Donald Judd als bleibende Konstante in der Kunstszene
Donald Judd gehört zu den wichtigsten zeitgenössischen Künstlern unserer Welt. Für die meisten Kunstkenner zählt er zu den bemerkenswertesten Künstlern, die der amerikanische Kulturkreis im Laufe seiner Geschichte hervorgebracht hat. Judd gilt zusammen mit Robert Morris und Sol LeWitt als Begründer und Hauptvertreter des Minimalismus, lehnte es aber ab, auf einen bestimmten Kunststil reduziert zu werden.
Judd hat besonders die Kunst der amerikanischen Nachkriegszeit geprägt. Vor allem mit großzügig dimensionierten Outdoor-Installationen und außergewöhnlichen Entwürfen im Bereich Architektur und Innenraumgestaltung, die z. B. in seinem selbst geschaffenen „Kunst-Dorf“ Marfa in Texas zu bewundern sind.
Judd begann seine Künstler-Karriere mit expressionistischer Malerei und hat gerade in seiner Anfangszeit als Bildhauer auch viele kleinere Skulpturen und Installationen geschaffen, wie die großen Objekte aus verschiedensten Materialien wie Beton, Plexiglas und Stahl. Wie die großen Objekte in präzise geometrische Formen gebracht, die die von Judd geschaffenen Material-Objekt-Einheiten noch betonen.
In der Welt von heute bleibt Judd präsent, mit zahlreichen Skulpturen im öffentlichen Raum, bei uns in der Nähe z. B. in Bottrop, Münster, Winterthur, Schweiz und dem „Stage Set“ im Wiener Stadtpark. In den USA sind Judds Werke z. B. in Washington, New York und Marfa, Texas im öffentlichen Raum zu betrachten.
In der „Weltbestenliste der Kunst“ war Donald Judd noch in den Jahren 2010/2011 unter den 50 bekanntesten Künstlern der Welt zu finden. Im Jahrzehnt davor lag er vermutlich zwischenzeitlich im Rang noch viel höher, seine Ausstellungshistorie zeigt einen wahren „Donald-Judd-Boom“ im Jahrzehnt von 2000 bis 2010. In den letzten Jahren ist es ein wenig ruhiger um Judd Kunst geworden, 2016 liegt er „nur“ noch auf Platz 85 der Weltbestenliste, aber die Trendgrafik zeigt schon wieder leicht aufwärts …
Diese ganze künstlerische Karriere Judds als Maler und Bildhauer, Architekt und Designer startete er erst in seinem 3. Lebensjahrzehnt, aus einer gesicherten beruflichen Position als studierter Philosoph und anerkannter Kunstkritiker.
Donald Judds philosophischer Weg zur Kunst
Donald Clarence Judd ist am 3. Juni 1928 in Excelsior Springs, Missouri, geboren. Missouri liegt im mittleren Westen der USA, Excelsior Springs ist eine Kleinstadt mit aktuell rund 10.000 Einwohnern an der Grenze zu Kansas.
Excelsior Springs liegt knapp 50 km nordöstlich von KCMO (Kansas City, Missouri) und gehört so gerade noch zur Metropolregion Kansas City mit aktuell rund 2 Millionen Einwohnern und zwei Kansas Cities (in Missouri und in Kansas) als Zentrum.
Als Donald Judd aufwuchs, hatte Excelsior Springs knapp 5.000 Einwohner, in ganz Missouri (der Bundesstaat ist ziemlich genau halb so groß wie Deutschland) wohnten weniger Menschen als heute in Berlin (das mit seinen knapp 900 km² noch nicht einmal ein halbes Prozent der Fläche von Missouri hat).
Judd wurde auf dem Bauernhof seiner Großeltern geboren und verbrachte seine ersten Jahre in einer ruhigen und ländlichen Umgebung. Dann folgten Umzüge in verschiedene andere ruhige ländliche Orte der USA, bis der gerade 18-jährige von 1946 bis 1947 von der Schulbank in den Militärdienst (Kriegsdienst im Koreakrieg) wechseln „durfte“.
