Georges Adéagbo wurde 1942 in der Küstenstadt Ouidah in Dahomé geboren. Ouidah liegt in der Nähe von Cotonou, und Dahomé (Dahomey) heißt seit 1975 Republik Benin.
Georges Adéagbo ist ein Künstler von Weltrang, und Installationskünstler von Weltrang aus dem Benin gibt es nicht unbedingt wie Sand an Meer. Adéagbo war nach seiner Entdeckung kurz davor, sich in der illustren Gruppe der 1000 berühmtesten Künstler der Welt einzureihen.
Das war um die Jahrtausendwende, die Vernetzung der Welt hatte sich in den Jahren davor gerade konkretisiert. Es gab und gibt viele Branchen, die davon unmittelbar und entscheidend betroffen waren; einige Branchen haben dies auch gemerkt und gehandelt.
So zum Beispiel die professionelle Kunstwelt, die blitzschnell so gut vernetzt war, dass sie zu neuen Ufern aufbrach. Die neuen Ufer lagen z. B. an der Küste des afrikanischen Kontinents, und mit dem „europäischen Herz für afrikanische Kunst“ wurde damals auch Georges Adéagbo entdeckt.
Heute ist afrikanische Kunst nichts Neues mehr, und Georges Adéagbo liegt mit Platz 3115 der Kunst-Weltrangliste nicht mehr im unmittelbaren Fokus der internationalen Trendjäger im Bereich der modernen Kunst.
Aber im Fokus der deutschen Kunstinteressenten, seit der Jahrtausendwende lebt und arbeitet Georges Adéagbo abwechselnd in Hamburg und Cotonou; aktuell ist Kunst von Adéagbo auf der Jubiläums-Ausstellung des Museums Ludwig „Wir nennen es Ludwig. Das Museum wird 40!“ zu sehen (mehr zu dieser Ausstellung wird im Artikel „Kunststätten – Jubiläums-Ausstellung 2016: Museum Ludwig zeigt Museum Ludwig“ berichtet).
Kunst von Georges Adéagbo
Einen sehr gründlichen Blick auf die Kunst von Georges Adéagbo gibt das Kunstwerk, das er 2002 auf der documenta 11 vorstellte:
„L’explorateur et les explorateurs devant l’histoire de l’exploration…! Le théatre du monde“, Installation, 2002, heute Museum Ludwig Köln.
Eine Installation, die schon beim Übersetzen des Titels zweifelhaften Spaß bringt. Das Welttheater lässt wenig Interpretationsspielraum, explorateur und exploration schon ein wenig mehr, bis hin zu Varianten, die beim typischen Europäer ungut aufstoßen: „Der Erforscher und die Erforscher im Angesicht der Geschichte der Erforschung…!“, „Der Entdecker und die Entdecker vor der Geschichte der Entdeckungen..!“, aber auch „Der Forscher und die Eroberer in der europäischen Kolonialgeschichte“.
Eroberer und nicht Entdecker, weil die vielgerühmten europäischen „Entdecker“, die sich zwischen 1400 und 1700 „die Welt untertan machten“, aus Sicht der „Entdeckten“ ohne eine Spur von Interesse für die fremde Kultur rüde über fremde Länder herfielen und fern jeglicher moralischen Beschränkung alles an sich rissen, was sie gebrauchen konnten.
An dieser inzwischen jedem (auch dem europäischen) denkenden Individuum bekannten Tatsache scheiterte dann auch 1992 der gut gemeinte Versuch, zum 500. Jubiläum von Kolumbus Amerikafahrt 1492 den Begriff »Entdeckung« durch »Kulturbegegnung« zu ersetzen … die Ureinwohner Amerikas hatten ihren Kontinent etwa 30.000 Jahre früher entdeckt, als sie zu Fuß aus Asien einwandert, und der seitdem entstandenen Kultur waren die Europäer „begegnet“, indem Sie sie plattmachten (mitsamt der Menschen, die diese Kultur entwickelt hatten).
Adéagbos Documenta-Installation kann als umfassender sarkastischer Kommentar zu der Tatsache gedeutet werden, dass die großen welterfahrenen europäischen Entdecker zwar mit ihren Schiffen die Welt erfahren hatten, sich aber vor Ort eher wie ignorante Kriminelle verhielten.
