- Art-o-Gramm: Picasso – Berühmte Kunst und ihr Geheimnis – Thesen 5-7
- Art-o-Gramm: Picasso – Berühmte Kunst und ihr Geheimnis – Thesen 1-4
Der Künstler „an sich“ – es sind nicht wenige Menschen, denen Picasso einfällt, wenn ein solcher Ausspruch fällt. Kunstinteressierte nehmen dieses Gehirnbild und diesen Status nicht einfach hin, sondern fragen sich, warum Picasso diese Rolle zugefallen ist.
Man kann ein Kunststudium damit verbringen, die Antwort darauf zu finden, aber schon einige Thesen können neugierigen Menschen eine gedankliche Spur aufweisen, warum Picassos Kunst so berühmt ist und welches Geheimnis dahinter steckt:
These 5: Einfach mal die Malerei neu ordnen, und noch mehr lernen
Im letzten Abschnitt dieses Artikels wurde darauf eingegangen, dass das Geheimnis von Picassos Erfolg sicher auch damit zu tun hat, dass er sich nie auf seinen Erfolgen ausgeruht hat, sondern schon als junger Künstler auf der ständigen Suche nach dem eigenen Stil war. Und dass Picasso sich nicht scheute, bei dieser Suche immer wieder totale Umbrüche seiner Darstellung auszuprobieren, egal, ob das seinen potenziellen Kunden gefiel, und das er genau damit meist recht behielt.
Dass er fast Zeit seines Lebens weiter recht behalten sollte, hat aber auch seinen Grund, denn recht behalten kann auf Dauer nur, wer sich und seine Kenntnisse ständig weiterentwickelt, und genau das hat Picasso sein ganzes Leben lang getan:
Lernen, immer weiter, immer mehr …
Das nächste berühmte Bild auf der zu Anfang dieses Artikels vorgelegten Beispiel-Liste ist das der Frauen von Avignon: „Les Demoiselles d’Avignon“ von 1907 wird von der Kunstwissenschaft seit langem als ein „Schlüsselbild der Klassischen Moderne“ anerkannt.
Picasso hat mit diesem Bild eine Bildsprache geschaffen, die es in der gesamten Geschichte der abendländischen Malerei noch nie gab. Die „Demoiselles“ sind ein Wendepunkt, der alle Ideen aufnahm, die zur damaligen Zeit auf eine kubistische Malweise zuliefen – mit diesem Bild leitete Picasso den Kubismus nun ein.
Er hat in Vorbereitung dieser Komposition die europäische Kunstüberlieferung von den Wurzeln ausgehend durchdacht und seziert, angefangen bei archaischer Kunst, danach hat er sich quer durch die Jahrhunderte mit den großen Meistern beschäftigt: Von Uccello (1397 – 1472), Piero della Francesca (1420 – 1492), El Greco (1541 – 1614), Poussin 1594 – 1665) bis hin zu Ingres (1780 – 1867) und zum gerade verstorbenen, von Picasso verehrten Cézanne (1839 – 1906), dessen Spätwerk ein „eigentlich kubistisches“ rhythmisches Gefüge aufwies.
Aus den gefundenen Elementen entwickelt Picasso nun eine neue künstlerische Sprache, wobei er nicht einfach nur mit der Tradition brechen wollte, um etwas Neues zu schaffen. Ihm ging es vielmehr um die Zerstörung der Konvention, der unkritischen Übereinkunft darüber, was Kunst ist und wie sie zu sein hat.
Die Demoiselles sind somit eine einzigartige Reflexion über das Malen und über Kunst und ihre Schönheit, nach Meinung vieler Kunstkenner eine tiefere und gründlichere Reflexion, als sie jemals in einem anderen Werk der europäischen Malerei stattgefunden hat.
Was die Zeitgenossen nicht sofort erkannten – der Bildausdruck der Demoiselles wurde zunächst als Sprache einer Deformation beschrieben, oder sie wurden als assyrisch oder ägyptisch eingeordnet. Insgesamt stand man den Arbeiten, die Picasso in der von ihm selbst als période nègre (im Sinne von „afrikanisch beeinflusst“) bezeichneten Periode 1907 und 1908 anfertigte, eher ratlos gegenüber.
Wie es eben meist geschieht, wenn jemand etwas grundlegend Neues erdenkt und dabei auch noch etwas schneller als seine Zeitgenossen ist … inzwischen ist die Rolle des Gemäldes als Schlüsselwerk der neueren Kunstgeschichte aber ebenso unbestritten anerkannt wie seine weitreichende Bedeutung für die nachfolgende Entwicklung der Malerei.
