Ziemlich weit oben auf der Liste der weltweit angesehensten Künstler ist ein deutscher Fotokünstler zu finden, der von sich selbst sagt, dass er in seiner Schulzeit „mit Kunst nichts am Hut hatte“.
Thomas Ruff wurde 1958 in Zell am Harmersbach geboren, einem kleinen Städtchen am Rande des Schwarzwaldes. Als viertes von sechs Kindern genießt er eine erlebnisreiche Kindheit in der Kleinstadt, in der die Eltern den Kindern ziemlich große Freiräume ließen und sie ansonsten so gut wie möglich förderten, was bei Thomas Ruff zunächst zum Besuch des Mathematisch-Naturwissenschaftlichen Gymnasiums im 1,5 Stunden Zugfahrt entfernten Hausach führt.
In seinen letzten drei Jahren auf dem Gymnasium bekam Thomas Ruff wegen Lehrermangel keinen Kunstunterricht, er interessierte sich für Astronomie und erwirbt mit 16 seinen ersten Fotoapparat, dessen Bedienung er in einem Volkshochschulkurs lernt. Die Fotografie wird sein Hobby, nach dem Abitur wollte Ruff entweder Astronomie oder Fotografie studieren.
Die Fotografie erschien ihm als die leichtere Variante, eigentlich mit der Idee, Reisefotograf zu werden, bewarb er sich direkt nach dem Abitur 1977 an der Kunstakademie Düsseldorf, damals die einzige Akademie in Deutschland, die eine Fotoklasse anbot. Zur Bewerbung schickte er seine zwanzig schönsten Kleinbilddias ein, die beurteilt wurden vom berühmten Fotografen Bernd Becher, der gerade an der Kunstakademie eine Professur für Fotografie übernommen hatte.
Bernd Becher wählte Ruff aus, er absolvierte bis 1985 sein Fotografiestudium unter ihm und seiner Frau Hilla Becher, einer ebenso anerkannten Fotografin, die mit ihrem Mann bei der Ausbildung der Studenten eng zusammenarbeitete. Beide führten eine fast legendäre Künstlerklasse der Fotografie, die später auch häufig als „Becher-Schule“ bezeichnet wurde und aus der neben Ruff auch weitere international herausragende Vertreter der deutschen Fotografie wie Andreas Gursky, Thomas Struth, Jörg Sasse und Axel Hütte hervorgingen.
Thomas Ruff kam im Studium zum ersten Mal mit Kunst und Künstlern in nähere Berührung, er musste gänzlich neu sehen lernen und erkennen, dass seine bisher geschaffenen schönen Landschaftsbilder nicht anderes waren als angenehm zu betrachtende Klischees. Das führte ihn zunächst (“natürlich”, wie er später sagte) in eine gewaltige Krise, er konnte ein Jahr lang nichts erschaffen, genau in dieser Krise fand er jedoch vom reinen Interesse am Foto zur künstlerischen Betrachtung der Fotografie.
Nun begann er, selbst Kunst zu machen, Fotografien, die aus einer intelligenten Auseinandersetzung mit seiner Umgebung entstanden. Großen Wert legt Ruff bei seiner Arbeit auf Authentizität, die die Fähigkeit nährt, die Dinge unabhängig von vorgegebenen Meinungen zu sehen und zu fotografieren.
Er hat sich die Zeit genommen, im Studium und auch danach seinen eigenen Weg zu finden, dass dieser gut war, zeigt sich bald, indem er relativ früh erst von einer und dann von weiteren Galerien angesprochen wird, die mit Ruff Ausstellungen machen wollen. So ging es dann weiter, Ruff hat sich nie näher mit der Marketingseite der Kunst beschäftigen oder anfreunden müssen, er hat erfolgreich auf den (von ihm selbst als naiv bezeichneten) Glauben seiner Anfangszeit vertraut, dass sich gute Arbeit automatisch durchsetzen werde.
Die ersten Arbeiten, die die Aufmerksamkeit der Galeristen erregt, gehören kleinformatige Porträts mit weißem Hintergrund, Ruff stellt sie 1986 im französischen Villeurbanne aus und erhält dort die Mittel, um erste Porträts im großen Format anfertigen zu lassen. Diese werden 1987 in der Kölner Galerie Johnen & Schöttle gezeigt, eines wird für das 1991 eröffnende Museum für Moderne Kunst in Frankfurt gekauft.
