Pablo Picasso ist für viele Menschen „der Künstler“, und die Person Picasso wird wirklich immer beeindruckender, je mehr man sich mit ihr beschäftigt. Beeindruckend unter mehreren Aspekten, hier geht es um den politischen Künstler Picasso.
Eine Mahnung für alle Menschen von heute
Im langen und bewegten Leben des Kubisten hatte eine Lebenswirklichkeit ein großes Gewicht, die für einen heute lebenden Deutschen in mittlerem Alter kaum mehr vorstellbar erscheint. Sein Leben und Denken war durch Kriege überschattet, die ihn in seiner jeweiligen Lebenssituation unmittelbar betrafen.
Damit jedem eher im 21. als im 20. Jahrhundert lebenden Leser klar wird, welchen Stellenwert Krieg im 20. Jahrhundert hatte: Im 20. Jahrhundert gab es rund 140 Kriege, und die Liste der Kriege, die Picassos Leben direkt berührten, ist eindrucksvoll:
- 1893, kurz nach seinem 12. Geburtstag, begann der erste Rifkrieg zwischen Spanien und Marokko, er war wegen des Todes eines berühmten spanischen Militärgouverneurs auch in Spanien Tagesgespräch, obwohl die Kampfhandlungen in Marokko stattfanden.
- 1895 –1898 kämpfte die Kubanische Befreiungsarmee im Kubanischen Unabhängigkeitskrieg gegen Spanien um die Autonomie Kubas.
- 1896–1898 kämpften die Philippinen in der Philippinischen Revolution gegen die spanische Kolonialmacht.
- 1898 erlebte er, wie Spanien im Spanisch-Amerikanischen Krieg seine letzten bedeutsamen Kolonien verlor.
- 1909 kämpften die Spanier der Exklave Melilla an nordafrikanischen Küste wieder gegen Marokko.
- Seit 1900 war Picasso häufig in Paris und bekam dort all die europäischen Krisen mit, die schließlich
- 1914 in den Ersten Weltkrieg mündeten. Kaum war 1918 wieder Ruhe, brach
- 1921 der dritte Rifkrieg zwischen Spanien und Marokko aus, den Spanien erst 1926 durch den völkerrechtswidrigen Einsatz von Senfgas gewann (ein Gaseinsatz mit Krebsfolgen bis heute).
- 1936 begann der Spanische Bürgerkrieg, in dem es den rechtsgerichteten Putschisten unter General Francisco Franco bis April 1939 gelang, die demokratisch gewählte Volksfrontregierung Spaniens zu entmachten und eine bis zum Tode Francos 1975 anhaltende Diktatur zu etablieren,
- 1939 begann der Zweite Weltkrieg, der bis 1945 lief und den Künstler bis 1944 ohne Reiseerlaubnis in Paris festsetzte.
Das waren 9 Kriege, in die sein Heimatland oder sein jeweiliger Wohnort involviert waren, zwischen seinem 12. und 63. Lebensjahr hat Picasso 28 Jahre erlebt, in denen in seiner Welt stattfindende Kriege das Leben bestimmten, und nur 25 Jahre, in denen kein Krieg ihn umgab (viele dieser Jahre waren allerdings von politischen Unruhen und Krisen bestimmt, die später in Kriege mündeten).
Nach 1945 bis zum Tod des kubistischen Meisters im Jahre 1973 finden weitere 40 Kriege statt, denen er viele politische Aktionen entgegensetzt, er hat sich im Kampf gegen aggressive Kriegspolitik imperialistischer Staaten sehr engagiert.
Immer wieder Zweifel: Picassos umstrittene Stellung als politischer Künstler
Wenn wir uns heute mit ihm beschäftigen, können wir viele kritische Bemerkungen zu „Picasso als politischem Künstler“ lesen.