1948 begann Judd am College of William & Mary in Williamsburg, Virginia, ein Philosophiestudium, wechselte aber schon 1949 nach New York an die Columbia University New York. Hier studierte er weiter Philosophie und belegte zusätzlich an der „School of General Studies“ College der Freien Künste Kunst-Kurse. 1953 absolvierte er die Prüfung zum Bachelor of Science in Philosophie („cum laude“).
Die Kurse am „Liberal Art College“ der Columbia hatten Judds Interesse für Kunst noch intensiviert, nach dem Abschluss in Philosophie arbeitete er unter Rudolf Wittkower und Meyer Schapiro (berühmte Kunsthistoriker, die wegen Antisemitismus ihre Heimatländer verlassen mussten) an einem Masterabschluss in Kunstgeschichte.
Dazu besuchte er in dieser Zeit auch noch die Abendkurse der legendären „Art Students League“ New York, der einflussreichsten und bekanntesten dieser Verbindungen von Kunststudenten zum freien Lernen und Arbeiten.
In der Absolventen-Liste der Art Students League of New York wimmelt es nur so von Künstlern (bei den Lehrern und bei den Studenten), die heute als Wegbereiter der modernen Kunst betrachtet werden: Lucian Bernhard und Thomas Eakins, George Grosz und Franz Kline, Reginald Marsh, Robert Motherwell und John French Sloan unterrichteten; Louise Bourgeois, Alexander Calder, Roy Lichtenstein, Georgia O’Keeffe, Jackson Pollock, Robert Rauschenberg, Man Ray, Mark Rothko und Cy Twombly haben hier gelernt, und das waren nur Auszüge.
Ab 1959 musste Judd all diese Studien nicht mehr mit irgendwelcher Arbeit mit kunstfremden Thema finanzieren, sondern arbeitete als freier Kritiker für gleich drei angesehene Kunstzeitschriften: Art News, Arts Magazine und Art International (bis 1965).
Ab 1962 nahm er auch schon verschiedene Lehraufträge an: Am Brooklyn Institute of Arts and Sciences New York, an der Yale University New Haven, am Oberlin College in Ohio und an der Universität von Saskatchewan in Kanada. 1965 unternahm er eine ausgedehnte künstlerische Bildungsreise nach Schweden.
Die Kunst Donald Judds: Maximales Können braucht minimalen Schnickschnack
Ab etwa Mitte der 1950er Jahre hatte Judd sich mit Holz als Arbeitsmaterial beschäftigt, in einer fortschreitenden Bewegung vom Figurativen zu immer abstrakteren Abbildungen, von organisch runden Formen hin zu sorgfältiger Handwerkskunst in durchgehend geraden Linien und Winkeln. Bis etwa 1961 war das Material Holz als Arbeitsmaterial sein Thema; neben der figurativen Bearbeitung experimentierte er auch mit dem Druck vom Holzblock.
Hier ist eine Reihe seiner „woodcuts“ zu besichtigen: www.juddfoundation.org/exhibitions/donald-judd-woodcuts (jeweils durch Klick zu vergrößern).
Nach dieser Phase bewegte sich sein Kunst-Stil noch kontinuierlicher weg von der Illusion der Abbildung in der Malerei hin zur materialgebundenen Skulptur. Er begeisterte sich immer mehr für Konstruktionen, in denen das Wesentliche am Material zum Kern der Arbeit wurde. Diese minimalistischen Skulpturen nahmen immer größere Ausmaße an und werden ab 1973 vor allem für die Aufstellung im Freien konzipiert.
Eine typische Judd-Skulptur steht seit der Skulptur.Projekte 1977 am Ufer des Aasees, einem künstlich angelegten Stausee in Münster, Westfalen (Aaseewiese unterhalb des Mühlenhofs): www.wn.de/.
Von den frühen Holz-Skulpturen, die auf Judds ersten Ausstellungen bewundert werden konnten, fertigte Judd später ganze Reihen von „Design-Skulpturen“ in Metall uns manchmal auch farbigem Plexiglas: artintelligence.net/
Auf dem früheren Armeegelände in Marfa stellte Judd in zwei Hallen sein Hauptwerk auf: 100 riesige Boxen aus poliertem Aluminium, ein berückend schönes „Kästchen“ neben dem anderen: „100 untitled works in mill aluminum“, 1982-1986, chinati.org/.
