustand hielt ein ganzes Jahrtausend an und bildet damit eine eigene Epoche der Kunstgeschichte, die die Kunstwissenschaftler in verschiedene Perioden einteilen:
Frühmittelalter, 5. Jh. bis Mitte 11. Jh., wird in der Kunstgeschichte auch Vorromanik genannt
1. um 500 – 750 Merowingische Kunst
Umfasst alles, was das Frankenreich unter den Merowingerkönigen an Kunst hervorbrachte, Volkskunst der verschiedenen Völker des Frankenreichs mit Resten der Kunstfertigkeit eines untergegangenen Weströmischen Reiches.
Beispiele: Handgeschriebene Bücher, Gürtelschnallen und Buchrücken aus Metall, gemalte Buchillustrationen (vor allem Tiere)
2. 750 – 900 Karolingische Kunst
748 wurde Karl der Große geboren, 768 war er König des Frankenreichs und 800 Kaiser. Karl der Große wollte eine zufriedene und leistungsfähige Gesellschaft. Er unterstützte Bildung und wusste, wie wichtig Kunst und Kultur für die geistige Regsamkeit eines Volkes ist; er wollte eine kulturelle Neubelebung des Frankenreichs. Was ihm gelang, wir nennen das heute „karolingische Renaissance“. Die Kunst dieser Renaissance (französisch: Wiedergeburt) spürt spätantik-frühchristlichen und byzantinischen Traditionen in Kultur und Kunst nach.
Beispiele Godescalc-Evangeliar (Prachthandschrift mit Gold Silber auf Purpurpergament), Beginn einer herausragenden Architektur
3. 950 -1050 Ottonische Kunst
Die Ottonen hießen eigentlich Ludolfinger und kamen mit Heinrich I. 919 an die Herrschaft, aber weil ab 936 Otto I. (der Große, 936–973, ab 962 Kaiser), Otto II. (973–983 Kaiser) und Otto III. (983–1002, ab 996 Kaiser) folgten, werden sie eben so genannt.
Der letzte Ludolfinger war zwar auch wieder ein Heinrich (II., Kaiser ab 1014), aber der starb 1024 ohne Erben. Auf jeden Fall übernahmen die Ottonen (Zwischenspiel: ein Konradiner, Konrad I.) von den Karolingern das Reich und die Liebe zur Kunst, mit „ottonischer Renaissance“.
Beispiele: Goldschmiedekunst, Reliefs in der Buchmalerei
Hochmittelalter, Mitte 11. Jh.–Mitte 13. Jh.
1. 1000 – 1250 Romanik
Hier wird es künstlerisch reichhaltiger, weshalb die Romanik in Frühromanik (um 1000–1024), Hochromanik (1024–1150) und Spätromanik (1150–1250) gegliedert wird.
Beispiele: Prägnant sichtbar in der Sakralarchitektur, romanische Kirchen zeigen eine Reihe von Weiterentwicklungen der frühchristlichen Basiliken, die als romanische Merkmale gelten:
- Grundriss christliches Kreuz, Grundmaß Quadrat
- Kreuzgewölbe oder Tonnengewölbe
- Massive Wände, Pfeiler und Säulen, Rundbögen an Arkaden, Fenstern, Portalen
- Basiliken sind dreischiffig, erhöhtes Mittelschiff + zwei niedrigere Seitenschiffe
- Kirche geteilt in Hauptschiff als Versammlungsort der Gemeinde und Querschiff als Bereich für den Klerus
- Freskomalerei
2. 1130 – 1200 Frühgotik
Romanische Vorboten der Gotik in Deutschland: 1130 muss eine frühromanische Basilika dem Dom St. Peter in Worms weichen, der bis 1181 gebaut wird. Das romanische Kreuz des Meisters Imervard von 1150 zeigt einen triumphierenden Christus ohne Dornenkrone und mit stark überdehntem Körper, das bleibt auch in der gotischen Kunst typisch.
