Aktuell wird David Hockney auf der unabhängigen Rankingliste von ArtFacts, die Ausstellungspräsenzen automatisiert auswerten lässt und keine persönlichen Wertungen von Kunstwissenschaftlern etc. einfließen lässt, als Weltkünstler Nr. 20 gelistet.
An Hockneys 75. Geburtstag 2012 verweilte er noch auf Rang Nr. 36; doch wurde der britische Maler mit derart vielen Ausstellungen seiner Werke gefeiert, dass er zu dieser Zeit auch mal zu den drei bis fünf bedeutendsten Künstlern auf Erden gezählt wurde.
Die Feierlichkeiten zu seinem 80. Geburtstag im Jahr 2017 haben dies nochmals übertroffen.
Auch die Rankings der ganz Großen können sich also doch noch merklich verändern – wer allerdings länger unter den ersten 100 Künstlern eines global arbeitenden Rankings zu finden ist, gehört sicher zu den Weltkünstlern, die die Kunstwelt maßgeblich prägen. Wie David Hockney, der seit etwa 1965 in jedem Ranking der zeitgenössischen Kunst recht weit vorne zu finden ist.
Im ersten Teil dieses Zyklus über den Weltkünstler wurde dargestellt und begründet, dass David Hockney kein Pop-Art-Maler ist oder war, auch wenn ihm diese Stilrichtung häufig angedichtet wird. Nachfolgend geht es nun um die Karriere David Hockneys – wiederum Anlass, mit weit verbreiteten und ebenso weit verkürzten Darstellungen über den einflussreichen Künstler aufzuräumen:
David Hockney hat nicht in Amerika Karriere gemacht, er war in Kunstkreisen längst berühmt, als er dort ankam. Hockney hat auch nicht nur schöne Bilder gemalt, sondern in verschiedensten Gewerken der Kunst sehr erfolgreich gearbeitet:
Neue Kunst, noch im alten England
David Hockney hatte sich 1959 am Royal College of Art in London beworben, um die rein akademische Ausbildung in Bradford in die Entwicklung eines eigenen Stils zu überführen. Hockney fand die bunte, freie Pop-Art aus den USA faszinierend wie jeder junge Freigeist und hatte persönlich sehr gute Gründe, sich in Gefilde einer ironischen, aber lebenslustigen Gesellschaftskritik abzusetzen.
Der Ernst, mit dem er seine künstlerische Arbeit betrieb, erlaubte es ihm jedoch keinesfalls, sich so willenlos in die schöne bunte Kunstwelt der topaktuellen US-Pop-Art fallen zu lassen, wie manche Darstellungen zu vermitteln scheinen.
Hockney musste erst noch einen langen altweltlichen Schlenker einlegen: Bis zum Studienende 1962 arbeitete Hockney ebenso entschlossen wie kontinuierlich an der eigenen Bildsprache; er wollte einen ganz neuen Ausdruck zwischen Abstraktion und figurativer Darstellung finden bzw. erfinden.
Er hatte schon in Bradford die ersten Konflikte mit dem Bildgegenstand, diesen während der Zeit dort aber noch nicht aufgegeben. Am RCA bemühte er sich nun erst einmal ausschließlich darum, das Bild als Fläche zu sehen und zu betonen. Dieses auffallende Charakteristikum Hockneys früher Arbeiten am Royal College of Art (Hallo, Sandra Blow, siehe Hockney Teil 1) war eine ganz bewusste Bildstrategie, die zum entscheidenden Schritt für den Künstler werden sollte.
Das Studium im Zentrum der Londoner Kultur- und Kunstszene, die Arbeit und Diskussion mit den gleichfalls an neuen Wegen und Ausdrucksmöglichkeiten interessierten Kommilitonen boten Hockney genug Gelegenheiten, sich mit den verschiedenen Kunstrichtungen seiner Zeit auseinanderzusetzen und in diesem Lernprozess eine eigene Bildsprache zu entwickeln.
Die erste Annäherung an Abstraktion waren ausdrucksstarke Karton-Gemälde in abstrakter Malweise wie „Growing Discontent“ (Wachsende Unzufriedenheit, 1959, Abbildung nicht verfügbar), bei dem jedoch schon der Titel auf Hockneys Abneigung einer lediglich gestisch ausdrucksstarken Malweise á la Alan Davie und Jackson Pollock verwies.
