John Baldessari – er ist einer unserer einflussreichsten Künstler überhaupt, und das schon seit den späten 1960er Jahren.
Vielleicht hat der Hauptvertreter der Concept Art die Kunstwelt für solch eine lange Zeit einfach durch sein überragendes Können in den verschiedensten Gattungen und Techniken beeindrucken können, vielleicht gefällt uns aber auch schlichtweg seine schräge, ironische Art und sein unnachahmlich trockener, manchmal sogar absurder Humor. Von diesen Wesenszügen hat er uns nämlich im Laufe seines Schaffens jede Menge gezeigt:
John Baldessaris Weg vom Maler zum Konzeptkünstler
Baldessari begann seine künstlerische Laufbahn mit der Malerei, die ihn jedoch sehr schnell nicht mehr zufriedenstellte. Er hatte die Farbrelationen erkundet und wusste bald, welche Farbe mit welcher anderen Farbe harmoniert, und beschloss daraufhin, dass er mit diesem Thema fertig sei.
Er wollte in Zukunft Farbe “einfach als Signal verwenden, so wie wenn du an eine Ampel kommst, sie ist rot und das bedeutet: Stopp. Nicht dass du da sitzt, auf das Rot schaust und sagst: Was für ein schönes Rot. Es ist einfach ein Signal, in diesem Sinn wollte ich Farbe nutzen” (John Baldessaris Rückschau in seiner Rede zur Verleihung des Goldenen Löwen 2009 in Venedig).
Das betraf die Zeit von 1949 bis 1966, es folgten zahlreiche über die Grenzen der Malerei hinausgehende Arbeiten, ausgefallene und häufig sehr witzige Experimente in gründlicher Auseinandersetzung mit der Ironie eines Marcel Duchamp. Gegen Ende der 1960er Jahre fiel die Entscheidung für die Concept Art, die sein Leben die nächsten Jahre erfüllen sollte.
Diese Entscheidung wurde mit einem einzigartigen Happening zelebriert: 1970 erregte Baldessari nicht wenig Aufsehen mit der Aktion “Cremation Project”, deren entscheidender Teil die öffentliche Verbrennung seiner bisherigen Bilder war (jedenfalls, soweit sie noch in seinem Besitz waren). Die Asche der Bilder wurde in Keksen verbacken, diese kamen in eine Urne, die Teil der Kunst-Installation wurde, ebenso wie ein Bronzeschild mit den Lebensdaten der zerstörten Bilder und dem Keksrezept.
Mit dieser Aktion hat er erreicht, dass in der Presse bis heute in fast enervierender Häufigkeit lange und komplexe Berichte über diese Kunstaktion erscheinen, eigentlich immer, wenn irgendwo überhaupt von seiner Arbeit die Rede ist. Dieser Stoff ist nun einmal wirklich gut: Der Künstler, der seine eigenen Bilder verbrennt, kommt der gängigen Fantasievorstellung des gequälten, um den künstlerischen Ausdruck ringenden Künstlers erfreulich nahe, und die Aktion selbst gibt jede Menge Bilder für eine anschauliche Berichterstattung her.
Nur böse Zungen behaupten, dass Baldessari eine ebenso praktische wie künstlerisch motivierte Entscheidung getroffen habe, wenn er sich kurz vor dem Aufbruch in ein neues Lebensumfeld des alten Ballasts entledige, und erinnern daran, dass diese Aktion ihm eine nie da gewesene Öffentlichkeit verschafft habe.
Von dieser Zeit an war auf jeden Fall die Beschränkung auf Leinwand und Farbe Geschichte, Baldessari arbeitete an der Ergründung der verschiedenen Wechselbeziehungen zwischen Bild und Kommunikation, fertigte beziehungsreiche Fotoarbeiten, gestaltete völlig neuartige Text-Bild-Serien und komplexe Videos, jede technische Innovation wurde sofort erprobt und künstlerisch verarbeitet.John Baldessari – ein Künstler für Intellektuelle …
Damit kann Baldessari den Beginn einer Ausstellungsgeschichte einläuten, deren Weg die wohl wichtigsten Stationen der akademisch geprägten Kunstwelt gleich mehrfach berührt, seien es die Museen der amerikanischen Kunstwelt der Moderne, sei es die documenta in Kassel.
Anfang der 1980er Jahre begann über diese Kunstzentren seine Eroberung der Welt: Baldessari etablierte sein Werk in den wichtigsten Hochburgen der avantgardistischen Kunst in den USA – über 30 Mal war Baldessari in New York, Los Angeles und Houston zu sehen, noch öfter im interessierten Rest der USA, nur den konservativen Bible Belt ließ er ganz aus. In unzähligen Ausstellungspräsenzen beehrte er die europäischen Zentren moderner Kunst, unzählige Gruppenausstellungen kleineren Umfangs kommen auch hier dazu.
