Zu der Zeit, zu der dieser Artikel geschrieben wird, sind Sommerferien in Deutschland, in Berlin gerade der 15. Tag von 45 herrlichen, entspannten Tagen in einer ziemlich leeren Stadt, die Touristen von anderswo kommen auch erst im Herbst wieder.
Zwei Drittel „kontemplative Sommerruhe“ hat die Autorin also noch vor sich, die den Familien ebenso selbstverständlich die sommerlichen Ferienorte überlässt wie den an feste Arbeitszeiten gebundenen Berufstätigen die Einkaufsquellen zwischen 17 und 20 Uhr.
Während sie den Artikel zu Franz Wests Leben und Werk als Erinnerung an den sommerlich fröhlichen Künstler plant, der unsere Welt leider vor fast genau 2 Jahren verließ, am 25.07.2012 (aktuell dem 17. Tag der Berliner Sommerferien), laufen die ersten Berichte mit Erlebnissen aus dem Urlaub ein, auch über Urlaubserlebnisse aus dem Bereich der Kunst.
So wird aus dem beliebten Urlaubsort Sankt Georgen im Schwarzwald nicht nur berichtet, dass die Ferienwohnung echt kuschlig dörflich und die Luft herrlich sei (die Mutter), der hauseigene Grill prima funktionieren würde (der Vater) und vor dem Haus ein eigener Teich liege (die Tochter), in den Leopold (der Hund) schon hineingefallen sei, sondern auch, dass ganz St. Georgen voll von Kunst sei, von Isa Genzken und Martin Kippenberger, Reinhard Mucha und Albert Oehlen, Tobias Rehberger und Heimo Zobernig (wieder die Mutter, mit Interesse für Kunst der Gegenwart).
Des Rätsels Lösung, was all diese Weltkünstler im etwas über 12.000 Einwohner beherbergenden St. Georgen machen, ist die Sammlung Grässlin, eine bedeutende Privatsammlung von Werken der Zeitgenössischen Kunst.
Neben Werken der gerade genannten Künstler enthält die Sammlung Kunstwerke von Tim Berresheim und Werner Büttner, Fischli & Weiss und Günther Förg, Asta Gröting und Georg Herold, Mike Kelley und Hubert Kiecol, Michael Krebber und Meuser, Markus Oehlen und Christopher Williams, Kai Althoff und Cosima von Bonin, Clegg & Guttmann und Mark Dion, Christian Philipp Müller und Andreas Slominski, Ina Weber und Joseph Zehrer, Michael Beutler und Stefan Müller und rund einem Dutzend weiterer Künstler, eine herausragende Sammlung der modernen Kunst unserer Zeit, die im Jahr 2010 mit dem ART COLOGNE Preis ausgezeichnet wurde.
Herausragend ist auch die Art und Weise, wie die Kunst in der Sammlung Grässlin präsentiert wird:
Zunächst gibt es seit 2006 den vom Kölner Architekten Lukas Baumewerd entworfenen „Kunstraum Grässlin“, einen so gar nicht unter Kuckucksuhr-Kultur leidenden, minimalistischen Betonbau mit integriertem „Restaurant Kippys“, dessen Name natürlich auf den eng mit der Familie Grässlin befreundeten Martin Kippenberger verweist und in dem die in der Spitzengastronomie Süddeutschlands ausgebildete Sabine Grässlin phantasivolle, mediterran angehauchte Bistro-Küche serviert.
Bereits seit 1995 macht sich die Sammlung aber auch regelmäßig daran, ihr Umfeld und die in sechsstelligen Zahlen erscheinenden Touristen zu erobern: Im Rahmen des Projekts „Räume für Kunst“ werden Kunstwerke der Sammlung temporär über ganz St. Georgen verstreut, leerstehende Ladenlokale ehemaliger Einzelhandelsgeschäfte werden dabei als Ausstellungsort genutzt, im Jahr 2014 gibt es über 20 externe „Räume für Kunst“, die im Zuge eines Spaziergangs durch die Stadt betrachtet werden können.
Franz West ist auch dabei, seine Kunst ist sogar eine Art „Meilenstein“ in der Sammlung Grässlin – drei seiner „Sitzwuste“ waren zur Jahrtausendwende die Kunstwerke, mit denen die zweite Generation der Grässlins dokumentierte, dass sie ihren Fokus für die Fortführung der Sammlung gefunden hatten.