Picasso hat in diesem Bild viele Elemente der künstlerischen Darstellung auf eine vollkommen neuartige Weise eingesetzt, dazu gehört z. B. die Einteilung der Körperformen in abgegrenzte Darstellungsflächen, und er hat einen geradezu unerhörten Umbruch gewagt: In dem Gemälde „Les Demoiselles d’Avignon“ gab er die Zentralperspektive auf, die seit der Renaissance als eine der bedeutendsten Errungenschaften der künstlerischen Darstellung galt.
Picasso stellt die fünf Frauen auf dem Bild vielmehr aus mehreren Perspektiven gleichzeitig dar. Dies geschah, nachdem er monatelang um die Form gerungen hatte, und er folgt damit einer der modernsten Erkenntnisströmungen seiner Zeit – seine Beschäftigung mit der Gleichzeitigkeit in der Malerei liegt in der gleichen Zeit, in der Einstein in der Physik diese Frage aufgreift.
Die von den Zeitgenossen mit Misstrauen oder Ablehnung beäugten „Demoiselles“ schmorten damals erst einmal ziemlich lange in Picassos Atelier, wurden im Juli 1916 in der Ausstellung „Art Moderne en France“ erstmals der (vermutlich ebenfalls irritierten) Öffentlichkeit vorgestellt und wurden schließlich erst 1924 direkt aus Picassos Atelier vom Modeschöpfer und Kunstsammler Jacques Doucet gekauft.
Und wieder lag Picasso goldrichtig
Schon gut ein Jahrzehnt später deutete sich an, dass Doucet mit dem Kauf der „Demoiselles“ einen guten Instinkt bewiesen hatte: 1939 wurde das Bild aus Doucets Nachlass auf Geheiß der weitsichtigen Mäzenatin (und Mitbegründerin des MoMA) Lillie P. Bliss für 28.000 US-Dollar vom Museum of Modern Art in New York erworben, im Jahr 2005 bezahlte Heinz Berggruen für eine der ersten Studien Picassos zu den „Demoiselles“, eine Gouache, 13,7 Millionen US-Dollar.
Picasso war von den Reaktionen seiner Freunde und Beurteiler nach Fertigstellung des Bildes so enttäuscht, dass er es in seinem Atelier mit der Bildfläche zur Wand gedreht aufbewahrte. Im Gegensatz zu anderen verkannten Genies durfte er die Anerkennung seiner in diesem Bild zum Ausdruck gekommen Leistung aber wenigstens später im Leben erfahren, und das Bild brachte ihm sogar unmittelbar einen wichtigen Gewinn:
Im Zusammenhang mit dem Trubel um das Bild wurde Picasso die Bekanntschaft zu Daniel-Henry Kahnweiler vermittelt. Der junge deutsch-französische Galerist hatte gerade in Paris seine erste Galerie eröffnet, er wurde von nun an Picassos wichtigster Förderer und stellte noch im Jahr 1907 zum ersten Mal Picassos Werke aus. Etwa zur gleichen Zeit lernt Picasso dann auch den gleichaltrigen und von ähnlichen Ideen faszinierten Maler Georges Braque kennen, mit dem er in den nächsten paar Jahren den Kubismus begründet.
Das Bild der „Les Demoiselles d’Avignon“ steht insgesamt für eine weitere herausragende Eigenschaft Picassos: Er hat sein ganzes Leben lang gelernt, und er wollte dringend sein ganzes Leben lang lernen. „Diese Offensein für jede neue Erkenntnis, für jedes neue Erlebnis im Außen und Innen, das ist das Wesenhafte des modernen Menschen“, hat Picasso bereits ein wenig vor den Pädagogik-Koryphäen des 21. Jahrhunderts erkannt.
Und er hatte bereits im Alter von 26 Jahren den Mut, unbeirrt den Erkenntnissen zu folgen, die er durch eigene Arbeit hatte – die Zentralperspektive war seit ihrer „Erfindung“ durch Brunelleschi und ihrer Manifestation durch Malergrößen wie Giotto und Dürer unantastbar für die nachfolgenden Maler, sie aufzugeben war ein echtes Wagnis.