Die Gotik beginnt 1130 in Frankreich, als Gründungsbau gilt die Abteikirche von Saint-Denis in Frankreich. Der „Early English Style“ der Gotik beginnt um 1180, in Deutschland ist die Gotik erst um 1250 angekommen. Der Limburger Dom (Bau 1190 bis 1235) ist ein bekanntes Beispiel für den Übergang von der Romanik zur Gotik.
3. 1200 – 1250 Hochgotik
Die „typischen künstlerischen Kennzeichen“ der Gotik sind Begriffe, die Architektur beschreiben (obwohl die Aufdrucksformen der Gotik alle Gattungen der Kunst bis hin zum Kunsthandwerk verändern): Bündelpfeiler, dreigeschossige Hochschiffwände, Fassenden mit einem oder zwei Türmen, Fenstermalerei statt Freskomalerei, Grundmaß Rechteck, Hohe Räume, Kreuzrippengewölbe, optische Auflösung der Wände, Skelettbauweise, Spitzbögen, Verzierungen wie plastischer Schmuck, Rippen, Strebewerke
Beispiele: Kathedrale Notre-Dame in Paris (Baubeginn 1163, dauerte 150 Jahre), auch die Kathedrale Notre-Dame in Chartres (Bau 1194 bis 1260) ist ein prächtiges Beispiel französischer Gotik.
Spätmittelalter (Spätgotik), Mitte 13. Jh. – um 1500
Im Sakralbau kommen Hallenkirchen mit gleich hohen Schiffe und einschiffige Saalkirchen dazu, der Profanbau mit Rathäusern und Bürgerhäusern, Stadttoren und Brunnen nimmt zu.
Beispiele: Hochgrab des Kaisers Heinrich II. (973–1024) und seiner Frau Kunigunde (um 980 – 1033) im Bamberger Kaiserdom von Tilman Riemenschneider (um 1460-1531), Kölner Dom (Bau 1248 bis 1880, schlägt mit lockeren 632 Jahren Bauzeit jede Endlos-Baustelle unserer Zeit), Lübecker Marienkirche (ab 1250), Marienburg (ab 1270, größter Backsteinbau Europas); Maler Giotto (um 1267–1337), Jan von Eyck (1390 – 1441, „Erfinder der Ölmalerei“), Rogier van der Weyden (1399 – 1464, Rogier da la Pasture), Hans Memling (1433/1440 – 1494).
Die Spätgotik streckt sich bis in die Neuzeit, mit Künstlern wie Filippo Brunelleschi (1377 – 1446, Architekt und Bildhauer) und Donatello (um 1386 – 1466, Bildhauer) als geistige Vorbereiter der frühen, nun folgenden Renaissance – dem ersten Abschnitt der 4. Epoche der Kunstgeschichte, der Kunst der Neuzeit.
Der Beginn dieser Neuzeit liegt natürlich ebenso wenig genau im Jahr 1.500 wie der Beginn des Mittelalters im Jahr 500, auch wenn es so schön praktisch ist. Vor allem die Kunstliebhaber, die aus gerne lesen (also die meisten), werden darauf bestehen, dass die Neuzeit ziemlich genau im Jahr 1450 begonnen hat, als nämlich Johannes Gutenberg seine ersten Bücher setzte und druckte.
Übrigens: Auch wenn die Kunstgeschichte der Romanik und Gotik ganz von der Baukunst gekennzeichnet sind (wir hatten so viel nachzuholen, als das „finstere Mittelalter“ endlich ein wenig heller wurde) und der damalige Durchschnitts-Künstler entweder von einem Adligen oder der Kirche bezahlt wurde, also wenig künstlerische Freiheit hatte – die Künstler nahmen sich ihre Freiheiten, manchmal ziemlich offensichtlich, manchmal kaum zu entdecken.
Da gibt es Weltchroniken, die mit biblischen Figuren, Rittern und Trojanern in eine Art Science Fiction mutieren, da gibt es einen Maler ehrwürdiger Heiligenbilder, in denen immer wieder Gurken auftauchen, ganz normale, dumme, grüne Gurken … im Kaleidoskop sollen möglichst viele dieser Skurrilitäten aufgespürt werden, damit Kunst so richtig Spaß macht.
Passionierte Autorin mit regem Kunstinteresse