Außerdem passt die Situation, in der die leuchtfarbenen Sitzwuste dem Betrachter begegnen, so gut zu Franz Wests Einstellung zu Kunst, dass dieser Appetit anregende Ausblick auf die Sammlung Grässlin zur Einleitung des Artikels über ihn wurde: Die Sitzwuste liegen einfach im Garten der Familienvilla, und Teilnehmer an einer Führung werden von Mitgliedern der Familie Grässlin durchaus einmal eingeladen, auf den bunten Aluminiumwürsten im Gras Platz zu nehmen – mehr „Kunst im Alltag“ geht nicht, das hätte Franz West sicher gefallen, über dessen Leben und Werk Sie nun mehr erfahren sollen:
Franz West gehört zu den bedeutendsten zeitgenössischen bildenden Künstlern Österreichs, der uns noch viel mehr geschenkt hat als die Aluminium-Sitzwülste im Garten der Familie Grässlin.
Er wurde am 16. Februar 1947 in Wien geboren, in einer Umgebung, die auf den ersten Blick nicht unbedingt erahnen ließ, dass er zu den bedeutendsten Künstlern seiner Zeit und der Welt aufsteigen sollte.
Der Vater war Kohlenhändler, oft wird „kleiner Kohlenhändler“ geschrieben, die Wohnung in einem Bezirk ganz am Rande Wiens, in einem Gemeindebau, also sozialem Wohnungsbau …
Auf den zweiten Blick lässt sich weltoffene Bildung und eine gründliche „künstlerische Früherziehung“ im Elternhaus erahnen: Der Kohlenhändler war nach den über ihn verfügbaren Berichten offensichtlich gebildet und politisch interessiert, er wohnte mit seiner Frau, einer Zahnärztin, in einem Aufsehen erregenden Bauprojekt der Wiener Stadtverwaltung: Dem Karl-Marx-Hof, der rund 1.100 m lang und damit heute noch der längste zusammenhängende Wohnbau der Welt ist, und bei dem Bezirk ganz am Rande Wiens handelt es sich um den 19. Wiener Gemeindebezirk Döbling, einem Nobelbezirk im Nordwesten am Rande des Wienerwalds, in dem es weniger Sozialwohnungen als Villen gab und gibt.
Die Eltern Franz Wests teilten die kommunistischen Ideen des Namensgebers ihres Wohnkomplexes, der Kohlenhändler war bekannt dafür, jedem revolutionären Intellektuellen mit einem Gelegenheitsjob auszuhelfen, die Mutter arbeitete als Zahnärztin im Gemeindebau und stand in dem Ruf, der ewig blanken Wiener Kunst-Szene günstig die Zähne zu richten, was diese gerne in Anspruch nahmen.
Der 17 Jahre ältere Halbbruder, Otto Kobalek, war ein bekannter „Arbeiterdichter“, der sich im Kreis des Kabarettisten Helmut Qualtinger bewegte, Franz West wurde durch Eltern und Bruder also bereits als Jugendlicher in die Wiener Kunstszene eingeführt.
Franz West zeigte früh seine künstlerische Begabung
Es ist überliefert, dass Franz West als Teenager die Mutter ständig in die innerste Stadt begleitete, wo sich die Kunstszene sich in einigen Lokalen rund um die Bäckerstraße traf, und bereits der junge Franz zog in den Künstlerlokalen von Tisch zu Tisch, um seine eigenen Zeichnungen anzubieten, er bestellte selbst in den Lokalen und musste ja irgendwie seine Rechnung bezahlen.
Franz West war also recht gründlich „künstlerisch vorbelastet“, wenn es zum Bezahlen von Verzehrrechnungen reicht, war offensichtlich auch Talent da (die Werke, die West damals in den Lokalen an den Mann brachte, kosten heute mindestens 20.000 €), er hatte auch schon im Karl-Marx-Hof sein erstes Atelier, und er lernt die Kunst der damaligen Wiener Avantgarde als Teenager hautnah kennen, bis hin zu den brutalen Tieraktionen, die Hermann Nitsch damals in Wiener Kellerlokalen veranstaltete und die West im nachhinein als traumatische Erlebnisse bezeichnet.
