Robert Motherwell in der Kunstweltrangliste: Vergessen? Nie existent?
Weder vergessen noch des Eintrags beraubt, Robert Motherwell ist immerhin in den USA ein sehr bekannter und hoch geehrter Künstler. Dass er in der Weltbestenliste der Kunst „nur“ den Platz 223 einnimmt, liegt an uns (arroganten) Europäern. Weil wir immer wollen, das Künstler sich darum bemühen, nach Europa eingeladen zu werden, während Robert Motherwell gar nicht wusste, wie er seine Zeit noch vervielfältigen sollte, um nur einen Teil seiner Termine in seiner Heimat zu schaffen …
Europa hat Motherwell nicht ausdrücklich genug eingeladen, erst während der 1970er Jahre (gegen Ende seiner Karriere) hatte er bedeutende Retrospektiv-Ausstellungen in einer Reihe von europäischen Städten: Düsseldorf, Wien, Paris, Edinburgh, London und Stockholm. Solche Statements zur weltweiten Verbreitung eher national beliebter Künstler müssen jedoch bei Künstlern, deren Wirken einige Zeit vor der Jahrtausendwende endete (Motherwell starb 1991), immer vor einem historischen Hintergrund betrachtet werden, den viele Menschen von heute nicht mehr aktuell im Bewusstsein haben:
Die Explosion des weltweiten Kunstaustauschs (mit dem Ziel der Bestückungen möglichst vieler Ausstellungen weltweit) wurde erst mit der Vernetzung durch das Internet möglich, rund ein Jahrzehnt nach Motherwells Tod.
Deshalb ist Robert Motherwell in Europa immer noch ziemlich unbekannt – und damit wiederum unbedingt ein Fall für neugierige Europäer, die nach den nächsten Kunst-Trends Ausschau halten.
Das Oeuvre des US-amerikanischen Malers streift viele der Stilrichtungen, die der „durchschnittliche europäische Avantgarde-Kunst-Liebhaber“ schätzt: Surrealismus und Abstrakten Expressionismus, Color Field und Informel.
Die bekanntesten Kunstwerke von Robert Motherwell
In den USA kennt jeder Bürger mit Kunstwissen auf Grundschul-Level Robert Motherwells Werke, in Europa kennen ein paar Freaks und Fans exzentrischer Kunststile ein paar Werke von Robert Motherwell. Die in den USA bekanntesten Kunstwerke Motherwells müssen vermutlich hier alle erst vorgestellt werden:
Eines der frühesten Bilder Motherwells (von 1943) bezieht sich auf seinen 1941er Mexiko-Aufenthalt: „Pancho Villa, Dead and Alive“, Gouache und Öl mit Collagetechniken auf Karton verarbeitet, heute im Museum of Modern Art in New York. In Mexiko war Motherwell auf ein Fahndungsphoto des 1923 ermordeten Revolutionsführers Pancho Villa gestoßen, das ihn zu einem vor-expressionistischem Werk inspirierte.
Sauber an der Linie zwischen referenzierter Malerei und freiem abstraktem Expressionismus, unter Berührung mehrerer Themenkreise, die im gesamten Werk des Künstlers eine Rolle spielen sollten. In der Anspielung auf die Mexikanische Revolution bereitet dieses Werk auch schon die Thematik Motherwells richtungsweisender Elegie auf die Spanische Republik vor: Bildlink
Wahrscheinlich 1949 und auf jeden Fall um etwa diese Zeit entstand „At Five in the Afternoon“, Kasein auf Zeichenkarton, heute in der Sammlung Helen Frankenthaler in New York. Das Bild begann 1948 als kleine Tuschezeichnung auf ein Gedicht von Harold Rosenberg und wurde 1949 von Motherwell als kleines Gemälde neu aufgelegt. Der Name ist eine Zeile aus dem „Lament for Ignacio Sanchez Mejias“ von Federico Garcia Lorca (Lamento für berühmten spanischen Stierkämpfer von berühmtem spanischem Dichter, meisterhaft rezitiert im nachfolgenden Video, über alle 25 „At Five in the Afternoon“-Gedichtzeilen).
