Ahmet Ögüt wurde 1981 in Silvan bei Diyarbakır geboren, zweitgrößte Stadt Südostanatoliens und wichtigster größtenteils von Kurden bewohnter Ort der Türkei.
Ahmet Ögüt lebt und arbeitet in Amsterdam und Berlin. Ahmet Ögüt erdenkt und erschafft Konzeptkunst, und er setzt für diese Kunst eine große Zahl unterschiedlicher Medien ein: Video, Photographie, Installation, gezeichnete/gemalte Kunst und Druckerzeugnisse.
Ahmet Ögüt ist ein in der Kunstwelt ziemlich berühmter Künstler, der heute auf der internationalen Weltrangliste der Kunst Platz 356 einnimmt. Im Jahr 2000 war Ögüt noch irgendwo im Raum 5000 + unterwegs, 2005 begann die Steilkurve in Richtung Spitzenränge. Die 2010 um Platz 400 ein wenig flacher wurde, aber immer noch einen so deutlichem Aufwärtstrend zeigt, dass Kunst-Spekulanten Ahmet Ögüt sicher im Auge behalten sollten.
Mehr an Kunst als an Geld Interessierte behalten Ahmet Ögüt ohnehin im Auge, weil sie seine Kunst für wichtig halten und/oder weil sie schon genug Kunst von Ahmet Ögüt gesehen haben und wissen, dass sie ein interessantes Kunstwerk erwartet.
Ahmet Ögüt Kunst erschreckt und macht neugierig, stellt bewegungsfreudigen Gehirnzellen Futter zur Verfügung und verstört sie, amüsiert und zieht dem Belustigten hinterrücks die sarkastische Keule über … die Kunstkritiker sind sich einig (fast, ganz einig sind sie sich nie, das wäre der Untergang des Berufs), das Ahmet Ögüt Kunst sehr oft Elemente aufweist, die etwas deutlich Spielerisches haben. Und das ist gut so, denn:
Wenn Künstler spielen, ist die Kunst gesund
Konzeptkunst ist die Kunst, die ihre Kunstwerke aus Ideen entwickelt, mit der Idee als der entscheidenden künstlerischen Leistung. Im Zweifel ist es die Idee, die bleibt; häufig kann und soll das Kunstwerk mehrfach entstehen, nicht unbedingt durch den Künstler selbst, sondern aus der Hand anderer Personen.
Damit hat Konzeptkunst schon vom logischen Ansatz etwas Spielerisches: Wenn die Kunst aus Ideen entsteht, steht am Anfang der Entwicklung eines Kunstwerks eine große, weite, vielfältige Welt der Gedanken. Wenn sich der Künstler in dieser Welt bewegt, gehört zur zwingenden logischen Entwicklung, dass sich die Gedankenwelt des Künstlers erweitert … Je vertrauter er mit der Welt seiner Ideen wird, desto weiter, größer, bunter wird diese Welt werden, desto aufregendere, einfallsreichere, „verrücktere“ Kunst wird entstehen.
Die Konzeptkunst hat sich ein Konzept angeeignet, das weit über den Bereich Kunst hinausgeht: Es geht auch darum, zu ergründen, was Menschen dazu bringt, Neues zu lernen. Genauer gesagt, was Menschen überhaupt erst dazu bringt, sich lernend ihrer Umwelt zuzuwenden.
Die Evolution hat eine ebenso intelligente wie effektive Methode entwickelt, vernunftbegabte Säugetiere dazu zu bringen, sich lernend ihrer Umwelt zuzuwenden. Sie nennt sich „Spielen“ und wird von den Arten am heftigsten praktiziert, deren Individuen am meisten in der Birne haben.
Ob der Mensch zu den Arten gehört, deren Individuen am meisten in der Birne haben, muss zumindest im Hinblick auf die aktuell praktizierte Förderung kognitiver und motorischer Entwicklung und sozialer Kompetenz durch Spielen sicherlich bezweifelt werden: Im Lebensfeld Schule wird kaum gespielt, auf jeden Fall selten so, dass Entdeckerlust, Neugier und leichte Furcht vor dem unbekannten Neuen aufkommen, deren Überwindung das Lernen stark fördert.
