Picasso ist berühmt, berühmter, am berühmtesten – jeder Kunstliebhaber mit einer gesunden Portion Neugier fragt sich irgendwann, wie er eine solche Ausnahmestellung entwickeln konnte und vor allem – gut vier Jahrzehnte nach seinem Tod – kontinuierlich hält.
Platz 2 auf der wohl größten Rankingliste der Kunst, seit Jahren, unverrückbar. Einige der beteiligten Faktoren wurden in dieser Art-o-Gramm-Serie über den herausragenden Künstler bereits angesprochen, ein ganz entscheidender Aspekt fehlt aber noch: Wo immer ein Werk von Picasso auftaucht, legen sich die Top-Ranking-Listen aufnahmebereit nieder, werden Verkaufserfolge gefeiert, planen Kuratoren eine epochale Ausstellung – in den meisten der Fälle, wenn in der Kunst verglichen wird, ist Picasso oder „ein Picasso“ ganz vorne mit dabei.
Genius: Picasso – Eine Reise durch die Kunstepochen | National Geographic
Von Impressionismus bis Pop Art: Ein Team von National Geographic begibt sich für uns auf eine kleine Reise durch die Kunstepochen.
Seine Bilder machten Pablo Picasso zu einem der einflussreichsten und berühmtesten Künstlern des 20. Jahrhunderts. Genius: Picasso“ erzählt das Leben und das Schaffen des spanischen Malers. Die neue Staffel von Fox 21 Television Studios stammt erneut aus der Feder des Executive Producer Brian Grazer in Zusammenarbeit mit Imagine Entertainment (Ron Howard).
Während die erste Staffel „Genius: Einstein“ für 10 Emmys nominiert ist, präsentiert National Geographic nun den Emmy – und Golden Globe -nominierten Schauspieler Antonio Banderas („Evita“, „The Mask Of Zorro“, „El Mariachi“) für die Rolle des Pablo Picasso in der zweiten Staffel von „Genius“.
Hier ist der Trailer:
Der Meister der bedeutenden Ausstellungen
Schon die ersten Ausstellungen Picassos wurden von den Kunstkritikern beachtet und gelobt, auch in der Presse wurde das Talent des spanischen Kubisten gefeiert.
Es war ein sehr junges Talent – die ersten Ausstellungen fanden um 1895 statt, kurz nachdem Picasso mit 14 Jahren auf der Kunstakademie aufgenommen worden war. Und eine durchaus mächtige Presse – diese Kunstakademie befand sich in Barcelona, zweitgrößte Stadt Spaniens und bedeutendes Kunstzentrum.
Picasso gab sich sehr schnell nicht mehr mit der Beachtung der spanischen Öffentlichkeit zufrieden, pünktlich zur Weltausstellung 1900 kam er in Paris an, für den Spanier das nächstgelegene Kunstzentrum mit Interesse für die Moderne. Picasso sollte sich von nun an häufig in Paris aufhalten, dort folgten bald die nächsten Ausstellungen, er lernte Künstler und Kunstinteressierte aus aller Welt kennen.
So konnte Picasso bald auch in London ausstellen, 1910 zum ersten Mal, 1912 wieder, zwischendurch auch wieder einmal in Paris, aber richtig los ging es für ihn in Deutschland: 1910 war er bei einer Ausstellung der Neuen Künstlervereinigung München in der Galerie Thannhauser dabei, 1912 bei einer Ausstellung des Sonderbundes in Köln, im „Sturm“, Herwarth Waldens Galerie in Berlin, und in der zweiten Ausstellung des Blauen Reiter in der München, in der Galerie Goltz. 1912 war er auch in Köln zu sehen, 1913 wieder in München, dann waren Deutschland und die anderen europäischen Kunstzentren erst einmal im Krieg.
Nach Übersee brauchte es in Picassos Frühzeit einige Anläufe, selbst in New York wurde die moderne Kunst Anfang des 20. Jahrhundert nur sehr zögerlich von einigen Individualisten akzeptiert.
Der europäische Kunstbetrieb, mit Deutschland als einem der Zentren, war damals sehr viel mehr an den zeitgenössischen Entwicklungen der Kunst interessiert als der gesamte Rest der Welt, die Weltkriege und die unstete Zeit zwischen den Kriegen bremsten die moderne Kunst in all ihren Erscheinungsformen nachdrücklich aus.