Die Installation „Welttheater“ wurde von Georges Adéagbo für seinen Auftritt auf der Documenta 11 extra angefertigt, der Künstler hat sich nicht lumpen lassen. Einige hundert Objekte umfasst das Werk, hier eine Liste der als Teil des Werks identifizierten Objekte:
- Trommel, mannshoch, mit zerrissener Membrane
- Taschenbuch über (einem Foto von) Joseph Beuys
- Kinderschlüpfer, rosa
- Kantholz, verwittert und von Insekten benagt
- Buch „Steppentage-Dschungelnächte“ mit Foto eines Afrikaners im Lendenschurz auf dem glänzenden Umschlag (schlägt auf eine Trommel, ähnlich wie die, auf der das Buch steht)
- Lucky-Strike-Zigarettenschachtel, zerknüllt
- Abbildungen aus der Kolonialgeschichte
- Fischerboot, alt, gefüllt mit vielen Büchern
- Abbildungen von Wappen
- Archäologischer Bildband über Tutanchamun
- Emailschild „Eis-Abgabe nur auf Anweisung vom Versand“, angeschlagen und mit rostigen Rissen
- Kleine helle Figur aus Holz
- Zerbeultes Nummernschild mit der Nummer „P KS CW 443“
- Ca. 60 Bilder im gleichen Format eines mittleren Posters, alle von gleicher Hand gemalt
- Darunter ein Porträt von Arnold Bode, dem Gründer der Documenta
- Darunter ein ausnahmsweise quadratisches Porträt vom Boxer Muhammad Ali, kopiert vom Umschlag einer Filmmusik-Platte
- Beinschoner, rot-orange und mit Pailletten bestickt
- Textilobjekt, karminrot mit eingesetzten türkisblauen Teilen, etwa vier Quadratmeter groß
- Anker, wohl eine Tonne schwer, verrostet und muschelverkrustet
- Matrosenmütze mit zwei blauen Bändern, von denen eins eine goldene, ankerförmige Anstecknadel trägt
- Gemälde und Skulpturen anderer Künstler (von Adéagbo in Auftrag gegeben)
- Zwei Teppiche mit Bücher- und Zeitschriftenschau mehrerer Titel über die Stadt Kassel, über Seefahrt und Navigation
- Photokopien aus einem Buch über das Leben Christi
- Handgeschriebene Texte auf A 4-Bögen, in einer altmodischen, schönen, lesbar geführten französischen Schrift.
- Hölzerne Statuen und Masken, zahlreiche
- Nippes, kitschig, aus Plastik und Gips
- Hellgelbes Buch „Brüder Grimm“
- Totempfähle, vier, geschnitzt
- Bilder mit Entdecker- (Eroberer-)Szenen
- Bilder des Zeitgeschehens (z.B. weinende Verwandte von 9/11-Opfern)
Die ultrakurze Schilderung in der Liste wird den Objekten natürlich nicht im mindesten gerecht, viele Teile sind kompliziert ausgeschmückt, jedes Teil erzählt seine eigene, lange Geschichte. Die Objekte liegen in der Installation scheinbar so wahllos nebeneinander wie obige Aufzählung sie wiedergibt, tatsächlich kristallisieren sie sich nach Meinung fachkundiger Kunstwissenschaftler jedoch symmetrisch entlang deutlich erkennbarer Achsen. Es ist sicher nur eine Frage der Zeit, bis ein Kunstwissenschaftler sein Leben der Interpretation des „Welttheaters“ widmet.
Video zur Ausstellung „La misión y los misioneros“ im MUSAC (Spanien, 2011)
Video in französischer Sprache mit spanischen Untertiteln
Denn mit der Teilnahme an der Documenta 11 gilt Georges Adéagbo über Nacht als eine der großen Entdeckungen der Kunstwelt.
Das Museums Ludwig erwarb die Installation nach der Documenta (auf Wunsch von Direktor Kasper König, nach einer langwierigen Behandlung gegen gefährliche Termitenarten), Adéagbo hat sie für den Käufer noch einmal ein wenig verändert: Er stellte einen Bezug zu Köln her, indem sich im Bug des alten Holzschiffes nun auch das Nummernschild eines deutschen Autos findet und ein Porträt von Harald Szeemann neben einer traditionellen afrikanischen Holzskulptur hängt.
