Mona Hatoum und die luftigen Höhen der Kunstwelt
Mona Hatoum wurde 1952 in Beirut im Libanon geboren. Als Kind palästinensischer Eltern, die in Israel lebten, aber 1948 wegen der Kriegssituation vor Gründung des Staates Israel in den Libanon fliehen mussten. Palästinensische Gebiete, Libanon, Israel – Mona Hatoum wurde mitten in einen Nahostkonflikt hineingeboren, der zur Zeit ihrer Geburt schon ein paar Jahrzehnte alt war.
Der Nahostkonflikt sollte noch älter werden, und Mona Hatoum (in seiner Ausprägung „Bürgerkrieg im Libanon“, 1975) in jungen Jahren aus ihrem „Exil-Heimatland“ in ein Leben im Westen (London) führen. Mit kurzen Unterbrechungen – um die Jahrtausendwende gaben rund ein Dutzend Friedensinitiativen Anlass zur Hoffnung auf eine Befriedung des Konfliktherds Nahostregion, die sich mit drei Kriegen im Gazastreifen seit 2008 schnell wieder erledigte – gären die Unruhen in Mona Hatoum Geburtsregion bis heute.
Bis heute bemüht sich die Kunstwissenschaft mit ähnlich kurzen Unterbrechungen, die Künstlerin und ihr Werk in einen Bedeutungszusammenhang mit dem Nahostkonflikt zwingen, typische Überschriften/erste Zeilen von Veröffentlichungen über Mona Hatoum lauten „Mona Hatoum: a woman, a Palestinian, a native of Beirut“, „Lebanese-born artist, Mona Hatoum“, „Hatoum was born into a family of Palestinian refugees“, „Lebanese-born artist, Mona Hatoum“ und so weiter.
Mona Hatoum ist von diesen ebenso stetigen wie hartnäckigen Bestrebungen eher genervt. Die Künstlerin definiert sich selbst als palästinensisch-britische Künstlerin, der Libanon ist einfach das Land, in dem sie aufgewachsen ist, und nicht mehr. Hatoum lebt seit ihrem 23. Lebensjahr außerhalb der Konfliktzone, vor allem in London und seit einigen Jahren auch in Berlin, und ihre Kunst ist eher auf die Welt bezogen als auf den Nahostkonflikt.
Dazu passt, dass Mona Hatoum in der Weltrangliste der Kunst (ermittelt nach öffentlicher Präsenz eines Künstlers, Ausstellungen + Verkäufe) sehr weit oben rangiert; aktuell auf dem Platz Nr. 41.
Als eine der führenden Künstlerinnen unserer Welt wird Mona Hatoum schon eine ganze Weile eingestuft, unter den 50 besten „Künstlern der Welt“ bewegt sie sich auch schon über ein Jahrzehnt. Mit leichtem Zick-Zack-Kurs je nach Aktivität und Publikumserfolg – 2005 Nr. 30, 2007 45, 2010 35, 2012 47, 2013 41, 2016 44, 45, 41 – aber immer in ziemlich luftigen Höhen der Anerkennung der kunstinteressierten Welt.
Dieses Hatoum-Werk kennt jeder Kenner: Mona Hatoums „Schlammschlacht“
Eines ihrer wichtigsten Kunstwerke hat Mona Hatoum gleich nach Abschluss ihrer Ausbildung an der Slade School of Art 1982 vorgelegt: Die Performance „Under Siege“ (unter Belagerung), in der Mona Hatoum eine ebenso beeindruckende wie einleuchtende Symbolistik für die Hilflosigkeit des Individuums gegenüber Kriegstreibern und Kriegsgeschehen fand:
Hatoum kämpft sieben Stunden lang mit lehmigem Schlamm, ebenso gleichmäßig wieder vor- und herankriechende Massen, wie sie etwas zurückgedrängt wurden. Hier eine Skizze des Aufbaus der Performance:
Ihr Kampf findet in einem durchsichtigen Würfel statt. Genau wie die in heutigen Kriegen schuldlos bedrohte Zivilbevölkerung mit dem Ausblick in Friedensgebiete, ohne die Chance, sie jemals erreichen zu können. Auch der Zuschauer ist in seiner Rolle als hilfloser Zeuge ohne Möglichkeit der Einflussnahme gefangen.