Die Neurologen wissen seit ziemlich langer Zeit, wie der Mensch (der Elefant, der Bär, der Hund, der Hamster, der Floh) am besten lernt: Durch überraschende Erkenntnisse beim Spielen, das körperlich möglichst aktiv stattfinden sollte. Kompliziertere, Ausdauer und Konzentration erfordernde Inhalte über spielerische Vermittlung an einem ruhigen Ort, leichte Bewegung ist förderlich, Unterstützung durch fortlaufende Motivation und Lob ist essentiell für den Erfolg.
In der Schule findet den größten Teil der Zeit das genaue Gegenteil statt: Statt Überraschung Stundenplan, statt Bewegung fester Platz, statt ruhiger Ort volle Klasse, statt fortlaufender Motivation fortlaufende Ermahnung, statt Lob Aufgabenerfüllung nach Ansprüchen der Note 1 als Vorgabe, für den größten Teil der Schüler also ein programmierter Misserfolg.
Wie gut, dass es in freien demokratischen Staaten Künstler gibt, von denen all die (jungen) Menschen lernen können, die sich trauen, ihren Verstand ohne Anleitung zu benutzen.
Ahmet Ögüt ist bei den Künstlern, die uns durch ihre Arbeit zu freiem Denken anregen, ganz vorne mit dabei. Hier ein paar Beispiele aus seinem vielschichtigen, manchmal ziemlich skurrilen, oft zum Schmunzeln anregenden, aber nie einfach nur spielerischem Werk:
Die Kunst von Ahmet Ögüt
2008 lässt Ögüt in „Across the Slope“ einen speziell präparierten Fiat 131 auf einem speziell behandelten Untergrund „ganz schön über dem Bergrücken hängen“.
Auch von 2008 sind die „Perfect Lovers“, (siehe ahmetogut.com) – ein Zwei-Euro-Stück und ein Türkischer Lira in vertrauter Einheit und unglaublicher Ähnlichkeit nebeneinander. Während Regierungschef Erdoğan alle 2004 (unmittelbar vor Aufnahme der EU-Beitrittsverhandlungen) zugesagten Gesetzesänderungen in Richtung Rechtsstaatlichkeit entgegen seiner offiziellen Ankündigung eines erhöhten Reformtempos im Zuge seines Kampfes gegen die PKK (Arbeiterpartei Kurdistans) klammheimlich vergisst und der Antrag der Generalstaatsanwaltschaft auf Verbot von Erdoğans AKP mit knapper Mehrheit abgelehnt wird …
Hier Ögüts Vorbild für die perfekten Liebenden vom kubanischen Konzeptkünstler Felix Gonzalez-Torres: “Untitled” (Perfect Lovers), 1990.
2009 bestückte Ögüt den türkischen Pavillon auf der 53. Biennale von Venedig. Er repräsentierte die Türkei mit der Installation „Exploded City“, einer Modellstadt, die er aus Gebäuden zusammensetzte, die durch terroristische Anschläge beschädigt oder zerstört worden sind. Mit der so überaus ordentlich, verlässlich und sicher wirkenden Modellstadt fügt Ögüt dem Gedenken an die zahlreichen bei den Anschlägen umgekommenen Menschen seine Utopie hinzu: Das Modell des friedlichen Zusammenlebens verschiedener Menschen, an einem Ort und auf der ganzen Welt. Auf der Homepage des Künstlers gibt es eine 360°-Ansicht von „Exploded City“ zu betrachten.
2010 baut Ahmet Ögüt das “River Crossing Puzzle”, eine interaktive Installation mit einem Bombenentschärfer, einer verdächtigen Tasche, einem Soldaten, zwei Sicherheitshunden, einem Selbstmordattentäter, seiner Frau im Rollstuhl und seiner Tochter.
