Kinder sind mitunter recht schwer für Kunst zu begeistern – allerdings nicht, wenn Sie sie mit den Werken von Alberto Giacometti bekannt machen. Natürlich ist Giacometti nicht nur ein Künstler für Kinder, sondern er gehört zu den bedeutendsten Bildhauern des 20. Jahrhunderts.
Giacometti zeigte früh Talent, quasi angeboren, sein Onkel Augusto war als herausragender Maler bekannt, der mit seinen abstrakten Kompositionen auch am Zürcher Dada-Kreis teilnahm. Sein Vater verdiente ebenfalls durch die Malerei sein Geld, Giacomettis Patenonkel war der Schweizer Maler Cuno Amiet, der “Bonnard der Schweizer”, der sowohl zum Pont-Aven-Kreis Paul Gauguins gehörte als auch lange Zeit in der expressionistischen Dresdener Künstlervereinigung „Die Brücke“ mitarbeitete.
Entsprechend wurden die Giacometti-Kinder gefördert, alle Giacomettis lernten Zeichnen und Modellieren, Albertos Bruder Bruno wählte als Beruf die Architektur, Bruder Diego wurde Bildhauer und Möbeldesigner.
Alberto selbst fertigte bereits mit 12 Jahren die ersten präzisen Zeichnungen nach Kupferstichen Dürers und malte Stillleben in Öl, ein Jahr später formte er als erste Skulpturen die Köpfe seiner Brüder. Neben diesen Beweisen künstlerischer Begabung war er auch ein überdurchschnittlich guter Schüler, schon an der Mittelschule durfte er sich ein eigenes Zimmer als Atelier einrichten.
Mit 18 hatte er sich für die Künstlerlaufbahn entschieden, brach die Schule vor der Matura (Abitur) ab und begann zum Herbst 1919 ein Kunststudium in Genf für Malerei, Zeichnen und Bildhauerei.
1920 begleitete er seinen Vater zur Biennale nach Venedig, in Italien studierte er Tintoretto und Giottos Fresken und wurde durch die Werke Alexander Archipenkos und Paul Cézannes beeindruckt. 1921 erweiterte er diese Eindrücke auf einer langen Studienreise durch Italien, 1922 ging er nach Paris, wo er sich von nun an hauptsächlich aufhalten sollte.
Giacometti belegte hier weitere Kurse, in Bildhauerei und in Aktzeichnen, 1925 ermöglichte ihm sein Lehrer Émile-Antoine Bourdelle die erste Ausstellung im Salon des Tuileries, im gleichen Jahr bezog er auch mit seinem nach Paris gefolgten Bruder Diego das erste eigene Atelier. Das Atelier lag mitten im damals wohl kreativsten Viertel von Paris, in Montparnasse, so lernten die Brüder nun zahlreiche andere Kreative kennen, die ihnen weitere Bekanntschaften vermittelten.
Das brachte mitunter Arbeit, um den Lebensunterhalt zu verdienen, die Giacomettis lernten z. B. durch Man Ray den Möbeldesigner Jean-Michel Frank kennen, für den Sie Wohnaccessoires fertigten. Dieser empfahl sie weiter an die gutsituierte Gesellschaft von Paris, sie schufen Schmuck für die Modeschöpferin Elsa Schiaparelli und Skulpturen für einen Vicomte.
Aber natürlich vermittelte dieser Wohnort auch eine ungeheure künstlerische Anregung, die Brüder lernten Persönlichkeiten kennen wie Louis Aragon und Hans Arp, Alexander Calder und André Breton, Jean Cocteau und Max Ernst, Joan Miró und Jacques Prévert, viele wurden Freunde.
Alberto zeigte sich in diesem Kreis begabter und entwicklungsfähiger als sein Bruder, der immer mehr zum engsten Mitarbeiter wurde, während Alberto Anfang der 1930er Jahre an Gruppenausstellungen teilnahm, sich auf Anregung Bretons dessen Surrealistengruppe anschloss, Radieren und Kupferstechen lernte und Illustrationen anfertigte.
Als er jedoch um 1935 wieder mehr nach der Natur modellierte, sah Breton das als Verrat an den Surrealisten, Giacometti zog sich aus der Gruppe zurück und verlor dadurch viele Freunde.
Kurz zuvor war auch sein geliebter Vater gestorben, Giacometti geriet in eine Schaffenskrise, aus der ihn erst etwa zwei Jahre später ein neues berückendes Modell (Isabel Delmer) und die beginnende Freundschaft zu Picasso wieder befreiten.