Der Schweizer Kurator und Ausstellungsmacher Harald Szeemann hat mit Köln eigentlich nicht so viel zu tun, hatte aber schon einmal die Documenta geleitet (5, 1972) und war auf den letzten Biennalen von Venedig (1998–2002) Direktor der Sparte „Visuelle Kunst“, offenbar hat Adéagbo ihn aus Dankbarkeit über seinen Preis auf der 48. Biennale nach Köln umgesiedelt.
Mehr als die Beschreibung dieses einzigen Kunstwerks braucht es für „normal neugierige“ Menschen nicht, um auf das Werk dieses spannenden Ausnahmekünstlers neugierig zu werden.
Die folgenden Jahre Adéagbo’scher „Erzählkunst“ werden deshalb Ihrer Entdeckung (nicht Eroberung!) überlassen, zur Abrundung vor den anstehenden Berichten über die Ausstellung im Museums Ludwig noch ein Blick auf ein Adéagbo-Kunstwerk aus jüngster Zeit:
2014/15 arbeitet Georges Adéagbo in Hamburg und stellt die Installation „Inverted Space“ vor. Umgekehrt wird hier weniger ein Raum als die Vorstellung des Kunst-Rezipienten, wie Kunst zu präsentieren sei: Eben nicht in der Glasvitrine in einem Museum, sondern an öffentlichen Orten, genau den Orten, um die es in der Installation (auch) geht.
Georges Adéagbo auf der Biennale di Venezia
Video in italienischer Sprache
Georges Adéagbo schafft mit seinen im öffentlichen Raum ausgestellten collageartig zusammengestellten „Fundstücken“ einen dreidimensionalen Erzählraum, in dem er politisch, kulturell und historisch auf Hamburg koloniales Erbe und dessen Auswirkungen auf Adéagbos persönliche Geschichte eingeht (die sich zwischen Cotonou und Hamburg abspielt).
Inverted Space wurde im Juni und Juli 2015 im Kunstraum „Altonaer Balkon“ in Hamburg Altona präsentiert. Vorbereitet wurde die „Umkehr des Raumes“ durch fünf temporäre Installationen, die im September 2014 an geschichtsträchtigen Hamburger Orten gezeigt wurden: Am Denkmalensemble in Hamburg-Jenfeld, im Hauptgebäude der Uni Hamburg, auf der P/ART producers artfair in den Phoenix Fabrikhallen Hamburg-Harburg, auf der Alsterwiese Schwanenwik und im Innenhof des Hamburger Rathauses.
Georges Adéagbos Weg zur Kunst: Mehr Erbstreit als Leidenschaft?
Georges Adéagbo ist in eine wohlbestallte Beniner Familie hineingeboren: Sein Vater war bei der französischen Marine und hatte als Veteran einen Verwaltungsposten bei der Eisenbahn bekommen. Dieser sicherte den Vater so gut ab, dass er sich gleich drei Ehefrauen und Familien leistete (die nun folgende Geschichte Adéagbo illustriert nebenbei gut, warum in Europa die kleinste gesellschaftliche Einheit gewöhnlich aus nur zwei Nachkommen erzeugenden Individuen besteht).
Nach dem Abitur ging Adéagbo erst nach Abidjan (Côte d’Ivoire) und dann nach Rouen (Frankreich), um BWL und Jura zu studieren. Während dieser Studienzeit hat sich Adéagbo nicht für Kunst interessiert. Er absolvierte Praktika bei großen französischen Konzernen, die ihn nach dem Studium fest anstellen wollten, und wäre vermutlich in Frankreich geblieben. Dass er es ablehnte, nach dem Tod seines Vaters die Rolle des Familienoberhauptes zu übernehmen (wie von ihm erwartet wurde), war offensichtlich.
Nun geht der Ärger los, und mit ihm eine Geschichte, die in vielen unterschiedlichen Versionen erzählt wird: Adéagbo ging nach Benin zurück (wurde von seiner Familie zurückgerufen), um als Ältester die Rolle des Clan-Chefs zu übernehmen.
Bei drei erbenden Familien ist viel Raum für Erbschaftsstreitigkeiten, und in der Familie Adéagbo wurde dieser Raum ausgenutzt.
