Andrea Fraser wurde 1965 in den USA geboren. Die US-amerikanische Künstlerin veranstaltet Performances, konzipiert und baut Installationen, gestaltet Konzeptkunst, und setzt sich dabei vor allem mit Institutionenkritik im Kunstbetrieb auseinander.
Andrea Fraser belegt aktuell Platz 264 in der „Weltrangliste der Kunst“, die artfacts.net unabhängig von Wertungen durch einen Computer erstellen lässt.
Der Computer vergleicht, wie oft Künstler öffentlich in Erscheinung treten, durch Ausstellungen, Beteiligungen an Kunstfestivals, Aufnahme in öffentliche Sammlungen, Auktionen und Verkäufe etc. Andrea Fraser gehört also zu den 300 erfolgreichsten Künstlern der Welt und damit auch zu den 300 bekannten (prominentesten) Künstlern der Welt.
Mit der Prominenz ist es zwar insofern nicht weit her, dass sich viel weniger Menschen für Kunst interessieren als für den floppig-poppigen Teil von „Kunst und Kultur“. Andererseits gehören Künstler zusammen mit kriegstreibenden Diktatoren, Popstars und Sportlern zu den vier Menschengruppen, die in der ganzen Welt berühmt werden und nicht nur in ihrem Heimatland oder Kulturkreis.
„Für uns normale“ Politiker, demokratisch gewählt und gesinnt, regen durch das vermeintlich langsame Tempo ihrer oft sehr detailreichen Kompromissfindungs-Arbeit erst die Region und dann das Land auf und nur in wenigen, vereinzelten Gestalten die ganze Welt (weil diese vereinzelten Gestalten schon wieder auf dem Weg zum kriegstreibenden Diktator sind?).
Schriftsteller sind zuerst in ihrem Kulturkreis bekannt und nur in wenigen Ausnahmen (massentauglicher Sex-Liebes-Schmock, globaler Einheits-Krimi, das weltweit gleiche Blut saugende Vampire) auf der ganzen Welt.
Schauspieler? Könnte man meinen, wenn die Seriengesichter nun schon aus den DACH-Ländern (DE, AT, CH), Skandinavien und den USA verwechselt werden können – irgendwann gibt es sicher eine Weltserie mit einem ewigen Schauspieler-Ensemble, dessen Fortbestand entweder durch vorsorgliches Klonen oder eine Social-Freezing-Klausel im Anstellungsvertrag gesichert wird.
Ist aber noch nicht so weit, die (auch) schauspielernde Tochter der Ex-Frau des bekannten Fussballtrainers kennt im Heimatland des Vereins jeder und im Nachbarland keiner; die Prominenz eines humorigen Kabarettisten und/oder einer blonden Privatfernseh-Schönheit kann auf einen sehr kleinen Landstrich beschränkt bleiben …
Also Diktatoren, Sportler, Popstars, Künstler; auch wenn man sich immer wieder klarmachen muss, dass die „Welt der Kunst“ unseres Kulturkreises vor ziemlich kurzer Zeit noch aus den EU-Kernländern Deutschland, Frankreich, Italien, dem Vereinigten Königreich und den USA (mit den jeweiligen kleinen Anliegerstaaten) bestand und auch heute in wesentlichem Umfang besteht.
In diesen Ländern haben lange alle Kunst-Ausstellungen stattgefunden (und finden bis heute 90 % der Kunstausstellungen statt), diese Länder haben die Kunstwissenschaft erfunden oder entwickelt, in diesen Ländern wurden die Kunst-Festivals erfunden und teils vor langer Zeit ins Leben gerufen, diese Länder haben damit angefangen, für ihre Bürger Kunst zu sammeln und in öffentlichen Museen für jedermann zugänglich auszustellen.
Gerade der letzte Punkt zeigt, warum die Kunstwelt nur sehr langsam größer wird: Diese Länder sind auch die demokratischen Urzellen der Neuzeit, Kunst hängt eng mit Demokratie zusammen, weil nur in freiheitlich-demokratischen Staatswesen freie Kunstentstehung, Kunstausübung und Kunstbetrachtung möglich ist.