„At Five in the Afternoon“ ist das erste Werk der „Elegies to the Spanish Republic“-Serie und bereitet ein formales und ästhetisches System vor, das die ganze Serie definieren wird: Bildlink
„Je t’aime No.2“ von 1955, Öl auf Leinwand, heute in der Sammlung Mr. und Mrs. Gilbert Harrison in New York, ist ein frühes Beispiel von Motherwells zweiter bedeutender Serie von Gemälden, die er zwischen 1953 und 1957 zusammenstellte, als seine zweite Ehe zu Ende ging. Eine Arbeit in energischer, emotional aufgeladener Malweise, hell, in eindrucksvollen Farben, mit den eiförmigen und geradlinigen Formen ganz „Marke Motherwell“.
Quer über die Leinwand hat Motherwell den französischen Satz „Je t’aime“ („Ich liebe dich“) geschrieben, eine Anspielung auf den bestimmenden Einfluss der französischen Kultur auf seine Arbeit und sehr wahrscheinlich auch Ausdruck der persönlichen Empfindungen, die ihn zu dieser Zeit umtrieben: Bildlink.
„Elegy to the Spanish Republic No. 110“ von (1971), Acryl, Stift und Kohle auf Leinwand, heute Solomon R. Guggenheim Museum, New York, ist ein weiteres Beispiel aus dem gleichnamigen Hauptwerk Motherwells. Seine wehmütige Klage (Anklage) an die Spanische Republik umfasst insgesamt über 140 Gemälde, an denen Motherwell während seiner ganzen langen Karriere gearbeitet hat. Mit dieser Mammut-Arbeit wollte er dem Spanischen Bürgerkrieg ein Denkmal setzen, weil der Spanische Bürgerkrieg für ihn DAS Symbol für menschliche Tragödien ist, die sich im Rahmen von Unterdrückung und Unrecht ereignen. Nr. 110 ist mit seiner starken Schwarz-Weiß-Palette und der Kombination von eiförmigen und stangenartigen Linien/Formen typisch für die Serie; das ganze bildsprachliche System der Serie Gegenstand einer großen Debatte, in der auch in der nachbetrachtenden Kunstwissenschaft noch wenig Einigkeit erzielt werden konnte.
„The Blue Painting Lesson: A Study in Painterly Logic, number one of five“ von 1973, Öl auf Leinwand und heute in der Sammlung der Dedalus Foundation New York, ist eine malerische Studie und Teil der zwischen 1968 und 1972 komponierten „Open-Serie“. Wieder zeigt dieses Bild das einfache, aber effektive formale Konstrukt der Serie: Satt und fast monochrom gefärbter Hintergrund, darauf hervorgehoben ein zwei- oder dreiseitiger Kasten, eine Erinnerung an die Fenster-Abbildungen in den Arbeiten vieler europäischer Meister. Hier eine der „Blue Painting Lessons“: Bildlink
„Tobacco Roth-Handle“ von 1974, Vier-Farben-Lithografie und Siebdruck auf HMP-Bütten und heute im Walker Art Center Minneapolis, zeigt mit seiner Synthese von Collage und Drucktechnik zwei wichtige Grundtechniken aus Motherwell Arbeit. Direkt aus dem Walker Art Center: Bildlink.
Ein Blick in das Studio von Robert Motherwell (Video)
Robert Motherwells Weg zur Kunst: Von „alles nur nicht Bank“ …
Robert Motherwell wurde am 24. Januar 1915 in Aberdeen, WA, Vereinigte Staaten geboren. Das kleine Städtchen im Bundesstaat Washington liegt ziemlich am Rand der USA, „ganz oben links“ (äußerster Nordwesten) nahe der kanadischen Grenze.
Malerisch gelegen an der Pazifik-Bucht Grays Harbor, hübsch, ländlich, 2010 mit 16.896 Einwohnern exakt bevölkert wie das gleichfalls malerisch gelegene Städtchen Eltville am Rhein; das Ortsbild bestimmt von Einfamilienhäusern aus Holz, die amerikanische Flagge Teil des Straßenbilds.