Hockney gab diese abstrakten Gemälde nach wenigen Monaten wieder auf, weil er begriff, dass für ihn der Weg in die Moderne nicht darin bestehen konnte, sich statt der mühsam abgestreiften Beschränkung durch die starren Regeln der überkommenen „royalen Kunst“ eine neue stilistische Zwangsjacke namens Pop-Art anzuziehen.
Hockney wollte mehr: Eine persönliche Stimme; einen eleganten, neuen Kompromiss zwischen Abstraktion und Gegenständlichkeit, der in der trendbestimmenden Kunst der angesagten Amerikaner nicht zu finden war. Deshalb griff Hockney lieber wieder auf Anregung durch europäische Künstler zurück, unter denen viele schon längere Zeit zwischen Abstraktion und Figuration zu vermitteln versuchten.
Während seiner Ausstellungsbesuche in London entdeckte er Frühjahr 1960 Francis Bacon für sich (Hallo, Sandra Blow), dessen Figurendarstellung zu Hockneys erster wichtiger Quelle der Inspiration wurde.
Weiter fand Hockney in Jean Dubuffets nur scheinbar primitiver „Art brut“ Anstöße, die ihn erst zum Nachdenken und dann vorwärts brachten. Dubuffet war der erste Künstler, der Graffitis zum Vorbild nahm und diese Kunstvariante dadurch schon damals auch dokumentierte. Dazu wurde er vom ersten Graffiti-Fotografen Brassaï angeregt, der schon in den 1930er Pariser Mauerbilder gesammelt hatte.
Die Idee brachte Dubuffet durchschlagendem Erfolg, in der documenta-Zeit Dubuffets (drei Auftritte hintereinander: 1959, 1964, 1968) waren seine von urtümlicher Schrift umrahmten oder aus lebendigen Buchstaben zusammengesetzten Figuren-Tableus („Vertu virtuelle“; „Hopes and Options“) als „Anarchie in ihrer schönsten Form“ wirklich überall zu sehen, wo moderne Kunst zu finden war.
Für Hockney ganz entscheidende Impulse, er fühlte sich Dubuffets Darstellungen zwischen Kinderkunst und alter ägyptischer Hochkultur sehr verbunden und sah in diesem „anonymen Stil“ („Davis Hockney“ by David Hockney 1976, S. 67) ein elementares Vorbild für seine Arbeit in der Zeit am Royal College.
Hockney sollte das, was eine Studentin aus Seoul (von ihr selbst betont) in ihrer Philosophie-Dissertation an der Ludwig-Maximilians-Universität München über das Frühwerk David Hockneys „europäisch gefühls- oder figurbetonte Tendenz“ nennt, auch in seiner späteren Arbeit nie verlieren.
Vielleicht war es gerade dieses Beharren auf den europäischen künstlerischen Traditionen; Hockney Zögern, wie britische Kollegen sofort zu den innovativen amerikanischen Stilrichtungen zu greifen, um sich von Europas Kunst-Tradition zu befreien, das zu einem Oeuvre „globaler Kunst“ führte, welches Menschen auf allen Kontinenten begeistern konnte.
Gute junge Kunst hat sogar im alten England Chancen
Gegen Ende seines Studiums am Royal College of Art hat Hockney die erste eigene Ausdrucksweise erarbeitet, und mit dieser wird er noch im Heimatland ganz früh und ganz schnell berühmt:
1960 wird der talentierte Mister Hockney zur jährlichen Ausstellung der „London Group“ eingeladen. Die London Group ist eine bis heute aktive Londoner Künstlervereinigung, die 1913 als avantgardistische Opposition zur konservativen Royal Academy of Arts gegründet wurde; ihr erklärtes Ziel ist „Förderung des öffentlichen Bewusstseins für zeitgenössische bildende Kunst durch jährliche Ausstellungen“.
Die Londoner Royal Academy of Arts ist die Kunstinstitution in Großbritannien, die sich seit Gründung durch George III. in königlichem Auftrag der Förderung von Malerei, Bildhauerei und Architektur widmet. George III. regierte Großbritannien von 1760 bis 1820, ab 1765 soll er die ersten Anzeichen der Geisteskrankheit gezeigt haben, die die zweite Hälfte seiner Amtszeit überschattete; die Royal Academy of Arts wurde 1768 gegründet …
Die ehrenwerte königliche Akademie war wohl schon sehr lange vor Brexit-Zeiten nicht mit dem erfrischendsten Geist gesegnet; dass in einer der gefeierten Sommer-Ausstellungen junge Kunst von (auch noch schwulen) College-Studenten wie David Hockney gezeigt wurde, war schlicht undenkbar.
