Joseph Beuys wird von vielen heutigen Kritikern immer noch nicht verstanden, gehört aber unbestritten zu den bedeutendsten Künstlern des 20. Jahrhunderts.
Der Aktionskünstler, Bildhauer, Zeichner und Kunsttheoretiker formte den Kunstbegriff neu, indem er sich in seinem Werk mit Humanismus und Sozialphilosophie, Anthroposophie und Politik beschäftigte. Beuys entwickelte so einen „erweiterten Kunstbegriff“, der vom Künstler kreatives Mitgestalten in Gesellschaft und Politik fordert.
Auch wenn die Meinungen über den Wert seiner Kunstwerke durchaus auseinandergehen, erfüllt er mit diesem Postulat in idealtypischer Weise eine beliebte Vorstellung vom Künstler, der interessiert und engagiert und nicht nach materiellem Wohlstand fragend agiert.
Sein Kunstbegriff wurde geformt durch seine Geschichte: Der Sohn eines Kaufmannes wurde durch den Schulunterricht und durch seine persönliche Bekanntschaft mit dem flämischen Maler und Bildhauer Achilles Moortgat an die Kunst herangeführt.
Moortgat weckte im jungen Joseph aber auch eine Begeisterung für die nordische Mythologie, deren jugendliche Fehlinterpretation ihn erst in die Hitlerjugend und dann 1941 freiwillig zur Luftwaffe trieb. Wo er sich mit seinen militärischen Leistungen sogar das Eiserne Kreuz verdiente.
Bei einem seiner fünf Flugzeugabstürze im Krieg erlitt Beuys schwere Verletzungen und überlebte nur, weil Krim-Tataren ihn bis zur medizinischen Versorgung mit Fetteinreibungen und Filzdecken vor dem Erfrieren bewahrten.
Das erklärt die Rolle, die Filz und Fett in seiner Kunst später einnahm. Auch durch solche Erlebnisse war die ohnehin nie absolute Hinwendung zu Militär und Parteipolitik für den streng katholisch erzogenen Beuys schnell Vergangenheit.
Nach seiner Entlassung aus der Gefangenschaft entschied er sich vielmehr endgültig, Künstler zu werden. Er schrieb sich an der Kunstakademie Düsseldorf für Bildhauerei ein, schloss sich dem „Klever Künstlerbund“ an und wurde 1951 zum Meisterschüler des bedeutenden Ewald Mataré.
Während der Zeit beim Militär hatte der naturinteressierte Beuys von seinem Ausbilder Heinz Sielmann noch mehr über Zoologie und Botanik gelernt, während des Studiums beschäftigte er sich mit den Ideen Rudolf Steiners und der Anthroposophie.
Steiners Lehre, die den Menschen in das Zentrum stellt und Zugang zu den übersinnlichen Potenzialen eröffnen will, sollte Beuys’ Weg entscheidend beeinflussen, sie wies ihm den Weg zu einer mystischen Weltsicht.
So entfernte sich Beuys nach seinem Studienabschluss 1953 immer mehr von der klassischen Bildhauer-Arbeit, er rang schwer mit seiner Kunst und verfiel zeitweise in tiefe Depressionen. Als die Kunstakademie Düsseldorf Beuys 1961 auf den Lehrstuhl für monumentale Bildhauerei berief, hatte er bereits seinen erweiterten Kunstbegriff entwickelt, erfand nun die “Soziale Plastik” und erregte Aufsehen mit dem Ausspruch, dass “jeder Mensch ein Künstler sei”.
Anfang der 1970er Jahre begann Beuys, sich vollkommen von den Regeln des akademischen Betriebs zu lösen. Er nahm Studenten ohne Rücksicht auf die Aufnahmekriterien an und wurde deshalb 1972 von der Kunstakademie entlassen.
Beuys Werk jedoch, das inzwischen aus Installationen und Objekten aus ungewöhnlichsten Materialien, aus Malerei und Zeichnungen bestand, konnte in dieser Zeit internationale Anerkennung erringen, Beuys wurde zu einem der teuersten Künstler der Welt. Der mit seinem Kunstbegriff in der Öffentlichkeit weitgehend auf Unverständnis stieß, manchmal sogar auf starke Ablehnung, jeder öffentliche Ankauf seiner Werke löste große Debatten aus.
Zahlreiche Skandale und Skandälchen kennzeichneten sein weiteres Schaffen: 1973 zerstörten zwei Kommunalpolitiker unwissend sein Werk „unbetitelt (Badewanne)“, als sie das vermeintlich verschmutzte Sanitärobjekt reinigten und anschließend zum Gläserspülen nutzten.
1980 wurde der mit 270.000 DM bezahlte Ankauf eines Objektes aus Leichenbahren und Fett durch das Lenbachhaus in München als „Verschwendung von Steuermitteln“, das Objekt als der „teuerste Sperrmüll aller Zeiten“ bezeichnet.
1986 erkannte eine eifrige Reinigungskraft Beuys’ eben durch dieses Ereignis bekannt gewordene “Fettecke” nicht als Kunst und putzte das Kunstwerk einfach weg.
Seitdem ringen die Kunstliebhaber mit der Vorstellung von der Kunst als Idee, in der Kunstwelt ist Beuys auch Jahrzehnte nach seinem Tod immer noch umstritten. Und doch hat Beuys mit seiner Kunstauffassung viele nachfolgende Künstler beeinflusst.
Die wiederholten Eklats rund um seine Kunstwerke haben zudem fast unbemerkt, aber entscheidend dazu beigetragen, die Idee von der Kunst als gesellschaftsformende Kraft in den Köpfen der Menschen zu verankern.
Passionierte Autorin mit regem Kunstinteresse