Franz Wests späte Ausbildung zum Künstler
Franz West war also eigentlich längst Künstler, als er mit 30 Jahren begann, an der Wiener Akademie der bildenden Künste bei Bruno Gironcoli Bildhauerei zu studieren. Er hat sich diesen Lehrer wahrscheinlich mit Bedacht gewählt, Gironcoli hatte in Paris die Werke Alberto Giacomettis studiert und war gerade erst zum Leiter der Bildhauerschule an die Wiener Akademie der bildenden Künste berufen worden, als West bei ihm zu lernen begann.
Der Weg zum eigenen Stil
Das Studium bei Gironcoli prägte schnell Franz Wests ersten eigenen Ausdruck, ab Mitte der 1970er Jahre beginnt er mit der Anfertigung seiner „Passstücke“, an Knochen erinnernde Objekte aus Gips und Pappmaché, die Ausstellungsbesucher aktiv in die Hand nehmen und an ihren Körper anpassen sollen, etwa in den Nacken legen oder in eine Achselhöhle einfügen, damit der Betrachter zum Teil der Skulptur wird. Diese verbildlicht nach Franz West eine Neurose, und diese Neurose soll der Betrachter so selbst fühlen.
Weggefährten, Einflüsse, Vorbilder
Während seiner Zeit an der Akademie der bildenden Künste kam Franz West mit den Ausdrucksformen der zeitgenössischen Kunst und den diese Kunst ausführenden Künstlern in Kontakt, die zu jener Zeit in Wien das Geschehen dominierten:
Die Wiener Gruppe um Gerhard Rühm und Oswald Wiener beschäftigte sich mit dem Barock, mit Dada und mit Surrealismus, las Wittgenstein und Hegel und entwickelte einen durchweg kritischen Skeptizismus gegenüber der zeitgenössischen Kultur; die Wiener Aktionisten um Günter Brus, Otto Mühl, Hermann Nitsch und Rudolf Schwarzkogler versuchten ebenso intensiv wie in spektakulären Aktionen, Individuum und Gesellschaft kathartisch gereinigt wieder entstehen zu lassen, was sich in merkwürdigen orgiastischen Praktiken und Ritualen ausdrückte.
West sah sich das Wirken der damaligen „Idole über 50, der alten, bladen, glatzerten Männer“ in Ruhe an und machte sein eigenes Ding daraus, zuerst mit der subtilen Ironie, die sich in den Passstücken ausdrückt, und die gut ankam, diese „Neurosen zum Anziehen“ sollten zum ersten „Kern der Marke West“ werden.
Er hat sich auch mit Wittgenstein beschäftigt und auch Kunst aus dieser Beschäftigung gemacht („Wittgensteinzitat“, 1986), wurde aber dazu nicht von den „glatzerten Männern“ seiner Heimatstadt inspiriert, sondern von den Künstlern, die ihn viel mehr interessierten, im Falle Wittgensteins durch Cy Twomblys „graue Bilder“, dann galt sein Interesse dem frühen Werk Robert Rauschenbergs und Claes Oldenburg.
Der künstlerische Durchbruch
Mit dem durch die Passstücke gebotenen Spektakel hatte West – ganz im damaligen Zeitgeist – das Herz der Wiener gewonnen, für seine Karriere gab es von nun an kaum mehr einen Halt. Franz West baute in der Folgezeit einen durchweg professionellen Atelierbetrieb auf, und er begann mit der Produktion wirklich großer Formate, mit denen ein zeitgenössischer Künstler damals und heute beweist, dass er wirklich Erfolg hat.
Franz West begann nun, Skulpturen für den öffentlichen Raum zu entwerfen, eine Art liegender Exkremente oder phallische Symbole, die vom gerade in der deutschen akademischen Kunstwelt zur Koryphäe aufsteigenden Kunstprofessor und Kurator Kasper König zu Beginn der 1980er Jahre als „Erneuerung der Skulptur“ gefeiert wurden. Das war der Durchbruch für Franz West, ausländische Sammler zeigten langsam Interesse, noch in den 1980er Jahren folgten die ersten Einzelausstellungen.