Wie weit man als RA (Royal Academician) in etwa seiner Zeit hinterherhinkt, lässt sich z. B. daran ablesen, dass David Hockney selbst erst 1991 in die Royal Academy of Arts in London gewählt wurde – da war er 54 und seit 30 Jahren als Künstler berühmt.
Recht erhellend ist auch dieser Bericht des „Guardian“ darüber, wie der mit 58 Jahren auch nicht mehr taufrische Künstler Grayson Perry die Sommer-Ausstellung 2018 (250. Geburtstag der Akademie) vor ihrem laut Guardian-Journalist „verblödeten Selbst“ rettete, indem er dem überraschten britischen Kunst-Establishment ein wildes Sammelsurium von Trash-Kunst vorsetzt.
Die London Group erfreut dagegen in ihren Ausstellungen damals wie heute durch die Stilvielfalt, die die Gesamtheit der von der Royal Academy of Arts nicht bemerkten oder abgelehnten jungen Künstler in die jährliche Ausstellung einbringt.
David Hockney stellte bald darauf wieder aus, und diese Young-Contemporaries-Ausstellung des Jahres 1961 in den RBA Galleries London wird dadurch berühmt, dass sie die Royal-College-Studenten Patrick Caulfield, Derek Boshier, Allen Jones, David Hockney, R. B. Kitaj und Peter Phillips mit einem Schlag berühmt machte.
Auch „Young Contemporaries“, 1974 in „New Contemporaries“ umbenannt, ist eine britische Organisation, die aufstrebende Künstler zu Beginn ihrer Karriere unterstützen will. Die Gründung wurde durch David Hockneys Lehrer Carel Weight initiiert:
Er hatte 1949 die Idee, die kaum genutzte Galerie der Royal Society of British Artists (RBA, eine weitere britische Künstlervereinigung, die 1823 als Gegengewicht zur verschlafenen Royal Academy gegründet wurde) in der Londoner Suffolk Street zur Ausstellung von Studentenarbeiten zu nutzten.
Gesagt, getan, und die Gründer einigten sich auch noch darauf, die jeweils ausstellenden „Jungen Zeitgenossen“ in einem derart unparteiischen und demokratischen Verfahren auszuwählen, dass es fast schon unbritisch genannt werden kann: Der Künstler bewirbt sich anonym mit einem Kunstwerk; Schule, Alter und Nationalität des Teilnehmers erfahren die Juroren während des gesamten Auswahlverfahrens nicht.
Im Jahrzehnt seit der Gründung der Young Contemporaries hatte sich die jährliche Ausstellung bereits den Ruf erarbeitet, die aufregendste neue Kunst der Zeit vorzustellen. Anfang der 1960er war die Young-Contemporaries-Ausstellung für die Kenner der zeitgenössischen Kunst zum Pflichttermin geworden, Weltbürger mit Sinn für moderne Kunst ließen sich das Spektakel möglichst auch nicht entgehen.
Die Ausstellung von 1961 war vor allem für die Spürhunde unter den Kunstkennern ein Volltreffer, sie griffen begierig nach der neuen britischen Pop-Art und vor allem nach den frühen Werken David Hockneys. Die aufregenden Neuentdeckungen wurden diskutiert und weitergereicht, David Hockney wurde in der avantgardistischen Kunstszene langsam zum Gesprächsgegenstand.
Ein Galerist findet seinen Künstler
Bei dieser 1961er Young-Contemporaries-Ausstellung war auch John Kasmin, ein junger Wilder aus Londons East End, der kürzlich von der Polizei (als Bohemian) aus Neuseeland ausgewiesen worden war und seit seiner Rückkehr in Londoner Galerien arbeitete.
Kasmin sah auf der Young Contemporaries Show 1961 das Gemälde „Doll Boy“ vom unbekannten Studenten David Hockney (das sich heute in der Tate-Sammlung befindet), war fasziniert und wollte es haben. Zu dieser Zeit arbeitete Kasmin für die Marlborough Gallery New London. Kasmin lud Hockney nach der Arbeit zum Tee ein, mochte ihn und wollte das Bild so sehr, dass er bereit war, sich mit seinem Chef und Marlborough Fine Art-Mitgründer Harry Fischer anzulegen.
An der Galerie durfte Kasmin ohnehin nicht nach eigenem Geschmack/Instinkt auswählen, er kündigte also (zur Enttäuschung der Marlborough-Gründer, die sein Potenzial bereits bemerkt hatten) und nahm auch gleich den wichtigsten Kunden der Galerie mit.