Die Kunst von Andrea Fraser: Feine Ironie macht Neugier auf mehr
Andrea Fraser geht noch ein Stück weiter, sie beschäftigt sich mit den demokratischen Prozessen im Inneren des weltweiten Kunstbetriebs und wurde bekannt dadurch, dass sie an denen einige Kritik anzumelden hat. Hier ein paar Beispiele aus dem O17 Oeuvre von Andrea Fraser:
Anfang der 1990er Jahre präsentierte Fraser eine Reihe von „Gallery Talks“, in denen sie sich kritisch mit Präsentationsformen, Hierarchien und Ausschlussmechanismen im Kunstbetrieb auseinandersetzt. Die Performances werden in Form von Führungen durch Kunstinstitutionen durchgeführt, wie der „Museum Highlights: A Gallery Talk“ von 1989. Die Künstlerin führt in der Rolle der Dozentin „Jane Castleton“ durch das Philadelphia Museum of Art, hat aber ganz außergewöhnliche Dinge zu berichten:
Statt um die Kunst geht es zunehmend um Nebensächlichkeiten wie die Garderobe, Toiletten, den Museumsshop und ähnliche Funktionseinheiten (deren Design und Funktionsprinzipien aber tatsächlich erheblich mehr Menschen interessant finden, als mancher Kurator glaubt).
Gleichzeitig verdeutlicht der Vortrag der Dozentin „die Institution Museum in ihrem Kontext“, die Entstehung und die gesellschaftlichen Aufgaben von Museen; aber auch die unsichtbaren Machtstrukturen und festgefahrenen Definitionsmuster, die sich in Anordnung und Auswahl der präsentierten Kunst und in der Architektur von Museen erkennen lassen (was für etliche Museumsbesucher fast interessanter als die Kunst selbst sein dürfte).
1991 schreibt Andrea Fraser für die Performance „May I Help You?“ ein Skript, Zitate aus der Zeitschrift Artnews werden mit Aussagen des französischen Sozialphilosophen Pierre Bourdieu verquickt und in einer kommerzialisierten Galerie-Ausstellung mit Bildern des Künstlers Allan McCollum von Angestellten der Galerie dem Publikum vorgetragen.
Unüblich, weil Besucher und Galerieangestellte normalerweise nur miteinander ins Gespräch kommen, wenn sie sich bereits persönlich kennen; unterhaltsam, weil sechs verschiedene Charaktere von Galerieangestellten auftreten, vom routinierten Kunstverkäufer bis zum nervigen Engstirnler, der mit der von ihm präsentierten zeitgenössischen Kunst eigentlich nichts am Hut hat:
1997 hält Andrea Fraser mit der Performance „Inaugural Speech“ die Eröffnungsrede zur „inSITE97“ in San Diego, USA und Tijuana, Mexiko.
Beziehungsweise die Eröffnungsreden, als Kuratorin, Firmensponsorin, Aufsichtsratsmitglied, Zuständige für öffentliche Förderung … Fraser stellt wiederum einen Katalog von Zitaten zusammen, aus dem Katalog oder aus per Interview entstandenen Selbstdarstellungen des jeweils „vertretenen“ Akteurs.
In einem Block (von 27 min) zusammengefasst, machen die Reden auf die komplexen strukturellen Verhältnisse aufmerksam, unter denen und mit denen die Akteure bei den globalen Kunst-Events arbeiten.
Ein kleiner Einblick, der nicht mehr vermitteln will, als neugierig auf die Kunst von Andrea Fraser zu machen, von der es natürlich noch viel mehr zu entdecken gibt.
Auch in ihren Arbeiten nach der Jahrtausendwende analysierte Fraser – auf teils sehr humorvolle Weise – die Strukturen von Museen, Galerien und anderen Kunststätten. Themen wie Kulturtransfer, Sponsoring von Kunstausstellungen, die Bedeutung der Medienberichterstattung über Künstler und Kunstevents spielen in jedem ihrer Werke eine Rolle und werden komisch, kritisch, künstlerisch beleuchtet.
Aber Fraser vollbringt auch schon mal unglaubliche Lernleistungen, zum Beispiel das Auswendiglernen einer langen Rede von einer Videoaufzeichnung. In fremder, deutscher Sprache mitsamt dem ganzen besoffenen Habitus, den Künstlerfreund und -legende Martin Kippenberger bei dieser 1995 gehaltenen Stegreif-Rede abgefeiert hatte.
Geste für Geste, Wort für Wort lässt Fraser den 1997 verstorbenen Kippenberger wieder aufleben, als persönliche Annäherung an den ihr bekannten Künstler, aber auch, um auf männlich konnotierte Künstlerklischees aufmerksam zu machen („Kunst muss hängen“, 2001).