Seine politische Haltung sei „sentimental“ gewesen, oder sie wird als „vielleicht auch naiv“ eingestuft. Er sei der französischen Kommunistischen Partei 1944 „noch im Geist der Résistance“ beigetreten, auch wenn er sie nie wieder verlassen habe – das klingt ein wenig, als wenn er sie einfach aus Faulheit nicht verlassen habe, anders herum wird ihm eine solche „Faulheit“ dann auch wieder zum Vorwurf gemacht: Man nimmt ihm übel, dass er bis zu seinem Tod im Jahr 1973 Kommunist blieb, dass weder Stalins Terror noch der Ungarnaufstand noch der Prager Frühling ihn zum sofortigen Austritt bewegten.
Ein anderer Tenor: er habe verstimmt (eingeschnappt?) auf Übergriffe sowjetischer Kader reagiert, immer mit dem gleichen Satz: Das einzige, was zähle, sei doch die Rettung der Revolution. Hier wird ihm also unterstellt, nicht zu sehen, dass das Benehmen sowjetischer Politiker gefährlich sei, wiederholt, nur ist dieser Satz tatsächlich alles andere als häufig überliefert vom Künstler selbst …
Wir dürfen lesen, dass „Picasso kein Renegat war“, seine Proteste gegen kommunistische Ausschreitungen zur Zeit des Ungarnaufstands 1956 oder des Prager Frühlings 1968 werden als „aufsässig“ betitelt, ein Begriff, der wohl eher in den Kindergarten gehört, seine Kunst „unpolitisch“ gedeutet: Nicht jeder mit Lauch unterlegte Totenschädel, nicht jedes Vanitasmotiv und nicht jedes dunkle Stillleben sei ein politisches Statement des Künstlers, und gegen übermäßig deutliche Zuschreibungen habe er sich ohnehin Zeit seines Lebens gewehrt.
So wird kritisiert, dass den späten Serien, in denen er Altmeister aufarbeitete, politische Inhalte von der Nachwelt „übergestülpt“ würden, man könne Picasso nämlich wirklich nicht zu wörtlich nehmen. Warum das so sein solle, wird vom jeweiligen Kritiker aus der Höhe seiner fachkundigen Einschätzung herab natürlich nicht begründet.
Von seinem langjährigen Kunsthändler David-Henry Kahnweiler wird sogar der Ausspruch überliefert, dass er „der unpolitischste Mann gewesen sei, den er je kennengelernt habe.“
Insgesamt kann man sich nach dem Lesen solcher Zeilen kaum des Eindrucks erwehren, mit „Picasso als politischer Künstler“ sei es nicht so weit her gewesen.
Ist das wirklich so?
Picassos Kunstschaffen – durch Kriege behindert und geprägt
Noch einmal: Picasso hat 9 Kriege in unmittelbarer Betroffenheit erlebt, bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs 28 Jahre mit Krieg und 25 Jahre ohne. Diese Kriege haben (für diejenigen, die etwas genauer hinschauen) nachweisbar sein Denken geprägt:
Den ersten Eindruck von Krieg bekam er mit 16, als sein Land im Spanisch-Amerikanischen Krieg vom April bis August 1898 ebenso schnell wie vernichtend geschlagen wurde. Die Kriegshandlungen fanden zwar in der Nähe der spanischen Kolonialgebiete statt, der damals 16-jährige Künstler erlebte also keine körperlich spürbaren kriegerischen Bedrohungen, aber doch wohl die erste intellektuelle Anregung, sich in seinem Leben sehr viel mehr dem Thema Krieg und Frieden zu widmen, als gemeinhin in Berichten über ihn herauszulesen ist.
Auch die auf dem afrikanischen Kontinent stattfindenden Rif-Kriege zwischen Marokko und Spanien (1892, 1909, 1921-1926) waren ganz sicher Diskussionsthema in seiner Familie bzw. Freundeskreis, er hatte bis zu seinem 10. Lebensjahr in Málaga gelebt, an der Küste genau gegenüber dem Kampfgebiet.
Picassos Pariser Freund und Kollege der Pariser Kubismuszeit, Fernand Léger, starb im Ersten Weltkrieg fast bei einem deutschen Senfgas-Angriff, so wird es ihn auch nicht ungerührt gelassen haben, als sein Land den dritten Rifkrieg gewann, indem es 1921 über 10.000 Senfgasbehälter auf die Gegner abwarf.