34 Jahre später, 2016, eine brandaktuelle Performance für all die Menschen, die vom grotesken Versagen der modernen Zivilgesellschaften betroffen sind. Oder noch nicht betroffen sind, aber wegen ihres zunehmenden Entsetzens über die gegenwärtigen Entwicklungen bereits um den ruhigen Schlaf gebracht wurden.
Die Aussagen Hatoums im Begleitschreiben zur Performance sind ein brandaktuelles Statement zur „Flüchtlingskrise“ unserer Tage:
Viele Kunstwerke Mona Hatoums treffen ähnlich entschiedene Aussagen; gegen Krieg, Unterdrückung, Betrug, für die Menschlichkeit. Einige dieser Kunstwerke werden gleich noch kurz vorgestellt, aber wie immer lohnt sich der Aufbruch zur Selbstentdeckung, unbedingt.
Mona Hatoums Ausbildung zur Künstlerin: Leben im Exil, Kunst statt Krieg
Mona Hatoum wurde 1952 in Beirut geboren, wuchs dort auf und machte 1972 am Beirut University College ihr Abitur.
Interesse für Kunst/Kunstschaffen soll bereits die jugendliche Mona Hatoum gezeigt haben, fand jedoch keine Unterstützung in ihrer Familie. Bekannt ist, dass Hatoum ihre Kindheit zeichnend verbrachte, jedes Schulheft vom Gedichtband bis zur naturwissenschaftlichen Aufzeichnung wurde mit Zeichnungen verziert und illustriert.
Als sie 1975 auf einer Reise in London war, brach im Libanon der Bürgerkrieg aus. Der Weg in die Heimat war über Nacht versperrt, Mona Hatoum blieb in London und begann, sich ernsthaft mit Kunst und „Kunst lernen“ zu beschäftigen: Von 1975 bis 1979 belegte sie Kurse an der Byam Shaw School of Art, einer 1910 gegründeten unabhängigen Kunstschule (ging 2003 im Central Saint Martins College of Arts and Design der University of the Arts London auf).
Von 1979 bis 1981 vollendete Hatoum ihre künstlerische Ausbildung durch ein Studium an der Slade School of Art, als Kunstschule des University College London eine der bedeutendsten britischen Kunst-Ausbildungsstätten. Die Slade School of Art ist auch international als führend anerkannt, unter den Absolventen sind Künstler vom Rang Douglas Gordons, Richard Hamiltons, Mona Hatoum, Derek Jarmans und berühmte Persönlichkeiten mit kunstnahen Berufen wie Innenarchitektin und Designerin Eileen Gray, Mitbegründerin des MoMA Mary Quinn Sullivan und Kunsthistoriker John Richardson.
Besuch im Studio der Künstlerin
Noch als Studentin, 1981, inszenierte Hatoums ihre erste Performance „Look No Body!“, in der Hatoum ihre Gedanken zu öffentlich akzeptierten und nicht akzeptierten Körperöffnungen in eine kleine Toiletten-Show umsetzt: Das Publikum durfte Hatoum auf einem Monitor bei (mehrfacher) Nutzung der mit einer Kamera ausgestatteten Toilette betrachten und wurde dabei per Tonbandaufnahme über die wissenschaftlichen Einzelheiten des Urinierens aufgeklärt. Es gab viel Wasser zu trinken, für Hatoum und das Publikum, ob für dieses ebenfalls Toiletten bereitstanden, ist nicht überliefert.
1982 folgte die ewige Schlammschlacht „Under Siege“, mit der Mona Hatoum fast über Nacht bekannt wurde.
Aktuelle Werke
Klare Botschaften: Per Körper, Gestik, Komposition und Film
Nachdem Mona Hatoum mit „Under Siege“ die Aufmerksamkeit der Avantgarde-Kunstwelt errungen hatte, adressierte sie diese aufgeklärte und größtenteils pazifistisch eingestellte Avantgarde gezielt und in schneller Abfolge mit ihren Botschaften:
1983 präsentiert sich die Künstlerin in der „Negotiating Table Performance“ blutbefleckt und mit Eingeweiden bedeckt stundenlang auf einem imaginären Verhandlungstisch. In einem abgedunkelten, von nur einer Glühbirne beleuchteten Raum. Mit Nachrichten über den Bürgerkrieg im Libanon und Friedens-Reden politischer Führer des Ursachen setzenden und doch weitgehend unbeteiligten Westens im Hintergrund, die die solchen Verhandlungen üblicherweise immanente Scheinheiligkeit offenbaren.