… und Lernen bei den richtigen Lehrern
Picasso hat es überhaupt in herausragender Konsequenz vermieden, Institute und Menschen zu konsultieren, die dem Schüler das Lernen eher abgewöhnen. Und wenn das doch passierte, hat er das Notwendige schnell und erfolgreich hinter sich gebracht und sich dann dem zugewandt, was ihn weiterbrachte, dem Selbststudium, der Auseinandersetzung mit Könnern des betreffenden Fachgebietes und den Reisen.
Dieses ständige Lernen ist der eigentliche Grund dafür, dass er viele Begabungen zum Ausdruck bringen konnte – er hat z. B. erst ganz genau sehen gelernt, und hat dann begonnen, dieses Sehen auch räumlich zu erforschen.
So konnte er als nicht ausgebildeter Bildhauer ab dem 28. Lebensjahr Skulpturen erschaffen, die einen großen Einfluss auf die Bildhauerei des 20. Jahrhunderts haben sollten. Picasso hatte gar keine großen Ambitionen mit dieser Bildhauerei, sondern sah die dreidimensionalen Arbeiten einfach nur als Experimentierfeld für seine Malerei an – und experimentierte so gut, dass die Werke eine ganze Reihe von zeitgenössischen Bildhauern zu neuer Sicht ihrer Arbeiten anregten.
Picasso ist 91 Jahre alt geworden und hat durchgehend gemalt oder sonst irgendetwas Künstlerisches hergestellt – aber nicht weil er immer so fleißig war, sondern weil er immer neugierig geblieben ist, hat uns Picasso ein Gesamtwerk hinterlassen, bei dem uns schnell einmal „vor Ehrfurcht die Augen tränen“, wenn wir uns damit beschäftigen.
In den bisherigen Abschnitten dieses Artikels wurde bereits ein Teil des Geheimnisses von Picassos Erfolg aufgedeckt: Picasso hat einfach als Künstler Außergewöhnliches geleistet, in ständiger Fortentwicklung, mit ständiger Neuorientierung, unter lebenslangem Lernen. Das reicht aber immer noch nicht, Picassos Erfolg „so ganz rundum“ zu erklären, denn es kommen noch weitere Komponenten hinzu, die in den nächsten Abschnitten dieses Artikels beleuchtet werden.
Außerdem gibt es zu Picasso noch viel mehr Interessantes zu erzählen: Sein Leben ist ebenso interessant wie reich an Spannung und wird im Artikel „Art-o-Gramm: Picasso – Ein langes Leben für die Kunst“ zusammengefasst, um seine Ausbildung zum Künstler geht es im „Art-o-Gramm: Picasso – zum Künstler geboren“, um seine Erfahrungen mit Kriegen und deren Niederschlag in seinem Werk im Artikel „Art-o-Gramm: Picasso – ein Künstler und drei Kriege“, um die Nachwirkungen seines Schaffens im Artikel „Art-o-Gramm: Picasso heute“. Um „Picassos-Rekorde“ geht es im Artikel „Art-o-Gramm: „Picasso – ein Garant für Top-Ranking“ und im Artikel „Art-o-Gramm: Picasso – Der Künstler, das Leben und die Liebe“ auch, bloß mit einem etwas anderen Akzent.
Falls Sie gerade dabei sind, etwas zu lernen (oder kreativ zu erarbeiten), was noch ziemlich lange dauern wird, und das Gefühl haben, nach jedem gelernten Kapitel (oder fertigen Teil des Werkstücks) wieder eine mindestens gleich große Aufgabe vor sich zu haben, lassen Sie sich durch folgendes Zitat Picasso trösten, er kannte das Gefühl:
„Das schlimmste ist, es ist nie etwas abgeschlossen, es gibt nie den Moment, wo man sagen kann: ich habe gut gearbeitet, und morgen ist Sonntag. Sobald man aufhört, ist`s, um von vorn anzufangen. Man kann ein Bild sein lassen und beschließen, nicht mehr daran zu rühren. Aber nie kann man darunter schreiben: Ende.“
(Quelle des Zitats: kunstzitate.de)
Der Künstler „an sich“ – es sind nicht wenige Menschen, denen Picasso einfällt, wenn ein solcher Ausspruch fällt. Kunstinteressierte nehmen dieses Gehirnbild und diesen Status nicht einfach hin, sondern fragen sich, warum Picasso diese Rolle zugefallen ist. Man kann ein Kunststudium damit verbringen, die Antwort darauf zu finden, aber schon einige Thesen können neugierigen Menschen eine gedankliche Spur aufweisen, warum Picassos Kunst so berühmt ist und welches Geheimnis dahinter steckt:
These 6: Picassos Kunst hilft, zu verstehen
Bisher wurde in fünf Abschnitten dieses Artikels schon einiges von dem ans Licht gebracht, was hinter dem Geheimnis von Picassos Erfolg steckt. Außergewöhnliches Talent von Beginn an, Gespür für die richtigen Kontakte, unerschrockenes Kunstschaffen in ständiger Fortentwicklung, keine Angst vor Neuorientierung, lebenslanges Weiterlernen.