Diese skurrile Gesellschaft muss einen Fluss überqueren und hat auch schon ein kleines Boot entdeckt. Das die unfreiwilligen Gefährten laut Anleitung zum Kunstwerk bei der Überfahrt noch mehr gefährdet als das letzte verranzte Schlepperboot:
Das kleine Boot kann in einer Überfahrt nicht mehr als zwei Menschen oder einen Menschen mit Hund/Tasche befördern. Die verdächtige Tasche kann mit niemandem allein gelassen werden, wenn der Bombenentschärfer nicht anwesend ist (Warum er die Bombe nicht gleich entschärft? Fragen Sie den Künstler!).
Der Selbstmordattentäter kann nicht mit einem der Sicherheitshunde allein bleiben, wenn der Soldat nicht anwesend ist (Warum sie ihn nicht einfach am Ufer zurück und „attentaten“ lassen? Weil Frau und Tochter ihn noch umstimmen wollen!). Der Soldat kann nicht mit der Frau oder der Tochter des Selbstmordattentäters allein gelassen werden, wenn der Selbstmordattentäter nicht anwesend ist (Warum? Weil Soldaten Frauen und Töchter von Selbstmordattentätern ebenso in Sippenhaft nehmen wie unser Staat Menschen, die einen behinderten Menschen heiraten wollen?).
Nur der Soldat, der Selbstmordattentäters und der Bombenentschärfer wissen, wie das Boot benutzt wird (Warum? Rein von der Kraft her, weil Frau im Rollstuhl und Tochter zu klein? Frauenfeindliche Tendenzen á la „Frauen schaffen das nicht“ sind es sicher nicht bei einem Künstler, der so global unterwegs ist wie Ahmet Ögüt). Wie wird die Horror-Gesellschaft über den Fluss kommen? wird nun gefragt, und auf booooooom.com/2010/10/20/river-crossing-puzzle-by-ahmet-ogut finden Sie neben der Abbildung der Installation auch eine Reihe von Lösungsvorschlägen kreativer Kunstbetrachter.
2010 nimmt Ahmet Ögüt mit der Installation „Black Diamond“ am „Het Oog“-Programm des Van Abbemuseum Eindhoven teil. Het Oog (Das Auge) ist ein Innenhof im open-air-Bereich des Museums, der Künstlern im Rahmen einer Art Artists-in-Residence-Programm für jeweils 6 Monate zur Durchführung eines Kunstprojekts zur Verfügung gestellt wird. Het Oog hat tatsächlich die Form eines Auges und ist ansonsten einfach nur ein Stück umbauter Raum, das von den Seiten durch Glasscheiben einsehbar ist.
Ahmet Ögüt füllte den gesamten Raum des „Auges“ mit 12 Tonnen Kohle und vergrub „ein kleines Teil aus dem Museum“ in den erschaffenen Kohlebergen. Das „kleine Teil aus dem Museum“ hatte er von einer Wand der inneren Ausstellungsräume, anstatt seiner hängt dort ein wertvoller Diamant.
Mit dieser Installation wollte Ahmet Ögüt einen Kunstbetrachter beglücken, der, in diesem Fall als aktiv Kunstsuchender, das „kleine Teil“ finden und an seinen Platz zurück hängen sollte und als Belohnung den Diamanten erhielt. Im nachfolgenden Video können Sie sich ansehen, wie die Kohleberge aufgeschüttet werden:
2011 konzipiert Ahmet Ögüt mit „Stones to throw“ eine Installation, die den öffentlichen Raum und die Kunstbetrachter in die zum Kunstwerk gehörenden Prozesse mit einbezieht. Ögüt versah 10 Steine mit einer Art Comiczeichnung, deren Stil ganz offensichtlich auf die grafischen Symbole auf den Flugzeugrümpfen von Militärmaschinen anspielt („Graffitis der Vernichtung“).
9 Steine wurden mit FedEx jeweils einzeln in den türkischen Heimatort des Künstlers geschickt, der Versand wurde durch Dokumentation der FedEx-Rechnung und einer Display-Aufnahme festgehalten. Der letzte Stein blieb beim Künstler, als Stellvertreter aller Steine, die in den Straßen der Heimatstadt des Künstlers im Zuge militärischer Auseinandersetzungen verschwanden.