Aberdeen wurde 1881 erstmals erwähnt und hatte zu dieser Zeit des Eisenbahnbaus in den USA Ende des 19. Jahrhunderts auch das letzte Mal größere Bedeutung. Die Kleinstadt war das letzte Mal in aller Munde, als „Sohn der Stadt“ Kurt Cobain Ende des Jahrtausends als Sänger und Gitarrist der Rockband Nirvana berühmt wurde und am 05. April 1994 dem „Klub 27“ beitrat; mit den „Gründungsmitgliedern“ Brian Jones, Jimi Hendrix, Janis Joplin, Jim Morrison (und weiteren 34 berühmten Musikern von Alexandra bis Amy Winehouse, die nicht älter als 27 Jahre wurden).
Eine idyllische Umgebung, in der Motherwell eine ruhige Kindheit verlebt haben dürfte, kreativ-künstlerische Anregung durch geballtes Kunstleben oder Kunstpräsentation vor Ort aber eher wenig stattfand.
Als Musiker wäre Motherwell in eine konspirierende Umgebung hineingeboren worden, hat doch Aberdeen die Ausnahme-Musiker Patrick Simmons, Matt Lukin, Dale Crover und Kurt Cobain hervorgebracht und damit den Titel „Geburtsort des Grunge“ verdient; das allerdings erst lange nach Motherwell Jugendzeit in Aberdeen.
Motherwells Kreativität wird also eher im familiären Umfeld angeregt worden sein – für die Nachkommen des wohlbestallten örtlichen Bankvorstehers Motherwell senior gab es sicher Kunsterziehung. Der junge Motherwell verbrachte außerdem einen beträchtlichen Teil seiner Jugend in den Trockengebieten Zentral-Kaliforniens in Erholungsstätten für Asthma-Kranke, vielleicht bekam er an einer dieser Institutionen nicht nur trockene Luft, sondern auch Kunstbegeisterung mit.
Wie auch immer, der junge Robert verweigerte sich der Idee, in die Fußstapfen des Bankdirektor-Vaters zu treten und zeigte schon früh eine Affinität für intellektuellere und kreativere Beschäftigungen als das Bankwesen; ein Stipendium am Otis Art Institute in Los Angeles soll zu seiner frühen Erziehung gehört haben.
Nach dem Schulabschluss orientierte Motherwell junior sich zielbewusst weiter in Richtung „Bildung des kreativen Geistes“. Ohne sich sofort auf aktives Kunstschaffen festzulegen und zu beschränken, absolviert er eine breit angelegten Ausbildung:
… über die beste Bildung der Welt …
Ab 1932, seinem 17 Lebensjahr, studierte Motherwell.
An der California School of Fine Arts (seit 1961 San Francisco Art Institute) Kunst, in Stanford und Harvard (am entgegengesetzten, östlichen „Ende der USA“) Philosophie und französische Literatur, 1937 legt er seinen Bachelor in Philosophie er an der kalifornischen Stanford Universität ab. Im Studium hatte Motherwell sich umfassend mit dem Werk des Naturphilosophen und Wissenschaftstheoretikers Alfred North Whitehead und der Dichtkunst der französischen Symbolisten beschäftigt. Beides wichtige Inspirationen, u. a. für die Entwicklung eines logischen und unabhängigen Denkens, hier soll sich Motherwells Geist für die Möglichkeiten geöffnet haben, die die Abstraktion in der schreibenden (und bildenden) Kunst bietet.
Nach dem Abschluss in Philosophie wurde Motherwell in ein Promotionsprogramm berufen und beginnt auch mit der Arbeit, unterbricht jedoch 1938, um sich zur damals in gebildeten Kreisen üblichen Bildungsreise nach Europa einzuschiffen. Während seines fast zweijährigen Aufenthalts in Paris befreundete er sich unter anderem mit den Kunst-Legenden Piet Mondrian (Begründer der abstrakten Malerei) und Fernand Léger (Kubist und berühmter Kunstfälscher). Einflüsse auf Motherwells Kunstschaffen dürfen vermutet werden, er soll sich in die Kunst der europäischen Moderne regelrecht verliebt haben.