Dieser Sheridan Dufferin hieß ausgeschrieben Sheridan Frederick Terence Hamilton-Temple-Blackwood 5th Marquess of Dufferin and Ava und hatte entsprechend viel Geld. Dufferin stellte das Geld für die Gründung der Kasmin Gallery zur Verfügung, die ungewöhnlich große, weiße kahle Geschäftsräume in der Londoner New Bond Street bezog und im Jahr 1963 David Hockneys erste Einzelausstellung ausrichtete.
Hockney verewigt Kasmin 1963 im Gemälde „Play within a Play“ (curiator.com/art/david-hockney/play-within-a-play) „als Gefangenen zwischen Leben und Kunst“, ihm war also vermutlich schon damals klar, was für ein Glücksgriff ein Galerist wie John Kasmin war, der an die Kunst glaubte und nicht nur Dinge verkaufen wollte.
Die Reaktion auf Hockneys ersten Solo-Auftritt in der Kasmin Gallery London war großartig, David Hockney wurde zum Star am ehrwürdigen Royal College of Art. Der bisher in der „royalen Umgebung“ als ausnehmend schüchtern beschriebene junge Mann leistete sich nun die ersten Anflüge von Rebellion (wird aber weiterhin als einnehmend, entzückend und keinesfalls berechnend beschrieben):
Mitten in all diesem frühen Ruhm lag Hockneys College-Abschluss, und den hat er wohl nicht ganz vollständig gemacht – laut John Kasmin weigerte er sich einen Aufsatz zu schreiben o. ä., bekam deshalb nicht die übliche Goldmedaille und kaufte sich stattdessen eine goldene Laméjacke.
Vermutlich war Hockney ohnehin der „Drawing Prize“ wichtiger, den er im Abschlussjahr gewann. Der war nämlich mit 100 Pfund Preisgeld dotiert, die Hockney ohne Zögern für eine Reise nach New York, Berlin und Ägypten ausgab, um Anregungen für Illustrationen zu sammeln.
Hockney soll knallblond, selbstbewusster und extravaganter von dieser Reise zurückgekommen sein. Wie vielen seiner Künstler-Kollegen war ihm das damalige gesellschaftliche Klima im Vereinigten Königreich nicht unbedingt sympathisch: Homosexuelle standen laut Strafgesetzbuch immer noch unter Androhung lebenslanger Haft, wurden seit dem „Wolfenden-Report“ von 1957 nur nicht mehr verfolgt.
Laut Kasmin, Kitaj, Blow und anderen, die schon etwas in der Welt herumgekommen waren, gab es „da draußen“ aufregendere Kunst als Tapetenbilder von John Minton, Mosaik-Landschaften von Julian Trevelyan und die „schrecklichen kleinen Zeichnungen“ (Zitat Kasmin) von Lucian Freud.
Überhaupt, für Hockney war das Wetter zu schlecht, das Land zu nationalistisch (Hallo Brexit), viele Menschen zu engstirnig und missmutig.
Raus aus der Enge
In jeder „stolzen Nation mit glorreicher Geschichte“ lauert die Verführung, das Fremde, Andersartige respektlos zu behandeln. Je enger der Horizont, desto mehr wird als andersartig empfunden; freie Künstler immer dann, wenn ihre Arbeit vom Mainstream-Geschmack abweicht, Menschen mit ungewöhnlicher sexueller Orientierung sowieso.
Moderne, zivilisierte Gesellschaften bekämpfen solche Tendenzen; ungebundene Freidenker neigen schon immer dazu, sich den Nationen anzuschließen, in denen dieser Kampf zur der jeweiligen Zeit am erfolgreichsten geführt wird – für die meisten jungen Künstler zeigten in der englischen Nachkriegszeit große rote Pfeile in Richtung Amerika.
Fünf der sechs Kommilitonen, die zusammen mit Hockney in der Young-Contemporaries-Ausstellung 1961 bekannt geworden waren, landete deshalb nach dem Abschluss am Royal College of Art mehr oder weniger schnell in den USA, nur zwei von ihnen kehrten später dauerhaft nach England zurück:
Ridley Scott erhielt schon 1963 ein einjähriges Reisestipendium in die USA und arbeitete zwei Jahre bei Time Life, Inc. mit den Dokumentaristen Richard Leacock und D. A. Pennebaker. 1965 kehrte er nach England zurück, um über eine Szenenbildner-Ausbildung bei der BBC ins Trainingsprogramm für Regisseure zu kommen.