Donald Judds ruhige Künstler-Karriere
Mit der praktischen Kunstausübung (expressionistische Malerei) hatte Judd schon in den späten 1940er Jahren begonnen, die erste Solo-Ausstellung seiner expressionistischen Bilder fand 1957 in der New Yorker Panoras Gallery statt.
Die ersten seiner auf Minimal-Aussagen beschränkten skulpturellen Arbeiten wollte er öffentlich lange nicht zeigen, erstmals wählte er 1963 einige seiner Meinung vorzeigenswerte Arbeiten aus, um sie in der Green Gallery New York auszustellen. „Untitled“, 1963, oil on wood with Plexiglas, c2.staticflickr.com/, ist eines dieser ausgestellten Kunstwerke.
Ein voller Erfolg und der Beginn einer regen Ausstellungstätigkeit, mit der sich der als Kunstkritiker für europäische und junge amerikanische Kunst bereits bekannte und anerkannte Donald Judd bald auch einen Ruf als Künstler erarbeitet hatte.
Bis heute waren Donald Judds Werke in knapp 1.000 Ausstellungen zu sehen, wobei seine Ausstellungshistorie interessanten Interpretationsspielraum bietet: Um 140 Solo-Ausstellungen stehen ca. 850 Gruppenausstellungen gegenüber. Was auf den ersten Blick ein Beleg dafür sein könnte, dass Donald Judd zu den geborenen Team-Arbeitern zählt, die Kunst am liebsten gemeinsam mit anderen Künstlern erarbeiten und dann eben auch präsentieren.
„Nur“ 140 Solo-Ausstellungen sprechen auch dafür, dass Donald Judd nicht zu den Künstlern gehörte, die öffentliche Aufmerksamkeit in gleichem Maß für ihre Person wie für ihre Kunst einfordern. Das lange Zögern vor der ersten Ausstellung seiner neu konzeptionierten Kunst scheint eher darauf hinzudeuten, dass Judd noch nicht einmal für seine Kunst unbedingt öffentliche Aufmerksamkeit einforderte, sondern am liebsten einfach „in Ruhe seine Kunst machte“.
Beides ist sicher nicht ganz falsch, Judd hat bereits 1968 die Gelegenheit bzw. das erste „überflüssige Geld“ ergriffen, um 1968 ein Haus in New York zu erwerben. Nicht irgendein Haus, sondern ein fünfstöckiges historisches Gebäude mit einer wunderschönen Gusseisen-Fassade von 1870, mitten in Manhattan und ein paar Meter vom Broadway entfernt. Für das er damals noch nicht einmal 70.000 Dollar bezahlte (61.000 Euro und ein paar Zerquetschte, dafür gäbe es heute am Broadway keine Streichholzschachtel).
Judd nutzte das Gebäude als sein New Yorker Wohnhaus und Atelier und renovierte es sein ganzes Leben lang, Stockwerk für Stockwerk, so sieht es heute aus: designdiversions.com/.
Das New Yorker Haus diente über die Jahre vielfach als Ausstellungsraum für Werke, die Judd von anderen Künstlern gekauft oder bei anderen Künstlern in Auftrag gegeben hatte; allein hierin zeigt sich, dass Donald Judd sich nicht für den künstlerischen Nabel der Welt hielt, sondern mit Blick auf andere Künstler arbeitete.
Heute beherbergt das Gebäude die Judd Foundation, 1977 von ihm konzipiert und 1996 von seinen Kindern gegründet, um sein Werk zu erhalten und der Öffentlichkeit zugänglich zu machen.
Dass Judd auch gerne mit anderen Künstlern arbeitete, zeigt die Entwicklung seines zweiten hauptsächlichen Wohn- und Aufenthaltsortes: Dem einstmals verschlafenen Örtchen Marfa, einer Wasserstation an der San Antonio Railway im Südwesten von Texas, das Judd im Jahr 1973 das erste Mal besuchte. Judd mietete damals zunächst einen Teil des „Blocks“, der tatsächlich einen ganzen (Häuser-) Block umfasst, ein ehemaliges Militärforts von 140 Hektar mit mehr als 30 Baracken früherer Munitionsdepots und Flugzeughangar.