Es kommt aber noch etwas dazu, was ein wichtiger Grund dafür ist, dass Picasso so berühmt geworden ist: Es gibt Bilder von Picasso, die vielen Menschen geholfen haben, ihre Welt zumindest ein Stück weit besser zu verstehen:
„Guernica“ – das berühmteste Antikriegsbild der Welt
„Guernica“ von 1937 ist berühmt, weil Picasso hier den Krieg als ein seine Zeit bestimmendes Geschehen verarbeitet. Es gelingt ihm so eindringlich, die Schrecken des Krieges und seine Erschütterung durch das Kriegsgeschehen einzufangen, dass Guernica bis heute als das bedeutendste Antikriegsbild in der Geschichte der Kunst angesehen wird.
Picasso folgt in dieser kolossalen Komposition (349 x 777 cm, mehr als 27 Quadratmeter Bildfläche) einem Weg, den Goya mit seinen „Desastres de la Guerra“ im 19. Jahrhundert erstmals beschritten hatte: Der Künstler agiert hier nicht mehr als Angestellter des Adels oder des Klerus, der ein Kriegsgeschehen als eine Art riesiges Spiel mit bedauerlichen, aber fair behandelten Verlierern auf beiden Seiten darstellt, sondern er ergreift Partei, er rückt die wahren Opfer ins Zentrum der Aufmerksamkeit.
Das schafft Picasso mit einer meisterhaften Bildsprache: Picasso hat in „Guernica“ bewusst sehr universelle und einfache Formen eingesetzt, die (fast wie ein Piktogramm) von Menschen rund um die Welt verstanden werden. So hat er es geschafft, dass die Aussage dieses Bildes über den europäischen Kulturkreis hinaus verstanden wird.
„Guernica“ ist eine politische Anklage, die Menschen Handlungsmöglichkeiten eröffnet
Picasso erschuf mit diesem Bild eine Art „politische Propagandakunst“, gab eine zutiefst politische Aussage von sich, ohne irgendwelchen bestimmten politischen, militärischen oder religiösen Interessen zu dienen. Er klagt mit diesem Bild ganz einfach elementar gegen Krieg und Zerstörung. Ohne Helden, ohne Täter, ohne einen Sieg des Guten.
Picasso zeigt die totale Apokalypse mit all ihren Grausamkeiten, ohne die Geschehnisse zu dokumentierten. Genau durch diese kommentarlose Verallgemeinerung macht er nach Meinung der Fachwissenschaftler das Grauen erst einer emotionalen Verarbeitung zugänglich. Damit bietet das Bild einen Ansatz zur Heilung der seelischen Wunden, weil es die Möglichkeit eröffnet, die sprachlose Ohnmacht gegenüber dem Entsetzlichen zu überwinden.
Wenn aber erst das Überwinden dieser gelähmten Ohnmacht den Menschen erlaubt, eine bewusste Antikriegs-Haltung zu entwickeln, kann „Guernica“ noch mehr erreichen: Picasso hat dann mit „Guernica“ eine entscheidende Arbeit vorgelegt, die zu menschlichem Engagement gegen den Krieg anregt.
Genauso wird „Guernica“ – wegen der genialen Bildsprache nahezu in der ganzen Welt – auch gesehen: Das gewaltige Antikriegsbild gehört zu den am meisten veröffentlichten („zitierten“) Bildern, ob als Zeitungsdruck, Wandbild, Poster, Graffiti oder Plakat, auch für viele Skulpturen stand „Guernica“ Vorbild.
Viele der Komponenten, die dafür verantwortlich sind, dass Picasso eine Ausnahme-Stellung unter den Kunstschaffenden zugestanden wird, wurden nun in diesem Artikel angesprochen, es fehlen aber immer noch zwei Aspekte, die im letzten Abschnitt aufgezeigt werden.
Darüber hinaus gibt es zu Picasso mehr zu lesen: Im Artikel „Art-o-Gramm: „Picasso – ein Garant für Top-Ranking“ werden die Erfolge Picassos „in harten Zahlen“ dargestellt, im „Art-o-Gramm: Picasso – Der Künstler, das Leben und die Liebe“ geht es nicht nur um die Liebe, sondern auch um deren Auswirkungen auf Picassos Kunst.