2012 ließ Ögüt „The Castle of Vooruit“ über dem gleichnamigen Kulturzentrum im belgischen Gent schweben, das nach langer Diskussion aus dem einstigen Volksheim der Konsumgenossenschaft Vooruit entstanden war.
2014 macht Ahmet Ögüt mit dem „Anti-Debt Monolithen“ auf unser aller Lieblingsfilm „2001: Odyssee im Weltraum“ auf ein zukunftsbedrohendes Problem aufmerksam: Um die Hochschulbildung in den Vereinigten Staaten entwickelt sich seit Jahren eine zunehmend absurde Schuldenkultur. In der wie immer die skrupellosesten Kreditgeber am meisten gewinnen und in der die Gefahr groß ist, dass die Kreditnehmer erst ihre Existenzgrundlage und dann (auch durch die Art, in der die Gesellschaft mit dem Problem umgeht) ihre Selbstachtung verlieren.
In diesem Wahnsinn verenden diesmal keine von Banken betrogene, „gierige Häuslebauer“ (die auch nur sich und ihren Kindern einen sicheren Platz zum Leben schaffen wollten und von der Gesellschaft Unterstützung statt Häme bräuchten), sondern Studenten – die diese Kredite aufnehmen müssen, um ihre Berufsausbildung zu absolvieren. Unter dem Schuldenberg wird nicht nur produktive Forscherlust begraben, er verwandelt Studenten auch in willfährige, unreife Untertanen; gesellschaftlich dümmer geht’s nimmer.
Ögüt initiierte „Day After Debt“, ein Langzeit-Kunstprojekt, das auf die zunehmende Verschuldung von Studenten aufmerksam machen soll. Das Broad MSU (Eli and Edythe Broad Art Museum at Michigan State University) und die Istanbuler Kunstorganisation Protocinema präsentierten die Austellung mit dem Anti-Debt Monolithen gemeinsam, Ahmet Ögüt hat einige der führenden zeitgenössischen Künstler zum Mitmachen bewegt: Auch Natascha Sadr Haghighian, Dan Perjovschi, Martha Rosler, Superflex und Krzysztof Wodiczko erschufen Skulpturen, die in sehr einfallsreicher Machart die Krise und den Druck auf die Studenten verdeutlichen.
In jedem Zwischenraum des Broad Art Museums standen Skulpturen, die als Sammelstellen für öffentliche Beiträge der „Dept Collective“ dienen. „The Debt Collective“ ist eine Initiative zur Abschaffung studentischer Verschuldung, die von der „Strike Debt!“-Bewegung und ihrem Abkömmling „Rolling Jubilee“ ins Leben gerufen wurde (debtcollective.org, strikedebt.org, rollingjubilee.org). Der „Day After Debt“ existiert weiter, siehe createlondon.org/event/day-after-debt.
2015 nimmt Ögüt das Motto des „La vie moderne“ der 13. Kunstbiennale von Lyon mit der Installation „Workers taking over the factory“ federleicht-böse auf die Schippe. Eine typische Ögut-Arbeit: Komplexe soziale Probleme werden mit einem feinen Humor angegangen, der die Bedeutung des Themas eher herausstreicht als maskiert.
Im Fall der Biennale in Lyon mit einem Doppelbezug auf die lokale Geschichte: Die Erfindung des Kinos durch die Brüder Lumière und die berühmte Textilindustrie von Lyon, die neben wunderbarer Seide 1831 und 1834 zwei große Revolten der wie Sklaven schuftenden Seidenweber mit jeweils hunderten Todesopfern hervorgebracht hatte.