Judd nutzte seinen Teil zum Wohnen und als Atelier und kaufte 1974 den ganzen „Block“. Der wurde im Laufe der Zeit ausgebaut zu einem von historischen Lehmmauern umgebenen Gebäude-Areal mit Innenhöfen, inkl. Kaktus-Gärten, von Judd entworfenem Mobiliar, einem von ihm gestalteten Swimming Pool und Privatgarten, zwei festen Atelier-Hallen und einer Privatbibliothek mit mehr als 10.000 Bänden.
In der Folgezeit kamen weitere Gebäude dazu, ein Architektur-Studio in einer ehemaligen Bank, ein Architektur-Büro in einem zweistöckigen Stadthaus, andere historische Gebäude in Teils beträchtlichen Größen, z. B. ein ehemaliges Hotel und ein ehemaliger Großmarkt. Judd plante eine Stiftung, um ein Kunst- und Künstlermuseum in Marfa zu errichten – Architektur und Kunst mitten in der Wüste, in einer einzigartigen Landschaft, umgeben von den Chinati-Bergen.
Judd holte sich Hilfe bei der „Dia Art Foundation“. Dia kommt vom griechischen „durch“ und steht für den Zweck der Stiftung – Förderung künstlerischer Projekte, die ohne Unterstützung nicht zu realisieren wären. Die „Dia Art Foundation“ hat z. B. das 7000 Eichen-Projekt von Joseph Beuys gefördert und half Donald Judd 1987, seine „Chinati Foundation“ zu gründen.
Im Rahmen der Förderung sammelten die Stifter Werke von den geförderten Künstlern, seit 2003 hat die Stiftung mit dem Dia:Beacon ihr eigenes Museum in Beacon (am Ufer des Hudson im Staat New York).
Dessen Bestand beweist, dass Förderung sich lohnt: Heute sind dort Werke von Bernd und Hilla Becher, Joseph Beuys, Louise Bourgeois, John Chamberlain, Hanne Darboven, Walter De Maria, Dan Flavin, Katharina Fritsch, Ann Hamilton, Michael Heizer, Jenny Holzer, Robert Irwin, Donald Judd, On Kawara, Imi Knoebel, Sol LeWitt, Agnes Martin, Bruce Nauman, Blinky Palermo, Gerhard Richter, Robert Ryman, Fred Sandback, Richard Serra, Robert Smithson, Diana Thater, Rosemarie Trockel, Cy Twombly, Andy Warhol, Lawrence Weiner, Robert Whitman und La Monte Young zu sehen …
Donald Judd hatte nun seinen Museumskomplex, in dem er fern vom Kunstbetrieb und gemeinsam mit Freunden sein Werk und das Werk befreundeter Künstler exemplarisch präsentieren konnte.
Und Marfa ist kein verschlafenes Nest mehr, sondern wurde durch die Tätigkeit der „Chinati Foundation“ zu einer lebendigen und bekannten Künstlerstadt. Seit 1987 waren z. B. großräumige Installationen von John Chamberlain, Dan Flavin, Richard Long, Claes Oldenburg, David Rabinowitch und John Wesley in Marfa zu sehen; das Artists-in-Residence-Programm der Stiftung bietet Künstlern aus der ganzen Welt die Gelegenheit, ihr Werk in einer großzügigen dimensionierten und anregenden Umgebung weiterzuentwickeln und zu präsentieren.
Donald Judd hat eine Menge Künstlern nach Marfa gelockt, und das war nicht alles, er hat einen toten Ort zum Leben erweckt.
Als Donald Judd Ende der 1980er Jahre die zweite der für ihn so wichtigen Einheiten von Kunst und Architektur als optimale Präsentationsumgebung dieser Kunst geschaffen hatte, nahm er sich das nächste Projekt vor, diesmal in Europa: In Küssnacht am Rigi im Schweizer Kanton Schwyz erwarb er einen 1943 erbauten, ehemaligen Gasthof und ließ ihn nach eigenen Entwürfen umgestalten.