Welche Art von Kunst machte Franz West?
Franz West wird gewöhnlich als Bildhauer bezeichnet, weil er sich vor allem durch dreidimensionale Gestaltung einen Namen gemacht hat. Seine Skulpturen, Environments und Installationen sind jedoch nicht die einzige Form seines Ausdrucks, er hat mit Grafiken, Zeichnungen, Collagen angefangen und diese auch später immer wieder angefertigt, und auch Plakate, Druckwerke und Performances finden sich in seinem Schaffen.
Angeregt durch den Wiener Aktionismus, fand Franz West als Künstler großen Anklang für seine interaktiven Kunstwerke, welche Skulpturen und Installationen umfassten.
In seinen frühesten Werken experimentierte er mit ungewöhnlichen Materialien und kombinierte sie mit alltäglichen Gegenständen, um beispielsweise eine in Gaze eingewickelte Colaflasche oder große Aluminiumskulpturen zu kreieren, die wie Würstchen geformt sind.
Eines seiner beeindruckendsten Kunstwerke ist zweifellos die Adaptives-Serie, welche aus Gipsobjekten besteht, die so gestaltet sind, dass sie über dem Gesicht oder um die Taille getragen werden können. Obwohl diese Objekte an Theaterrequisiten und Masken erinnern, sind sie aufgrund ihrer Mehrdeutigkeit äußerst faszinierend.
West erlangte auch Anerkennung für seine Collagen, welche aus übermalteten Gegenständen wie Werbungen und Zeitungsartikeln bestanden. Zusätzlich beeindruckte er durch seine Verwendung von ungewöhnlichen Materialien wie Pappmaché und Schaumstoff, um Skulpturen zu erschaffen, welche den Einfluss des Expressionismus trugen.
Für Franz West war Kunst kein einfaches Abbild oder eine bloße Inszenierung, sondern er betrachtete sie als eine besondere Form der Kommunikation. Mit seinen Werken wollte der Künstler das Publikum ansprechen und einen interaktiven Dialog entfachen, um Bewegung in Gang zu setzen.
Mit der Ausstellung „Autotheater“ ging Franz West sogar noch einen Schritt weiter und forderte die Besucher auf, sich nackt auszuziehen und seinen Skulpturen Gesellschaft zu leisten.
Ein besonderes Faible hatte der Künstler für ein bestimmtes Rosa, das man von Zahnprothesengummis kennt. Möglicherweise hat er diese Vorliebe von seiner Mutter geerbt, die als Zahnärztin arbeitete.
Für welchen Kunststil stand Franz West?
Für einen selbstbestimmten, gut gelaunten, ironischen, nicht vom Urteil eines Kritikers abhängigen Stil, könnte man wohl am Treffendsten beschreiben.
West hat intellektuellen Extremismus ebenso wie unerträgliches Spreizen der avantgardistischen Kulturkreise erlebt, und das allgegenwärtige Spießbürgertum sowieso, er hat sich innerhalb all dieser mit seiner positiven Intelligenz und einer gesunden Skepsis eine ganz eigene, sehr souveräne Einzigartigkeit erarbeitet.
Dabei hat er es verstanden, sowohl die Grenzen seines Jahrzehnts zu übertreten als auch seine Umgebung bei diesen Übertretungen mit einzubeziehen und mitzunehmen, und er hat es bei diesem recht gewaltigen Unternehmen immer so aussehen lassen, als wenn er einfach nur unbeirrt und dabei ziemlich gut gelaunt genau die Kunst mache, die ihm gerade einfallen sei.
Berühmte Kunstwerke von Franz West
Berühmte Kunstwerke von Franz West gibt es einige, und sie können Ihnen an vielen Orten im öffentlichen Raum begegnen, z. B. auf der Stubenbrücke in Wien (dort sind vier „Lemurenköpfe“ aus Aluminium und weißer Lackfarbe zu bewundern), im Garten des Museums Abteiberg in Mönchengladbach können Sie auf eine „Flause“ aus Aluminium stoßen, und in Soest in Nordrhein-Westfalen ist (endlich!) die „Kvadratur des Kreises“ zu besichtigen.