Erst nach dem Zweiten Weltkrieg ging es wieder los mit der nun internationaler werdenden modernen Kunst: Zunächst in Italien, 1950 war Picasso auf der 25. Biennale in Venedig zu sehen, dann wieder in Deutschland, 1955 wurde Picasso zur documenta 1 in Kassel eingeladen und 1959 zur documenta 2.
Also zu den führenden Kunstereignissen, die die damalige Zeit zu bieten hatte, und so ging es weiter: 1960 war Picasso auf der 30. Biennale Venedig, 1964 auf der documenta 3, 1976 bei der 37. Biennale Venedig, 1977 auf der documenta 6, 1978 auf der 38. Biennale Venedig.
Picasso wird viel ausgestellt, seit langer Zeit und bis heute
Als Picassos Werke Ende der 1970er Jahre auf der Biennale und der documenta gefeiert wurden, war der Künstler bereits verstorben. Sein Werk begann jedoch gerade erst, seine Wirkung zu entfalten – gegenüber der Gesamtzahl der Ausstellungen, die bis heute seine Werke zeigen, hat Picasso zu Lebzeiten „nur ein paar Mal“ ausgestellt.
In allen großen Datensammlungen über Kunstausstellungen werden für den Künstler Picasso gut 2.500 Ausstellungen verzeichnet, und das sind nur die bedeutenden Ausstellungen, in allen alten und neueren Zentren der zeitgenössischen Kunst, über die ganze Welt.
Picassos erste Ausstellungen fanden um 1895 statt, das sind bis heute einfach einmal 120 Jahre Ausstellungsgeschichte, da kommt schon einiges zusammen.
Bis heute werden Picassos Werke mit ungebrochener Begeisterung in aller Welt ausgestellt, sein 125. Geburtstag im Jahr 2006 wurde mit über 40 aufsehenerregenden Einzelausstellungen und um 140 großen Gruppenausstellungen gefeiert, 2011 (130. Geburtstag) waren es um 45 Einzelausstellungen und 125 Gruppenausstellungen, seitdem werden Ausstellungen mit dem Thema Picasso nicht unbedingt weniger.
Auf den Spuren von Picasso bei der Sammlung Rosengart in Luzern | MERIAN
In der Sammlung Rosengart in Luzern (Schweiz) sind Werke von Künstlern wie Picasso und Miró zu bewundern. MERIAN hat sich in nachfolgendem Video für uns mit der Stifterin Angela Rosengart unterhalten und führt uns ein wenig in die Welt von Pablo Picasso ein:
Es gibt immer wieder Neues zu entdecken…
Dass Picasso-Ausstellungen nicht weniger werden, liegt an seiner Prominenz, aber auch an der Vielseitigkeit seines Kunstschaffens. So gab und gibt es Ausstellungen zu Picassos Gesamtwerk, zu seinem Frühwerk und zu seinem Spätwerk, und mit Kunstwerken, die Picasso in einer bestimmten Zeit seines Lebens, in einer bestimmten stilistisch abgrenzbaren Periode angefertigt hat.
Gut 80 Jahre künstlerisches Schaffen, bei Picasso sehr eifriges künstlerisches Schaffen, stellen diesbezüglich eine Menge Varianten zur Verfügung:
Die Werk aus seiner Jugend, 1889–1897, die Werke aus den Jahren der ersten künstlerischen Orientierung, 1898–1901. Werke aus der Blaue Periode (1901–1904), aus der Rosa Periode (1904–1906) und aus der période nègre (1907–1908).
Picassos Kubismus, 1908 bis 1916, die Zeit der stilistischen Experimente von 1916 bis 1924, seine Auseinandersetzung mit dem Surrealismus 1925 bis 1936, sein Spätwerk nach 1945 (z.B. seine berühmten Friedenstauben) – immer wieder eine ganz neue Kunst.
Außerdem gibt es noch ein paar weitere künstlerische Ausdrucksformen, mit denen sich Picasso beschäftigt hat: Bildhauerei und Druckgrafik, Literarische Werke und Bühnenbilder, Theaterkostüme und Keramikarbeiten und Luminografien (mit der Taschenlampe gemalte Lichtbilder).
So gibt es bei Picasso immer wieder etwas Neues zu entdecken, für die Ausstellungsmacher und für die, die sich die Ausstellungen ansehen.