Adéagbo soll den unvernünftigen Umgang seiner Mutter und der 10 Geschwister mit dem beträchtlichen Erbe kritisiert haben, die Familie soll daraufhin den „In-Europa-verrückt-Gewordenen“ zwar nicht aus dem Haus, aber aus dem Familienleben ausgestoßen haben, jegliche Kommunikation soll eingestellt worden sein. Adéagbo soll einen Fluchtversuch unternommen haben, worauf die Familie seinen Pass vernichtete.
Nun konnte Adéagbo nicht mehr nach Frankreich zurückkehren, um sein Studium abzuschließen; eine Leidensgeschichte von 23 Jahren begann. Es ist von Aufenthalten in geschlossenen Abteilungen psychiatrischer Kliniken die Rede, von menschenunwürdiger Behandlung und Hunger, von Einsamkeit und Verzweiflung. Meist als Geschichte mit sehr vielen Einzelheiten publiziert und in jeder dieser Einzelheiten bezweifelt.
Unterbleibt hier beides, sicher ist auf jeden Fall, dass Adéagbo Anfang der siebziger Jahre begann, Dinge und handgeschriebene Texten in ausgedehnten Formationen als tägliches Ritual im Hof des Familienhauses auszulegen.
Sicher ist auch, dass Adéagbos Familie und die Nachbarn die komplexen Arrangements als ›Müll‹ einschätzen, Adéagbo selbst seine bunten Werke auch nicht als Kunst ansah; dass niemand in ganz Benin die „afrikanische Gegenwartskunst“ oder die „wichtige postkoloniale Position“ gefunden hatte, bevor Jean-Michel Rousset zur Stelle war, um sie „zu entdecken“ (nicht sicher, inwieweit das auch schon wieder westlicher Kolonialismus ist).
Sicher ist weiter, dass die furchtbar böse Familie den einst schikanierten Georges mit wachsender Prominenz auch immer mehr liebte, samt Mitbringsel und finanzieller Unterstützung; in dieser Beziehung haben die europäische und die beniner Kultur offensichtlich schon eine Annäherung vollzogen.
Nicht sicher ist, ob Georges Adéagbo mit seinen Installationen „Kunst gemacht hat“, wenn er beim Ausführen der Tätigkeit nicht davon ausging, Kunst anzufertigen. Entsteht Kunst, wenn jemand mit dem Ziel ans Werk geht, „Kunst herzustellen“, oder entsteht Kunst „einfach so“?
Georges Adéagbo hat seine Antwort auf diese Problemstellung gefunden (siehe unten „Zukunft“), die Kunstwissenschaftler streiten noch, für den Normalbürger ist das eher ein philosophisches Problem. Obwohl pragmatische Normalbürger eher zu der Auffassung neigen werden, dass alles wie auch immer entstandene Kunst sein kann, wenn es sich wie Kunst anfühlt – wo nur das als Kunst hergestellte und nicht auch das schlicht Schöne Kunst ist, ist auch nur das als Arznei hergestellte und nicht auch das schlicht Heilende Medizin; eine ebenso fortschrittsfeindliche wie ungesunde Auffassung.
Zur richtigen Zeit am richtigen Ort
Kurz vor der Jahrtausendwende findet Adéagbos bedauernswertes Dahinleben am Rande des zerstrittenen Familienclans ein Ende, denn das Blatt wendet sich, durch Einfluss von außen:
Oben wurde schon angedeutet, dass Adéagbo um die Jahrhundertwende auf einer Welle der Afrika-Begeisterung zu beträchtlichem Ruhm getragen wurde. Diese Welle, die Adéagbo auf dem schon in Richtung Überschlag geneigten Kamm erwischte, hat eine Vorgeschichte, die bis in das Jahr 1984 zurückreicht: 1984 veranstaltete das MoMA New York eine berühmte Ausstellung namens „Primitivismus im 20. Jahrhundert: Affinität von Tribal und Modern“.
Wie mehrere zeitnah vorangegangene Ausstellungen wurde die Ausstellung herb kritisiert – statt zeitgemäßer Annäherung werde durch die Auswahl der Kunstwerke und die Art und Weise ihrer Präsentation eine lange als gestrig anzusehende kolonialistische Mentalität verewigt.