Wer sich mit dem Leben Picassos etwas gründlicher auseinandersetzt, weiß, dass er genau zu der Zeit in Madrid mehr die Museen und die Künstlerlokale als an der Königlichen Akademie studierte, als die literarischen Intellektuellen der „Generación del 98“ (Generation von 98) damit beschäftigt waren, die schmachvolle Niederlage Spaniens im Spanisch-Amerikanischen Krieg und den Verlust der Vormachtstellung Spaniens als einflussreiche Kolonialmacht zu verarbeiten.
Die Situation im Land war angespannt, sozial und politisch, anarchistische Ideale gingen um, und der 17-jährige Picasso empfing alle Strömungen dieser geistigen Neuorientierung Spaniens nach Europa, er erlebte die heimkehrenden verwundeten Soldaten und ihr tiefes Elend hautnah. Der spanische Künstler engagierte sich damals auch selbst politisch:
Am 29.12.1900 erschien auf der Titelseite der Zeitung La Publicidad das vom 19-jährigen Künstler verfasste »Manifest der in Paris ansässigen spanischen Kolonie«, in dem er eine Amnestie für die politischen Gefangenen (aufgrund antimilitaristischer Agitation verhaftete Anarchisten) und für spanische Bürger forderte, die vor dem Militärdienst nach Frankreich geflohen waren.
Mit der Folge, dass er im Juni 1901 von einem Pariser Polizeikommissar als Anarchist eingestuft wird, was ihn die französische Staatsbürgerschaft und damit die Reisefreiheit im Zweiten Weltkrieg kosten sollte.
Viele Kriegsjahre und viele Untaten an der Menschlichkeit sollten folgen, die ihn bis ins Alter begleiteten: Als der Erste Weltkrieg ausbrach, war er 32, als der Zweite Weltkrieg zu Ende war, 63 Jahre alt.
Von 1914 bis 1918 wurde Picassos gerade startende Karriere durch den Ersten Weltkrieg jäh unterbrochen – er brach aus, als Picasso sich gerade daranmachte, die europäische Kunstwelt zu erobern. Er verbrachte den Krieg in Frankreich, aber sein deutscher Kunsthändler Kahnweiler musste das Land verlassen – während sein Ruhm unter Kunstkennern wuchs, gab es kaum Ausstellungen, erst ab 1918 wurde er wieder von Kunsthändlern vertreten, von Paul Rosenberg und Georges Wildenstein, mit denen er bis kurz vor dem Zweiten Weltkrieg in Verbindung blieb.
In der Zwischenzeit wurde sein Leben durch den Spanischen Bürgerkrieg erschüttert, der zwischen 1936 und 1939 sein Heimatland in eine Diktatur verwandelte. Der Kampf des putschenden Militärs begann mit der blutigen Unterwerfung der Hafenstadt A Coruña, in der er bis zu seinem 14. Lebensjahr gelebt hatte.
Picasso unterstützte von Paris aus die demokratische Regierung Spaniens in ihrem Kampf gegen den Putschisten Franco. Während die Situation in Spanien noch alles andere als befriedet war – der Spanische Bürgerkrieg endete zwar offiziell am 1. April 1939, Francos Repressalien gegen politische Gegner wurden jedoch mit äußerster Härte fortgeführt – spitzte sich die internationale Situation in besorgniserregender Weise zu, bis am 1. September 1939 mit dem deutschen Überfall auf Polen der Zweite Weltkrieg begann.
Weil er sich gegen Franco gerichtet hatte, bekam er bei den Nationalsozialisten Ausstellungsverbot, vom Beginn der deutschen Besetzung 1940 bis zur Befreiung von Paris August 1944 saß er in seinem Pariser Atelier fest.