„So Much I Want to Say“ von 1983 ist ein kurzes Schwarz-Weiß-Video mit einzelnen Standbildern vom Gesicht einer Frau, aus deren zugehaltenem Mund ständig der Satz „So Much I Want to Say“ quillt.
Zwischen 1980 und 1988 hat Mona Hatoum noch einiges mehr zu sagen, übermittelt in rund 35 Performances. Mona Hatoum performte ganz in der klassischen Tradition: Ihre Performances liefen als nicht archivierbare Augenblicks-Veranstaltungen, die auf immer wieder sehr unterschiedlich geartete, aber direkte Kommunikation mit dem Publikum ausgerichtet waren. Nicht immer gibt es eine vollständige Überlieferung per Videomitschnitt, häufig kann die Nachwelt das Geschehen nur anhand von Beschreibungen, Skizzen, Einzelbildern nachvollziehen.
Ende der 1980er Jahre kommen Skulpturen, Videos und raumfüllende Installationen dazu:
Im Video „Measures of Distance“ zeigt Mona Hatoum 1988 Standbilder ihrer Mutter (unter der Dusche, inkl. werbewirksamer Brüste), überblendet von den arabischen Schriftzügen eines mütterlichen Briefes, den die Künstlerin auf arabisch und in englischer Übersetzung vorliest.
Der unbedarfte Rezipient sieht im Video eine Verarbeitung Hatoums einsamer Anfangszeit in London: Eine junge Frau vollkommen alleine in einem teils konträr neuen kulturellen Umfeld, während ihre Familie weit weg in einem Land im Kriegszustand in Lebensgefahr ist. Diese Interpretation wird dem unbedarften Rezipienten von der Kunstwissenschaft fast ohne Streit zugebilligt.
Allerdings nicht als erschöpfend angesehen. Wenn Sie Spaß am Lesen langer wissenschaftlicher Erörterungen haben, die den theoretischen und praktischen Hintergrund eines Kunstwerks bis in die letzte kleine (Un-) Möglichkeit hinein interpretieren, sei Ihnen das wissenschaftliche Schrifttum zu „Measures of Distance“ empfohlen.
Da ist alles dabei: Bezug auf die Biographie der Künstlerin, Familienbande, Distanz und Intimität und weibliche Sexualität, Mutter-Tochter-Beziehung und Vater-Tochter-Beziehung und Vater-Mutter-Beziehung (tschuldigung, Mutter-Vater-Beziehung), wo wir gerade dabei sind Feminismus, Farbtheorien über die Darstellung und Kolorierung der Farben von Wasser (Dusche), Kriegsgeschichte und Kritik einer Ermunterungs-Bewältigungspsychologie, Psychologie zum Symbolwert von Duschbildern als Platzhalter für kriegerische Konflikte, arabische Buchstaben als Stacheldraht, der die Frau in der Dusche (Hatoum Mutter) gefangen hält …
1994 entsteht die raumfüllende Installation „Moutons“. Für die die Künstlerin sechs Jahre lang täglich ihre Locken aus der Bürste sammelte, zusammenrollte und in einer Pappschachtel archivierte, bis sie die 145 Haarknäuel für die Installation zusammen hatte. Eine Sammlerin über dieses Kunstwerk: „Ich sehe darin die religiöse Züchtigung der Frau, ein Abschiednehmen vom Frau-sein-Dürfen“.
Ebenfalls 1994 filmt Mona Hatoum für die Videoinstallation „Corps Etranger“ erst ihre Körperoberfläche und dann ihre Körperöffnungen, auch von innen. Damals konnten derartige Filmaufnahmen noch Aufmerksamkeit auf der Biennale von Venedig (1995) erregen, und die Videoinstallation verhalf ihr sogar zu einer Nominierung für den Turner Prize, des bedeutendsten Kunstpreises in Großbritannien.