Diese beiden Themenfelder trafen in der Geschichte der zeitgenössischen Kunst bereits aufeinander: „Workers Leaving The Lumière Factory in Lyon“ war der erste Kino-Film der Geschichte und wurde 1895 in Lyon gedreht. Siehe dazu auch den Artikel „Harun Farocki: Der letztlich triumphale Aufstieg des scharfen Blicks“, in dem es (auch) um Harun Farockis 1995 gedrehte Stellungnahme zu diesem ersten Film der Geschichte geht: „Arbeiter verlassen die Fabrik“.
Der 120. Jahrestag des ersten Filmdrehs der Geschichte wurde genau an der Stelle gefeiert, wo einst die Kamera der Brüder Lumière gestanden hatte, dort befindet sich nämlich heute das Institut Lumière.
Am 19. März 2015 spielten dreitausend Bürger der Region die fabrikverlassenden Arbeiter von damals; Ahmet Ögüt sprach im Vorfeld der Veranstaltung einige von ihnen an und stattete ihre Kostüme mit Logos von Unternehmen aus, die in den Bankrott getrieben worden waren, mehrere darunter aus der Region Rhône-Alpes um Lyon.
Ahmet Ögüts Weg zur Kunst
Ahmet Ögüt hat Kunst studiert:
- Von 1999 bis 2003 am Painting Department der Fine Art Faculty der Hacettepe University in Ankara, die er mit dem BA (Bachelor of Arts) verließ.
- 2003 bis 2006 studierte er an der Art and Design Faculty der MA, Yildiz Teknik University in Istanbul, Abschluss MFA (Master of Fine Arts).
- 2007 und 2008 arbeitete Ögüt an der Rijksakademie van Beeldende Kunsten in Amsterdam als „guest artist“.
Ahmet Ögüt aktuell: Die Welt gestalten, nicht nur mit Kunst
Ahmet Ögüts offizielle Website ist unter ahmetogut.com erreichbar.
Der Künstler mit einem der für Veröffentlichung im Web „ungünstigsten“ Namen der Welt hat seinen Namen in seiner Top-Level-Domain sämtlicher Akzente beraubt. Vermutlich mit Blick auf weltweite Erreichbarkeit; Öğüt wird korrekt mit einem Breve und zwei Tremas geschrieben, diakritische Zeichen, mit denen ein großer Teil der weltweit genutzten Webbrowser wenig anfangen kann.
Auf der im Design erfreulich unaufgeregten Website können Sie sich unter anderem gut 50 Abbildungen von Ahmet Ögüts Kunstwerken ansehen, mit Projektbeschreibung und weiterem Material, wenn das zum Verstehen des Kunstwerks erforderlich ist. Weitere Informationen – biography, texts, interviews, links, contact – lassen sich über die simple, von der „main page“ aus geleitete Struktur schnell aufrufen und in ihrer schlichten Darstellung auch sehr gut lesen.
Nach Leseausflügen auf ebenso bunten wie bunt zu Tode zergliederten Web-Auftritten von Online-Magazinen oder Online-Verkaufsplattformen, die unter der Wucht ständiger Werbeangriffe unruhig zittern, ist die Website von Ahmet Ögüt echter Balsam für die Augen.
Echter Balsam für die Seele ist auf der Website von Ahmet Ögüt auch zu erreichen, unter „Links“ geht es zu seinem Flüchtlingsprojekt „Silent University“, thesilentuniversity.org. Ahmet Ögüt hat ein ziemlich geniales Projekt in die Welt gerufen:
Die „Silent University“ vermittelt Wissen von Flüchtlingen mit akademischen Hintergrund. Die Idee zu einer autonomen Plattform des Wissensaustauschs von und für Menschen im Migrationsprozess und an deren Schicksal Interessierte kam Ögüt 2012 in London. Während einer Recherche wurde er auf das Schicksal von Flüchtlingen und Asylbewerbern mit akademischem Hintergrund aufmerksam, die ihr Wissen und ihre Fähigkeiten im Gastland nicht einsetzen konnten und sich auch nicht mit anderen austauschen konnten.