Die Bandbreite von Picassos Werk ist unglaublich, die Vielfalt an Schwerpunktthemen, die die sich aus dieser Bandbreite zu einer Ausstellung gruppieren lassen, ist ebenfalls unglaublich:
Da geht es um…
- ‚Kunst und Küche‘
- ‚Sculptors and Jewellery‘
- ‚Nackte‘ (Picassos Akte) und ‚Picasso und Jacqueline‘
- ‚Nelson Rockefeller’s Picassos‘
- ‚Picasso & Matisse‘
- ‚Mythos Carmen‘
- ‚Geburt des Kubismus‘
- ‚Modern Times‘
- ‚von 1900 bis heute‘
- ‚Ewig Feminine‘
- ‚Minotaurus‘
- ‚Idyllische Glückseligkeit‘
- ‚gemalten Exorzismus‘
- ‚mediterrane Gefilde‘
- ‚Sieben Mal Lebensfreude‘
- ‚Sylvette‘
- ‚Frauenköpfe‘
- ‚Mysteries of Life‘ (Mysterien des Lebens)
- ‚Splendour of Line‘ (die Pracht der Linie)
- um einen Standpunkt gegen den Krieg und darum, dass Picasso die Dinge in anderer Art sieht…
Das waren nur 22 aus mindestens 2.200 verschiedenen Ausstellungsthemen, in der Variationsfreudigkeit aber sicher nicht untypisch (ebenso wenig wie die Tatsache, dass sich gut ein Viertel der Ausstellungs-Sujets um den Themenkreis „Picasso und Frauen“ dreht).
Dann gibt es noch Ausstellungen anderer Künstler, die mit Picasso oder nach Picasso mit Bezug auf seine Kunstwerke gearbeitet haben. Wie z. B. die Ausstellung „Von Picasso bis Jasper Johns„ über den großen belgischen Kunstdrucker Aldo Crommelynck und die Arbeit seines Ateliers.
Dieses legendäre Atelier hat Paris zu einer der wichtigsten Städte im Kunstdruck-Gewerk gemacht, auch mit Kunstdrucken von Picasso, der bei der Anfertigung mehrerer berühmter Kupferstiche mit Aldo Crommelynck zusammen gearbeitet hat.
So ist z.B. 1970 Picassos „Ecce Homo, d’Après Rembrandt“ entstanden, danach haben zahlreiche Künstler zusammen mit Crommelynck Kunstwerke erarbeitet, mit denen sie Picasso ihre Ehre erweisen wollten.
Gleich nach Picassos Tod entstanden „Artist and Model“ von David Hockney und „Picasso’s Meninas“ von Richard Hamilton.
Geniales Marketing
Nein, damit sind nicht geniale Ergüsse kunstinteressierter Marketingexperten gemeint, die Ausstellungstitel wie ‚Pack‘ die Sehnsucht beim Schwanz‘, ‚Das Haar in der Kunst von der Antike bis Warhol‘, ‚Diese Socken sind nicht Weiß‘, ‘Die Liebe ist ein seltsames Spiel‘, ‚Vom Küchendunst zur Tafelkunst‘, ‚Nackte und Akte‘, ‚Der späte Nachmittag eines Faun‘, ‚Aus dem Gesicht in Linol geschnitten.‘ oder ‚Die Aninmalischen Ebenbilder des Menschen‘ generieren – sondern Picasso selbst.
Der nicht nur mit Titeln á la „Wie man Wünsche beim Schwanz packt“ und vielen anderen Skurrilitäten solche Ergüsse initiiert hat, sondern sich auch auf dem Gebiet der Präsentation und Kommerzialisierung seiner Kunst als Meister beweisen sollte:
Picasso wusste sehr gut, dass selbst die größte Kunst sich nicht „irgendwie selbst verkauft“, und dass die meisten Käufer ohnehin den Künstler kaufen und nicht die Kunst.
Zu Beginn half Picasso die „German Connection“ eines Daniel-Henry Kahnweiler, der Picasso in Berlin, München, Dresden und Köln zeigte, nur nicht in Paris, am Ort seines Schaffens.
Picasso lernte schnell und arbeitete an „seiner Marke“. Er umgab sich mit den richtigen Leuten und wusste den richtigen Leuten (mit einem Portrait) zu schmeicheln. Er setzte Provokation wenn nicht bewusst so doch unbekümmert ein, auf künstlerischem Gebiet und im Privatleben.
Er kannte die Kunst der Verknappung (exklusiver Vertrieb) und er kannte die wertsteigernde Wirkung von Signaturen.