Zu Picassos künstlerischer Ausbildung können Sie im „Art-o-Gramm: Picasso – zum Künstler geboren“ mehr erfahren, eine Zusammenfassung seines Lebens erfolgt im „Art-o-Gramm: Picasso – Ein langes Leben für die Kunst“; im „Art-o-Gramm: Picasso – ein Künstler und drei Kriege“ werden seine langen Lebensjahre unter Kriegsbedrohung in Bezug zu seiner Kunst gesetzt, im Artikel „Art-o-Gramm: Picasso heute“ erfahren Sie u. a., wo Sie seine Kunstwerke heute betrachten können.
Zum Schluss noch ein Zitat Picassos, dass Sie ermutigen soll, sich viel Kunst anzusehen und sich Gedanken darüber zu machen, was ein Kunstwerk aussagen soll:
Wir wissen alle, dass Kunst nicht Wahrheit ist. Kunst ist eine Lüge, die uns die Wahrheit begreifen lehrt, wenigstens die Wahrheit, die wir als Menschen begreifen können. Der Künstler muss wissen, auf welche Art er die anderen von der Wahrhaftigkeit seiner Lügen überzeugen kann.“
(Quelle des Zitats: kunstzitate.de).
In diesem Sinne „Kunst sehen zu lernen“ hilft übrigens nicht nur dabei, in einem Bild wie „Guernica“ den Aufruf zu erkennen, sich gegen Krieg zu engagieren, sondern wird Sie genau andersherum auch davor bewahren, durch „künstlerische Darstellung“, z. B. in der Werbung, mit finanziell verlustreichen Folgen manipuliert zu werden.
Der Künstler „an sich“ – es sind nicht wenige Menschen, denen Picasso einfällt, wenn ein solcher Ausspruch fällt. Kunstinteressierte nehmen dieses Gehirnbild und diesen Status nicht einfach hin, sondern fragen sich, warum Picasso diese Rolle zugefallen ist. Man kann ein Kunststudium damit verbringen, die Antwort darauf zu finden, aber schon einige Thesen können neugierigen Menschen eine gedankliche Spur aufweisen, warum Picassos Kunst so berühmt ist und welches Geheimnis dahinter steckt:
These 7: Viele Kunstwerke und viele Künste
In diesem Artikel haben Sie bereits eine Menge über die Gründe erfahren, die Picasso und seine Kunstwerke außergewöhnlich berühmt machen. Zum Abschluss sollen noch zwei Aspekte angesprochen werden, die beide einen sehr großen Anteil daran haben, dass Picasso zum „Mythos“ wurde:
Unglaublich viele Kunstwerke
Im ersten Abschnitt dieses Artikels wurden ein paar „besonders berühmte“ Werke von Picasso aufgelistet, mit der Bemerkung, dass es mit den besonders berühmten Werken von ihm noch eine ganze Weile weitergehen könne. So ist es tatsächlich, und die pure Menge der Kunstwerke Picassos ist sicherlich nicht ganz unbeteiligt an Picassos Stellung als Ausnahme-Künstler.
Beobachten Sie Picasso beim Malen eines Meisterwerks
Im letzten Abschnitt wurde gerade das legendäre Antikriegsbild „Guernica“ vorgestellt. Das bedeutet, in diesem Artikel wurde auf Kunstwerke von Picasso eingegangen, die zwischen 1890 („El pequeño picador“) und 1937 („Guernica“) geschaffen wurden.
Das sind Kunstwerke aus 47 Jahren seiner Tätigkeit, 36 Jahre „Kunst machen“ liegen hinter dem Jahr 1937 und noch vor Picasso … Picasso ist 91 Jahre alt geworden, von diesen 91 Jahren hat er sich 85 Jahre mit der Kunst der Malerei beschäftigt und 83 Jahre Bilder geschaffen, die als Kunstwerke angesehen werden.
Picasso hat pro Jahr 600 Kunstwerke gefertigt, das sind pro Monat 50 Kunstwerke, also fast zwei Werke pro Tag – oder noch deutlich mehr, wenn man bedenkt, dass allein für das Bild „Les Demoiselles d’Avignon“ 809 Vorstudien belegt sind.