Motherwell wollte damals stante pede eine Karriere als Künstler aufnehmen, sein Vater drängte jedoch auf Absicherung durch eine krisensichere Berufsausbildung. Also folgte dem Auslandsaufenthalt ab 1940 erst einmal noch ein Studium; diesmal Kunstgeschichte an der New Yorker Columbia Universität. An der Columbia hatte Motherwell das Glück, von einer Koryphäe der Kunstgeschichte unterrichtet zu werden:
Dem Altmeister der Kunsthistorie Meyer Schapiro, der 1924 sein Studium an der Columbia begonnen hatte, 1928 (mit 24 Jahren) zum Assistenzprofessor berufen wurde, 1952 eine ordentliche Professur erhielt und 1973 nach 49 Jahren Columbia University in Ehren in den Ruhestand entlassen wird (um sich kurz darauf in der exklusiven „American Academy of Arts and Letters“ mit der Förderung herausragender Künstler zu beschäftigen).
Schapiro vermittelte Motherwell und andere angehende Künstler zum Unterricht an den frisch nach New York ausgewanderten Schweizer Schriftsteller und surrealistischen Maler Kurt Seligmann. Der ihn wiederum mit anderen europäischen Surrealisten bekannt machte, die ihren Nazi-verseuchten Heimatländern nach New York entflohen waren.
Motherwell war tief beeindruckt von deren Idee, das Kunstwerk als Manifestation des Unterbewusstseins des Künstlers zu sehen, sie sollte zu einem der zentralen Grundgedanken seiner Arbeit werden. Mit der Ankunft in New York kam Motherwell außerdem in Kontakt mit dem Kreis von Malern, die später den Kern der „Abstrakten Expressionisten“ ausmachen würden, und beschäftigte sich mit deren Kunstauffassung.
Nach mehreren Studien, längerem Bildungs-Aufenthalt in Europa und zahlreichen inspirierenden Bekanntschaften mit surrealistischen und expressionistischen Künstlern gehörte Motherwell zur intellektuellen Elite unter den Abstrakten Expressionisten der New Yorker Schule.
In der nachbetrachtenden Kunstwissenschaft besteht Einigkeit darüber (fast, ganze Einigkeit ohne ein paar kritische Gegenstimmen gibt es nie in der Wissenschaft), dass der herausragende Intellekt Motherwells aus seinen Bildern strahlt. Man findet ihn in der überlegten Malweise, den einfachen Formen und den mutigen Farbkontrasten und dem feinen, veränderlichen Gleichgewicht, in dem Motherwell exakt beherrschte und ungebremst kräftig ausholende Pinselstriche auf dem Malgrund verteilt.
Man sieht ihn reflektiert in den Ergebnissen dieser Malweise, in diesen Dialogen mit der Philosophie, der zeitgenössischen Kunst und ihrer Geschichte, die ein ernstes und überlegtes Engagement für das Schicksal der Menschen belegen, in Leben und Tod, in Unterdrückung und Revolution.
Motherwell hat sich an großen Vorbildern orientiert:
An Joan Miró mochte Motherwell alles, wie er 1959 in einem Essay für das Magazin „Art News“ schrieb. Er schaffe ein sensibles Gleichgewicht zwischen Natur und vom Mensch gefertigten Werk, dessen Herstellung in der zeitgenössischen Kunst fast verloren gegangen sei und die dazu führe, dass sein in seiner Originalität gewöhnlich unterschätztes Werk den Betrachter sofort in die Tiefe ziehe. Urteilen Sie selbst am „Carnival of Harlequin“ von 1924-25: Bildlink.
Picasso war für Motherwell ein „Verwandter im Geiste“, wie Picasso bestand Motherwell auf Form im Gemälde, weil diese als Träger der Bedeutung unerlässlich sei. Vorbildliche Picasso-Formen zeigt der „Seated Bather“ (Sitzender Badender) von 1930, Öl auf Leinwand, heute im Museum of Modern Art New York: Bildlink.
Motherwells drittes Vorbild war sein langjähriger Freund und abstrakt-expressionistischer Bildhauer David Smith. Den er als wirklich unabhängigen Menschen und als gebildeten Mann mit großen kunsthistorischen Kenntnissen schätzte und wegen seiner Freude an „Irish Whiskey und Guinness Stout“ liebte … David Smiths „Home of the Welder“ von 1945, Stahl, heute Tate Gallery London: Bildlink.
