- Art-o-Gramm: Picasso – Der Künstler, das Leben und die Liebe – Szene 1
- Art-o-Gramm: Picasso – Der Künstler, das Leben und die Liebe – Szene 2
- Art-o-Gramm: Picasso – Der Künstler, das Leben und die Liebe – Szene 4
- Art-o-Gramm: Picasso – Der Künstler, das Leben und die Liebe – Szene 3
- Art–o–Gramm: Picasso – Der Künstler, das Leben und die Liebe – Szene 5
Picassos Leben und seine Lieben – besonders in Bezug auf Picassos Verhältnis mit und zu Frauen ein endloses Thema, zu dem sich ernsthafte Kunstwissenschaftler und aufgeregte Feministinnen, empörte Kleinbürger und fantasiereiche Kochbuchautoren, verwirrte Sozialwissenschaftler und neidische Boulevardjournalisten aus wohl jedem denkbaren Blickwinkel erschöpfend geäußert haben.
Des Künstlers Lifestyle und seine Beziehungen zu Frauen wurden also bereits gründlich genug seziert, und so wichtig ist es wohl nicht, wer mit wem warum und wann welches Bettchen teilt. Dennoch kommt eine Gesamtbetrachtung Picassos nicht ganz darum herum, einen Blick auf seinen Lifestyle und seine Liebe(n) zu werfen – beide sind Puzzleteile der „Person Picassos“, beide haben auch seine Kunst beeinflusst.
Deshalb folgt eine Skizze in 7 Szenen über die private Seite des Künstlers – ein intensiv gelebtes Leben.
Szene 4: Der gar nicht so sichere „Hafen der Ehe“
1917 – 1927 (1935, 1955): Olga Stepanowna Chochlowa und die Riesinnen in Auflösung
Der frühe Tod seiner erst 30-jährigen Liebe Eva Gouel an Tuberkulose hatte Picasso schwer erschüttert, er hatte ohne Erfolg bei anderen Frauen Trost gesucht und war seitdem auf der Suche nach einer dauerhaften Gefährtin.
Bereits im Mai 1916 war Picasso von Jean Cocteau eingeladen worden, Design und Dekor für das Ballet Parade zu entwerfen. „Parade – Ballet réaliste“ sollte ein Ballett in einem Akt werden, nach einem Thema von Cocteau und mit Musik von Erik Satie, für Sergei Djagilews „Ballets Russes“ komponiert.
Picasso sagte im August 1916 seine Mitwirkung zu, er sollte das Bühnenbild, die Kostüme und den Bühnenvorhang gestalten. Im Februar 1917 reiste er nach Rom, um sich zusammen mit Cocteau der Gruppe des Ballets Russes um Djagilew und Strawinski anzuschließen und die Aufführung vorzubereiten.
Bei dieser Vorbereitung arbeitete Picasso viel mit Sergei Djagilew zusammen und lernte so auch die Ballerinen des „Ballets Russes“ kennen, unter anderem die Ukrainerin Olga Chochlowa.
Hier schlägt entweder die Liebe zur Präzision bei der Berichterstattung voll zu oder ein Picasso-Freund traut seinem Lieblingskünstler keine Drittklassigkeit zu, auf jeden Fall ist Olga Chochlowa einmal Primaballerina des „Ballets Russes“ und einmal „drittklassige, aber schöne Chortänzerin des Ensembles“ (Spiegel 52/1956, www.spiegel.de/).
Glauben Sie, wem Sie möchten, sicher ist, dass Picasso und Olga sich verliebten. Olga Chochlowa verließ die Balletttruppe (nach dem gleich geschilderten Skandal bei der Uraufführung vielleicht nicht all zu schweren Herzens) und lebte mit Picasso erst in Spanien und dann in Paris.
Eine Uraufführung mit heftigem Auftakt und sarkastischem Nachspiel
Wie gerade erwähnt, hatte das Ballett bei seiner Uraufführung am 18. Mai 1917 einen deftigen Skandal verursacht: Dem vom Pariser „Théâtre du Châtelet“ eher klassische Kost gewohnten Publikum wurde mit „Parade“ eine für die damalige Zeit sehr ungewöhnliche künstlerische Arbeit vorgestellt, was aber nicht der Hauptgrund dafür war, dass die Irritation in einen Tumult mit lautstarken Ausdrücken der Ablehnung umschlug.