Ab 1987 beginnt Franz West, Möbel zu entwerfen, Sessel und andere Sitzgelegenheiten aller Art, aus recyceltem Metall, verfremdet und wie immer ironisiert. Diese und andere Möbel von Franz West werden noch weit herumkommen, einige schaffen es bis nach New York, wo sie vor dem Central Park stehen und die Leute zum Platz nehmen auffordern (2009, „Ich und dem Es“, eine sechs Meter lange rosafarbene Schlinge aus einem Aluminiumschlauch).
1992 fertigte Franz West für die documenta IX erst einmal „Diwane“ an, eine Serie von Dreiersofas, und eine Art Mittelding zwischen Freudscher Couch und der auf orientalische Gelassenheit im Wohnzimmer abzielenden Ottomane, die sind auch bis heute berühmt, ebenso wie die Lemurenköpfe (an einen Fetisch erinnernde, aufs Minimale reduzierte Kopfformen mit weit aufgerissenen Mäulern), die bei dieser documenta einem größeren Publikum vorgestellt wurden.
Bis zur nächsten documenta-Teilnahme 1997 war eine Einzelaustellung nach der anderen, es entstand auch ein Werk nach dem anderen, das heute noch einen Namen hat.
Eine ganz andere Berühmtheit erreichte Franz West 2007, als er ein Projekt während der Biennale von Venedig organisierte: „The Hamster Wheel“, das Hamster-Rad, auf der anderen Uferseite gegenüber dem Arsenale, wo Franz Wests an der Biennale teilnehmendes Kunstwerk ausgestellt wurde.
Das „Hamster-Rad“ war nicht Teil der Biennale, sondern West hatte das Gebäude gegenüber selbst gemietet und befreundete Künstler eingeladen, an diesem nicht von einem Kurator zu begutachtenden Künstler-Projekt teilzunehmen.
In der Saison 2009/2010 sorgte in der Wiener Staatsoper das Großbild „Drei – Vom Vorgang ins Temperament“ für Aufsehen, das Franz West im Rahmen der Ausstellungsreihe „Eiserner Vorhang“ (konzipiert vom museum in progress) erstellt hatte.
Von 2000 bis 2011 dauerte die Entstehung von „Extroversion“, einer Installation aus 43 Arbeiten, von Franz West und Kollegen und seinen Assistenten, die 2011 auf der 54. Biennale di Venezia vorgestellt wurde.
Herausragend im Lebenswerk von Franz West
Vielleicht ist genau das das eigentlich Herausragende im Lebenswerk von Franz West, dass er gezeigt hat, dass man auch als zeitgenössischer Künstler der heutigen Zeit einfach Kunst machen kann, ohne sich all zu viel zu verbiegen, und dass man dabei ein angenehmer, an seinem Umfeld interessierter Mensch bleiben kann.
Von Franz West ist überliefert, dass er schon genau in diesem Sinne angefangen hat: Bei der für ihren Aufruhr berühmten Veranstaltung „Kunst und Revolution“ an der Universität Wien im „Revolutionsjahr 1968“ war Franz West schon dabei und sah zu, wie die Künstler und Literaten sich abmühten alle möglichen Tabus zu brechen, mit öffentlichem Onanieren und „Häufchen machen“ auf der Bühne, mit Politiker-Beschimpfungen und Urinieren während des Singens der Nationalhymne.
Franz West war damals schon so cool wie später, er wendete sich mit folgenden Worten ans aufgebrachte bis ratlose Publikum: „Ich glaube, die Herren haben sich einen Applaus verdient.“, was die Stimmung sofort auflockerte, aber auch die gesamte pathetische Abgehobenheit des Avantgardisten-Spektakels auf ein einfaches Heischen nach Aufmerksamkeit reduzierte.
West befreite sich später mit gleicher Konsequenz und Abgeklärtheit vom Urteil künstlerischer Institutionen, indem er das Kuratieren schlichtweg zum Teil seiner künstlerischen Methode erklärte.
Herausragend ist aber sicher auch seine Vielfältigkeit, die auf eine ungeheure Kreativität schließen lässt. Es war diese Vielfältigkeit, die ihn zu „Österreichs wichtigstem Kunstexport“ machte, und Franz West ist wahrscheinlich auch Österreichs teuerster Kunstexport, seine ruhige Art hat nämlich auch finanziell ganz ruhig für immer mehr Erfolg gesorgt.
