Wer Kunst kennenlernen möchte, wird sich mit Stilrichtungen – wie zum Beispiel dem Expressionismus – beschäftigen, denn die Stilrichtungen sind wichtige Anhaltspunkte, die uns helfen, Kunst einzuordnen.
Der einzelne Künstler teilt sich in seinem Bekenntnis zu einer Stilrichtung mit. Alternativ kann er durch seine Einordnung in eine Stilrichtung vom künstlerischen Laien besser erfasst werden, weil er sich von dem, was durch diese Stilrichtung ausgedrückt wird, offensichtlich angezogen fühlt.
Das Verständnis der Stilrichtungen hilft also, Kunst zu verstehen, und der Expressionismus ist eine der bedeutendsten Stilrichtungen der Kunst. Expressionismus kommt vom lateinischen „expressio”, übersetzt „Ausdruck” . In einer Kunstrichtung dieses Namens soll also offensichtlich der Ausdruck der künstlerischen Werke im Vordergrund stehen. Wie das genau gemeint ist, lässt sich nur in Abgrenzung zu anderen Kunststilen ermitteln.
Der Expressionismus als neue Stilepoche der Kunst
Der Expressionismus als Kunstepoche stellt sich zunächst gegen den Naturalismus, die überkommene realistische Art, die Dinge im Bild darzustellen. Diese Intention der Neuerung hatten jedoch auch der Impressionismus, der Symbolismus und der Fauvismus. Was ist der Unterschied zu diesen Kunststilen?
Der Expressionismus möchte vor allem das künstlerische Erlebnis für den Betrachter begreifbar machen, erst dann kommen Ästhetik, künstlerische Appelle und die sachliche Ebene. Das ist ein diametraler Gegensatz zum Impressionismus und zum Fauvismus und deren bildnerischen Gestaltungsweisen, die als erste Ziele das Einfangen der Impression bzw. die gekonnte Komposition von Farben und Räumen sahen.
Es ist auch ein völlig anderer Ansatz der künstlerischen Erneuerung als, den der Symbolismus vorhatte, der bei naturalistischen Darstellungsformen blieb und vor allem die seelische Tiefe des Bildes neu definierte. Die Expressionisten gehen in nie gekannter Weise frei mit Farben und Formen um, sie reduzieren ihre Motive auf markante Elemente, sie lösen die traditionelle Perspektive auf. Die expressionistischen Künstler wollten keine Eindrücke oder schöne Formen abbilden, sondern ihre subjektiven Regungen ausdrücken.
Zum Ausgang des 19. Jahrhunderts entstanden erste Werke mit expressionistischen Anklängen als Reaktion auf den Impressionismus. Die Maler waren Vincent van Gogh und Paul Gauguin, Henri de Toulouse-Lautrec und Edvard Munch und weitere arrivierte Künstler auf der Suche nach neuen Ausdrucksformen.
Die „Brücke“
Die zweite expressionistische Welle war noch weit heftiger, mit Künstlern wie Georges Rouault und Picasso in seinem Frühwerk. In Deutschland wurde die künstlerische Bewegung erstmals im frühen 20. Jahrhundert mit dem Namen Expressionismus bezeichnet, als 1905 die Dresdner Brücke gegründet wurde.
Die „Brücke“ wurde 1905 in Dresden von Künstlern wie Ernst Ludwig Kirchner und Emil Nolde gegründet. Sie strebte danach, die Kunst von traditionellen Normen zu befreien und die rohen, oft schockierenden Emotionen des Lebens darzustellen.

Bildquelle: Francesco Bini, CC BY-SA 4.0, via Wikimedia Commons
Sie arbeitete bis 1913. Hier wurden bedeutende Werke von Ernst Ludwig Kirchner und Karl Schmidt-Rottluff, Otto Mueller, Erich Heckel und Max Pechstein erschaffen.
Ihre Werke waren geprägt von zarten Farben, verzerrten Formen und dynamischen Kompositionen, die den Betrachter direkt in den emotionalen Sturm der dargestellten Szenen ziehen.
Der „Blaue Reiter“
Ein anderer expressionistischer Künstlerverbund war die Neue Künstlervereinigung München, in der sich berühmte Namen wie Wassily Kandinsky, Franz Marc, Gabriele Münter und Marianne von Werefkin zusammenfanden. Aus ihr ging 1912 die Redaktion und Künstlervereinigung „Blauer Reiter” hervor. Der „Blaue Reiter” führte die expressionistische Arbeitsweise weiter bis zur Abstraktion.
Im Kontrast zur „Brücke“ legte der „Blaue Reiter“ unter der Leitung von Wassily Kandinsky und Franz Marc großen Wert auf spiritualistische und abstrakte Elemente. Sie suchten nach einem universellen Ausdruck jenseits der physischen Realität und erforschten die Verbindung zwischen Farbe und Gefühl. Diese gegenseitige Beeinflussung förderte nicht nur eine neue Sichtweise auf Kunst, sondern schuf auch den Raum für eine tiefere Auseinandersetzung mit der menschlichen Existenz im angespannten Kontext ihrer Zeit.
Das war möglich, da das Programm des deutschen Expressionismus eigentlich nur negativ definiert war. Es ging darum, nicht naturgetreu, nicht konventionell und nicht bürgerlich zu malen. Der Expressionismus war nicht an Stilmerkmalen zu erkennen, sondern eine geistige Haltung.
Die Künstler, die im Umfeld des Blauen Reiter tätig waren, werden als wichtige Wegbereiter der modernen Kunst des 20. Jahrhunderts eingeordnet. Das von ihnen geformte lockere Beziehungsnetz hatte jedoch nur bis zum Beginn des Ersten Weltkriegs Bestand. Im Jahr 1914 löste sich der Blaue Reiter auf.
Erster Weltkrieg und die Folgen auf den Expressionismus
Der Erste Weltkrieg hatte verstörenden Einfluss auf die Künstler der Zeit, der auch dazu führte, dass der Expressionismus in der Folgezeit von neuen Stilrichtungen abgelöst bzw. überlagert wurde:
Der Konstruktivismus lehnte die bisher gewachsene Formen- und Bildersprache der Malerei ab. Die Neue Sachlichkeit wendete sich sozialkritischen Bildthemen zu. Der Dadaismus revoltierte gegen jede bekannte Kunstform und gegen die Gesellschaft der Zeit und deren Wertesysteme gleich mit.