… endlich zur Kunst in der Praxis
1940 lernte Motherwell den chilenischen Architekten, Bildhauer, Maler und Surrealisten Robert Matta kennen, mit dem er noch im selben Jahr eine Reise nach Mexiko unternahm, wo er den österreichischen Surrealisten Wolfgang Paalen kennenlernte. Motherwell blieb mehrere Monate bei Paalen in Mexiko und arbeitete nach der Rückkehr nach New York ab 1941 an dessen Kunstmagazin DYN mit.
Während der Zeit in Mexiko entstanden die ersten Kunstwerke Motherwells, elf mit Feder und Tinte ausgeführte Zeichnungen, die gemeinsam das „Mexican Sketchbook“ bilden. Diese frühen Arbeiten zeigen surrealistische Einflüsse und sind doch in ihrer Essenz abstrakt, vor allem in der feinen Balance zwischen formaler Komposition und spontaner Erfindung. Sie werden von den Künstlerfreunden betrachtet und diskutiert, aber der Erfolg nach außen sollte noch ein wenig auf sich warten lassen.
Motherwells Karriere bekam erst 1943 die entscheidende Starthilfe: Die berühmte Mäzenin Peggy Guggenheim (Mäzen = aussterbende Gattung finanziell unabhängiger Förderer mittelloser Begabter) gab ihm die Möglichkeit, neue Arbeiten zu erschaffen, die in einer Show von Collagen mehrerer europäischer Modernisten gezeigt werden sollten.
Motherwell wendete sich sofort und mit Begeisterung der Technik der Collage zu, die er über seine gesamte Karriere hinweg immer wieder einsetzen wird. Die für die Show ausgewählten Stücke bestanden aus einer Mixtur von zerrissenem Papier, expressiv aufgetragener Farbe und einer Reihe auf den Zweiten Weltkrieg verweisender Gewaltthemen; sie erregten großes Interesse beim Publikum. Eine Einzelausstellung in Peggy Guggenheims Art of This Century-Gallery in New York folgte 1944, der Vertrag mit dem Kunsthändler Sam Kootz 1945.
Mit diesem Vertrag war Motherwell ein gemachter Mann, mit der Betty Parsons‘ Galerie und Peggy Guggenheims Galerie „Art of This Century“ gehörte die Galerie Sam Kootz im New York der 1940er und 1950er Jahre zu den bedeutendsten Kunsthandelsstätten. Die mit Samuel Melvin Kootz einen großzügigen Förderer und umtriebigen Geschäftsmann zum Leiter hatte, der sein spezielles Interessengebiet „Abstrakter Exepressionismus“ über die Grenzen der USA hinaus bekannt machen wollte und das auch tat … besser hätte es Motherwell kaum treffen können. Kootz hat außer Motherwell auch William Baziotes und Jackson Pollock den Beginn der Karriere erleichtert, auf ihn gehen wegweisende Ausstellungen aus der Anfangszeit des Abstrakten Expressionismus zurück.
Und vor allem sorgte Kootz dafür, dass Motherwell auf jeder Ausstellung dabei war, bei der die Worte „Abstrakter Expressionismus“ auch nur leise geflüstert wurden. Die Zeiten zurückgezogener Studien und entspannter Mexiko-Reisen waren nun vorbei, ab dem Treffen mit Kootz dürfte sich Motherwell die nächsten paar Jahrzehnte niemals gelangweilt haben.
Er beschäftigte sich nämlich nicht nur mit dem Anfertigen von Kunst; bereits Anfang der 1940er Jahre hatte Motherwell eine Parallel-Karierre als Lehrer, Editor und Schriftsteller begonnen. In den nächsten zwei Jahrzehnten lehrte er am Black Mountain College in North Carolina und am Hunter College der City University of New York.
Er half William Baziotes, Mark Rothko und Barnett Newman, die Kunstschule „Subjects of the Artist“ in New York’s Greenwich Village zu etablieren und schrieb 1941 für die Surrealistische Publikation „VVV“. Wenig später editierte er extrem einflussreiche Dokumente der modernen Kunst: Die Publikation „Possibilities“ und die „The Dada Painters and Poets“-Anthologie (1951), Motherwell sollte sein ganzes Leben in solche „Nebenbeschäftigungen“ involviert sein.