Das Haus Judd Eichholteren wurde 1992/1993 von Schweizer Architekten zu einem großzügigen Objekt mit weitgehend geöffneten Geschossflächen umgestaltet, das die inhärenten Qualitäten des Gebäudes bewahrte und dennoch neutrale Räume schuf, die sich gleichermaßen zum Wohnen, Arbeiten und Ausstellen von Kunst eigneten: www.jollesarch.ch/.
Noch bevor Judd den Schweizer Kunstraum zum Gesamtkunstwerk formen konnte, erkrankte er schwer und starb am 12. Februar 1994 in New York im Alter von 65 Jahren.
Marfa lebte weiter, andere Künstler kamen, um dauerhaft in Marfa zu leben und zu arbeiten, neue Galerien haben eröffnet, die Lannan Foundation hat ein writers-in-residence-Programm aufgelegt, es gibt eine Marfa Theater-Gruppe, das Crowley Fountation Theater stellt Nonprofit-Organisationen einen Saal mit 175 Sitzplätzen unentgeltlich für Veranstaltungen zur Verfügung.
2002 eröffnete die International Woman’s Foundation ihr „Building 98“, das seitdem ein artist-in-residence-Programm anbietet und den George Sugarman Skulpturen-Garten beherbergt.
2005 stellten Elmgreen und Dragset „Prada Marfa“ in die Wüste ein ganzes Stück vor Marfa, ein wenig abgelegen der Kult-Shop, aber mit echten Prada-Handtaschen und Schuhen in der Auslage: www.graymalin.com/. Das Künstlerpaar Elmgreen und Dragset blieb gleich in Marfa und installierte den multifunktionalen Kunstraum „Ballroom Marfa“, in dem Kunstfilme gezeigt, musikalische Performances aufgeführt und Ausstellungen und Kunst-Installationen präsentiert werden.
Sonic Youth gab im Ort ein Gratis-Rockkonzert, Rad-Profi Lance Armstrong mietete sich ein Loft (als er noch geachteter Rad-Profi war), die Coen-Brüder drehten ein paar Szenen des Kultfilms „No Country for Old Men“ in Marfa (James Deans letzter Film „Giganten“ wurde komplett in Marfa gedreht).
Heute hat Marfa einen Flughafen und eine Radiostation, eine Wochenzeitung, das „Marfa Magazine“, eine öffentliche Bücherei und das „Marfa Film Festival“, einen Montessori-Kindergarten, Gourmetrestaurants und Feinkostläden. In der Marfa Elementary School werden Grundschüler unterrichtet, in der Marfa Junior/Senior High School die älteren Schüler, die private Marfa International School vergibt Stipendien nach Bedarf.
In Marfa sind jedes Jahr sechsmal so viel Besucher unterwegs, wie der Ort Einwohner hat, für Kunstbesessene ist die lange Anreise eine Art Pilgerfahrt, der amerikanische Schriftsteller Lewis Hyde kürte Chinati zum „Tadsch Mahal Amerikas“.
Donald Judd ist sehr präsent heutigen Kunstwelt
Donald Judd wird heute mehr ausgestellt als zu Beginn seiner Karriere als Künstler. Bis Juni 2016 läuft die Einzelausstellung „Donald Judd – Muebles y grabados“ in der Galería Elvira González in Madrid, Gruppenausstellungen mit Werken Donald Judd laufen im Frühjahr 2016 an sieben Orten quer durch die Welt:
- „The Natural Order of Things“ im Museo Jumex in Mexico City (bis 08. Mai 2016)
- „The Sonnabend Collection: Meio Século De Arte Europeia E Americana. Part 1“ im Museu Serralves Museu de Arte Contemporânea Porto (bis 08. Mai 2016)
- „Dansaekhwa and Minimalism“ bei Blum & Poe New York City (bis 21. Mai 2016)
- „Drawing Dialogues: Selections from the Sol LeWitt Collection“ im Drawing Center New York City (bis Juni 2016)
- „Objects And Bodies At Rest And In Motion“ im Moderna Museet Stockholm (bis Juni 2016)
- „Donald Judd, Roy Lichtenstein, Kenneth Noland: A Dialogue“ in der Leo Castelli Gallery New York City (bis Ende Juni 2016)
- „Sculpture on the Move 1946–2016“ im Museum für Gegenwartskunst Basel (bis September 2016)
Ungefähr so viele Ausstellungen, wie Donald Judd im gesamten ersten Jahrzehnt seiner Künstler-Tätigkeit bestückte; weitere werden folgen, noch im Jahr 2016 und danach.