Moderne Kunst wurde von der Pariser Besatzungs-Regierung nicht toleriert, es gingen Schlachtrufe wie „Picasso ins Irrenhaus!“ und „Matisse in den Müllkasten!“ um. Als er (mit Paris) 1944 befreit wird, tritt er in die Kommunistischen Partei ein.
Zu behaupten, dass diese ganzen Jahre im Schatten von Kriegen keine Spuren in des Künstlers Einstellung und Werken hinterlassen habe, ist wirklich dreist, und außerdem wohl auch ziemlich einfältig.
Picassos Werk war von Anfang an hochpolitisch und gegen den Krieg, und das sollte sich auch in den Lebensjahren nach dem Zweiten Weltkrieg nicht ändern, ganz im Gegenteil. Wenn Kahnweiler aussprach, dass er „der unpolitischste Mann gewesen sei, den er je kennen gelernt habe“, war das Kalkül, um dem entschieden gegen US-amerikanische Kriegspolitik protestierenden Künstler den amerikanischen Markt zu öffnen (was ihm jedoch nicht gelang, er hat nie ein Visum bekommen und die USA nie gesehen).
Picasso hatte eine eigene Meinung
Wer etwas genauer hinschaut, wird vielmehr feststellen, dass er manche seiner Interviewer und kunstverständigen Gesprächspartner mit Vergnügen und ziemlich listig an der Nase herumgeführt hat.
Wie auch im Bereich des Kunstschaffens hatte er den Mut, eine eigene Meinung zu haben, und es spricht sicher eher für ihn als gegen ihn, dass er sich „nie auf einen Standort festnageln ließ“, festnageln lassen sich nur eher einfache Naturen.
Der Künstler änderte seine Meinung, wenn er es für angebracht hielt, und er sah viele Themenpunkte nicht Schwarz-Weiß, sondern mit Zwischentönen. So war er natürlich „sowohl für als auch gegen die Akademie, für und gegen die Tradition, für und gegen politisches Engagement“, eben immer zu einer Betrachtung des jeweiligen Zusammenhanges bereit.
Anders als viele seiner so hochintellektuellen Freunde war er dann aber auch noch ein Mann der Entscheidung, der Tat, eher als ein Mann der Debatten. Wofür er von allen Menschen geliebt wird, die erleben durften, wie politische Ungerechtigkeiten und Fehlentwicklungen durch jahrelange Debatten immer heftiger blühten.
Nebenbei erwähnt: Picasso war ein ausgewachsener Ästhet, auch in seinen abweichenden Meinungen von einer verblüffenden Gedankenschärfe und Ironie. Neben einem solchen Mann erschienen diktatorische Machthaber, die Dogmen eines sozialistischen Realismus herunterbeteten, nicht nur verstiegen, sondern ganz schnell auch einmal ziemlich lächerlich.
Als er bekannt genug dafür war, hat der kreative und höchst eigensinnige Kopf ziemlich oft gemacht, was er wollte, ob es um das Portrait eines Diktators ging (Stalin als junger georgischer Bauer ohne die parteioffiziellen Attribute) oder um respektlose Kritik der USA, nur unpolitisch, das war er nur selten, an den gegebenen Örtchen eben. Aber bestimmt nicht in seinem Leben, oder in seiner Kunst:
Picasso – Kunst als politische Waffe
Picasso – Kunst als politische Waffe Doku 2013 von Laurence Thiriat Aufnahme: ARTE 26.10.2014. Alles, was der spanische Meister des Kubismus zu sagen hatte, brachte er in seiner Malerei zum Ausdruck.
Der Krieg in Picassos Werk
Unbeeindruckt von der jeweilig „herrschenden Meinung“ hat er „politische Kunst“ gemacht, von Anfang an und bis zum Lebensende:
Schon unter seinen ersten Werken lassen sich politische Statements finden: Nach dem Tod seiner kleinen Schwester war die erschütterte Familie 1895 an das andere Ende Spaniens umgezogen, von der beschaulichen Hafenstadt A Coruña im Nordwesten nach Barcelona im Nordosten.