3 Marketing Strategien, die bereits Picasso erfolgreich nutzte | Kunst verkaufen Podcast EP24
Das Wort Marketing kannte Picasso zu Beginn seiner Karriere sicherlich nicht, aber er hat Marketing gemacht, nach allen Regeln der Kunst (des Marketings, nicht der Malkunst):
Marktanalyse
Zuerst macht er eine Marktanalyse, mit dem Ergebnis, dass er die herrschende akademische Tradition der Malerei als überholt erkennt und die Zeit für einen Aufbruch in die Moderne der Malerei gekommen sieht.
Die Antwort auf diese Marktanalyse ist der Kubismus, diese Antwort leitet eine Revolution ein, eine Revolution des Sehens und der Beziehung des Künstlers zu seiner Arbeit. Sie kommt aus entwickelter Könnerschaft und wird trotz eines zunächst sehr geringen Marktanteils mit gesunder Beharrlichkeit an die Öffentlichkeit gebracht. Picasso durchlebt hier das typische Schicksal aller Vordenker, die Kunstwelt der Jahrhundertwende ist noch nicht bereit für die Neuerungen, er arbeitet begeistert und produktiv, aber mitunter recht hungrig.
Wie so häufig folgte die Zeit irgendwann den avantgardistischen Ansätzen des Genies, in der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg entwickelte sich in den europäischen Metropolen gerade eine exklusive Schicht finanzstarker Sammler.
Gebildete Bürger, durch aufblühende Industrialisierung zu Einfluss, Macht und Geld gekommen, selbstbewusst, damit offen für Neues und investitionsbereit. Sie löste die traditionelle Schicht der Kunstkäufer aus Kirchenmännern, Adel und Staatsdienern ab und strukturierte den konservativen Kunstmarkt neu, innerhalb kurzer Zeit werden mehr hochrangige Werke moderner Kunst nachgefragt als angeboten.
Product Development
Bevor Picasso bei diesen Sammlern die ersten Erfolge verzeichnen kann, hat er ein betriebswirtschaftlich vorbildliches Product Development hingelegt: Er wollte Neues schaffen, und er eignete sich vorher die gesamte Schule der überkommenen Tradition an, weil er nicht blind, sondern kenntnisreich an die Erneuerung der Kunst gehen wollte.
Marktpositionierung
Picasso wurde sehr früh zum Meister der konventionellen Techniken und gewinnt Preise auf diesem Gebiet, bevor er sich an seine eigene Orientierung macht. Auch die Marktpositionierung erfolgt sehr bewusst: Picasso entscheidet sich, als freier Maler zu arbeiten, um sich abseits der „abgegrasten Weiden der Akademie“ einen Namen zu machen.
Benchmarking
Picasso führt ein passgenaues Benchmarking durch: Er orientiert sich nicht einmal an den Werken der Traditionalisten, als er noch lernt, ihre Malkunst zu beherrschen. Sehr früh blickt Picasso auf die neu denkenden und malenden Meister der frühen Moderne, die kurz vor ihm oder neben ihm arbeiten:
Camille Pissarro und Edgar Degas, Paul Cézanne, Edvard Munch und Henri de Toulouse-Lautrec; sie werden analysiert und kopiert, bis Picasso sie perfekt imitieren kann und vom Schaffen der „me-too-Produkte“ in die Prägung der seiner Marke übergeht.
Brand Name Development
Seine Signatur schreibt eine eigene kleine Geschichte des „Brand Name Developments“: Am Beginn seiner Karriere, als er den künstlerischen Einfluss seines Vaters José Ruiz Blasco noch anerkennt, signiert der 13-jährige Picasso unter zartem Hinweis auf die eigene Person mit dessen Familiennamen, als „P. Ruiz“.
Mit den ersten Erfolgen strebt er nach Individualität und benutzt dazu den Namen der Mutter, den Familiennamen, der „künstlerisch frei ist“, die Signatur wird zu „P. Ruiz Picasso“. Mit einer interessanten Besonderheit: Diese Signatur wird unterstrichen und zwischen zwei Gedankenstriche gesetzt.
Wenn wir annehmen, dass der junge Picasso seine Grammatik gelernt hat und Schriftauszeichnung wie rhetorisches Stilmittel Parenthese bewusst einzusetzen wusste, wollte er dem Betrachter damit sagen: „Ich bin im Kommen, ich werde gerade zur selbständigen Einheit innerhalb des großen Ganzen“.
Um 1900 wird Picasso unter den Montmartre-Künstlern selbstbewusster, fügt sich aber auch zufriedener in sein Umfeld ein – bei der Signatur „P. R. Picasso“ fallen Unterstrich und Gedankenstriche weg, er benötigt inzwischen weder die Betonung noch den abgrenzenden Einschub.