Auf der Website der Judd Foundation www.juddfoundation.org können Sie einen Besuch in Marfa buchen oder sich einfach nur umsehen, in Marfa und im Gebäude 101 Spring Street. Und Sie können sich eine Reihe von Online-Ausstellungen ansehen:
- Dan Flavin, Werke im Kontext seiner Freundschaft mit Donald Judd
- Donald Judd und Trisha Brown, u. a. die gemeinsamen Arbeiten „Son of Gone Fishin“ (1981) and „Newark (Niweweorce)“ (1987)
- Casa Perez in Marfa: Open House
- 101 Spring Street, Documents of history and context
- David Novros: „Untitled“ (1970), ein Fresco in 101 Spring Street
- Donald Judd: Woodcuts, 70 Werke von 1960 bis 1993
- From Arroyo Grande to Ayala de Chinati: Land Conservation and Desert Structures
- The Public Life, Dokumente aus den Donald Judd Archiven über Judds breitgefächertes politisches, soziales und umweltkritisches Engagement
- From the Vault: Donald Judds Leben und Werk in ausgewählten, teils bisher unveröffentlichten Dokumenten aus der „Familiengruft“ des Donald Judd Archivs
Auf der Website der Chinati Foundation chinati.org werden viele Stücke aus der Sammlung der Stiftung vorgestellt, von Donald Judd und Dan Flavin, John Chamberlain und Carl Andre, Ingolfur Arnarrson, Roni Horn, Ilya Kabakov, Richard Long, Claes Oldenburg und Coosje van Bruggen, David Rabinowitch und John Wesley.
Außerdem erfahren Sie alles über den Besuch der Chinati Foundation, die Programme für die Öffentlichkeit (Lesungen, Performances, Ausstellungen und Special events), das Robert Irwin Project und das nächste „Chinati Weekend“ im Oktober 2016.
Mit neuen und speziellen Ausstellungen, Gesprächsrunden, Performances, dem jährlichen Wohltätigkeitsdinner und einem ganz besonderen Blick auf Judd’s „100 works in mill aluminum“ im Sonnenuntergang. Der größte Teil des Angebots kann kostenlos besucht werden. Sie können weiter Mitglied der Stiftung werden oder im Store Limited Editions, Prints und Bücher erwerben, für Medien stehen hochauflösende Bilder einer ganzen Reihe von Kunstwerken der permanenten Sammlung bereit.
Die englische Tate Gallery zeigt alle ihre Judd-Werke auch auf ihrer Website, auf Wunsch als komfortable Slideshow: www.tate.org.uk/
Ein paar Donald-Judd-Legenden
Donald Judd hat sich überlegt nach Marfa zurückgezogen. Judd verabscheute die New Yorker Enge, den Lärm und das Klima (das zu seiner Zeit bar jeder Umweltstandards wesentlich unangenehmer war als heute).
Er war seiner Zeit auch in seiner Einschätzung des modernen Kunstbetriebs weit voraus: Während die Bemühungen um Stilisierung eines Mythos der abgehobenen, geschlossen Welt für Kunstkenner und Künstler gerade erst so richtig Fahrt aufnahmen, gab Judd bereits zu erkennen, dass er die Kunstwelt verachtete.
„Nur Showbusiness und faulen Zauber“ sah er, und das verkündete er auch ohne jede Rücksicht in der Öffentlichkeit: „Ich glaube, dass der größte Teil der Kunst von heute es ablehnt, irgendeine Art von absoluter oder genereller Moral anzuerkennen.“ Aber auch: „Ich nehme an, dass eine Art von Moral in dem Bestreben zu sehen ist, seine Arbeit gut zu machen.“
Sein Rückzug nach Marfa war aber nicht nur eine Flucht aus New York, sondern hatte einen weiter reichenden Sinn: Judd wollte einen Ort schaffen, in dem „ein Teil der zeitgenössischen Kunst als Beispiel dafür existiert, wie diese Kunst in ihrem Kontext gemeint war.“ Wie das Platin-Iridium-Meter das Maßband garantiere, müsse irgendwo ein strenger Maßstab der Kunst dieser Zeit in diesem Teil der Welt gesetzt werden.