Barcelona war die spanische Stadt, in der die Industrialisierung die übelsten Blüten feierte, mit extremen sozialen Unterschieden und einer katastrophalen Lage der Arbeiter, die Löhne waren erbärmlich, die Arbeitslosigkeit hoch, die Arbeitsbedingungen in den Fabriken waren mit die schlimmsten in Europa.
In einer solchen Stadt fand naturgemäß der spanische Anarchismus besonders viele Anhänger, Barcelona erlebte in den 1890er Jahren zahlreiche anarchistische Anschläge, als er mit 14 Jahren in die Stadt kam, kam er in ein Klima, in dem es den arbeitenden Menschen schlecht ging und Bombenattentate mit Menschenopfern und Erschießungen an der Tagesordnung waren.
Der Teenager blieb nicht unbeeindruckt, die Zeichnung „Caridad“ (Barmherzigkeit) mit einer offensichtlich bettelarmen, um Almosen bittenden Familie und einer sich gleichgültig entfernenden bürgerlichen Kutsche (1899) bezeugt das z. B., und es gibt weitere entsprechende Zeichnungen.
Picasso ist also früh in seinem Leben mit einer Art von Kriegszustand und den sich daraus ergebenden sozialen Desastern in Berührung gekommen, und er lernte über seinen Künstler-Vater die Künstler in Barcelona kennen, die sich mit sozialen und politischen Themen auseinandersetzten und vom Anarchismus in ihrem Denken beeinflusst wurden, das spiegelte sich auch in seinem Pariser Bekanntenkreis und brachte dort die Polizei auf seine Spur.
Die Ereignisse des Spanischen Bürgerkriegs erschütterten Picasso zutiefst, und das brachte er selbstverständlich auch in seiner Kunst zum Ausdruck: Sein Gemälde „Guernica“ hält das Grauen, dass die baskische Stadt am 26. April 1937 bei der Bombardierung durch die deutsche Legion Condor überzog, in überzeugendster Weise fest, es sollte zum wohl berühmtesten Antikriegsbild überhaupt werden. In dieser Zeit entstanden aber noch viele andere Bilder, die den Betrachter an Goyas aufwühlendes Gemälde „Schrecken des Krieges“ erinnern.
Sein Engagement zog sich durch, die Titel der Bilder wurden jedoch später von Auktionshäusern und Galeristen häufig als nicht verkaufsfördernd unterschlagen, »Mutter und Kind im Profil« hieß 1902 »Das Elend. Mutter und Kind«, die »Gestalten am Strand« waren 1903 »Die Verelendeten am Ufer des Meeres«.
Auch eine Serie von Collagen, die er in den Jahren 1912 bis 1914 schuf, wurden allgemein als abstraktes Werk verharmlost, bis sich eine US-amerikanische Kunstwissenschaftlerin die Texte genauer ansah und in mehr als der Hälfte davon einen Bezug zu den Krisen entdeckte, die dem Ersten Weltkrieg vorausgingen – Picasso hat die aufkommende Kriegsgefahr scharf beobachtet.
Auch Picassos Minotauren sind alles andere als harmlose Stierkampftiere für die Arena: Schon seit der Zeit nach dem Ersten Weltkrieg stand er in regem Kontakt zur kriegsfeindlichen kommunistischen Partei Frankreichs (PCF, Parti communiste français), die 1920 ins Leben gerufen.
Als er sein künstlerisches Interesse ab etwa 1924 dem Surrealismus zuwandte, geriet in engen Kontakt zu Schriftstellern und bildenden Künstler wie Louis Aragon, André Breton, Paul Éluard, Benjamin Péret und Pierre Unik, die ihre Arbeit auch politisch sahen und zeitweise oder langjährig Mitglieder der PCF waren.
In der Zeitschrift La Révolution surréaliste (Die surrealistische Revolution) erschienen um 1925 zahlreiche Werke von Picasso, Sein berühmtes Minotaurus-Motiv tauchte 1928 erstmals in seinen Werken auf, 1933 gründete sein Freund André Breton das surrealistischen Künstlermagazins Minotaure, mit einem messerbewehrten Minotaurus von Picasso auf dem Cover der ersten Nummer.