Wenig später konnte Hatoum einzelne Aufnahmen von „Corps Etranger“ für ein anderes Kunstwerk gebrauchen, nämlich ihren Kommentar zum wohl bekanntesten Pornofilm aller Zeiten, „Deep Throat“ von 1972: In Mona Hatoum „Deep Throat“ von 1996 hat der unersättliche, gierige Schlund die Leidenschaft beim und für Sex bereits abgearbeitet und genug Geld erarbeitet, um die Gier beim Essen in feinen Restaurants auszuleben.
Mona Hatoum hat das Körperliche damit auch erst einmal abgearbeitet und wendet sich der näheren Umgebung zu:
1996 mit der Skulptur „Divan Bed“, in der Weiches nur scheinbar weich und die Realität sehr hart ist; 1998 mit dem (untitled) wheelchair, einem Rollstuhl aus Stahl mit Griffen in Form von Messern.
1999 entsteht die raumfüllende Installation „Home“, die Hatoums vorzüglichen Instinkt für die Entwicklung der Dinge zeigt: Um die Jahrtausendwende war die Küche noch ein Ort der Geborgenheit, Mona Hatoum stellt die Küche aber bereits damals als genau die umweltverschmutzende und akut lebensgefährdende Elektroschrott-Sammlung dar, zu der sich viele unserer Küchen in den letzten Jahren entwickelt haben.
Ab hier für Sie zum Entdecken, es geht z. B. um „Hot Spots“ (2009) und „Natura morta“ (2012), und um genaues Hinsehen und anerkennendes Nicken und den Gedanken „Wie Recht Sie doch hat!“.
Mona Hatoum in aller Welt, bis heute
Bis jetzt (Juli 2016) waren Werke Mona Hatoums auf gut 70 Solo-Ausstellungen und sagenhaften 600 Gruppenausstellungen (ca.) zu sehen; die meisten davon in den USA (125), gefolgt von Deutschland (88), Großbritannien (75), Frankreich (51) und Italien (50).
Mona Hatoum kann auf eine beeindruckende Zahl von Auszeichnungen und Preisen zurückblicken:
- 1990-1993: Mitglied des Artists‘ Film and Video Kommittee des Arts Council of England
- 1995: Nominierung für den Turner Prize
- 1997: Ehrenmitgliedschaft des Dartington College of Arts, Devon (England)
- 1998: Auszeichnung mit dem Titel des Visiting Professors am Chelsea College + Central Saint Martins College of Art and Design, London
- 2000: George Maciunas-Preis der Stadt Wiesbaden
- 2004: Roswitha Haftmann-Preis der gleichnamigen Stiftung in Zürich
- 2004: Sonning-Preis der Universität Kopenhagen
- 2007: Stipendiatin am Dartington College of Arts
- 2008: Bellagio Creative Artist Fellowship, London
- 2008: Ehrendoktor der American University of Beirut
- 2008: Rolf Schock Prize, Stockholm
- 2010: Berufung in die Akademie der Künste, Berlin
- 2010: Käthe-Kollwitz-Preis
- 2012: Joan-Miró-Preis der Fundació Joan Miró, Barcelona für „ihre große Fähigkeit, persönliche Erfahrung mit universellen Werten zu verbinden“
Mona Hatoum lebt heute in London und in Berlin. In Berlin wird sie von der Galerie Max Hetzler vertreten, in London von der Galerie White Cube, und hier: tate.org.uk erfahren Sie mehr über die aktuelle Einzelausstellung in der Tate Modern.