1968 verließ er die BBC, um die Ridley Scott Associates zu gründen, sie zu einem der erfolgreichsten Werbefilm-Häuser in Europa zu machen und von dort aus seine bekannte Karriere als Regisseur zu starten.
Allen Jones und Peter Phillips lebten von 1964 bis 1966 in New York und bereisten gemeinsam die USA. Jones zog weiter nach Deutschland (Lehraufträge an Kunsthochschulen Hamburg und Berlin, documenta III 1964, documenta 4 1968 Kassel) und dann zurück in die Heimat. Peter Phillips blieb international, mit Lehraufträgen in Birmingham und Hamburg, Ausstellungen in der ganzen Welt und Reisen bis nach Afrika und Australien, er lebt heute auf Mallorca.
Derek Boshier ging nach dem Abschluss als Stipendiat der indischen Regierung nach Indien, machte dann in England Karriere und unterrichtete an der Londoner Central School of Art and Design, um schließlich doch in Los Angeles zu landen.
Der einzige gebürtige Amerikaner R. B. Kitaj unterrichtete bis 1967 als Zeichenlehrer an der Londoner Ealing School of Art, Camberwell School of Art und Slade School of Fine Art, nahm 1964 an der documenta III in Kassel und der Biennale in Venedig teil und kehrte erst anlässlich seiner ersten amerikanischen Ausstellung in der Marlborough-Gerson Gallery in New York 1965 nach neun Jahren Exil in die USA zurück.
Hockney fand im Februar 1964 den Absprung: Während seines ersten großen Ausfluges in die Welt hatte er Henry Geldzahler kennengelernt, den damaligen Kustos des Metropolitan Museum of Art in New York, der bekannt für sein Engagement für junge Künstler war und Hockney zum Umzug nach Los Angeles ermutigt hatte.
Dort hatte man nur auf Talente wie Hockney gewartet: Noch im gleichen Jahr absolviert Hockney seine sehr erfolgreiche erste US-Einzelausstellung in der New Yorker Alan Gallery, im Sommer 1964 erhält er einen Lehrauftrag an der Universität von Iowa.
Hockney Wahlheimat in den USA wird allerdings Los Angeles. Er war begeistert vom sonnigen Kalifornien; kein Wunder, wenn man sich kurz vergegenwärtigt, wo David Hockney bisher gelebt hatte:
Hockneys Heimatstadt Bradford war in den 1950/60 Jahren auf einem ökologischen und architektonischen Tiefpunkt, nach einer noch unrühmlicheren Vergangenheit: Bradford war im 19. Jahrhundert von einer ländliche Marktgemeinde mit ein paar Tausend Einwohnern zur Industriestadt mit über 50 Kohlebergwerken und der „Wollhauptstadt der Welt“ aufgestiegen.
Das Stadtbild bot unzureichende Arbeiterbehausungen, Militärbaracken und Textilfabriken, deren 200 Fabrikschornsteine ständig schwarzen, schwefelhaltigen Rauch ausstießen. Um 1850 war Bradford die schmutzigste Stadt Englands mit Cholera und Typhus als Dauergast, die durchschnittliche Lebenserwartung der Einwohner lag bei achtzehn Jahren.
Im Zweiten Weltkrieg wurde Bradford kaum beschädigt, aber Neustrukturierung und Umbau durch Behörden voll ästhetischer Blindgänger zerstörten das historische Gesicht Bradfords vielleicht noch gründlicher.
Als David Hockney dort aufwuchs, bestand Bradford aus hässlichen Bauten und chaotischen Straßen voller ungesicherter Baustellen und gleichförmigen Mietskasernen mit Fußballplätzen ohne eine Spur Grün dazwischen; die Häuser waren schwarzbraun und hässlich und die Luft immer noch grau.
John Kasmin besuchte ihn ein- bis zweimal im Jahr in den USA; ein Foto von beiden aus dem Jahr 1965 wurde bereits in den USA aufgenommen, als sie mit Künstler-Bekannten aus England eine Ausstellung der neuen Londoner Gemäldeszene im Walker Art Center Minneapolis ansahen.