Ihre Uniabschlüsse gelten erst einmal gar nichts, während der (langen) Prüfung des legalen Status wird auch irgendwann über den Bildungsstatus entschieden. Bis dahin leben die Migranten in einer Art erzwungenem Schweigen, das durch die „Silent University“ beendet werden soll, das „zum Schweigen gebrachte Wissen“ wird sofort aktiviert – zum Nutzen aller Beteiligten.
Schaun‘ Sie mal rein, es wird eine Menge geboten.
Momentan gibt es Kurse über
- „Didactics for Learning New Languages“ (in Arabic),
- „Types of Networks; Local Area Network and Wide Area Network“ (in Russian),
- „Cash Book for good accounting“ (in French),
- „Consultation process before Surgery“ (in French),
- „Ten types of Arabic calligraphy“ (In Arabic)
- „What is Health?“ (in English)
- „A comparison of Sharia laws and the Swedish political system“ (in Arabic)
- „Iraqi Stories from the Heart: A Historical Look at the Ethnic and Social Composition of Iraq“ (in Arabic)“
- „The history of food preparation through the visual arts“ (in Portuguese)
- „Sexually transmitted diseases & the history of HIV“ (in Spanish)
- „Grounds for Asylum According to the 1951 Convention“ (in Kurdish)
- „What children (in migrant families) need for their psychosocial development“ (in German)
- „How to set up your own business“ (in French),
- „The History of Kurdish Literature“ (in Kurdish),
- „Failures of Education System in Xinjiang Uyghur Autonomous Region“ (in Uiguriska), an einem halben Dutzend verschiedener Standorte, von Akademikern aus über einem Dutzend verschiedener Länder – hier verwirklicht sich gerade der Traum eines jeden echten Wissenschaftlers (im Sinne des wirklich Wissen Schaffenden und Suchenden), freien Zugang zum Wissen der Menschen auf der ganzen Welt zu erhalten … NOCH in winzigem Maßstab.
Weiter gibt es online abzurufende Beiträge wie den „Silent University Intro film“ und von kundigen Menschen verfasste Artikel über „Asylum Rights Activism“, „Migration & Neoliberalism“, „Access to Education for All“, „Performing Silence“, „Seeking Refuge: Two Friends in Conversation“, „Expiriences of Immigration“, „Gaining Influence Through Local Organising“, „Is a world without borders utopian?“, „It’s an evil World and we need strict rules!“.
Und nützliche Apps wie „Bureaucrazy“, eine von syrischen Flüchtlingen + Mentoren erdachte App, die Flüchtlingen in Deutschland bei der Bewältigung des „allgegenwärtigen deutschen Papierkrams“ helfen soll. Die Macher haben sich ehrgeizig auf die Fahne geschrieben, irgendwann auch Deutschen bei der Bewältigung der regelmäßig zu leistenden Bürokratiedienste behilflich zu sein – bitte, ja, aufgrund des klaren Blicks von außen perfekt simpel gestaltete Hilfen zur Bändigung des deutschen Amtsschimmels können wir sicher gut gebrauchen.
Die Silent University liefert noch einige weitere Tools und Ideen, die zum Ziel haben, eine schreckliche Zeit der erzwungenen Untätigkeit für Menschen voller Wissen sinnvoller zu gestalten. Mitmachen (Kurse besuchen, Artikel lesen, Apps herunterladen ..) kann jeder, der mit der Silent University einen „Kreditvertrag über den Austausch von Zeit und Fähigkeiten“ abschließt.
Ahmet Ögüts Kunst gibt uns für die Zukunft einige Anregungen mit, z. B. über den Sinn von Kunst und das Streben nach friedlichem Zusammenleben: Wer Kunst aus Ideen entstehen lässt, kann es – salopp ausgedrückt – richtig knallen lassen. Wer Kunst schon recht lange aus Ideen entstehen lässt und inzwischen viele Verbindungen zu anderen Kreativen aufgebaut hat, kann es noch viel besser knallen lassen.