Für das Jahr 1989 plante der französische Kurator Jean-Hubert Martin eine Ausstellung in Paris, in der er gegen die ethnokratischen Praktiken in der zeitgenössischen Kunst á la „Primitivism“-Show im MOMA und Co. aufbegehrte. „Magiciens de la terre“ (Die Zauberer der Welt) wollte den „hundert Prozent Ausstellungen, die 80 Prozent der Erde ignorieren“ ein deutliches Zeichen entgegensetzen.
Im Centre Georges Pompidou und in der Grande halle de la Villette fand eine internationale Ausstellung zeitgenössischer Kunst statt, die 50 % westliche und 50 % nicht-westliche lebende Künstler der Zeit gleichberechtigt Schulter an Schulter präsentierte.
Die Ausstellung verstärkte das Interesse der kunstinteressierten Bevölkerung an ungewöhnlichen Kreationen aus außereuropäischen und vor allem (west-) afrikanischen Ländern, in Europa flog man auf die „Contemporary African Art“. In der Folge entstanden ein Markt und erste Sammlungen mit Werken der neuen Kunstkategorie, der Schweizer Sammler Jean Pigozzi beschäftigte Kurator André Magnin aus dem Zauberer-Team um Martin als Direktor für seine Kollektion.
Magnin sendete den Afrika und Kunst liebenden Erziehungswissenschaftler Jean-Michel Rousset 1993 nach Benin, um Werke eines Malers namens Zinsou zu begutachten. Rousset landete (durch Zufall, das Schicksal, Kismet, sein Karma, die Chaos-Theorie, ein Missverständnis des Taxifahrers) nicht bei Zinsou, sondern direkt vor einer Installation von Adéagbo.
Eine Komposition mit Büchern, Texten, Kleidern, Masken und dem Thema „Geschichte Frankreichs, insbesondere das Leben Napoleons“ – Rousset war fasziniert und soll das dargestellte Netzwerk sofort als ungewöhnliche künstlerische Praxis erkannt haben, Wissen und Gedanken zu organisieren und über Gegenstände und Texte darzustellen.
Vermutlich erkannte er auch sehr gut die Verkaufschancen, die diese exterritoriale Behandlung urfranzösischer Mythen verkörperte, er eilte auf jeden Fall schwer begeistert zu seinen Auftraggebern Magnin und Pigozzi. Die interessierten sich nur so lange für seine Fotos, bis sie entschieden hatten, dass die losen Objektketten als Werk zu schwer zu handhaben seien.
Rousset wandte sich an die unabhängige Kuratorin Regine Cuzin in Paris, die damals gerade die Gruppenausstellung »La Route de l’Art sur la Route de l’ Esclave« vorbereitete. Das „Slave Route Project“ der UNESCO, auf das die Ausstellung referenziert, wurde 1994 in Ouidah, Benin gestartet …
Was lag näher, als das Aufklärungs- und Völkerverständigungs-Projekt sofort mit dem von der eigenen Familie versklavten Künstler aus Benin zu schmücken? So erfuhr Georges Adéagbo von den europäischen Besuchern, dass er wichtige Kunst hergestellt hatte, wurde zur Teilnahme an der europäischen Ausstellung eingeladen und kehrte 1994 (nach 23 unerfreulichen Jahren) als Künstler nach Europa zurück …
Georges Adéagbo wird berühmt (gemacht)
Roussets Entdeckung machte schnell die Runde bei den gut und über Internet annähernd mit Lichtgeschwindigkeit vernetzten Kuratoren, in Frankreich und darüber hinaus.
Okwui Enwezor (2. Johannesburg Biennale, künstlerischer Leiter documenta 11, Biennale für zeitgenössische Kunst in Sevilla, 7. Gwangju Biennale, La Triennale Paris), Jean-Hubert Martin (Französischer Pavilion Sydney Biennale, Direktor Kunsthalle Bern und zahlreicher anderer Kunststätten, Kurator legendärer Ausstellungen wie „Magiciens de la Terre“, Project Manager für Museen beim französischen Kultusministerium), Adelina von Fürstenberg (Italienischer + Russischer Pavilion Biennale Venedig, UN-Ausstellung „Dialoge des Friedens“, ART for The World, FOOD) und andere Schwergewichte der Kunstwelt hatten Werke Adéagbo gesehen und wollten ihn.