Dass Judd sich berufen fühlte, diesen Maßstab zu setzen, zeugt von gesundem Vertrauen in die Wertigkeit seiner Arbeit – das von den führenden Kunstwissenschaftlern der Welt in der Folgezeit bestätigt werden sollte.
Judd verlangte den Blick über den Tellerrand von sich, aber auch von den Menschen, mit denen er zusammen arbeitete. So ist die Anekdote überliefert, dass er Türen mit Vorhängeschlössern sicherte und einen nach der Zahlenkombination fragenden Mitarbeiter mit dem Hinweis auf das Datum der Schlacht von Waterloo beschied, das der selbst herausfinden solle und könne.
Die ungläubige Empörung, mit der ein Journalist eines führenden deutschen Nachrichtenmagazins im Jahr 2010 diese Episode erzählt, verrät aufmerksamen Lesern, dass dieser Journalist auch zwei Jahrzehnte nach diesem Vorfall noch nicht im Informationszeitalter angekommen ist …
Donald Judds Werk ist voll von Anregungen für die Zukunft
Donald Judds Lebenswerk liefert nachfolgenden Künstlern eine angenehme Vorlage: Es ist ok, sich auf seine Kunst zu konzentrieren, einfach ruhig sein Ding zu machen und seinen eigenen Kunststil zu entwickeln, ohne seine eigene Person auf den Markt zu werfen.
Ohne aus jedem Kunstwerk zwangsläufig ein vielbeachtetes Event zu machen, ohne sein Gesicht in jede Zeitung und in jeden Fernsehsender zu halten, ohne sich ständig an den Zentren des Geschehens aufzuhalten. Man kann einfach seine Arbeit machen, und wer sich für diese Arbeit interessiert, wird sie schon finden, und wenn es mitten in der Wüste ist.
Donald Judd liefert allen kreativen Menschen wunderbare Vorlagen, zuallererst mit der Idee, die Materialien zu entdecken, die unsere Welt uns bietet und sich gründlich mit einem Material zu beschäftigen, bevor man an seine Verarbeitung geht. Dann auch ganz konkret, mit vielen wunderschönen Inspirationen.
Dem Perfektionisten sagten herkömmliche Möbel in Funktion und/oder Design meist nicht sehr zu, also entwarf er selbst Möbel. Betten und Tische, Regale und Stühle, schlicht und doch vollkommen funktionsgerecht wie Shaker-Möbel.
- So simpel und doch voller Ästhetik kann ein Regal konstruiert werden: artofthemooc.org/
- Oder so simpel und doch ganz außergewöhnlich: www.artnet.com/
- So kann gradlinig kann eine Sitzgruppe aussehen, die „mehr kann“: reverent.org/
- Oder so gradlinig, mit Potenzial für viel Komfort: www.port-magazine.com
- So ein einfach ein Schreibtisch, der mehr Platz bietet: www.die-neue-sammlung.de/
- So lichtdurchflutet kann ein Raum sein: static1.squarespace.com/
- Privatsphäre im Bett geht wohl auch kaum entspannter: the189.com/
In einem Portrait Donald Judds ist zu lesen, dass er schlechte Erfahrungen mit der Präsentation seiner Werke gemacht habe, weil Besucher sich seiner Kunst nicht mit dem nötigen Respekt bzw. Abstand näherten. So soll z. B. in der Staatsgalerie Stuttgart jahrelang eine Judd-Skulptur (ein Quader) in der Nähe des Eingangs gehangen haben, die von den Besuchern mit der Garderobe verwechselt wurde; sie legten Mützen und Jacken darauf ab.