Kasmin ist im Londoner Stadtteil Whitechapel gegenüber Bradford in vergleichsweise himmlischen Verhältnissen aufgewachsen und hat ab dem 17. Lebensjahr sechs Jahre „Landschaft pur“ in Neuseeland getankt. Vor diesem Hintergrund ist verständlich, dass der Galerist sich mit leichtem Spott daran erinnert, wie verliebt Hockney in jedes Detail der lässigen kalifornischen Lebensart war, sogar nach Disneyland hätte Hockney ihn mitgeschleift …
Aus Hockneys Perspektive dagegen ist Kalifornien die logischste Wahl der Welt: Freie, inspirierende (Pop) Art statt royaler Beschränkung, Sonne statt Nieselregen, weiter Horizont statt enger Strassenschlucht, Swimmingpools im Grünen statt schotterbedeckter Sportplätze, gut gelaunte und gebaute Jungs (mit freiem Oberkörper) statt ernster Männlichkeit in Schlips und Kragen … und dass ein überbordender Überfluss der neuesten technischen Gadgets namens Disneyland einen Künstler der Moderne fasziniert, dürfte einen in diesem Bereich tätigen Galeristen eigentlich als Allerletzten wundern.
Erste Blüte unter kalifornischer Sonne
Die Zeit seines Aufbruchs in die Freiheit war auch die Zeit, in der David Hockney die erste eigene Bildsprache findet: Klare, kühle Formen, sachliche Manier, Fokus auf Verarbeitung der neuen Erlebnisse, die zum Überdenken jeweils sorgsam mit der ebenso neuen Polaroidkamera gesichert werden.
Das passende Malmittel für diese Phase ist für Hockney die gerade erst erfundene Acrylfarbe, die ab 1963 entstehenden „Shower-Pictures“, „Swimmingpool-Bilder“ und „Domestic Scenes“ bestechen nicht nur durch ihre Farben und Ausdruckskraft, sondern durch die Aneignung der neuesten Entwicklungen, die die damalige Zeit u bieten hatte.
Die neuesten technischen Entwicklungen in Kunst umgesetzt, in einer individuellen Sprache mit tollen Farben und klaren Motiven, ohne unverständliche akademische, intellektuelle oder psychologische Verwicklungen und Botschaften – diese Kombination berührte und verzauberte sehr viele Liebhaber der modernen Kunst und schnell auch Menschen, die einfach nur schöne Kunst und/oder angesagte Kunst mit hohem Gebrauchs- und Dekorationswert suchten.
Hockney ging in Kalifornien richtig ab; und das war der Start in ein Künstlerleben, dessen Intensität beim Betrachter Schwindel verursachen kann:
Zwischen 1965 und 1967 erhielt und erfüllte Hockney Lehraufträge an der University of Colorado in Boulder und an der University of California, Los Angeles und Berkeley, San Francisco.
1966 fertigt Hockneys sein erstes Bühnenbild für das Londoner Royal Court Theatre und Alfred Jarrys surrealistisches Stück „Ubu Roi“, Auftakt zu zahlreichen Bühnengestaltungen. Heute ist David Hockney vielen Zeitgenossen „nur“ als Maler ein Begriff, er war aber in einem derart weiten Umfang als Bühnenbildner, Fotograf und Grafiker tätig, dass auch diese Künste ihn zu Recht für sich beanspruchen.
1968 verbrachte Hockney den Sommer zu Hause in England und reiste mit Freunden nach Paris, Südfrankreich, Cornwall und Nordirland. Im Herbst begleitet er die noch recht frische Liebe seines Lebens, den kalifornischen Kunst-Fotografen Peter Schlesinger, nach London, wo sich dieser an der Slade School of Art einschreiben will.
Dann geht es weiter nach St. Tropez, wo er „Le Nid du Duc“ besuchte und ausgiebig fotografierte – das traumhafte Heim von Regisseur, Drehbuchautor, Produzent „Tony“ Richardson (1964 4 Oscars für „Tom Jones“, Hotel New Hampshire, Phantom der Oper ff.) sollte in seiner Kunst noch eine Rolle spielen.
„Nebenbei“ malte er ein paar seiner berühmtesten Bilder (Christopher Isherwood and Don Bachardy; American Collectors Fred und Marcia Weisman) und nahm an der documenta 4 in Kassel teil.
Marathon-Karriere mit endlosen Zwischenspurts
In diesem Tempo ging es weiter: 1969 nimmt Hockney eine Gastprofessur an der Hamburger Kunsthochschule an; er geht immer wieder auf längere Reisen, die mit Arbeit und Experimenten und längeren Aufenthalten in der jeweiligen Ecke der Welt verbunden sind.
So verbringt er z. B. 1975 längere Zeit in Paris; zusammen mit seinen Eltern, die auch gleich umfassend porträtiert werden. Ebenfalls 1975 lässt Hockney die Anfang der 1960er durchgeführten Recherchen zum Radierzyklus um William Hogarths „Werdegang eines Wüstlings“ in ein Bühnenbild für die Glyndebourne Festival Opera in East Sussex einfließen, an der Strawinskys „The Rake’s Progress“ gegeben wird.
