- Emilia und Ilya Kabakov oder „Die Russische Seele von New York“ – Teil 1
- Emilia und Ilya Kabakov oder „Die Russische Seele von New York“ – Teil 2
Bei den Kabakovs funktionierte die Zusammenarbeit wohl von Anfang an gut, sie trägt nämlich schnell beachtliche Früchte:
1989 erhielt Ilja Kabakov ein DAAD-Stipendium, Kabakov-Arbeiten werden in diesem Jahr exklusiv in den DAAD-Galerien in Berlin, der De Appel Foundation Amsterdam, dem Institute of Contemporary Art und den Riverside Studios London, der Galerie de France Paris, der Universität des Saarlandes in Saarbrücken, der Genia Schreiber University Art Gallery in Tel Aviv und der Kunsthalle Zürich ausgestellt und zu Gruppenausstellungen in Paris, München, Düsseldorf und fünf japanischen Städten eingeladen.
1992 sind sie schon auf der Documenta IX in Kassel zu sehen und Ilja Kabakov lehrt bis 1993 er an der Städelschule in Frankfurt am Main, 1993 vertraten die Kabakovs auf der 45. Biennale in Venedig mit der Installation „The Red Pavillon“ ihre noch eher abgeneigte Heimat Russland.
In diesem Stil geht es weiter: Arbeiten der Kabakovs wurden in allen wichtigen und vielen weniger bekannten Museum dieser Welt gezeigt, 1998 das erste Mal in Moskau (auf private Initiative des US-amerikanischen Philanthropen George Soros), 2003/2004 das erste Mal offiziell in der Heimat, in der staatlichen Tretjakow-Galerie Moskau und im State Hermitage Museum in St. Petersburg.
Die erste Biennale war in Whitney 1997, viele folgten, gleichzeitig kamen öffentliche Aufträge aus Städten in ganz Europa herein, die Kabakov sind bis heute außerordentlich erfolgreiche Ausstellungskünstler, deren Kunst jedes Jahr auf Neue eine beachtliche Zahl von Ausstellungen bereichert.
Obwohl das Kabakov-Gespann erst in der späten Mitte des Lebens richtig durchstarten konnte, sind bis heute knapp 300 Solo-Ausstellungen und ein paar hundert Gruppenausstellungen zusammengekommen; Kabakov-Werke sind dauernd irgendwo zu sehen – wo auf der Welt sie demnächst ausgestellt werden (mit Vorlauf teils bis 2020), können Interessierte direkt auf ilya-emilia-kabakov.com/exhibitions nachschlagen.
Auch die künstlerischen Ehrungen und Auszeichnungen häufen sich bei den Kabakovs (wobei meist Ilja der Geehrte ist, auf echte, fruchtbare Zusammenarbeit von Partnern sind unsere individualistisch gedachten Awards meist nicht ausgerichtet): 1990 Kunstpreis Aachen; 1992 Arthur Köpcke Award der Köpcke Foundation Kopenhagen; 1993 Max-Beckmann-Preis Frankfurt am Main, Joseph-Beuys-Preis Basel, Ehrendiplom Biennale von Venedig; 1995 Chevalier de l’Ordre des Arts et des Lettres, Ministère de la Culture Paris; 1997 Best Show Award der International Art Critic Association New York; 1998 Goslarer Kaiserring; 2000 Ehrendoktor der Philosophie Universität Bern; 2002 Oskar Kokoschka Preis, Bundesministerium für Bildung, Wissenschaft und Kultur Wien; 2007 Ehrendoktor der Philosophie Universität Sorbonne Paris; 2008 Praemium Imperiale („Nobelpreis der Kunst“) Japan Art Association, Orden der Freundschaft vom Präsidenten der Russischen Föderation, Ehrenmitgliedschaft Moscow Art Academy; 2010 Cartier-Lifetime Achievement Award der St. Moritz Art Masters; 2011 Innovation Prize Moskau, Louise Blouin Foundation Award New York; 2013 Medal for Life-Achievements in Art, Moskau Art Academy; 2014 Commandeur De L’Ordre Des Arts Et Des Lettres, Ministery de la Culture Paris, Gold Medal for Achievements in Art, The National Art Club, New York; 2015 Award For Excellence in Arts, Appraisers Association of America New York.