Bald braucht er auch keine Initialen mehr; als er um 1901 von der herausragenden Qualität seiner Malerei überzeugt ist, signiert er erstmals nur mit „-Picasso-„; die Parenthese kann der Verdichtung des Namens zum Begriff oder dem Herausstellen außerordentlicher Qualität geschuldet sein. Sie verschwindet schnell, kurz darauf überrascht Picasso den Kunstmarkt mit den ersten Gemälden der „Blauen Periode“, in seinem eigenen und nicht zu verwechselnden Stil. Nun ist er bereit zur „Geburt seiner Marke“, er signiert nur noch mit „Picasso“.
Network Marketing
Network Marketing fehlt natürlich auch nicht. Picasso ist ein begabter Netzwerker, sein Beziehungsgeflecht umfasst neben Kollegen und gebildeten, wissensvermittelnden Freunden auch Sammler und Kunsthändler, Galeristen und Kritiker.
Product Innovation
Product Innovation und Product Innovation, sinnvolle Entwicklung und zeitgemäße Erneuerung des Produkts?
Ja, ständig, mit der ganzen gerade oben unter „Es gibt immer wieder Neues zu entdecken“ aufgezeigten Vielseitigkeit.
Wer etwas herstellt, dass andere haben wollen – und im Gegensatz zu vielen Produkten des heutigen Konsumgüter-Massenmarkts auch noch haben wollen, nachdem sie es gekauft haben – macht sich wirklich Gedanken um sein Produkt. Product Development und Product Innovation erledigen sich bei jedem, der auf seinem Gebiet profunde Kenntnisse erworben hat und laufend weiter erwirbt, ganz von selbst.
So auch bei Picasso, er muss sich weder die Rundungen eines Geräte-Gehäuses noch menschliche Gesten zum Betrieb eines Touchscreens noch das Saatgut einer Pflanze patentieren lassen, wie es heutzutage üblich ist. Und er muss solche künstlich geschaffenen Differenzierungen bzw. Aneignungen der Natur auch nicht nutzen, um Konkurrenten mittels Justiz plattzumachen, er ist einfach selbst und wirklich innovativ.
Category Positioning
„Category Positioning“ (Marke in der richtigen Kategorie positionieren) wäre das nächste Stichwort für den erfolgsorientierten Marketingstrategen. Ein solcher Marketingstratege verrät uns im Internet den Zweck des Ganzen:
„Kategorien sollen die Grundlage eines wettbewerbsorientierten Positionierungsansatzes sein, weil sie das Ziel implizieren, das der Verbraucher durch Verwendung einer Marke erreicht. Wenn Verbraucher darüber informiert werden, dass eine Marke zur Kategorie Wein gehört, wird ihnen damit zugleich verraten, welchen Zweck diese Marke hat: Die Nutzung einer Marke der Kategorie Wein z. B. verstärkt die Freude an einem eleganten Mal und sie fördert die sozialen Beziehungen. Wenn dem Verbraucher die Kategorie der Marke bekannt ist, kann er die neue Marke schnell mit dem Ziel verbinden, das er durch Verwendung anderer Marken der Kategorie erreicht hat. Marken müssen kategorisiert werden, sonst versteht der Verbraucher nicht, warum er sie nutzen soll.“
Der Wein „Burgunder“ ruft also beim Verbraucher die Assoziation hervor, zu sozialem Kontakt eingeladen zu werden; und ein Wein muss in der Kategorie Wein positioniert werden, weil der „beschränkte Verbraucher“ es unmöglich alleine bis zum „Wein öffnen und trinken“ bringt?
Abgesehen davon, dass der Wein „Burgunder“ beim kochenden Verbraucher vielleicht eher die Assoziation „Boeuf Bourguignon“ oder „Coq au Vin“ hervorruft, trägt diese (eigentlich sehr viel längere) Erklärung der Notwendigkeit von Kategorisierung neuer Produkte die Rechtfertigung für die Existenz des Marketings in sich: Marketing wird gebraucht, wenn der Verbraucher ohne Marketing nicht weiß, warum er ein Produkt kaufen soll.
Braucht Picasso nicht, seine Kunstwerke (Produkte) beweisen selbst ihren Sinn, Picasso schafft wirkliche Innovationen und nicht die tausendste Variante eines Marken-Artikels mit von vorneherein zweifelhaftem Nutzwert.