Dazu kommen immer wieder ganz neue Kunst-Ideen, ab 1976 z. B. Fotocollage-Arbeiten, die jeweils aus vielen Polaroidbildern zusammengesetzt werden. „Twenty Photographic Pictures“ und die aus 63 Polaroids zusammengesetzte Komposition um die Schwestern Imogen und Hermiane Cornwall-Jones kommen damals gut an, auch diese wieder ein Alleingang gegen die modischen Trends der Zeit.
Heute werden diese Werke gerne als Ausdruck einer „kubistischen Phase“ Hockneys vorgestellt und einer späten Auseinandersetzung mit dem Kubismus und Picassos Werk zugeschrieben, diese Auseinandersetzung begann Hockney allerdings bereits auf dem Royal College of Art.
1977 war Hockney auf der documenta 6 zu sehen, 1978 auf der 38. Biennale von Venedig, 1979 auf der 3. Biennale of Sydney; 1978 gestaltet Hockney für die Glyndebourne Festival Opera in East Sussex das Bühnenbild zu Mozarts „Zauberflöte“.
1980 übernimmt Hockney die Gestaltung der Bühnenbilder und Kostüme für eine Dreifach-Hommage an die französische Kunst der Picasso-Zeit am Metropolitan Opera House. Das opulente Werk mit dem Titel Parade bestand aus den Werken „Parade“, dem Ballett mit Musik von Erik Satie, der Oper „Les mamelles de Tirésias“ mit Libretto von Guillaume Apollinaire und Musik von Francis Poulenc und der Oper „L’enfant et les sortilèges“ mit Libretto von Colette und Musik von Maurice Ravel. 1981 folgt ein weiterer Dreifach-Satz von Bühnenbildern für die Metropolitan Opera: Strawinskys „Le sacre du printemps“, „Le rossignol“ und „Oedipus Rex“.
Ab 1982 kommen neue Polaroidcollagen, noch facettierter (noch kubistischer?), ein Spiel mit verschiedensten Formaten und Kompositions- bzw. Ordnungsprinzipien.
1983 arbeitet Hockney gleichzeitig für die Los Angeles Music Center Opera und das Royal Opera House in London und fertigt Bühnenbilder für das Eye and Ear Theatre in New York. Zur Ausstellung „Hockney Paints the Stage“ gestaltet er im gleichen Jahr außerdem noch das Bühnenbild für die Oper „L’enfant et les sortilèges“ völlig neu, das Werk ist heute noch in einer Dauerinstallation im Honolulu Museum of Art zu bewundern.
1985 ist Hockney auf der XIII Biennale von Paris, 1986 auf der PaperArt (1. Internationale Biennale der Papierkunst in Düren, Westfalen), sicher wieder mit neuen Experimenten; 1987 entwirft er das Bühnenbild für Richard Wagners Oper „Tristan und Isolde“ im Auftrag der Los Angeles Music Center Opera.
Bereits ab Mitte der 1980er Jahre hatte sich Hockney wieder mehr in die Malerei versenkt, diesmal vor allem unter Beschäftigung mit Henri Matisse (und Pablo Picasso, immer wieder).
Bald waren wieder ein paar technische Neuerungen bereit zur Verarbeitung, ab Ende der achtziger Jahre experimentierte Hockney mit dem Bereich Druck, Farbkopierern, Faxgeräten – daraus entstehen Vierfarb-Copy-Drucke, Faxzeichnungen und abstrakte Computergrafiken, der neue Werkkomplex der „Home Made Prints“.
1989 zeigt David Hockney Werke auf der 20. Biennale von Sao Paulo Brasilien und wird mit dem japanischen „Praemium Imperiale“ ausgezeichnet. Es ist das erste Mal, dass dieser „Nobelpreis der Künste“ verliehen wird, Hockney teilt sich die Auszeichnung in der Sparte Malerei mit Willem de Kooning (1. Preisträger der anderen Sparten: Skulptur Umberto Mastroianni; Architektur Ieoh Ming Pei; Musik Pierre Boulez; Theater/Film Marcel Carné).
Ab 1991 entwirft Hockney wieder Bühnenbilder, für Puccinis „Turandot“ an der Chicago Lyric Opera und für Richard Strauss‘ „Frau ohne Schatten“ 1992 an der Royal Opera House in London; außerdem wurde er 1991 von den Mitgliedern der Royal Academy of Arts in London als einer der ihren aufgenommen.