In Folge dieser Allgegenwart konnte sich Baldessari über viele Ehrungen freuen: Beispielsweise über den New Yorker Artist Space Exhibition Award (2000), den “Best Show Award” der AICA (International Association of Art Critics) USA für die Saison 2001/2002, über die Ehrendoktorwürde gleich mehrerer Universitäten, den Ehrenpreis der Biennale von Venedig (2009, für sein Lebenswerk) und im Jahr 2012 über den begehrten Kaiserring der Stadt Goslar.
… mit Humor
Baldessari macht seine Kunst Spaß, und es macht ihm auch Spaß, dass seine einfallsreichen Kunstwerke durchgehend gut ankamen und ankommen. Im Laufe seiner langen Karriere hat er auch mehrmals betont, dass ihm dieser Spaß an der Kunst selbst das Wichtigste sei. Schon in einer Arbeit von 1973 stellte er mit mehrfach wiederholtem Schriftzug das Postulat auf: „I Will Not Make Anymore Boring Art”; auf dem Verwaltungsgebäude der Biennale in Venedig wiederholt ein imposantes Remake 2009 diese Aussage in Großbuchstaben, eine Bekräftigung der damaligen Einsicht.
Baldessari hat wohl niemals in seiner Laufbahn und mit keinem Werk einen Betrachter gelangweilt. Er hat zahlreiche Fotocollagen geschaffen, seine sogenannten Billboards, die dem Betrachter Rätsel aufgeben und ihn manchmal entzücken. Wie es die riesige 100.000-Dollar-Note tat, die 2011 auf einer Werbetafel (einem bill board) neben Manhattans schickstem Park, der schwebenden “High Line”, auftauchte.
Auch seine Kunstbücher, Videoarbeiten und Performances waren für den Zuschauer immer aufregend und enthielten immer neue Ideen, innerhalb derer Baldessari mit Klischees und standartisierten Betrachtungsweisen spielt, Standards und Gemeinplätze der Alltagswelt auf die Schippe nimmt und die Massenmedien ad absurdum führt.
Baldessari spaltet und trennt und verfremdet, verhüllt und konstruiert mehrere Schichten, er lässt Lücken und erschafft Ausblendungen, und kombiniert das Ganze dann in Bild und Sprache so originell und ungewohnt, dass neue Sinnzusammenhänge erkannt werden können. Er verwendet unsäglich viele Ideen, nur eines vermisst der Bewunderer vollkommen bei ihm: Den heiligen Ernst des arrivierten Konzeptkünstlers, Baldessari geht lieber mit einem ironischen Lächeln an die Sache heran.
Typisch John Baldessari
Typisch für John Baldessari ist z. B., menschliche Hände zu fotografieren, deren Inhaber auf herzenswichtige Dinge deuten, diese Fotos dann von Sonntagsmalern abmalen zu lassen und das Ergebnis mit der Unterzeile “Ein Bild von (Name des Hobbymalers)” als Kunst auszustellen.
Was anfangs als schräges Unterfangen erscheint, ist bei genauerem Blick eine tätige Betrachtung des Verfahrens der Kunstentstehung, mit der unbequemen Frage dahinter, von wem denn das entstandene Kunstwerk denn nun eigentlich sei. Offensichtlich hat die ausgestellte Malerei selbst hier mit dem Genius des Künstlers nur wenig Berührung bekommen, und das erst in der Renaissance erstrittene Recht des Künstlers zur Signatur seines Werks muss sich auch gleich einer Spiegelung stellen.
Schon 1969 ereignete sich dieser letzte Ansatz, die Malerei als Medium zu nutzen, und macht damit die These möglich, dass der Bruch zwischen Baldessaris Malereien der Anfangszeit und den späteren Foto- und Videoarbeiten weniger radikal ist, als häufig angenommen wird.
Nur das Aktionsfeld Baldessaris wird mit Abkehr von der Malerei erheblich weiter, so kann er versuchen, einer Topfpflanze mit viel Geduld und großen Buchstaben das Alphabet beibringen und diesen Versuch aufnehmen, er kann vier Bälle in die Luft werfen und eine Fotoserie daraus machen, und beides dazu nutzen, den traditionellen Kunstbegriff erneut ironisch Infrage zu stellen.
Selbstverständlich ist Baldessari (mit der wissbegierigen Pflanze) in der Ausstellung „Don’t Smile“ zu sehen, die im Kunsthaus Liechtenstein im Januar 2013 viele Seiten künstlerischen Humors zeigt. In der ersten Januarwoche des Jahres 2013 nahmen auch 12 Metro-Busse in Los Angeles ihre Fahrten auf, die im traditionellen Look alter Schulbusse rückverschönert wurden und die Baldessari an einer Seite mit dem Schriftzug “Learnt to dream” geschmückt hat.
Auf der anderen Seite steht “Aprende a sonar”, die Aufforderung zum Träumen in Spanisch, die Aktion gehört zu einer öffentlichen Kampagne über den wichtigen Stellenwert von Kunst (Baldessari unterstützt den nichtkommerziellen LA Fund for Public Education).
Hoffentlich bleibt dem inzwischen über 80-jährigen Künstler noch viel Zeit, um seine Kunst gegen jede Art von Lebensüberdruss zu erschaffen.
Passionierte Autorin mit regem Kunstinteresse