Aktuell ist Kunst von Mona Hatoum in sieben Ausstellungen in fünf Ländern zu sehen:
- bis 14. August 2016 „Imperfect Chronology: Mapping the Contemporary I“, Whitechapel Art Gallery, London
- bis 21. August 2016 „Mona Hatoum“, Tate Modern, London
- bis 28. August 2016 „Connected“, CENTRALE for contemporary art, Brüssel, Belgien
- bis 18. September 2016 „Invisible Adversaries : Marieluise Hessel Collection“, Hessel Museum of Art & Center for Curatorial Studies Galleries at Bard College, Annandale-on-Hudson, NY, USA
- bis 25. September 2016 „THE 1980S, Today,s Beginnings?“, Stedelijk Van Abbemuseum, Eindhoven, Niederlande
- bis 25. September 2016 „Seeing Round Corners: The Art of the Circle“, Turner Contemporary, Margate, Kent, UK
- bis 23. Oktober 2016 „The Dark Side of the Moon. Das Abgründige in der Kunst von Albrecht Dürer bis Martin Disler“, Kunstmuseum St.Gallen, St. Gallen
46 öffentliche Sammlungen bewahren Mona Hatoum Werk für die Zukunft und für jeden Bürger:
- Australien: Queensland Art Gallery – Gallery of Modern Art Brisbane QLD
- Belgien: Frédéric de Goldschmidt Collection Brüssel
- Dänemark: Louisiana Museum of Modern Art Humlebæk, ARKEN Museum for Moderne Kunst Ishoj
- Deutschland: Ludwig Forum für Internationale Kunst Aachen, Hamburger Kunsthalle, Sammlung Goetz München
- Frankreich: FRAC Picardie Amiens, FRAC des Pays de la Loire Carquefou, Fondation Louis Vuitton Paris, Fondation Francès Senlis
- Griechenland: National Museum of Contemporary Art Athen
- Israel: The Israel Museum Jerusalem
- Japan: 21st Century Museum of Contemporary Art Kanazawa
- Kanada: The Banff Centre Walter Phillips Gallery Banff AB, National Gallery of Canada Musée des beaux-arts du Canada Ottawa ON, Art Gallery of Ontario Toronto ON, Vancouver Art Gallery Vancouver BC
- Mexiko: Museo de Arte Contemporáneo de Oaxaca
- Niederlande: De Vleeshal Middelburg
- Norwegen: Astrup Fearnley Museet for Moderne Kunst Oslo
- Palästinensische Autonomiegebiete: Birzeit University Museum Birzeit Westjordanland
- Portugal: Ellipse Foundation Alcoitão
- Spanien: Centro de Artes Visuales Helga de Alvear Cáceres, Fundación Telefónica Madrid, DA2 Domus Artium 2002 Salamanca, Centro Galego de Arte Contemporánea Santiago de Compostela
- Schweden: Magasin 3 Stockholm, Kunsthalle Stockholm
- USA: Hessel Museum of Art & Center for Curatorial Studies Galleries at Bard College Annandale-on-Hudson NY, Institute of Contemporary Art Boston Boston MA, Museum of Fine Arts Boston MA, Albright-Knox Art Gallery Buffalo NY, The Warehouse Dallas TX, Sheldon Museum of Art Lincoln NE, Los Angeles County Museum of Art + MOCA Grand Avenue Los Angeles CA, Cisneros Fontanals Art Foundation Miami FL, Museum of Modern Art New York City NY, The Fabric Workshop and Museum Philadelphia PA, San Francisco Museum of Modern Art San Francisco CA, Hirshhorn Museum and Sculpture Garden Washington DC
- United Kingdom: Tate Liverpool, The David Roberts Art Foundation + Tate Britain + The Arts Gallery University of The Arts London, Manchester Art Gallery
Mona Hatoums Kunst als anspornender Ausblick in die Zukunft
Mona Hatoum schafft Kunst unter konkreter Einbeziehung ihres Körpers, der ohne jede Schaulust weckende Attitüde als Instrument der Verdeutlichung eingesetzt wird: Hatoum zeigt am (eigenen) Körper, wie sich institutionelle Gewalt auf den Menschen auswirkt.
Vor allem mit „Look No Body!“, „Under Siege“, „So Much I Want to Say“, „Corps Etranger“ und „Deep Throat“ hat sie Werke geschaffen, die dem Betrachter keinen Rückzug in die (beschränkte) rein intellektuelle Rezeption erlauben, sondern ihn unentrinnbar emotional mit einbeziehen.
Mona Hatoum Arbeiten haben eine deutliche politische Dimension, wegen der ihre Kunst sehr häufig und immer wieder auf „Palestinensische Kunst“ oder „Kunst des arabisch-israelischen Konflikts“ reduziert wird.