Die Radierungsserie Minotauromachie des Künstlers von 1935 bezog sich auf Francisco de Goyas Tauromaquia von ca. 1815, und die drehte sich keinesfalls nur um „der Zusammenhang von Sexualität, Gewalt und Tod, sondern war ein handfestes politisches Bekenntnis für die Spanier, die gegen die Napoleonische Fremdherrschaft kämpften.
Picassos Minotauren waren also mit ziemlicher Sicherheit ebenso politisch und nicht nur „von seiner Faszination für den Stierkampf inspiriert“ wie viele andere seiner Werke. Anerkannt ist das inzwischen z. B. für die 1936 gemalte Gouache »La Dépouille du Minotaure« (»Die sterblichen Überreste des Minotaurus«), in der das von den Menschen abgewehrte Untier die Gefahr des Faschismus symbolisiert.
Während des Zweiten Weltkriegs in Paris tut er, was er kann, spendet z. B. hohen Summen für die Unterstützung der zu Zwangsarbeit verpflichteten Bergleute im Pas de Calais. Sobald er seinem Pariser Arrest während des Zweiten Weltkriegs entfliehen kann, zieht der Künstler nach Südfrankreich, in ruhige Freiheit, politisch wird er aber keineswegs ruhiger:
Noch in Paris begonnen wurde „Das Beinhaus“ (1944/45), ein Gemälde wie mit der Anmutung einer Schwarz-Weiß-Fotografie, wie live aus der Wochenschau, mit ineinander verknoteten Körpern von Gefangenen, die aus dem spanischen Bürgerkrieg oder aus einem von Hitler geschaffenen französischen Internierungslager stammen können.
1952 entstehen in Vallauris die beiden Bilder „Krieg und Frieden“, aus dem Jahr 1952, in der Vorhalle einer romanischen Kapelle am Schloss von Vallauris, die die Gemeinde Vallauris dem Maler zur Verfügung stellte.
Picassos „Tempel des Friedens“ stellt Krieg dem Frieden in zwei monumentalen Kompositionen gegenüber, die sich an der Decke wieder im Gewölbe treffen. „La Guerre“ (Krieg) und „Le Paix“ (Frieden) waren gegen den Koreakrieg, ebenso wie das eindrucksvolle „Massacres en Corée“ (Massaker in Korea) aus dem gleichen Jahr, das ein US-amerikanisches Kriegsverbrechen während des Koreakriegs (1950–1953) thematisiert.
1954 malt er die „Frauen von Algier“ nach Vorbild des französischen Malers Eugène Delacroix (1798–1863), in einer Serie von 15 Gemälden und zahlreichen Zeichnungen. Das ist seine Reaktion auf den Algerienkrieg, mit dem sich Algerien 1954 bis 1962 von Frankreich löst, Picassos „Frauen von Algier“ tragen den Widerstand.
1957 schuf er verschiedene Variationen der „Las Meninas“ nach einem berühmten Gemälde des spanischen Malers Diego Velázquez. Die „Menina-Zyklus“ bestehen aus 44 Abbildern des Originals, 9 Tauben-Szenen, 3 Landschaften und einem Porträt von seiner letzter Liebe Jacqueline Roque. Das Gemälde von Velázquez hatte für Picasso lebenslang Bedeutung, er sah es zum ersten Mal mit vierzehn Jahren, als „Höhepunkt der Arbeit der Weltkunst“, er hat sich häufig mit Velázquez‘ Meninas beschäftigt, die Serie von 1957 ist der Abschluss dieser Faszination.
