Rosemarie Trockel gilt als bekannteste Künstlerin Deutschlands. Trotzdem ist ihr Name vielen Menschen nicht geläufig. Das hat seinen Grund: Trockel zeigt sich nur ungern in der Öffentlichkeit und gibt keine Interviews. Aber sie ist überall – auf der Documenta und der Biennale von Venedig, als langjährige Professorin der Kunstakademie Düsseldorf und als Gründungsmitglied der Akademie der Künste der Welt in Köln.
Rosemarie Trockel wurde 1952 in Schwerte in Nordrhein-Westfalen geboren und wuchs in Leverkusen auf. Obwohl es in der Familie keinen ausgesprochenen Hang zur Kunst gab, befasste sich die junge Rosemarie schon sehr früh mit dem Zeichnen. 1971 begann sie ein Studium an der Pädagogischen Hochschule in Köln, von 1974 bis 1978 studierte sie Malerei unter Werner Schriefers an den Kölner Werkschulen.
Auf Reisen durch die USA kam Trockel in Kontakt mit zahlreichen feministischen Künstlerinnen, die sie stark inspirierten. Das Frausein wurde zum zentralen Thema in Trockels Werken, die sich als Wegweiser für viele zeitgenössische Künstlerinnen erwiesen.
Jahrelang nahm Trockel den dritten bzw. vierten Platz im Kunstkompass-Ranking der weltweit gefragtesten Künstlerinnen und Künstler ein. Vorerst fanden ihre Werke vor allem in den Vereinigten Staaten Beachtung, später wurde sie auch in Europa erfolgreich. Für großes Furore sorgte Trockel im Jahr 1997 auf der Documenta X in Kassel, als sie gemeinsam mit Carsten Höller das „Haus für Schweine und Menschen“ baute.
Das Projekt, in dem eine Schweinefamilie untergebracht war, sollte als Sinnbild für das „Schwein im Menschen“ dienen.
Strickbilder: weg von überholten Geschlechterrollen
Ab Mitte der 1980er-Jahre wurde Rosemarie Trockel für ihre Strickbilder berühmt. Das Stricken – banal, weiblich und nicht der Rede wert – interpretierte die Künstlerin auf feministische Weise. Zu einer Zeit, als der Strickboom sogar an Universitäten und im Parlament angekommen war, präsentierte Trockel Arbeiten wie „Leben heißt Strumpfhosen stricken“.
Der Clou: Die Muster wurden maschinell gefertigt.
Nicht nur Trockels Strickbilder wurden zu einer Anklage gegen die traditionellen Geschlechterrollen. Eine besondere Faszination übte der Herd auf die Künstlerin aus. Ihre Fotografie „Sabine“ aus dem Jahr 1994 bietet eine ironische Interpretation des „Heimchens am Herd“: Es zeigt eine nackte Frau mit Sonnenbrille, die auf einem Herd kauert.
Herdplatten treten in Trockels Gesamtwerk immer wieder auf – mal als Skulptur, mal als Grafik. Im MMK Frankfurt verbreiten einige dieser Herdplatten eine besondere Botschaft. Sie sind glühend heiß – wer sie anfasst, verbrennt sich. Somit wird gezeigt, dass die Frau selbst in der Rolle als „Heimchen am Herd“ ihre Waffen besitzt.
Gesellschaftskritik als wichtiger Bestandteil der Gegenwartskunst
Für Rosemarie Trockel ist Kunst vor allem ein Mittel, um ihre Mitmenschen zum Nachdenken zu bewegen. Daher greift sie in ihren Kunstwerken Themen auf, die die Gesellschaft nicht unbeachtet lassen kann. Besonders gut kommt dies in der Skulptur „Shutter“ aus dem Jahr 2006 zur Geltung.
Was auf den ersten Blick wie eine Wand aus Ziegelstein erscheint, entpuppt sich bei näherem Hinsehen als eine Leinwand aus Fleisch. Mit diesem Werk wollte Trockel zum Ausdruck bringen, wie stark modernde Gesellschaften auf den Fleischkonsum angewiesen sind.
Es gibt kaum ein Thema, dessen sich Trockel nicht annimmt. Der Holocaust spielt in ihren Werken eine Rolle, ebenso wie die Diskriminierung älterer Menschen und die Verbindung zwischen Alkohol- und Kindesmissbrauch. Auch Tieren räumt die Künstlerin viel Platz ein: Nach dem „Haus für Schweine und Menschen“ kam ein „Haus für Tauben, Menschen und Ratten“ auf der Expo 2000 in Hannover.
Bedeutende Ausstellungen
Auf Trockels Erstausstellung in Bonn folgten Ausstellungen in den Vereinigten Staaten. 1988 war sie an der Made in Cologne beteiligt, 1997 wurde sie zur Documenta X in Kassel eingeladen. Als erste Frau stellte Rosemarie Trockel ihre Werke im deutschen Pavillon auf der Biennale von Venedig im Jahre 1999 aus.
Die Ausstellung „Märzôschnee ûnd Wiebôrweh sand am Môargô niana me“ im Kunsthaus Bregenz im Jahr 2015 sollte ihre letzte für sieben Jahre werden. Das Motto der Ausstellung („Am nächsten Morgen sind der Märzschnee und die Schmerzen der Frauen verschwunden“) ist eine alte Bregenzer Redensart, die sich über die Schmerzen der Frauen lustig macht.
