Neugierig auf die Geschichte der Kunst?
Wo Sie auch nachlesen, zuerst geht es immer um die Geschichte der Geschichte der Kunst.
Verwirrend, aber logisch – Kunstgeschichte ist eine Wissenschaft, und Wissenschaft begleitet uns insgesamt kürzer, als uns gewöhnlich bewusst ist:
- Seit ca. 200.000 Jahren gibt es den Homo sapiens, den Homo, der als Mensch eine besondere Stellung einnimmt (deren Rechtfertigung in jüngster Zeit immer umstrittener wird, aber das ist wieder ein eigenes Thema).
- Seit ca. 3.000 v. Chr. sprechen wir von „Anfängen der Wissenschaft“, in den alten Hochkulturen des Vorderen Orients (Sumer in Mesopotamien, Ägypten, Indus-Kultur)
- Das „Zeitalter der Wissenschaft“ dauert also erst einen Bruchteil der Menschheitsgeschichte, bis heute rund 2,5 % …
- Das sind bis heute rund 5.000 Jahre, und da von den „alten Orientalen“ auch die ersten Aufzeichnungen stammen, fängt hier auch die Geschichtsschreibung an.
- Die gesamte historische Bibliothek der Menschheit ist also erst 5.000 Jahre alt, schon erstaunlich, was man in den paar Jahren so alles an Schriftwerk produzieren kann.
Einen guten Teil dieser 5.000 Jahre Geschichtsschreibung berichteten berühmte Männer über alles Erdenkliche aus ihrer Zeit, auch über Kunst – aber nie nur über Kunst.
Klingt danach, als wenn die Kunstgeschichte selbst noch keine sehr lange Geschichte hat, und genau so ist es auch:
Erst vor gut 500 Jahren, in der Renaissance des 15. + 16. Jh., schrieben berühmte Männer erstmals „nur über Kunst“. Den Anstoß zu dieser ausschließlichen Beschreibung der Kunst gaben Künstler: Albrecht Dürer und Leonardo Da Vinci machten Skizzen nach einem Buch des Römers Vitruv, der 33/22 v. Chr. über Architektur und Kunst geschrieben hatte.
1492 zeichnete Leonardo Da Vinci seinen „Vitruvianischen Menschen“ nach den von Vitruv festgelegten Proportionen; Leonardo Da Vincis Meisterschaft und sein Bezug auf den lange vor ihm wirkenden Vitruv haben wenig später den ersten Kunsthistoriker zur ersten kunstgeschichtlichen Schrift angeregt.
Das Werk, das den „Anstoß zur Kunstgeschichte“ gab, kennen Sie: Der „Vitruvianische Mensch“ ist der Mensch im Kreis und Quadrat, von dem die Rede ist, wenn es um den „Goldenen Schnitt“ geht. Ein echt erstaunliches Werk, in dem Leonardo da Vinci mal so eben nebenbei die Quadratur des Kreises (fast) gelang …
Der erste Kunsthistoriker hieß Giorgio Vasari, lebte von 1511 bis 1574 in Italien und war Hofmaler der Medici.
1550 erschien seine erste und damit überhaupt die erste Kunstgeschichte. Er beschreibt die berühmten italienischen Künstler seiner Zeit, von der Frührennaissance (um 1250) bis zu seinem Tod 1574. Knapp 100 Künstler bekommt er zusammen, einige (Fra Angelico, Sandro Botticelli, Michelangelo Buonarroti, Filippo Brunelleschi, Giotto, Paolo Uccello, Raphael, Tizian, Leonardo da Vinci) kennt noch heute jedes Kind mindestens bei einem seiner Namen.
Vasari hat in diesen Erstlingswerken auch gleich die Begriffe Gotik, Manierismus und Renaissance geprägt, die heute zum allgemeinen Sprachgebrauch gehören.
„Gotik“ hat er nicht nett gemeint – so nannte der Anhänger der antiken Kunst den mittelalterlichen Kunststil, weil er ihn als „gotico“ empfand, italienisch für fremdartig, barbarisch, wirr (auch damit wirkt er bis heute, die Gothics haben ihre Kultur aus ähnlich düsteren und schaurigen Empfindungen genau so genannt).
Die Geschichte der Kunstgeschichte unternahm nun einen geografischen Schwenk, Vasari folgten andere, bis zum ersten deutschen Kunsthistoriker Johann Joachim Winckelmann, der 1755 in Dresden seine erste kunsthistorische Schrift und 1764 sein Hauptwerk „Die Geschichte der Kunst des Altertums in 2 Bänden“ veröffentlichte.