Wer Kunst lange und höchst erfolgreich aus Ideen entstehen lässt, hat irgendwann das nötige Kleingeld, um es so nachhaltig knallen zu lassen, dass etwas entsteht, was die Welt nicht so schnell vergessen wird … genau in diese Richtung könnte sich die „Silent University“ entwickeln, dem Künstler und den teilnehmenden Wissenden und Lernenden sei es gewünscht.
Uns allen sei gewünscht, dass sich noch mehr Künstler und Kulturschaffende, aber auch Angestellte und Unternehmer, Kinder und Senioren, arme und reiche Bürger ähnlich engagieren wie Ahmet Ögüt, dann wird das vielleicht noch mal was mit dem Modell des friedlichen Zusammenlebens á la „Exploded City“ …
Ahmet Ögüt, kurze Kurzbiografie
- 1981 Ahmet Ögüt wird in Silvan, Diyarbakir, TR geboren
- 1999 – 2003 BA, Hacettepe University, Fine Art Faculty, Painting Department, Ankara, TR
- 2003 – 2006 MA, Yildiz Teknik University, Art and Design Faculty, Istanbul, TR
- 2005 Artist in Residence IAAB, Basel, CH
- 2005 Erste Solo-Ausstellung „Ahmet Ögüt“, Mala Galerija + The Museum of Modern Art of Ljubljana, SI
- 2007 – 2008 Artist in Residence Rijksakademie van beeldende kunsten, Amsterdam, NL
- 2008 Artist in Residence Future Arts Research at Arizona State University, US
- 2008 Fellowship ABN AMRO
- 2008 – 2010 Guest Lecturer, Bouwkunde Academie Architecture Academy, NL
- 2009 53rd Venice Biennial, The Pavilion of Turkey, Venice, IT
- 2009 Artist in Residence Cité internationale des arts Paris, FR
- 2010 Artist in Residence De Tolhuistuin, Amsterdam, NL
- 2010 Kunstpreis Europas Zukunft, Museum of Contemporary Art (GfZK) Leipzig, DE
- 2011 Artist in Residence IASPIS, Stockholm, SE
- 2011 De Volkskrant Beeldende Kunst Prijs 2011, NL
- 2011 – 2013 Guest Teacher at KUVA, Finnish Academy of Fine Arts, department of Scultpure, Helsinki, FI
- 2012 Artist in Residence Delfina Foundation and Tate Modern, London, UK
- 2012 Gründung The Silent University
- 2012 The Special Prize, Future Generation Art Prize, Pinchuk Art Centre, Kiev, UA
- 2013 Artist in Residence IASPIS, Stockholm, SE
- 2013 The Visible Award for The Silent University, Cittadellarte, Fondazione Pistoletto & Fondazione Zegna, IT
- 2014 Visiting Professor at Kuvataideakatemia, Finnish Academy of Fine Arts, Helsinki, FI
- ab 2015 Mentoring Program at Kuvataideakatemia, Finnish Academy of Fine Arts, Helsinki, FI
Falls Sie neugierig geworden sind – Ahmet Ögüts Kunst wurde bereits in einige öffentliche Sammlungen aufgenommen:
- Sammlung Goetz, München, DE
- FRAC Nord-Pas de Calais, Dunkerque, FR
- Laumeier Sculpture Park, St. Louis, US
- KIASMA Museum of Contemporary Art, Hesinki, FI
- Van Abbemuseum, Eindhoven, NL
- Fondazione Giuliani, Rome, IT
- MSU Broad Art Museum, East Lansing, US
- Vehbi Koç Foundation, Istanbul, TR
Inhaber und Geschäftsführer von Kunstplaza. Publizist, Redakteur und passionierter Blogger im Bereich Kunst, Design und Kreativität seit 2011. Erfolgreicher Abschluss in Webdesign im Rahmen eines Hochschulstudiums (2008). Weiterentwicklung von Kreativitätstechniken durch Kurse in Freiem Zeichnen, Ausdrucksmalen und Theatre/Acting. Profunde Kenntnisse des Kunstmarktes durch langjährige journalistische Recherchen und zahlreichen Kooperationen mit Akteuren/Institutionen aus Kunst und Kultur.