Distribution Strategy
Für diese Innovationen sucht er sich den aufgeschlossensten Markt, unter Nutzung der oben angesprochenen „German Connection“. Picasso und Co-Innovator Georges Braque ersinnen zusammen mit Kahnweiler eine meisterhafte Distribution Strategy (Vertriebsstrategie): Der junge, noch nicht ins Pariser Kunstmarktgespinst verstrickte Kahnweiler bekommt einem Exklusivvertrag und bietet die Avantgarde-Werke exklusiv an, im Ausland, in europäischen und amerikanischen Kunstmetropolen, dort werden Picasso und Braque nun ganz schnell berühmt. Mit der Marke „Kubismus“, die die Marken „Picasso“ und „Braque“ vorbildlich transportiert.
Pricing Strategy
Für die Pricing Strategy (Preisstrategie) ist Kahnweiler zuständig, er setzt für Picasso-Gemälde viermal höhere Preise als für Braque-Formate fest und macht die ungewohnten kubistischen Bilder durch eine rigorose Angebotsverknappung zu etwas ganz Besonderem – es dauert nicht lange, bis Picasso die Spitze der Avantgarde erobert.
Line Extension & Change Management
Dort setzt er sich nun (um 1920) unverrückbar fest, unter Beachtung sämtlicher moderner Marketinginstrumente: Line Extension (Erweiterung der Produktlinie, Picasso macht Bühnenbilder und Keramik und Grafik …) und Change Management (Veränderungsmanagement, ganz marketingunabhängig, Picasso entwickelt sich einfach permanent weiter).
Public Relations
Und Public Relations natürlich, Picasso pflegt sein Image als Ausnahme-Genie des Jahrhunderts fleißig, mit aufregenden Geschichten nicht nur rund um Frauen-Bekanntschaften, sondern (im scheinbar gerade so hochmodernen Sinne) auch mittels politischem und gesellschaftlichem Engagement. Durchaus nicht immer mit Blick auf die Außenwirkung, auch indem er „einfach nur lebt“, er lebt eben etwas anders als die Allgemeinheit.
Auf Picassos Erfolgsgeschichte geballte Marketing-Terminologie abzufeuern, ist ein beliebtes Spiel – aus dem die Autorin genau dort aussteigt, wo seine Frauen (Geschäftsfeld „Mergers & Acquisitions“) zu Mitgesellschaftern werden.
Man kann jedes Blinzeln nach den Gesetzen des Marktes bewerten, man kann es auch lassen – einfach leben und Kunst machen, konzentriert arbeitend. Kunst, die von Anfang bis Mitte des Jahrhunderts eine Wertsteigerung von 1.000.000 % erfährt (50,- auf 500.000,- Franken) und bis heute noch einmal 10.000 % (500.000,- auf 50 Millionen Franken) zugelegt hat.
Picassos wohl nicht immer zielbewusst eingesetztes Marketing zahlte sich auf jeden Fall wunderbar aus, spätestens seit Anfang der 1920er Jahre hatte Picasso in der europäischen Kunstwelt einen Spitzenplatz erobert. Weltruhm zeichnete ihn spätestens 1939/1940, als ihm das Museum of Modern Art in New York City eine erfolgreiche Retrospektive widmete, die ihn nun auch in Amerika beim letzten zeitgenössischen Kunstkritiker und beim letzten weit abseits des Kulturgeschehens arbeitenden Künstlerkollegen nachdrücklich bekannt machte.
Bleibender Weltruhm und finanziell mehr als lohnender Weltruhm, wie Sie im „Art-o-Gramm: Picasso heute“ erfahren werden. Wie Sie Werke Picassos für sehr wenig Geld oder sogar ganz umsonst betrachten und besitzen können, erfahren Sie dort ebenfalls, um sein Leben und seine Entwicklung geht es in „Art-o-Gramm: Picasso – Ein langes Leben für die Kunst“, „Art-o-Gramm: Picasso – zum Künstler geboren“ und „Art-o-Gramm: Picasso – ein Künstler und drei Kriege“.
Eher nicht finanzielle Aspekte der Legendenbildung um den großen Künstler werden im Artikel „Art-o-Gramm: Picasso – Berühmte Kunst und ihr Geheimnis“ angesprochen, mitunter zur Legendenzerstörung genutzte Aspekte im „Art-o-Gramm: Picasso – Der Künstler, das Leben und die Liebe“.
Passionierte Autorin mit regem Kunstinteresse