Die ersten Ausstellungen, in der Werke von Georges Adéagbo zu sehen waren, waren deshalb auch gleich „Creme de la Creme“: 1995 „Dialogues de Paix« im Palais der Vereinten Nationen Genf und „Big City“ in der Serpentine Gallery London.
Von da aus führte Adéagbos Weg geradeaus durch knapp 40 Gruppenausstellungen und knapp 20 Einzelausstellungen, 1996 „African Art towards the Year 2000“ in Kopenhagen, 1997 Biennale von Johannesburg, 1998 Biennale von Sao Paolo (hier leiteten Afrika-Begeisterte die Einladung zur Biennale von Venedig 1998 durch Harald Szeemann ein, die dazu führte, dass Adéagbo als erster Künstler aus Afrika zu einem Biennale-Preis kam).
2000 folgte „Georges Adéagbo. Abraham – L’ami de Dieu“ im MoMA New York City, 2004 Einzelausstellungen in Köln und Birmingham, 2005 in Zürich, 2007 in Venedig, Berlin, Ulm, 2009 „Kolonisation und die Geschichte der Kolonisierten“ in Wien, 2010 „La Culture et les Cultures“ in Hamburg, 2011 „La misión y los misioneros“ in Léon, 2014 „Georges Adéagbo“ in Stockholm, „Les artistes et l‘écriture“ in Berlin, 2016 Amsterdam und Jerusalem.
Ab 11. November 2016 ist Adéagbo auf der Shanghai Biennale, bis 08. Januar 2017 ist Kunst des Beniner Installationskünstlers auf der Jubiläums-Ausstellung „Wir nennen es Ludwig. Das Museum wird 40!“ des Museum Ludwig in Köln zu sehen (mit vielen anderen spannenden Künstlern, dazu siehe Artikel hier auf Kunstplaza: „Jubiläums-Ausstellung 2016: Museum Ludwig zeigt Museum Ludwig“).
Dauerhaften Zugang zu Kunstwerken Georges Adéagbo haben Sie in folgenden öffentlichen Sammlungen:
- Benin: Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit Regional Office Cotonou
- Republik Côte d’Ivoire: Collection Cecile Fakhouri Abidjan
- Deutschland: Museum Ludwig Köln, Münchner Stadtmuseum, Ulmer Museum
- Finnland: Museum für zeitgenössische Kunst KIASMA Helsinki
- Japan: Toyota Municipal Museum of Art
- Norwegen: Oslo National Museum of Art, Architecture and Design, The Museum of Contemporary Art Oslo
- Österreich: Museum für angewandte Kunst Wien
- Schweden: Moderna Museet Stockholm
- Schweiz: Galerie Elisabeth Kaufmann Zürich
- Spanien: Museo de Arte Contemporáneo de Castilla y León
- United Kingdom: Whitworth Art Gallery The University of Manchester
- USA: MOCA Grand Avenue, Los Angeles, Philadelphia Museum of Art
Georges Adéagbo, kurze Kurzbiografie
- 1942 Georges Adéagbo wird in Ouidah, Dahomé (heute Benin) geboren
- 1960 Unabhängigkeit Benins, Aufbruch Adéagbos zum Studium ins Ausland (Jura + BWL, Abidjan, Côte d’Ivoire + Rouen, Frankreich)
- ∼ 1970 Rückkehr nach Benin, mit Nachteilen für Adéagbos persönliche Situation verbundener Erbschaftsstreit in der Familie
- 1993 Zufällige Entdeckung Adéagbos durch Jean-Michel Rousset
- 1995 – heute Adéagbo stellt seine Kunst aus, u. a. auf 8 Biennalen und auf der documenta
- 1998 Adéagbo erhält als erster afrikanischer Künstler eine Auszeichnung der Biennale von Venedig
- Ab ∼ 2000 Adéagbo lebt und arbeitet mehrere Monate im Jahr in Hamburg
- 2016 Georges Adéagbo lebt und arbeitet weiter abwechselnd in Hamburg und Cotonou im Benin.
Passionierte Autorin mit regem Kunstinteresse