Ab 1948 war er mit den „Elegien auf die Spanische Republik“ beschäftigt, die seine Karriere umspannende Serie von mehr als 140 Werken, die als sein Hauptwerk gilt.
Von 1953 bis 1957 entsteht die „Je t’aime“-Serie, in den 1960er Jahren näherte Motherwell sich dem Color-Field-Painting von Morris Louis und begann seine Collagen als limitierte Auflage von Lithografien neu zu erfinden – Motherwell hat als einziger aus der ersten Generation der Abstrakten Expressionisten Druckgrafik als wichtigen Teil seiner künstlerischen Arbeit genutzt.
1968 war die dritte große Serie an der Reihe, anlässlich der Auflösung seiner Ehe mit der Künstlerin Helen Frankenthaler entstehen „The Opens“. Wie die früheren Serien auf der Grundlage eines einfachen formalen Konstrukts entworfen, in dem Motherwell unendlichen Raum für Variation und Extrapolation garantiert sah.
Motherwell ist einer von wenigen abstrakten Expressionisten, die nach der Gründungsphase lange (hier: 30 Jahre) produktiv blieben. Er hat uns viel Kunst hinterlassen, als er im Juli 1991 in seinem Haus in Provincetown Massachusetts starb.
Viele, viele Ausstellungen, nicht unbedingt in den Zentren der Kunst
Motherwell kann auf 575 Gruppenausstellungen und auf 155 Einzelausstellungen zurückblicken, zusammen über 700 öffentliche Ausstellungen.
Er hat quer über den Globus ausgestellt, in den großen Zentren der zeitgenössischen Kunst selbstverständlich, aber auch in sehr vielen amerikanischen (und einigen wenigen europäischen) Kleinstädten.
Der größte Teil seiner Ausstellungen fand in den USA statt (475), gefolgt von Deutschland (70), Großbritannien (44), Spanien (33) und Italien (20).
Motherwell hat 150 x zusammen mit Willem de Kooning ausgestellt, 123 x mit Sam Francis, 110 x mit Andy Warhol, 110 x mit Jackson Pollock und 104 x mit Roy Lichtenstein … (obwohl er für spöttische Kunst-Wissende genau das intellektuelle Gegenstück zu einigen dieser Künstler darstellt).
Robert Motherwell 2017
Robert Motherwell war vor gerade ziemlich genau einem Jahr (16. Juli 1991) ein Vierteljahrhundert tot. Aber er hat uns Kunst hinterlassen, sein Werk wird heute durch 60 Galerien repräsentiert, die vor allem in den Kunstzentren Europas und den USA liegen.
In 16 Ländern der Welt wurden Werke Motherwells in 95 öffentliche Sammlungen aufgenommen, damit sie von den Menschen der Welt betrachtet werden können, auch in Zukunft:
- Australien: Queensland Art Gallery / Gallery of Modern Art, Brisbane, QLD
- Brasilien: Museu de Arte Moderna de São Paulo
- Deutschland: Städel Museum Frankfurt/Main, Sprengel Museum Hannover, Städtisches Museum Abteiberg Mönchengladbach
- Finnland: Kiasma Museum of Contemporary Art, Helsinki
- Großbritannien: Tate Britain London
- Iran: Tehran Museum of Contemporary Art, Tehran
- Irland: Irish Museum of Modern Art, Dublin
- Israel: The Israel Museum, Jerusalem
- Italien: Peggy Guggenheim Collection, Venice
- Japan: Hara Museum of Contemporary Art, Tokyo
- Kanada: Art Gallery of Ontario, Toronto, ON
- Kolumbien: Museo Botero Bogota, Museo de Arte Moderno La Tertulia Cali
- Österreich: Museum Liaunig, Neuhaus
- Schweiz: Kunstmuseum Basel, UBS Art Collection Zurich
- Spanien: Museu d’Art Contemporani de Barcelona, Fundación Joan Miró Barcelona, Museo Guggenheim de Arte Moderno y Contemporáneo Bilbao, Museo Nacional Centro de Arte Reina Sofía Madrid, Es Baluard Museu d’Art Modern Palma de Mallorca, Centro Andaluz de Arte Contemporáneo Sevilla