So verhelfen diese Porträts Ruff zum internationalen Durchbruch, sie und seine neue Serie Häuser werden Ende der 1980er Jahre auf wichtigen internationalen Ausstellungen (“Aperto” in Venedig, “BiNationale” in Düsseldorf und Boston) gezeigt. Öffentliche und private Sammler zeigen nun so viel Interesse an seinen Werken, dass er Ruff kostenintensivere Projekte beginnen kann, 1989 startet er seine Serie Sterne, für die er über 1.000 Negative wissenschaftlicher Sternaufnahmen einkauft.
Viele Zeitgeschehnisse finden ihren Ausdruck in seinem Werk: 1991 antwortet er mit den “Blauen Augen” dem französischen Kunstkritiker, der seine Porträtserie mit der Kunst des Sozialistischen Realismus und des Faschismus verglichen hatte. 1992 regen die TV-Bilder aus dem Golfkrieg Thomas Ruff zur Serie Nächte an, ein Teil dieser Aufnahmen wird auf der documeta IX ausgestellt.
Es folgt 1993 ein Stipendium in Rom, 1994 entstehen zwei Serien, die unterschiedlichste Techniken der Fotografietechniken verarbeiten, 1999 wird Ruff vom Architektenpaar Herzog & de Meuron mit der Fassadengestaltung ihres Entwurfs der Bibliothek der Fachhochschule Eberswalde beauftragt.
1995 ist Thomas Ruff im Deutschen Pavillon auf der Biennale in Venedig zu sehen, 1996 beschäftigt er sich in der Serie Plakate mit verschieden politischen Ereignissen, 1999 beginnt er mit seiner berühmten Serie “nudes”, zu der er Pornographieseiten aus dem Internet als Ausgangsmaterial verwertet. Verschiedene Gebäudeaufnahmen (Mies van der Rohe und weitere) werden zur Serie “l.m.v.d.r”, wieder für Herzog & de Meuron stattet er den Boden der “Fünf Höfe” in München mit Bildern aus.
1999 erhält Thomas Ruff dann eine Professur an der Staatlichen Akademie Düsseldorf, an der er (nach kurzem Zwischenspiel von Jeff Wall) von 2000 bis 2006 die “Becher-Klasse” leitet, während dieser Zeit Nachfolger erwirbt er auch gemeinsam mit Andreas Gursky, Axel Hütte und Laurenz Berges ein Fabrikgelände in Düsseldorf, indem er ein großes Atelier bezieht.
Das Internet bleibt Thema, auch in den seit 2000 entstandenen Serien “Substrat” und “Jpegs”, der Foto-Band „Nudes“ erscheint 2003 mit einem Text von Michel Houellebecq. Aber nicht nur, zwischendurch entsteht “Das Sprengobjekt”, 2011 werden in Münster die „Stellar Landscapes“ gezeigt, in denen 60 Bilder des Mars (von der NASA) so bearbeitet wurden, dass man das Gefühl hat, den Mars aus einem Flugzeug zu betrachten.
Wie m.a.r.s. zeigt auch die Serie „Cassini“ Bezüge zu seiner Jugendliebe Astronomie, hier werden außergewöhnliche und auch wirklich außerirdische Aufnahmen vom Saturn und seinen Monden verarbeitet, die von der Raumsonde dieses Namens gemacht wurden.
Eine Übersicht der beeindruckenden Werke Thomas Ruffs war im Frühjahr 2012 im Haus der Kunst in München zu sehen, bestimmt nicht die letzte Gelegenheit, die spannenden Arbeiten des herausragenden Fotokünstlers zu ergründen und zu bewundern.
Das folgende Video zeigt ein 30-minütiges Interview mit dem Künstler, durchgeführt von Thomas Weski im Münchner Haus der Kunst:
Weitere Informationen sowie eine große Auswahl an seinen Werken sehen Sie auf artnet – Thomas Ruff.
Hier eine kleine Auswahl seiner Kunst (Screenshot von artnet):
Passionierte Autorin mit regem Kunstinteresse