Winckelmann war inzwischen in Rom und 1763 von Papst Clemens XIII. zum Aufseher über die römischen Altertümer ernannt worden, aber die Kunstgeschichte blieb in Deutschland: Hier liegt auf der Schwelle zum 19. Jahrhundert die Geburtsstunde der Kunstgeschichte als eigenständige Wissenschafts-Disziplin, als 1799 in Göttingen die erste Professur für Kunstgeschichte eingerichtet wurde.
Bis 1933 blieb die Kunstgeschichte von deutschsprachigen Gelehrten und deutschsprachigen Universitäten geprägt, es gab eine Berliner Schule und eine Wiener Schule, eine Münchner Schule und eine Hamburger Schule, mit berühmten Gelehrten, deren Namen und Werk heute noch jeder Kunstwissenschaftler kennt.
Während des Nationalsozialismus gingen Deutschland viele bedeutende Kunsthistoriker verloren, durch deren Wirken im Ausland einige wichtige Zentren der kunsthistorischen Forschung entstanden: In Großbritannien das Warburg Institute, Courtauld Institute und Oxford, in den Vereinigten Staaten an den Universitäten Princeton, Columbia, Berkeley und Stanford.
Es gab und gibt selbstverständlich auch im Rest der Welt außerordentlich erfolgreiche und interessante wissenschaftliche Betätigung in der Kunstgeschichte, aber wir sind die Meister der staatlich geförderten Wissenschaft der Kunstgeschichte:
Immer noch stehen wenigen staatlichen kunstgeschichtlichen Forschungseinrichtungen außerhalb Deutschlands eine Fülle öffentlicher deutscher Kunstgeschichtszentren gegenüber: 5 deutsche Forschungseinrichtungen für Kunstgeschichte und sagenhafte 36 Universitätsinstitute – wer keine Kunst machen, sondern ihre Vergangenheit ergründen will, ist in Deutschland auf jeden Fall am richtigen Ort.
Wer Kunst machen will, übrigens auch, von den international erfolgreichsten Künstlern – gelistet auf www.artfacts.net, dem weltweit bekannten „gallery guide for modern, contemporary and emerging art“ – sind immerhin unter den ersten 100 ein Fünftel aus Deutschland.
Für diejenigen, die befürchten, dass zu viel Steuergelder für Kunst und Kultur ausgegeben werden, hier ein paar Vergleichszahlen:
2013 hatten wir einen Bundeshaushalt von 310 Milliarden, davon gehen 1,2 Milliarden oder 0,38 % in die Kunst- und Kulturförderung, das sind aber nur rund 13 %, weil Kunst und Kultur in erster Linie Sache der Länder und Gemeinden ist, hochgerechnet kommen wir auf rund 9,25 Milliarden Staatsausgaben für Kunst und Kultur (www.bundesregierung.de).
Dem stehen rund eine Billion Euro gegenüber, die lt. Europäischem Parlament jährlich durch Steuerbetrug, Steuerhinterziehung, Steuerumgehung und aggressive Steuerplanung = Steuerflucht als Geschäftsmodell verloren gehen (www.blaetter.de/).
Das sind für Deutschland berechnet gut 35 Milliarden, knapp ein Zehntel unseres Haushalts und knapp vier Mal die Summe, die gesamt Deutschland für Kunst und Kultur ausgibt. Übrigens auch 2000 Euro pro EU-Bürger, für jeden EU-Bürger, ganz ohne private Steuerhinterziehung, aber die soll ohnehin nur ein Zwanzigstel von dem betragen, was uns Unternehmen durch Nichtversteuerung Verlusten bescheren.
Die Befürchtung, dass Staatsgeld knapp wird, hat also weniger mit Verschwendung für Kunst (oder für andere Zwecke) zu tun, sondern mit aktiver Entziehung dieser Gelder. Bei der viele von uns tätig mithelfen, indem sie bei Unternehmen kaufen, die ihren Geschäftssitz sonstwo haben und auch sonstwo versteuern, wenn überhaupt.
Dabei kann jeder Verbraucher aktiv steuerbeschaffend tätig werden, indem er bei kleineren Unternehmen kauft, die sich keinen Geschäftssitz auf schönen fernen Inseln leisten können und ihr Geld deshalb hier versteuern; das gilt im Internet wie im Leben.
Ob mit oder ohne staatliche Förderung: Kunst und Kunstgeschichte können ziemlich unterhaltsam sein, auch in den folgenden Kaleidoskopen, in denen zunächst einige Blicke in die Kunstgeschichte geworfen werden.
Passionierte Autorin mit regem Kunstinteresse