Vielmehr war die französische Öffentlichkeit traumatisiert von den nach und nach durchsickernden Nachrichten über die „Hölle von Verdun“: Am 21. Februar 1916 hatten deutsche Truppen die französische Festung Verdun angegriffen, die „Schlacht um Verdun“ endete am 19. Dezember 1916, ohne kriegsentscheidende Ergebnisse, aber mit sechsstelligen Verlusten auf beiden Seiten.
Verdun hatte die Nation geeint und jeglicher Liberalität eine jähes Ende gesetzt, alles „nicht französische“ war dem Feind zuzurechnen, neue Kunst unter maßgebender Mitwirkung von Russen (Sergei Djagilew und sein Ballet, Léonide Massine) und eines Spaniers (Picasso) überforderte das Publikum, auch die an der Aufführung beteiligten französischen Künstler Jean Cocteau und Erik Satie standen den avantgardistischen Künstlern vom Montmartre näher als den Gardisten der Nation, die beiden kubistischen Pariser Galerien wurden von Deutschen geführt, alles Feinde, das kubistische Ballet wurde als Landesverrat eingestuft.
In etwa diesem Sinne beschrieb es Cocteau 1953 in seinem „De marche d’un Poete“ („Lebensweg eines Dichters“): Der Grund für die Heftigkeit des Skandals liege darin, dass die „Schlacht um Parade“ mit der blutigen Schlacht um Verdun zusammengefallen sei.
Die Uraufführung hatte auch ein – aus heutiger Sicht eher amüsantes – gerichtliches Nachspiel: Eine schlechte Kritik des Musikkritikers Jean Poueigh für Parade wurde von Komponist Satie durch eine Postkarte mit folgendem Text beantwortet: „Monsieur et cher ami – vous êtes un cul, un cul sans musique! Signé Erik Satie“ („Mein Herr und lieber Freund – Sie sind ein Arsch, ein Arsch ohne Musik! Gezeichnet Erik Satie„).
Poueigh verklagte den Komponisten, die Polizei nahm Satie während der Gerichtsverhandlung fest, weil er wiederholt „Cul!“ („Arsch!“) schrie, das Urteil bescherte ihm acht Tage Gefängnis, die ihm nach Intervention hochgestellter Freunde unter der Voraussetzung erlassen wurden, dass er sich fünf Jahre nichts zuschulden kommen lasse.
Den Rat dieser Freunde, dem Kritiker einen Entschuldigungsbrief zu schreiben, lehnte er jedoch ab – er beendete seine „Wohlverhaltensperiode“ vielmehr recht schnell, mit einer im April 1918 bei einer Konzerteröffnung öffentlich vorgetragenen „Lobrede auf die Kritiker“, in der es unter anderem heißt:
„Ich habe im letzten Jahr mehrere Vorträge über die Intelligenz und Musikalität bei den Tieren gehalten. Heute werde ich über Intelligenz und Musikalität bei den Kritikern sprechen. Es ist fast das gleiche Thema, mit Modifikationen, versteht sich.“
Die ganze Rede auf französisch ist nachzulesen auf incipit.fr/tag/erik-satie, in deutscher Übersetzung scheint sie nicht verfügbar zu sein.
Endlich Ehe, aber die Ehe ist endlich
Picasso hatte schon vor Olga gegenüber seinen Frauen Heiratsabsichten bekundet oder erwogen oder Heiratsanträge ausgesprochen, nun wollte er endlich die Ruhe vor den Frauen in der Ehe finden.
Am 12. Juli 1918 heirateten Pablo Picasso und Olga Chochlowa in Paris, zuerst war die standesamtliche Trauung im Rathaus des 7. Arrondissements, danach wurde eine prunkvolle kirchliche Trauung in der russisch-orthodoxen Kathedrale in der Rue Daru zelebriert.
„Malerdichter“ und Trauzeuge Max Jacob kannte als einziger Freund Picassos die Bedeutung des orthodoxen Ritus der drei Runden um den Altar, die Braut und Bräutigam drehten, während ihnen die Trauzeugen goldene Kronen über die Köpfe hielten: Wer als erster den Fuß wieder auf den Altarteppich setzen würde, würde in der Ehe die beherrschende Position einnehmen – und der abergläubische Max beobachtete ängstlich, wie Olga Chochlowa genau dies vollbrachte.