Und sie greift auch schon mal richtig in die Vollen und dabei vielleicht sogar öffentlich „in die Eier ihres Gegenübers“: Die einstündige Videoperformance „Untitled“ von 2003 zeigt Andrea Fraser in sexueller Begegnung mit einem anonymen Kunstsammler. Der hatte sich vermutlich bis dahin nicht träumen lassen, dass man so Kunst sammeln kann, war aber sofort bereit, 20.000 Dollar für seine Teilnahme zu zahlen …
Das Video wird in Ausstellungen gezeigt und kann auch über Frasers Galerie erworben werden, aber nur unter zahlreichen Restriktionen: Es darf nur in Absprache mit Fraser öffentlich gezeigt werden, jede öffentlicher Äußerung des Besitzers über das Video muss ihr Künstlerin abgestimmt werden, die Anfertigung/Veröffentlichung von Screenshots ist verboten.
Die Restriktionen sollen zum künstlerischen Konzept gehören, klingen aber eher nach dem Versuch, wenigstens ein paar der weltweiten Spinner/Sexualkriminellen vom Video fernzuhalten. Hier ein kleiner Ausschnitt (keine Angst, macht nur Kunstfreunde glücklich): hwww.youtube.com/watch?v=22FcckCeU_M.
Wie kam Andrea Fraser zur Kunst?
Andrea Fraser hat sich schon in jungen Jahren entschieden, die Kunst zu ihrem Beruf zu machen. Nach dem Abitur studierte Fraser bis 1986 Kunst, an der New York University und an der School of Visual Arts, New York.
Während und nach dem Studium erhielt sie Stipendiate von der Art Docent Matter Inc., dem Franklin Furnace Fund für Performance Art, dem Whitney Museum of American Art’s Independent Study Program, dem National Endowment for the Arts und der New York Foundation for the Arts.
Das Studium blieb nicht Frasers einzige Begegnung mit der akademischen Kunst; neben ihrer künstlerischen Tätigkeit lehrte oder lehrt Fraser am Maine College of Art, am Vermont College, dem Whitney Independent Study Program, der Columbia University School of the Arts, dem Center for Curatorial Studies Bard College in Annandale-on-Hudson, der Leuphana Universität Lüneburg und aktuell an der University of California, Los Angeles, www.art.ucla.edu/faculty/fraser.html.
Öffentliches (Künstler-) Leben, Ausstellungen, Auszeichnungen
Andrea Fraser lebt und arbeitet in New York und Los Angeles.
1990 hatte Andrea Fraser ihre erste öffentliche Solo-Ausstellung „Andrea Fraser“, in der Galerie Christian Nagel in Köln. 24 Einzelausstellungen und 206 Gruppenausstellungen folgten.
Auch mal ein Auftritt auf einem Kunstfestival (InSite97 San Diego CA, One Minute Film Festival 2003-2012, Massachusetts Museum of Contemporary Art North Adams MA) und „ein bisschen Biennale“ (45th Biennale di Venezia 1993, wo Fraser gemeinsam mit Gerwald Rockenschaub und Christian Philipp Müller Österreich vertrat; Whitney Biennial im Whitney Museum of American Art New York 1993 und 2012), aber Andrea Fraser braucht wenig Befürchtungen zu haben, zum Dauergast auf den bedeutenden Biennalen dieser Welt oder in Kassel zu werden – das soll öfter schon passiert sein, aber nur den Herren der (künstlerischen) Schöpfung und nicht Schöpferinnen, schon gar nicht offen feministischen Schöpferinnen.
Andrea Fraser wurde in den letzten Jahren ( bis zum 08. Januar 2017) in der Ausstellung „Wir nennen es Ludwig. Das Museum wird 40!“ des Museum Ludwig in Köln ausgestellt, zusammen mit Georges Adéagbo, Ai Wei-wei, Ei Arakawa & Michel Auder, Minerva Cuevas, Maria Eichhorn, Meschac Gaba, Guerrilla Girls, Hans Haacke, Diango Hernández, Candida Höfer, Bodys Isek Kingelez, Kuehn Malvezzi, Christian Philipp Müller, Marcel Odenbach, Ahmet Ögüt, Claes Oldenburg, Pratchaya Phin¬thong, Alexandra Pirici & Manuel Pelmuş, Gerhard Richter, Avery Singer, Jürgen Stollhans, Rosemarie Trockel, Villa Design Group und Christopher Williams (siehe Artikel hier auf Kunstplaza: „Jubiläums-Ausstellung 2016: Museum Ludwig zeigt Museum Ludwig“).
Kürzlich wurde Ihre Videoarbeit „This meeting is being recorded“ (bis zum 27.02.2022) im Künstlerhaus Stuttgart gezeigt, organisiert von der Kuratorin Rhea Anastas und Eric Golo Stone, dem künstlerischen Leiter des Künstlerhaus Stuttgart.