Die nächste Ausstellung ließ jedoch nicht so lange auf sich warten, denn schon im September 2020 meldete sich Rosemarie Trockel im Rahmen des Events „Die Sonne um Mitternacht schauen. Gegenwartskunst aus dem Lenbachhaus und der KiCo Stiftung“ in der Städtischen Galerie im Lenbachhaus in München zurück.
Von Dezember 2022 bis Juni 2023 zeigt das MMK Frankfurt eine Retrospektive der Künstlerin.
Rosemarie Trockel: Enigma der Kunstwelt
Zeitgenössische Künstlerinnen gibt es viele, doch kann keine von ihnen Rosemarie Trockel auch nur annähernd das Wasser reichen. Sie gilt zwar als die bekannteste Künstlerin der Welt, doch von der Allgegenwärtigkeit und Popularität einer Frida Kahlo oder einer Georgia Totto O’Keeffe ist Rosemarie Trockel nach wie vor weit entfernt.
Der Grund für Trockels Anonymität liegt wohl darin, dass sie ihre Kunst für sich selbst sprechen lässt und dabei vornehm schweigt.
Rosemarie Trockel ist bekennende Feministin. Diese Haltung zieht sich durch ihr Gesamtwerk hindurch, ohne jemals aufdringlich daherzukommen. Trockels Werke sind von einer einzigartigen Ironie gekennzeichnet, die sich dem Betrachtenden erst nach und nach eröffnet.
Ein wenig erinnert Trockel an ihre britische Zeitgenossin Tracey Emin, die sich in ihren Werken ebenfalls mit Fragen rund um das Frausein befasst. Doch wo Emin Autobiografisches preisgibt, richtet sich Trockel an die Gesellschaft. Sie möchte provozieren – allerdings nicht um der Provokation willen, sondern um Gedankengänge anzuregen.
Eine Reihe von Zeichnungen der französischen Filmikone Brigitte Bardot setzt Diskussionen um den Lolita-Kult in Gang, während ein Polyptychon im Stil von Andy Warhols „Thirteen Most Wanted Men“ den russischen Präsidenten Wladimir Putin als „Witwenmacher“ darstellt.
In der Retrospektive im MMK Frankfurt zeigt sich deutlich, wie sehr Rosemarie Trockel auch ein Kind ihrer Zeit ist. Die Backofenmodelle, die in ihrem Film „Heiliger“ im Mittelpunkt stehen, gibt es heute nicht mehr. Fast nostalgisch mutet das Ganze an – und zeigt, wie stark sich die Rolle der Frau seitdem verändert hat. Und zu dieser Veränderung hat auch Rosemarie Trockel Wertvolles beigesteuert.
Trockels Werke stehen immer im Dienste der Kunst. Wer möchte, kann sie als politisch oder sozialkritisch auffassen, doch allein die Bandbreite der aufgegriffenen Themen macht eine klare Einordnung unmöglich. Es geht nicht allein um die Stellung der Frau in der Gesellschaft, um das Tierwohl oder um psychische Gesundheit. Trockel erlaubt es den Betrachtenden, ihre eigenen Gedanken in die Interpretation mit einzuflechten.
Wo kann man Rosemarie Trockels Werke bewundern?
Bis Juni 2023 sind Trockels Werke im MMK Frankfurt ausgestellt. Außerdem sind Werke der Künstlerin in folgenden öffentlichen Sammlungen zu sehen: Kunstmuseum Basel, Museum Kunstpalast in Düsseldorf, Pinakothek der Moderne in München, EVN Sammlung in Maria Enzersdorf.
Werke von Rosemarie Trockel kaufen
Genauso breit gefächert wie Trockels Kunst sind auch die Preise für ihre Werke. 2014 wurde im Londoner Auktionshaus Sotheby’s eines von Trockels Strickbildern zu einem Preis von sage und schreibe 4.981.000 US-Dollar versteigert. Vor der Auktion war das Kunstwerk auf 1,5 bis 2 Millionen US-Dollar geschätzt worden.
Doch nicht alle Preise bewegen sich im siebenstelligen Bereich: Die meisten von Trockels Werken kosten 1.000 bis 5.000 US-Dollar.
Zeitgenössische Künstlerinnen wie Rosemarie Trockel sind eine Seltenheit. 40 Jahre umfasst ihre künstlerische Tätigkeit, die sie zu einer der bedeutendsten Vertreterinnen der Gegenwartskunst gemacht hat. Trockels Werke treffen heute genauso ins Schwarze, wie sie es auch vor Jahren getan haben – mit einem kühnen Blick für gesellschaftliche Schieflagen, bevor sie in das Bewusstsein der Öffentlichkeit treten.
Inhaber und Geschäftsführer von Kunstplaza. Publizist, Redakteur und passionierter Blogger im Bereich Kunst, Design und Kreativität seit 2011. Erfolgreicher Abschluss in Webdesign im Rahmen eines Hochschulstudiums (2008). Weiterentwicklung von Kreativitätstechniken durch Kurse in Freiem Zeichnen, Ausdrucksmalen und Theatre/Acting. Profunde Kenntnisse des Kunstmarktes durch langjährige journalistische Recherchen und zahlreichen Kooperationen mit Akteuren/Institutionen aus Kunst und Kultur.