Der Porträtierende kam fast zwei Jahrzehnte nach Donald Judds Tod zu dieser Bewertung. Vor dem Hintergrund Judds zahlreicher Entwürfe „benutzbarer Kunst“ und seiner Aussage: „Wie auch immer die Umgebung aussieht, beeinflusst sie das Kunstwerk auf die eine oder andere Art; es kann unnahbar sein oder auch nicht. Es ist Unnahbarkeit in meiner Kunst, aber sie muss immer auch einen bestimmten Grad an Alltäglichkeit haben.“ darf bezweifelt werden, dass dieser ungezwungene Umgang mit dem präsentierten Kunstwerk für den Künstler eine schlechte Erfahrung war.
Die Beschäftigung mit Donald Judds Werk kann auch ganz brandaktuell vielen Menschen Bestätigung und Erleichterung bringen. Judd hat sich mit Philosophie und Kunstgeschichte der Welt beschäftigt und hat aus dem erworbenen Wissen eine Beschränkung auf das Wesentliche entwickelt. Ein Blick auf die Dinge und die Welt, der gerade ganz groß im Kommen ist. Bei allen Menschen, die keine Lust mehr haben, ihre Wohnumgebung nach den Verkaufsvorgaben von Unternehmen einzurichten.
Bei allen Menschen, die keine Lust mehr haben, ihre Räume mit importierten Möbel-Attrappen vollzustellen, die nach dem ersten Umzug auseinander fliegen. Bei allen Menschen, die ganz generell keine Lust mehr auf Überschwemmung mit kurzlebigen Konsumgütern haben, die unter menschenunwürdigen Umständen produziert wurden.
Minimalismus, mit einer Idee der Besinnung auf den Kern der Dinge, auf sinnvolles Leben und Handeln, liefert viele Antworten auf die Fragen, die das Leben in einer zunehmend komplizierten Welt uns stellt. Donald Judd hat diesen Weg der Konzentration und Selbstbesinnung sehr früh eingeschlagen, in einer Zeit, die heutigen Zeitgenossen nur rückblickend weniger chaotisch erschien als die Gegenwart, in Wahrheit war die Welt immer gleich verrückt, ungerecht und unverständlich, und sie war es in einem immer fast gleichen Ausmaß.
In Wahrheit haben wir heute sogar einen großen Vorteil: Im Gegensatz zu den Menschen in Donald Judds Generation kann sich jeder von uns mit ein paar Klicks über das Leben von Menschen wie Donald Judd informieren und aus dem Erfahrenen seine eigenen Schlüsse für sein Leben ziehen …
Wenn sich genug von den Berlinern, Kölnern, Frankfurtern, Dortmundern, Essenern und Leipzigern mit Sehnsucht nach Landleben über Donald Judds Leben informieren würden, hätten Gosen-Neu Zittau und Schollene, Beggerow und Kusel, Herne, Burgkirchen an der Alz, Sorge, Elend und Freudenburg schon längst neuen und langanhaltenden Grund zur Freude … im durch Donald Judd belebten Marfa steigen die Immobilienpreise fortlaufend, ganz im Gegensatz zum Rest der USA.
Dankenswerterweise hat Donald Judd den normal verdienenden Menschen genug seiner Kunst übermittelt, die (fast) gratis betrachtet werden kann, da die Preise seiner Kunst inzwischen im zweistelligen Millionenbereich liegen …
Kunst von Judd finden Sie in Deutschland im Hamburger Bahnhof Museum für Gegenwart Berlin, in den Kunstsammlungen der Ruhr-Universität Bochum, im Josef Albers Museum Bottrop, im Weserburg-Museum für moderne Kunst Bremen, im Kolumba Köln, im Lehmbruck Museum Duisburg, im K20 Düsseldorf, im Museum Folkwang Essen, im Museum für Moderne Kunst Frankfurt/Main, in der Hamburger Kunsthalle, im Zentrum für Kunst und Medientechnologie Karlsruhe, in der Pinakothek der Moderne München, im Städtischen Museum Abteiberg Mönchengladbach, im Schauwerk Sindelfingen, der Kunsthalle Weishaupt Ulm, dem Neuen Museum Weimar und dem Museum Wiesbaden.
Passionierte Autorin mit regem Kunstinteresse