Kunstwerke von Andrea Fraser sind in 18 öffentlichen Sammlungen quer durch die (oben erwähnte, traditionelle) Kunstwelt zu besichtigen:
- Australien: Queensland Art Gallery + Gallery of Modern Art, Brisbane, QLD
- Belgien: Museum voor Hedendaagse Kunst Antwerpen, Vanhaerents Art Collection Brüssel
- Deutschland: Daimler Contemporary Berlin, Museum Ludwig Köln
- Frankreich: 49 NORD 6 EST Frac Lorraine Metz, Centre Pompidou Paris
- Niederlande: De Hallen Haarlem
- Spanien: CCA Andratx, Museu d’Art Contemporani de Barcelona
- USA: MOCA Grand Avenue Los Angeles, MoMA + Orchard 47 New York City, Art Institute Chicago, Philadelphia Museum of Art
- United Kingdom: The Saatchi Gallery + Tate Modern London, Fogg Museum Cambridge
2013 erhielt Andrea Fraser den Wolfgang-Hahn-Preis von der Gesellschaft für Moderne Kunst am Museum Ludwig Köln. Gesamtwert 100.000 Euro, u.a. für Ankauf eines Werkes für das Museum Ludwig, eine Präsentation und eine Publikation.
2016 wurde Andrea Fraser mit dem Oskar-Kokoschka-Preis Wien auszeichnet, 20.000 Euro zur freien Verfügung für „eine Künstlerin von wegweisender Bedeutung, die ein beeindruckend konzises Werk aufweist und dennoch völlig unberechenbar geblieben ist“, so die Jurybegründung.
Andrea Fraser, kurze Kurzbiografie
- 1965 Andrea Fraser wird in Billings, Montana, USA geboren
- 1966 – 1982 Frazer wächst in Berkeley, Kalifornien auf
- 1982 – 1986 Kunststudium an der New York University und der School of Visual Arts NY
- 1986 – 1996 Mitglied der feministischen Performance-Gruppe „The V-Girls“, mit Martha Baer, Jessica Chalmers, Erin Cramer, Marianne Weems
- 1994 – 2001 Co-Organizer der “working-group exhibition Services”, die 8 Veranstaltungsorte in Europa und den USA besuchte
- 1997 – 1998 Mitglied der Künstler Initiative Parasite
- 2005 – 2008 Mitglied der Cooperative Art Gallery Orchard
- 2013 „Andrea Fraser“, Retrospective, Museum Ludwig Köln
- 2013 Wolfgang-Hahn-Preis
- 2015 „Andrea Fraser“, Retrospective, Museum der Modernen Kunst Salzburg
- 2016 „Andrea Fraser“, Retrospective, Museum of Contemporary Art Barcelona
- 2016 „Andrea Fraser“, Retrospective, MUAC UNAM Mexico City
- 2016 Oskar-Kokoschka-Preis Wien
In ihrer Heimat, den USA, wurde Andrea Fraser bisher nicht mit einer Retrospective geehrt. Im preisgekrönten Online-Kunst-Magazin theculturetrip.com können Sie unter theculturetrip.com/north-america/usa/california/articles/andrea-fraser-too-shocking-for-a-us-retrospective nachlesen, warum Fraser und ihr Werk den Amerikanern als „Too Shocking for a US Retrospective“ gelten („Untitled“, die Kunst mit dem Sex, spielt eine Rolle, natürlich).
Sie werden dort auch lesen, dass die Künstlerin ihre Verbannung durch prüde US-Kunstgrößen längst akzeptiert hat, um sich dem interessierteren und freieren europäischen Kunstpublikum zuzuwenden …
Sinngemäß übersetzt äußerte Fraser „Ich bin zufrieden mit dem Aufruhr, den „Untitled“ in den USA verursacht hat. Das Beste daran: Ich habe nicht nur normale Bürger in helle Aufregung versetzt, sondern auch Menschen aus dem innersten Kreis der amerikanischen Kunstwelt …“
Das aufgeklärte europäische Kunstpublikum nimmt Andrea Fraser bestimmt gerne auf.
Inhaber und Geschäftsführer von Kunstplaza. Publizist, Redakteur und passionierter Blogger im Bereich Kunst, Design und Kreativität seit 2011. Erfolgreicher Abschluss in Webdesign im Rahmen eines Hochschulstudiums (2008). Weiterentwicklung von Kreativitätstechniken durch Kurse in Freiem Zeichnen, Ausdrucksmalen und Theatre/Acting. Profunde Kenntnisse des Kunstmarktes durch langjährige journalistische Recherchen und zahlreichen Kooperationen mit Akteuren/Institutionen aus Kunst und Kultur.