Für alle, die ihren Urlaub mit rätselhafter Kunst bereichern möchten, hier die öffentlichen Sammlungen, die Kabakov-Werke bereithalten:
- Australien: Queensland Art Gallery/Gallery of Modern Art Brisbane
- Belgien: Museum voor Hedendaagse Kunst Antwerpen, Stedelijk Museum voor Actuele Kunst Gent
- Deutschland: Hamburger Kunsthalle Berlin, Kunsthalle Bremerhaven, K21 Düsseldorf, Museum für Moderne Kunst Frankfurt am Main, Museum Ludwig Köln, Galerie für Zeitgenössische Kunst in Leipzig, Museum Wiesbaden
- Finnland: Kiasma Museum of Contemporary Art Helsinki
- Frankreich: Musée Maillol Fondation Dina Vierny Paris
- Griechenland: National Museum of Contemporary Art Athen
- Großbritannien: Tate Britain
- Italien: Museo nazionale delle arti del XXI secolo + Nomas Foundation Rom, Centro per l’Arte Contemporanea Luigi PecciItaly Prato
- Norwegen: The Museum of Contemporary Art Oslo
- Portugal: Ellipse Foundation Alcoitão
- Russland: Moskau museum of modern art, National Centre for Contemporary Arts Moskau, Tretjakow-Galerie Moskau
- Schweiz: Kunstmuseum Basel
- Slowenien: Moderna galerija Ljubljana
- Türkei: Huma Kabakcı Collection
- USA: Museum of Modern Art, Apexart, Exit Art New York City; Chinati Foundation Marfa, Texas
Der Abschied als Fahrkarte in den Erfolg
Das Kunstwerk, das den Ruhm des frisch gebackenen Künstler-Ehepaares begründete, war Ilja Kabakovs Abschiedsgruß an Moskau.
Es geht um die Installation „Der Mann, der aus seiner Wohnung in den Weltraum flog“, 1985, Moskau, bit.ly/2rfttdq. Was auf den ersten Blick als vermüllte Kammer mit Loch in der Decke daherkommt, erzählt jedem Fantasiebegabten die Geschichte der Sowjetunion; mitsamt aller Entbehrungen, die Millionen Russen unter der unfähigen und deshalb grausamen Herrschaft erlitten: Der Raum hat genau die Maße des Ein-Raum-Lochs, in dem Ilja Kabakow in Moskau leben musste.
Die bunten Plakate an den Wänden sind typische Sowjet-Alltags-Propaganda, die in scheinbar optimistisch stimmender (und tatsächlich tief deprimierender) Darstellungsweise von den Freuden des sowjetischen Lebens erzählt. Die eigentliche Einrichtung stimmt noch nicht einmal scheinbar optimistisch, es ist einfach abgrundtief hässlicher Scheiß, beim Absprung bis zum ungemachten Bett und dem Schleudersitz aus Gurten und Federn ungerührt und ungeordnet unter, im, über dem Schutt des Durchbruchs zurückgelassen…
Am Ende steht also die Erfüllung des kollektiven Traums aller Bedrängten: Die berauschende Vision einer Flucht, ermöglicht durch plötzliche, wundersam verliehene, übermächtige Kraft. Dass diese Flucht in den Weltraum führt, kann Ausdruck eines tiefen Menschheits-Pessimismus sein, ist aber vielleicht auch nur ein Seitenhieb auf den sowjetischen Teil des „Wettlaufs ins All“.