Die Galeristen kamen mehr zu ihm als er zu ihnen, zum Schluss wurde er genau deshalb vom wohl momentan wichtigsten Galeristen der Welt vertreten, Larry Gagosian in New York.
Wichtige Ausstellungen und Auszeichnungen von Franz West – ein Überblick
Franz West nahm 1986 an der Internationalen Skulpturen-Ausstellung im Sonsbeek-Park im niederländischen Arnheim teil, 1992 an der documenta 9, 1993 gestaltete er den österreichischen Beitrag für die Biennale Venedig, 1996 war er im Museum moderner Kunst der Stiftung Ludwig in Wien zu sehen, 1997 in der Fundaçao de Serralves in Porto, im Museum of Modern Art in New York und auf der documenta 10.
So ging es weiter durch die Welt, 1998 ans Middelheim Open Air Sculpture Museum in Antwerpen, 2000 an die Renaissance Society in Chicago und ans Zentrum für Kunst und Medientechnologie in Karlsruhe, 2001 zum MAK in Wien und 2002 in die Deichtorhallen in Hamburg, 2003 ins Kunsthaus Bregenz und die Whitechapel Art Gallery in London, 2004 in die Galeria Juana de Aizpuru in Madrid und 2005 in die Gagosian Gallery in Beverly Hills, Californien.
2006 wurde er von der Galerie Gisela Capitain in Köln ausgestellt und 2007 von der Mario Sequeira Gallery in Braga, Portugal, 2008 wieder im MAK in Wien, in der Galerie Eva Presenhuber in Zürich und im Baltimore Museum of Art, 2009 im Los Angeles County Museum of Art und in der Fondation Beyeler in Basel, 2010 im Museum Ludwig in Köln, im Museo d’Arte Contemporanea Donna Regina in Neapel und im Kunsthaus Graz, an der „SkulpturProjekte“ in Münster nahm er mehrfach teil.
Die letzten Ausstellungen waren 2011/12 in London, am Institute of Contemporary Arts, 2013 im Museum Moderner Kunst (MUMOK) in Wien und danach im Museum für Moderne Kunst (MMK) in Frankfurt am Main und im Inverleith House im Royal Botanic Garden in Edinburgh, schon an dieser Auswahl kann man sehen, dass die ganze Welt der zeitgenössischen Kunst irgendwann von Franz West besucht wurde.
Auszeichnungen für Franz West
Auszeichnungen gab es auch nicht wenige, 1986 den Otto Mauer-Preis für bildende Kunst der Erzdiözese Wien, 1988 den Preis der Stadt Wien für Bildende Kunst, 1993 den Skulpturenpreis der Generali Foundation (Museum für zeitgenössische Kunst in Wien) und 1998 den Wolfgang-Hahn-Preis des Museums Ludwig in Köln. 2011 erhielt West auf der Biennale von Venedig den Ehrenlöwen für sein Lebenswerk und im gleichen Jahr das Österreichische Ehrenzeichen für Wissenschaft und Kunst.
Der Lifestyle des Künstlers
Unspektakulär, erfrischend normal, neugierig, an junger Mode in leuchtenden Tönen und an neuer Musik wie Techno interessiert, mit einer fortschrittliche Wiener kennzeichnenden Abneigung gegen Biedermeier-Idyllen ausgestattet …
Franz West wird als angenehmer, unaufgeregter Mensch beschrieben, der dennoch in seiner Eigenwilligkeit immer wieder für Trubel sorgte, wie 1995, als bei einer Technoparty in Wests Atelier wegen der Lautstärke der Musik die Polizei erschien und vom Anwalt des deutschen Sammlers Friedrich Flick in ihre Schranken verwiesen wurde.
West ist bekannt dafür, Kollegen zu gemeinsamen Projekten einzuladen, bei denen er den allgemeinen Bezug und Kontext über die Aussagekraft des Einzelwerks setzt, und er ist bekannt dafür, dass die SMS schon um die Jahrtausendwende seine bevorzugte Kommunikationsform wurde.