Er sollte recht behalten mit seinen schlimmen Vorahnungen:
Picassos Frau Olga war ein Mensch mit großem Interesse an „Auftritten in der Gesellschaft“, man war in die Rue La Boetie gezogen, in eine Umgebung mit Antiquitätenläden und eleganten Kunsthandlungen, Olga führte den Haushalt und ihr Ordnungswahn ließ Picasso schnell nur noch ein Zimmer zum Arbeiten übrig.
Picasso hatte lieber auf dem Montmartre gewohnt, ihm waren Parties und Diners in Moderestaurants ebenso lästig wie Olgas Ordnung; als Olga im Sommer 1920 schwanger wurde und die schlanke und fitte Ballettänzerin mit den Veränderungen ihres Körpers schwer zu kämpfen hatte, wurde ihm schnell die ganze Frau lästig.
Olga bestand darauf, dass Picasso nur naturalistische Porträts von ihr anfertigte, auf denen ihr Gesicht zu erkennen ist. Anfangs fügte sich Picasso dieser Anweisung, und anfangs sah Olga auf der Leinwand auch noch elegant und vornehm aus, wie auf dem Bild „Portrait of Olga in the Armchair“ von 1917.
Das änderte sich schnell – als Olga mit einer Mantilla porträtiert werden wollte, warf er ihr einfach einen Bettüberwurf aufs Haar und brachte schon in diesem gleichfalls 1917 entstandenen Bild „Olga in a Mantilla“ hinter dem verkniffenen Lächeln (wohl unbewusst) Olgas halsstarriges Wesen und ihre Härte auf die Leinwand.
In „Deux femmes nues assises“ („Zwei nackte sitzende Frauen“) aus dem Jahr 1920 wird Olga zur Riesin, mit fortschreitender Schwangerschaft wurden die Riesinnen immer riesiger und unheilvoller, ja unmenschlicher, die Angst des Vaters vor der fraulichen, vereinnahmenden Urgewalt würden Psychologen es wohl nennen.
Zwischendurch wird Olga Picasso dann in „Olga“, 1923, zur kompetenten und konzentrierten, aber für ihren Mann vollkommen unnahbaren Mutter, bis sie sich dann langsam immer mehr aufzulösen begann, von „Head of a Woman (Olga Picasso)“, 1930/31, über Woman with Hat (Olga), 1935, bis hin zu „Head of a Woman (Olga Picasso).
Wenn – nach Gertrude Stein – Picassos kubistische Bilder anfangs gleichsam ihre Rahmen sprengen wollten, war Picasso nun offensichtlich dabei, den von seiner Frau Olga um ihn gebauten goldenen Rahmen wieder zu sprengen.
Sohn Paolo wurde 1925 geboren, ab 1927 betrog er Olga Picasso mit Marie-Thérèse Walter, als diese 1935 Tochter Maya gebar, verließ er seine Frau offiziell. Sie wollte sich scheiden lassen, Picasso nicht (er hätte nach Ehevertrag sein gesamtes Vermögen mit Olga teilen müssen), sie blieben verheiratet bis zu Olga Picassos Tod 1955.
Links zu den erwähnten Bildern:
- „Portrait of Olga in the Armchair“, 1917
- Woman with Hat (Olga), 1935
- Head of a Woman (Olga Picasso), 1935
Passend zu seiner Ehe – oder zu seiner Befreiung aus dieser – hier ein Zitat von Picasso:
Hinter jedem großen Mann stand immer eine liebende Frau, und es ist viel Wahrheit in dem Ausspruch, dass ein Mann nicht grösser sein kann, als die Frau, die er liebt, ihn sein lässt.“
Picassos weitere Suche nach einer solchen Frau können Sie in den nächsten Szenen dieses Artikels nachverfolgen, mehr zu den Teilen von Picassos Leben, die sich nicht um Frauen drehten, erfahren Sie in den Artikeln „Art-o-Gramm: Picasso – Ein langes Leben für die Kunst“, „Art-o-Gramm: Picasso – zum Künstler geboren“, „Art-o-Gramm: Picasso – ein Künstler und drei Kriege“, „Art-o-Gramm: Picasso – Berühmte Kunst und ihr Geheimnis“, „Art-o-Gramm: „Picasso – ein Garant für Top-Ranking“ und „Art-o-Gramm: Picasso heute“.
Passionierte Autorin mit regem Kunstinteresse