Zu Unrecht, wie die Künstlerin in Interviews immer wieder betont. Mona Hatoums Kunstschaffen ist selbstverständlich politisch. Ihre Herkunft und die Umstände ihrer Geburt gaben ihr von vornherein nicht die Chance, in die „Uns-geht-es-doch-allen-gut-und-die-denen-es-nicht-gut-geht-sehen-wir-solange-nicht-bis-wir-selbst-dran-sind“-Mentalität hineinzugleiten, die schon den Tod mancher Demokratie verursacht hat (und momentan in der westlichen Welt wieder ganz erschreckende Blüten treibt).
Mona Hatoum beschränkt ihre Aussage aber nicht auf „nationalpolitisches Palästinensertum“ oder „nationalpolitische englische Ansichten“ oder irgendwelche Ansichten irgendwelcher politisch aktiver Grüppchen, sondern ist politisch, ohne parteiisch zu sein.
Im Blick immer die, auf die es ankommt: Die Menschen, die Bürger der Staaten, an denen es liegt, friedliche Zivilgesellschaften zu formen. Hatoum zeigt den Menschen, wo sie handeln können und handeln müssen („Measures of Distance“ und die Migrationen dieser Welt) und wo sie so machtlos sind, dass sie handeln müssen, um wieder zu den Trägern der demokratischen Entscheidungen zu werden, die ihre Repräsentanten für sie fällen („The Negotiating Table“ und die Kriege dieser Welt).
Typisch für ihr Werk ist dabei die immer wieder versteckte Doppelbödigkeit, die z. B. auf verborgene Machtausübung an Menschen hinweist, wie in „Home“ (durch eine mehr dem Gewinn als der Produktion sicherer und sinnvoller Produkte selbstverpflichtete Elektroindustrie).
In „Divan Bed“ ist die vermeintlich komfortable Form in Wirklichkeit eine harte Bedrohung des Käufers, der „Untitled (wheelchair)“ verletzt in Wirklichkeit den Hilfsbedürftigen, anstatt ihn zu unterstützen (eine Erfahrung, die viele auf Hilfsmittel angewiesene chronisch Kranke im Umgang mit unseren Gesundheitssystemen machen dürfen, man muss an die Stelle der Messer-Armlehnen nur die vielen zu spät bewilligten und dann kontraproduktiven Hilfen setzen), in Natura morta entpuppt sich der vermeintlich dekorative Inhalt des Schranks bei näherer Ansicht der „Deko“ als tödliche Bedrohung …
Mona Hatoum Werk stellt in mehreren Richtungen Ideen vor, wie die Menschen mit dem Irrsinn auf der Welt umgehen können:
Der erste Schritt ist die pure Abbildung der täuschenden Politiker, parasitären Unternehmen, Produkte (in vielen Teilen der Welt leider auch des Schrecklichen), von Allen für Alle. Mit deutlicher Benennung der Täuschung, der Arbeitsverweigerung, der unterlassenen Hilfeleistung und nicht abgehoben im Sinne eines „Ich-berichte-nur-Journalismus“, der gerade um sich greift.
Der deutsche Journalismus zum Beispiel verschläft seit mindestens der Jahrtausendwende, dass in seinem ureigensten Arbeitsbereich der durch Medien vermittelten Berichterstattung weniger an viele mit dem weltweiten Netz ein neues Medium entstanden ist, zu dem von der Grundidee her jedermann Zugang hat.
Jedermann, der berichtende Bürger, wurde und wird von vielen Presseunternehmen als Konkurrenz begriffen, dem möglichst verächtlich die Kompetenz abgesprochen wird, über sein eigenes, unmittelbares Lebensumfeld zu berichten.
Anstatt sich über die für „die Information der Welt“ revolutionären neuen Möglichkeiten zu freuen, sofort daranzugehen, eine Vielzahl neuer Formate zu erfinden, in denen die Bürger die Medien beim Berichten über die Welt unterstützen können …
Kluge Bürger nehmen es auf Dauer übel, wenn sie für dumm gehalten oder für dumm verkauft werden. Kluge Bürger merken sogar, dass in Wirklichkeit die Medienkonzerne die Dummen sind bzw. die reaktionären Bewahrer der Berichterstattungs- und Deutungsmacht über die Neuigkeiten in der Welt – Herrschaftswissen eben, nicht zum Teilen, sondern zum Geld verdienen.