Skandale um Franz West
Im Gegensatz zu anderen avantgardistischen Künstlern gab es um Franz West nie Skandale, immer nur Skandälchen, in den Massenmedien fand er ohnehin nicht statt, weil er sie mied, er war kein Wiener Volkskünstler, den „man“ kennt.
Wenn er als Provokateur auftrat, dann eher entspannt und nebenbei und eher mit witzigen Sprach-Assoziationen als mit genitalversessenen Schauspielen wie die Wiener Aktionisten. Seine Kunst ist häufig hintergründig und spaßig ironisch, wie die „Gerngrosssäule“ aus übereinandergestapelten Mülleimern in der Wiener Rahlgasse zu Ehren des österreichischen Architekten Heidulf Gerngross.
Zu deren Aufstellung Franz West 2004 bemerkte:
Ich verbrachte einen Tag, der zur Odyssee wurde, mit dem Architekt Gerngross, der gerne grosse Ausstellungen in der Nähe des Naschmarkts organisiert. Die herkulische Leistung (Odysseus segelte zumindest in der Göttlichen Komödie bis zu den Säulen des Herkules), diese Ausstellung in Eile zu verwirklichen, hat dem Ulysses Gerngross diese Säule, die gerne im öffentlichen Raum stünde, eingebrockt.“
Das Privatleben des Künstlers
Wie gesagt: Unspektakulär, erfrischend normal, neugierig, für nahe Beobachter gilt Franz West als einer der originellsten Künstler der Nachkriegszeit, als außergewöhnlicher Denker und liebenswürdiger Mensch.
Er ist für seine vielen Freundschaften mit anderen Künstlern und seine einzigartige Offenheit und Neugier auf die Sichtweisen dieser Künstler bekannt, die gesamte Praxis in seinem Atelier, seine Ausstellungsbeteiligungen und gemeinsam mit anderen Künstler durchgeführten Projekte waren durch ständige Dialoge gekennzeichnet.
Diese Dialoge führte Franz West beileibe nicht nur mit anderen Künstlern, sondern mit Musikern und Schriftstellern, Designern und Philosophen, Tänzern und allen vorstellbaren anderen Kreativen. Immer wieder wird sein Lachen erwähnt, seine Bescheidenheit und seine Genügsamkeit – die allerdings einem Menschen, der für „seine Maseratis einen Chauffeur brauchte, weil er selbst keinen Führerschein besaß“ auch recht leicht fallen wird.
Einer dieser Maseratis (es gab „nur“ zwei) bekam echten Franz-West-Humor zu spüren, als der Künstler ihn 2001 bei einer Ausstellungseröffnung mit seiner Lieblingsfarbe Rosa überschüttete … ab und zu reagierte der Renaissancemensch West“ eben mit demonstrativer Wertvernichtung, was die besondere Aura des Eigenbrötlers wahrscheinlich „noch ein wenig besonderer“ machte, ansonsten wird er aber als „ganz normal“ beschrieben.
Franz West starb am 25.07.2012, auch „ganz normal“ im Allgemeinen Krankenhaus der Stadt Wien. Er hinterlässt seine Frau Tamuna Sirbiladze, eine georgische Künstlerin, und zwei kleine Kinder. Sein Leichnam wurde auf dem Zentralfriedhof der Stadt Wien in einem Ehrengrab beigesetzt.
Was kostet ein Kunstwerk von Franz West?
Hier hört das „ganz normal“ auf – Franz Wests Werke kosteten zu seinen Lebzeiten bis zu einer halben Million Euro, und weil er seit 2012 nichts mehr nachlegen kann, werden sie in der Zukunft sicher noch einmal zulegen.
Auf der Bestseller-Liste der Kunst steht er momentan auf Platz 34, mit verharrender Tendenz, von der Fachleute aus Kunstkreisen voraussehen, dass sie sich rund fünf Jahre nach seinem Tod deutlich nach oben bewegen wird.
Wo gibt es Kunstwerke von Franz West zu kaufen?
Die Kunstwerke von Franz West finden sich heute in den renommiertesten internationalen Museen, Sammlungen, Galerien und öffentlichen Räumen. Es gibt neben den öffentlich zugänglichen Kunstwerken aber auch Werke des österreichischen Jahrhundertkünstlers, die für private Sammler und Kunstliebhaber zum Verkauf stehen.