Las Meninas erinnert ihn an den frühen Tod seiner Schwester, spiegelt seinen Kampf um die wahre Kunst bis zu seinem 75. Lebensjahr wieder, seinen Ärger und seine Verzweiflung wegen der zunehmenden Kritik seines Spätwerks (und sind ein Beweis dagegen), das ganze Leben Picasso ist enthalten in diesen Bildern: Die kleine Infantin steht für seine Vorstellung von Unschuld und Reinheit, bewahrt für immer mit dem im 44 Versuch gelungenen Bild des perfekten unschuldigen Kindes, die Tauben stehen für seinen Glauben an den Frieden, die „kriegsdrohende“ Dogge des spanischen Königs ersetzt er durch seinen freundlichen Dackel Lump.
Picassos unterstützte laufend Bedrängte, mit beträchtlichen finanziellen Beiträgen, und er fertigte Zeichnungen an, immer auf den Titeln der jeweiligen Zeitungen gedruckte Statements zur Lage mit erheblichem Einfluss.
Später, mitten im Kalten Krieg, drückt er dem Weltfrieden seinen Stempel auf, mit dem weltweit gültigen Symbol der Friedenstaube, und Picassos hat es mit seinem lebenslangen politischen Engagement wirklich verdient, dass alle wissen, dass die Friedenstaube von ihm erdacht wurde.
Sein politischer Einfluss ist auch heute noch in der Politik zu spüren: Als sich im Februar 2003 der Irak-Krieg abzeichnete und der amerikanische Außenminister Colin Powell vor dem UN-Sicherheitsrat für den Krieg warb, wurde der Wandteppich mit seinem „Guernica“ im UN-Gebäude in New York verhüllt – die unverblümte Ansicht des berühmten Antikriegs-Bildes erschien den Kriegstreibern als zu brisant.
Können wir etwas aus dieser Diskussion um Picassos politisches Wirken lernen? Oh ja, und nicht das, was sich all die Kunstkritiker vorstellen, die verbreiten, dass er als politischer Künstler nicht ernst zu nehmen sei: Wir können lernen, dass es gefährlich ist, wenn eine in bestimmter Art und Weise ausgebildete Kaste sich aufmacht, sich die Interpretationskompetenz über „die Wahrheit“ anzueignen, weil alle anderen keine Ahnung hätten …
In unserem Alltag ist ein solches Streben in vielfacher Hinsicht zu beobachten, wenn z. B. ein Zivilrichter verkündet, „die Wahrheitsfindung in einem Zivilprozess interessiere ihn nicht“ und erst vom Bundesverfassungsgericht vom Gegenteil überzeugt werden muss. Auch ein vielleicht naiver Protest á la Picasso wird mehr dazu beitragen, einem Bröckeln der Rechtsstaatlichkeit in vielen Bereichen unserer Gesellschaft entgegenzuwirken, als zurückhaltendes intellektuelles Bedauern ohne Konsequenzen in der Wirklichkeit.
„Ich bin für das Leben gegen den Tod; ich bin für den Frieden gegen den Krieg“, so einfach kann man in den meisten Fällen Stellung in gesellschaftlichen Schieflagen beziehen, und dann ist es auch nicht mehr schwer, entsprechend zu handeln.
Und wenn er mit seiner Neuinterpretation von Manets „Frühstück im Freien“ nach Meinung einiger Kunstkritiker auf die sexuelle Revolution der 1960-er Jahre „aufgesprungen“ ist – sollten Sie ihm das vermutlich schlichtweg gönnen, die sexuelle Revolution begann in Frankreich 1967, da war er 86 Jahre alt (mehr zu diesem Themenkreis gibt es im „Art-o-Gramm: Picasso – Der Künstler, das Leben und die Liebe“ zu lesen).
Picassos Leben wird im „Art-o-Gramm: Picasso – Ein langes Leben für die Kunst“ geschildert, um sein Werk und seine Genialität geht es im „Art-o-Gramm: Picasso – zum Künstler geboren“ und im „Art-o-Gramm: Picasso – Berühmte Kunst und ihr Geheimnis“, die Nachwirkungen seines Werks bis heute werden im „Art-o-Gramm: „Picasso – ein Garant für Top-Ranking“ und im „Art-o-Gramm: Picasso heute“ beleuchtet.
Passionierte Autorin mit regem Kunstinteresse