- USA: University Museum of Contemporary Art Amherst MA, The University of Michigan Museum of Art Ann Arbor MI, Kennedy Museum of Art Athens OH, The High Museum of Art Atlanta GA, Harry Ransom Center Austin TX, The Baltimore Museum of Art Baltimore MD, University of Maine Museum of Arts Bangor ME, Cranbrook Art Museum Bloomfield Hills MI, Boca Museum of Art Boca Raton FL, Museum of Fine Arts Boston Boston MA, Albright-Knox Art Gallery Buffalo NY, MIT List Visual Arts Center Cambridge MA, Pomona College Museum of Art Claremont CA, The Cleveland Museum of Art Cleveland OH, Berman Museum of Art Collegeville PA, Colorado Springs Fine Arts Center Colorado Springs CO, Columbia Museum of Art Columbia SC, The Art Museum of South Texas Corpus Christi TX, Figge Art Museum Davenport IA, The Dayton Art Institute Dayton OH, Wright State University Art Galleries Dayton OH, Denver Art Museum Denver CO, Des Moines Art Center Des Moines IA, Koehnline Museum of Art Des Plaines IL, Tweed Museum of Art Duluth MN, Guild Hall Museum East Hampton NY, Jordan Schnitzer Museum of Art Eugene OR, Fort Wayne Museum of Art Fort Wayne IN, The Modern Art Museum of Fort Worth Fort Worth TX, Honolulu Museum of Art Honolulu HI, Museum of Fine Arts Houston Houston TX, Kemper Museum of Contemporary Art Kansas City MO, Polk Museum of Art Lakeland FL, Sheldon Museum of Art Lincoln NE, Los Angeles County Museum of Art, MOCA Grand Avenue Los Angeles, CA, Speed Art Museum Louisville KY, Frost Art Museum Miami FL, Milwaukee Art Museum Milwaukee WI, Walker Art Center Minneapolis MN, Masur Museum of Art Monroe LA, Montclair Art Museum Montclair NJ, Vanderbilt University Fine Arts Gallery Nashville TN, New Britain Museum of American Art New Britain CT, Solomon R. Guggenheim Museum, The Metropolitan Museum of Art, Museum of Modern Art New York City NY, Palm Springs Art Museum Palm Springs CA, The RISD Museum University of Rhode Island Providence RI, David Winton Bell Gallery Providence RI, Taubman Museum of Art Roanoke WV, Saint Louis Art Museum, Saint Louis University Museum of Art Saint Louis MO, The de Young Museum, Fine Arts Museum of San Francisco, San Francisco Museum of Modern Art San Francisco CA, San Jose Museum of Art San Jose CA, The Huntington Library, Art Collections and Botanical Gardens San Marino CA, Art Museum UC Santa Barbara CA, Scottsdale Museum of Contemporary Art Scottsdale AZ, Marywood University Art Gallery Scranton PA, Henry Art Gallery Seattle WA, Daum Museum of Contemporary Art Sedalia MO, Sioux City Art Center Sioux City IA, Arizona State University Art Museum Tempe AZ, Swope Art Museum Terre Haute IN, Brauer Museum of Art Valparaiso IN, The Phillips Collection Washington DC, Norton Museum of Art West Palm Beach, FL, Ulrich Museum of Art Wichita KS, Reynolda House Museum of American Art Winston-Salem NC
Angesichts der auf die USA beschränkten flächendeckenden Versorgung mit Motherwell-Kunst mag mancher europäische Kunstkenner erleichtert aufatmen: Muss man ja nicht kennen, wenn der fast nur in den USA zu sehen ist … Diese (für einen der berühmtesten Künstler der ganzen Welt) überproportionale Präsenz in den USA sagt uns aber auch, dass dieser „uramerikanische Künstler“ sehr wahrscheinlich in der europäischen Kunstwelt irgendwann überrascht und mit viel Trara entdeckt werden wird … Wer ihn bereits kennt, kann dann nur gewinnen.