1994 entwirft Hockney in Mexico City Kostüme und Bühnenbilder für zwölf Opernarien im Rahmen von Placido Domingos Fernsehsendung Operalia. Wieder nutzt er die neuesten technischen Entwicklungen, baut in einem beweglichen Proszenium von 1,8 m x 1,2 m komplexe Modelle im Maßstab 1:8 unter Einsatz eines computergestützten Setups, mit dem er nach Belieben Licht-Einstellungen programmieren und diese mit dem Soundtrack der Musik synchronisieren konnte.
1995 nimmt Hockney an der 46. Biennale von Venedig teil; 1997 erhält er den britischen Order of the Companions of Honour (Orden des Vereinigten Königreichs und Commonwealth, der seit 1917 herausragende Leistungen in verschiedensten Sparten ehrt) und wird in die American Academy of Arts and Sciences aufgenommen.
2004 ist er gleichzeitig auf der Liverpool Biennale und der Whitney Biennale New York City zu sehen.
2006 kommt nach gründlichem Studium der Methoden der alten Meister sein Buch „Secret Knowledge: Rediscovering the lost techniques of the Old Masters“ heraus; 2012 gestaltet Hockney für die Wiener Staatsoper ein Großbild von 176 Quadratmetern, das in der Spielzeit 2012/2013 einen Höhepunkt der Ausstellungsreihe „Eiserner Vorhang“ im Rahmen des „museum in progress“ bildet.
2012 erhält Hockney den Order of Merit von der Queen (ein britischer Orden für herausragende militärische, wissenschaftliche, künstlerische und literarische Leistungen) – den er auch annimmt, den Ritterschlag durch die Queen hatte er 1990 abgelehnt (siehe bbc.com); außerdem nimmt er an der IV. Biennale der zeitgenössischen Kunst in Madrid teil; wie auch 2015 (mit 78 Jahren) an der 5. Biennale der zeitgenössischen Kunst Thessaloniki …
2017 wurde David Hockney 80 Jahre alt, was mit einer großartigen Retrospektive in der Tate Britain, London gefeiert wurde (tate.org.uk/whats-on/). Die Oper San Francisco hat das Hockney-Bühnenbild für Turandot 2017 wiederhergestellt und wiederbelebt, Hockney wurde dafür mit der San Francisco Opera Medal ausgezeichnet.
Das war nicht einmal der Ansatz einer Biographie, nur ein schneller Ritt durch ein paar Station aus Hockneys Leben. Neben all diesen Reisen, Recherchen, Lehrtätigkeiten und Experimenten hat David Hockney ja vor allem Kunst geschaffen; genug Kunst, um über 306 Solo-Ausstellungen und fast 900 Gruppenausstellungen zu bestücken … es gibt wohl noch keine Statistik darüber, aber viele Künstler haben die Marke der 1000 Ausstellungen sicher noch nicht geknackt.
Um die bekannte Bild-Kunst David Hockneys geht es im dritten Teil dieses Zyklus – nicht nur, denn Weltkünstler wie David Hockney schenken der Welt noch viele andere Anregungen …
Hier schon mal eine Auswahl seiner Werke auf Pinterest:
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- ArtFacts: Artist Ranking; https://artfacts.net/lists/global_top_100_artists
- The Guardian: Summer Exhibition/The Great Spectacle review – a Grayson revolution; https://www.theguardian.com/artanddesign/2018/jun/05/summer-exhibition-the-great-spectacle-review-grayson-perry-royal-academy
- The Telegraph: John Kasmin remembers a trip with David Hockney in 1965; https://www.telegraph.co.uk/culture/art/10286756/John-Kasmin-the-dealer-who-discovered-the-artist-David-Hockney-in-the-Sixties-1965.html
- BBC: David Hockney appointed to Order of Merit; https://www.bbc.com/news/uk-16376999
- Tate: David Hockey, https://www.tate.org.uk/whats-on/tate-britain/david-hockney
Inhaber und Geschäftsführer von Kunstplaza. Publizist, Redakteur und passionierter Blogger im Bereich Kunst, Design und Kreativität seit 2011. Erfolgreicher Abschluss in Webdesign im Rahmen eines Hochschulstudiums (2008). Weiterentwicklung von Kreativitätstechniken durch Kurse in Freiem Zeichnen, Ausdrucksmalen und Theatre/Acting. Profunde Kenntnisse des Kunstmarktes durch langjährige journalistische Recherchen und zahlreichen Kooperationen mit Akteuren/Institutionen aus Kunst und Kultur.