Als ein Herzinfarkt am 8. April 1973 seinem gewaltigen Werkschaffen ein Ende setzt, soll er insgesamt rund 50.000 Kunstwerke hinterlassen, und diese Werke sind auch noch durchgängig Klasse statt Masse, eigene Handarbeit und nicht Vervielfältigung durch Helfer wie z. B. bei Andy Warhol – wirklich beeindruckend!
Picasso „konnte viele Künste“
Dabei war die ganze Zeit nur von Picasso als Maler die Rede, ein weiterer Grund für das Geheimnis seines Erfolges liegt jedoch darin, dass er keineswegs auf die Bilddarstellung beschränkt war:
Picasso modellierte mit 20 nackte sitzende Frauen und mit 28 Frauenköpfe (womit nicht angedeutet werden soll, dass er das Gehirn der Frau zu dieser Zeit entdeckt hätte), mit 31 Montagen und mit 86 moderne Metall-Skulpturen.
Er fertigte Druckgrafiken an, 1919 bis 1930 und ab 1945 wieder, Lithografien, zwischen 1930 und 1937 eine Serie von hundert Grafiken, ab 1935 eine Folge von Radierungen von Stierkämpfen, 1949 die Friedenstaube (eine typische Friedenstaube von Picasso sehen Sie hier, aber er hat viele gemalt), 1968 zwei große Radierfolgen über Stierkampf, Zirkus und Erotik, und immer wieder Gebrauchsgrafik, Plakate und Buchillustrationen, Kalenderbilder, Karten und Notenhefte.
Picasso entwarf Bühnenbilder und Bühnenkostüme, 1917 für Sergei Djagilews Balletts Russes, 1919 für Manuel de Fallas Oper „Der Dreispitz“, 1920 für Igor Strawinskis „Pulcinella“ und 1924 für Saties Ballett „Les Aventures de Mercure“. Einige seiner Entwurfsskizzen können Sie sich auf picassocinefilo.wordpress.com ansehen.
Frühjahr 1947 bezog Picasso ein Keramik-Atelier und schuf Nymphen und Faune aus Ton, dekorierte Teller und Platten mit Stierkämpfern und Frauen, Eulen und Ziegen, und erfand nebenbei nochmal schnell eine neue, weiße Tonmasse.
Er fertigte 1949 zusammen mit dem Fotografen Gjon Mili verschiedene Lichtmalereien auf Fotopapier an, sogenannte Luminografien, bei denen er eine Taschenlampe wie einen Zeichenstift führte.
Malen mit Licht – Picasso und seine Luminogramme
Picasso war auch literarisch tätig, er hinterließ Dutzende von Gedichten und zwei Theaterstücke, 1941 „Le Désir attrapé par la queue“ (von Paul Celan unter dem Titel „Wie man Wünsche beim Schwanz packt“ ins Deutsche übersetzt) und 1948 „Les quatre petites filles“ (Vier kleine Mädchen).
Auch wenn Sie nach dem Lesen der sieben Abschnitte dieses Artikels sicher erst einmal eine kleine Picasso-Pause brauchen – über Picasso gibt es noch viel mehr Interessantes zu berichten (siehe Links zu verwandten Artikeln weiter oben).
Wenn Sie jetzt zwar den Eindruck haben, eine leise Ahnung davon zu haben, warum Picasso so außerordentlich erfolgreich ist, aber trotzdem noch nicht die geringste Vorstellung davon haben, wie Sie ein bestimmtes Bild genau verstehen sollen – lassen Sie es doch einfach sein, sehen Sie sich Kunst an und freuen oder ärgern Sie sich darüber, frei nach Picassos Ausspruch:
Jeder möchte die Kunst verstehen. Warum versucht man nicht, die Lieder eines Vogels zu verstehen? Warum liebt man die Nacht, die Blumen, alles um uns herum, ohne es durchaus verstehen zu wollen? Aber wenn es um ein Bild geht, denken die Leute, sie müssen es ‚verstehen‘.“
(Quelle des Zitats: kunstzitate.de)
Inhaber und Geschäftsführer von Kunstplaza. Publizist, Redakteur und passionierter Blogger im Bereich Kunst, Design und Kreativität seit 2011. Erfolgreicher Abschluss in Webdesign im Rahmen eines Hochschulstudiums (2008). Weiterentwicklung von Kreativitätstechniken durch Kurse in Freiem Zeichnen, Ausdrucksmalen und Theatre/Acting. Profunde Kenntnisse des Kunstmarktes durch langjährige journalistische Recherchen und zahlreichen Kooperationen mit Akteuren/Institutionen aus Kunst und Kultur.