Hier finden Sie die renommiertesten Anlaufstellen zum Kauf von Skulpturen, Gemälden und Objektkunst aus seinem Oeuvre:
- artnet – Auktionen und Kauf auf Anfrage
- Auktionshaus Lempertz – Auktionsangebote und Referenzobjekte
- Composition.Gallery – Original signierte Kunstwerke & Drucke in limitierter Auflage
im Kinsky Auktionshaus in Wien – Kunstauktionen
Nachwirken in die heutige Welt
Franz West hat sein Wissen schon lange weitergegeben, von 1992 bis 1994 z. B. als Professor an der Staatliche Hochschule für Bildende Künste (Städelschule) in Frankfurt am Main.
Er hat auch schon lange viele Vorträge gehalten, wie z. B. 1999 an der Columbia University in New York, und war überhaupt dafür bekannt, mit jüngeren Künstler in gleichem Maße Freundschaften zu pflegen wie mit seinen Altersgenossen (und großen Einfluss auf die Jüngeren gehabt zu haben).
Literatur-Tipps zum Künstler und seiner Zeit
Der beste Literatur-Tipp zu einem Künstler sind sicher Bücher, die von diesem Künstler stammen:
Franz West, „In & Out“, Hrsg. Museum für Neue Kunst, ZKM Karlsruhe, Götz Adriani, Texte von Ralph Melcher, Johannes Schlebrügge, Harald Szeemann, Franz West, Alicia Chillida, von 2000, 240 Seiten, 113 Abb., davon 106 farbig, ISBN 978-3-7757-9068-0.
Franz West, „Franz West schrieb. Texte von 1977 – 2010“, Herausgegeben von Hans Ulrich Obrist und Ines Turian im Verlag Walther König, 27. Oktober 2011, ISBN-10: 3865609066, ISBN-13: 978-3865609069. In diesen Buch werden erstmals West sogenannte „Schriebe“ zugänglich gemacht: Texte, Notizen, Anmerkungen und Aphorismen, die zu seinen Arbeitsinstrumenten gehören, aus seinem Werk nicht wegzudenken sind.
Im gleichen Verlag 2005 erschienen: „Franz West. Gesammelte Gespräche und Interviews“, herausgegeben von Johannes Schlebrügge und Ines Turian, ISBN-10: 3883756075, ISBN-13: 978-3883756073.
Ebenfalls interessant:
Franz West: „Autotheater: Köln – Neapel – Graz“ von Kaspar König, erschienen im DuMont Literatur und Kunst Verlag, 1. Auflage vom 11. Dezember 2009, ISBN-10: 3832192808, ISBN-13: 978-3832192808.
DuMont hat bei Erstellung dieses Bandes mit drei Museen und dem Archiv Franz West zusammengearbeitet, entstanden ist ein umfassender Blick auf das Gesamtwerk, der über 100 Schlüsselwerke Franz Wests im Einzelnen analysiert.
In 16 Kapiteln schreiben Persönlichkeiten aus Kunst und Wissenschaft über Franz Wests Installationen, Skulpturen, Passstücke, Möbel, Grafiken und Plakatentwürfe. Mit dabei sind Beiträge von Franz West selbst, Eva Badura-Triska, Katia Baudin, Achille Bonito Oliva, Mario Codognato, Robert Fleck, Georg Gröller, Franz Kaltenbeck, Kasper König, Herbert Lachmayer, Veit Loers, Valentin Mertes, Michaela Obermair, Peter Pakesch, Roberta Bertelli, Anthony Spira, Rudolf Stingel, Andrea Überbacher und anderen.
Franz West zum Ansehen
Wenn Sie den Namen in die Bildersuche einer Suchmaschine tippen, gibt es unendlich „Franz West zum Ansehen“, etwas detaillierte Informationen bietet die Website seines Galeristen unter
www.gagosian.com/artists/franz-west.
Franz West live ist vom 13. Juni bis 14. September 2014 in der Hepworth Galerie im englischen Wakefield in West Yorkshire zu sehen: The Hepworth Wakefield, Gallery Walk, Wakefield, West Yorkshire, www.hepworthwakefield.org.
Passionierte Autorin mit regem Kunstinteresse