Motherwell hat uns Studenten hinterlassen, die seine Arbeitsweise weiterentwickelt haben. In seiner langen Lehrtätigkeit am Hunter College (City University New York) und am Black Mountain College North Carolina hat Motherwell sehr vielen Studenten seine wohldurchdachten Thesen nahegebracht, „Farbfeldmaler“ Kenneth Noland, Robert Rauschenberg und Cy Twombly haben z. B. bei Motherwell studiert und wurden unstrittig von ihm beeinflusst.
Tipp für Raritäten-Sammler: Noch für Nicht-Reiche verfügbar ist der Katalog „GALERIE BOISSERÉE – MODERNE UND ZEITGENÖSSISCHE KUNST“ vom November 2008. Ein kleiner Rundgang durch die zeitgenössische Kunst, auf 144 Seiten, mit 120 Exponaten und 129 farbigen Abbildungen, unter boisseree.com auch zum Download.
Geschichten über von Robert Motherwell
Über Robert Motherwells Privatleben ist angenehm wenig zu finden, vor allem keine Skandalberichte, nur kluge Zitate von Robert Motherwell sind einige überliefert. Kann nicht sein, Motherwell hat vier Ehen geführt (= drei Scheidungen hinter sich)? Bestimmt wird es den ein oder anderen Yellow-Press-Bericht über die ein oder andere Scheidung Motherwells gegeben haben, zu Motherwells Zeiten konnte man sich aber auch als öffentliche Person einfach scheiden lassen, ohne die Presse zwangsläufig wochenlang in Aufruhr zu versetzen.
Wenn es über eine Scheidung nicht viel zu berichten gab, wurde nicht viel berichtet. Auch damals wurden Journalisten von ihrem Gehalt nicht unbedingt reich, bekamen aber immerhin ein normalerweise zum Leben ausreichendes Salär und hatten es deshalb nicht nötig, zu jeder glatt über die Bühne gehenden Promi-Scheidung wochenlang Skandalberichte zu erfinden.
Die klugen Zitate bringen auch viel mehr als eine neue Auflage langweiliges Rosenkriegs-Gezeter, immer dasselbe in Grün, weil die Hellsten da nicht streiten (die lassen sich ruhig scheiden):
Zu Kunst und Kunstgeschichte:
„Every intelligent painter carries the whole culture of modern painting in his head. It is his real subject, of which everything he paints in both an homage and a critique, and everything he says is a gloss.“
(Jeder intelligente Maler hat die gesamte Kulturgeschichte der modernen Malerei im Kopf. Sie ist sein wirkliches Thema, macht alles was er malt zur Hommage oder Kritik, und alles was er sagt zur bloßen Anmerkung., Wikiquote – Robert Motherwell).
Zum Unterschied zwischen klassischer und moderner Kunst:
„Most painting in the European tradition was painting the mask. Modern art rejected all that. Our subject matter was the person behind the mask.“
(„Auf den meisten Gemälden der europäischen Tradition wurde die Maske gemalt. Die moderne Kunst lehnt so etwas ab. Unser Gegenstand war die Person hinter der Maske.“, theartstory.org)
Zur Entwicklung von Künstlern (oder/und zur Selbstvermarktung von Künstlern):
„Every artist’s problem is to invent himself.“
(Jeder Künstler hat das Problem der Selbsterfindung., theartstory.org)
Zur Moral des Künstlers:
„Without ethical consciousness, a painter is only a decorator.“
(Ein Maler ohne ethisches Bewusstsein ist nur ein Dekorateur., wikiquote.org)
Zur Stellung des Künstlers in modernen Gesellschaften:
“In this world modern artists form a kind of spiritual underground.”
(In dieser Welt bilden die zeitgenössischen Künstler eine Art spirituellen Untergrund, isabelgrundy.wordpress.com)
Und zum Abschluss DER Spruch zur gesamten Malerei (aus wikiquote.org):
„…painting is the mind realizing itself in colour.“ … Malerei ist der Geist, der sich selbst in Farbe erschafft.
Passionierte Autorin mit regem Kunstinteresse