Bei all der oft zum Zynismus neigenden Ironie, die in Kabakovs Werk so zu finden ist, vielleicht auch ein heftiger Schlag gegen die kollektiv von Wundern träumende russische Bevölkerung; Kabakov dürfte genau wissen, dass Verbesserung des Lebens aller Menschen nicht per Wunder daherkommt, sondern durch gemeinsam handelnde Menschen herbeigeführt wird (je mehr Menschen, desto schneller; je früher sie sich zusammenfinden, desto gewaltfreier).
Auf jeden Fall ein „Kabakov“, wie es typischer kaum geht, wobei die Inhalte der jeweiligen Installationen eine riesige Bandbreite des Ungemach berühren, mit dem die Menschheit umzugehen hat.
Das Kämmerchen mit dem Krater im Dach durfte für die Ausstellung „Ten Characters“ in der Ronald Feldman Fine Arts-Gallery in New York auferstehen: In Moskau wurde die Original-Installation immer nur stundenweise aufgebaut, weil Kabakov ungebetene Staatsbesuche befürchten musste. 1988 wurde die Installation rekonstruiert und durfte sich erstmals ganz unbedroht länger zeigen.
Mit den 9 Characters, die sich (wieder, auch die Mappenserie „10 personažej“ ist zwischen 1972 und 1975 entstanden) zum „Mann, der aus seiner Wohnung in den Weltraum flog“ gesellten, wurden die Kabakovs zu Pionieren der Gesamtinstallation. Jeder Charakter füllt einen Raum mit den Dämonen seines Lebens: Der Mann, der so kurz war, dass er wollte, dass sich alle anderen um ihn kümmerten; der talentlose Künstler, der viele offizielle Aufträge erhielt; der Mieter, der nie etwas weggeworfen hat …
Weil es schon fast fies wäre, die Entdeckung der viel zu unbekannten Kunst der Kabakovs vorwegzunehmen, dürfen hier nur noch einige Titel den Appetit anregen:
- „Vškafusidjaščij Primakov“, 1972 (DerImSchrankSitzende Primakov; eine lange, in Gedenken an den Urvater der russischen Avantgarde Kasimir Malewitsch vollkommen schwarze Erzählung in mehreren Akten)
- „By December 25 in Our District…“, 1983 (die zwei Bauschaufeln sollen bis Ende 1979 die lange Liste von Schulen und Krankenhäusern bauen, haben aber am 25.12. vier Jahre später noch nicht einmal angefangen)
- „Urlaub Nr. 1-8“, 1987 (langer Urlaub, für Sowjetbürger vom Leben, bevor auch nur eine der von der Regierung versprochenen Wohltaten normaler Infrastruktur realisiert wird)
- „Zwischenfall im Flur in der Nähe der Küche“, 1989.
- „Der rote Waggon“, 1991 (Geschichte der Sowjetunion im Schnelldurchlauf, endet in einem Schutthaufen)
- „The Man Climbing Over The Wall“, Modell für die Skulptur „Der Ewige Emigrant“, 1995/2004
- „Der gefallene Kronleuchter“, 1996 (das eigentliche Kunstwerk ist laut Kabakov die Reaktion der Passanten)
- „Model for Healing with Paintings“, 1996/2010 (2010 war dann wohl Wirkung zu spüren?)
- „How to Meet An Angel #2“, 1997/2014
- „Und blickst du hinauf und liest die Worte“, 1997 (Skulptur mit Text, siehe www.orbit.zkm.de/?q=node/20)
- „Wortlos“, 1999 (Beziehungsarbeit am/im Fluss)
- „Nicht jeder wird in die Zukunft mitgenommen werden“, 2001 (und Ausstellungstitel: „Not Everyone Will Be Taken Into the Future“, 18.11.2017 – 28.01.2018 in der Tate Modern London)
- „Palast der Projekte“, 2001 (im Salzlager der Kokerei Zollverein: bit.ly/2BhvjkV)
- „The Window Into My Past“, 2012
- „20 Ways to Get an Apple Listening to the Music of Mozart“, 2016
Was bleibt: Viel mehr als ironische Kunst oder ein Stückchen Russland in New York.
Passionierte Autorin mit regem Kunstinteresse