Ein erneuter Rückschlag war Giacomettis schwerer Verkehrsunfall 1938, aus dem er einen Gehfehler zurückbehielt und den manche Interpreten für die übergroßen Füße seiner Plastiken verantwortlich machen. Aber es ging wieder aufwärts, als Giacometti 1939 Jean-Paul Sartre und Simone de Beauvoir kennenlernte; er war wie Sartre an philosophischer Phänomenologie interessiert, die bei ihm jedoch nicht zu einem Schriftwerk führte, sondern sich in nussgroßen Bildhauerarbeiten verkörperte.
Giacometti konnte 1939 auch an der Schweizer Landesausstellung in Zürich ausstellen, allerdings musste ein größeres Werk als die aktuell produzierten Winzfiguren herbeigeschafft werden.
Wenig später sollte sich Giacomettis neue künstlerische Ausdrucksform in Miniaturskulpturen als ausgesprochen zeitgemäß erweisen: Er konnte Sie beim Paris-Einmarsch der deutschen Wehrmacht noch schnell in seinem Atelier vergraben, bevor er nach Genf floh und den 2. Weltkrieg in der Schweiz abwartete. Ende 1945 kehrte er nach Paris zurück und zog mit Annette Arm zusammen, die er 1949 heiratete.
Während der Kriegszeit war Giacometti dem Mini-Format verhaftet geblieben, jetzt wurden seine Skulpturen immer dünner und länger, diese “Stecknadel-Figuren” machten ihn nun international erfolgreich: 1948 stellte er zum ersten Mal in New York aus und wurde von Kritikern bejubelt, auch betuchte Sammler wurden auf ihn aufmerksam und kauften ein.
Zu Beginn der 1950er Jahre gingen die schlanken Figuren in europäischen Ausstellungen herum und wurden begeistert aufgenommen, Giacometti erhielt Aufträge für Radierungen, porträtierte kurz vor dessen Tod Henri Matisse für eine Gedenkmünze und arbeitete an der Gruppe “Les Femmes de Venise”, die er 1956 im französischen Pavillon auf der Biennale Venedig ausstellte.
Er zeichnete 1957 Igor Strawinsky und porträtierte Jean Genet, der sich mit einem viel gelobten Buch über den Künstler revanchierte, 1959 war Giacometti auf der documenta II zu sehen, er stellte in Kassel ein Werk aus, die zu einem nie vollendeten Gruppenentwurf für die New Yorker Chase Manhattan Bank gehörte, die “Trois hommes qui marchent” von 1947.
Der inzwischen weltberühmte Künstler erhielt inzwischen große Summen für seine Werke, er leistete sich eine zwielichtige Affäre (die bis zu seinem Tod dauerte), verteilte aber auch viel Geld an seine Verwandten und seine Frau. 1961 schuf er für Samuel Beckett die Bühnendekoration für die Neuinszenierung von “Warten auf Godot”, endgültig bestätigt wurde sein Weltruhm auf der Biennale von Venedig 1962, wo er den Großen Preis für Bildhauerei entgegen nehmen konnte.
Der 1966 verstorbene Künstler, der “große Figuren für falsch und ganz kleine für unannehmbar” hielt, wird uns für immer unvergessen bleiben durch seine streichholzdünnen Gestalten, die den Betrachter in einer ganz eigenen Weise berühren.
Zur weiteren Lektüre über diesen faszinierenden Künstler empfehlen wir das folgende Werk (erhältlich bequem über Amazon). Diese Publikation präsentiert Alberto Giacomettis reiferes Werk in einem umfassenden Überblick. Anhand einer Vielzahl von Skulpturen – neben Bronzen auch einige Originalgipse des Künstlers – sowie mit Gemälden und Zeichnungen gibt der reich illustrierte Band einen vielschichtigen Einblick in das faszinierende Werk eines der bedeutendsten Künstler des 20. Jahrhunderts.
Im folgenden kurzen Video sehen Sie den Auftakt einer Portraitreihe zu diesem großartigen Künstler. Das Porträt enthält Originalaufnahmen von Alberto Giacometti beim Arbeiten. Man kann u.a. das Entstehen eines Bildes und einer Skulptur verfolgen. Wir wünschen gute Unterhaltung!
Passionierte Autorin mit regem Kunstinteresse