Kluge Bürger haben sich von dieser nach rückwärts und auf Gewinnmaximierung ausgerichteten Medienmacht abgewandt (das waren die Abonnenten), zahlreiche Presse-Erzeugnisse gerieten ins Straucheln, mit Massenentlassungen von Journalisten als üblicherweise erster Gegenmaßnahme, die Berichterstattung vom bedrohten „Noch-Job“ aus wird dadurch nicht besser … Aber die Artikel der „Ich-berichte-neutral“-Journalisten nehmen gewaltig zu, die trotz ständiger Berufung auf den einzig wahren, meinungslosen Journalismus vom Leser enttarnt werden als das, was sie sind: Verbeugungen vor der „durch den Markt aufgezwungenen“ Kastration des Journalismus oder Kapitulationen vor der Vielfalt und Komplexität unserer Welt.
Denn zum einzig wahren Journalismus gehört zwar manchmal sinnvolle Beschränkung, aber ganz bestimmt nicht die Weigerung, irgendeine Art von Verantwortung für die eigene Schreibe zu übernehmen.
Bei Journalisten, die ihren Beruf auf einem hohen (moralischen) Niveau ausüben und nicht nur Gewinnmaximierung im Sinn haben, ist es nach wie vor selbstverständlich, dass sie in ihren Artikeln Stellung beziehen zu den Themen, über die sie berichteten (das ist übrigens der Grund für eine öffentliche Gebühr für Radio und Fernsehen, in den öffentlichen Sendeanstalten tummelt sich ein großer Teil der Journalisten mit einer solchen Berufsauffassung).
Wenn Journalisten zunehmend nicht mehr berichten, sondern lediglich kommentarlos die Kamera hinhalten (was mit der Entscheidung, wo sie die Kamera hinhalten, doch wieder eine Stellungnahme ist), machen sich Journalisten selbst überflüssig – die Kamera hinhalten kann jeder, der eine Kamera besitzt.
Mona Hatoum ging nicht in diese Falle der „bloßen Abbildung“, sie fokussiert die Verarbeitung der Wirklichkeit durch ihre/in ihrer Kunst ganz im Gegenteil bewusst auf den einzelnen Menschen, auf das verwundbare Individuum und das Individuum, das andere durch seine Handlungen oder (unterlassenen) Entscheidungen verwundet …
Indem Hatoum die Verwundbarkeit des Körpers herausstellt, jedes einzelnen Körpers, holt sie die Gewalt von den Befehlszentralen und Verhandlungstischen ungefährdeter (und emotional unbeteiligter) Kriegs-Verwalter und -Verdiener direkt in die reale Welt der einzelnen Menschen.
Diese Menschen sind es, die in jeder kriegerischen Auseinandersetzung leiden,
dutzende Menschen (33 Mädchen einer verschleppten Schulklasse),
hunderte Menschen (454 Bewohner des versehentlich in den Erdboden gebombten Dorfes),
tausende Menschen (6565 Opfer bei der unschuldigen Zivilbevölkerung),
Millionen Menschen.
100 bis 185 Millionen Kriegsopfer hat allein das 20. Jahrhundert hervorgebracht, dazu gehört dann etwa das zwei- bis dreifache an kriegstraumatisierten Angehörigen mit Spätfolgen, die den Krieg in die nächsten Generationen tragen – Mona Hatoum erinnert uns daran, an jedes vergangene Opfer und jedes künftige Opfer.
Und sie erinnert daran, dass es für jeden von uns gerade wieder Zeit ist, sich zu engagieren. Gegen die Unterdrücker, die dummdreisten Chaoten, die noch dümmeren Rassisten (wir gehören alle zu einer Art Homo sapiens, die genetisch sehr viel näher miteinander verwandt ist als es bei Arten unserer Fauna sonst üblich ist).
Für die Mitmenschen, die gerade vor dem Krieg in ihrer Heimat fliehen müssen; und heute dort Zuflucht suchen, wo entweder in der Zukunft auch wieder Menschen vor Unterdrückung, Krieg, Terror werden flüchten müssen oder wo sich bereits Zivilgesellschaften zusammengefunden haben, die den Rückfall in menschenverachtende Vorzeiten nicht mehr zulassen …
Passionierte Autorin mit regem Kunstinteresse