Die bildende Kunst kümmert sich immer wieder vermehrt um die Leibhaftigen. Mit vollem Körpereinsatz stemmte man auch im 21. Jahrhundert zahlreiche Ausstellungen rund um Body Art und Körperkunst, die sich einem immerwährenden Lieblingsgegenstand der schönen Künste widmet und sich auch manchmal davon aus der Kurve tragen ließ.
Die bildende Kunst hat sich im Laufe der Zeit ausgiebig mit dem menschlichen Körper auseinandergesetzt. Schon seit Jahrhunderten ist der menschliche Körper ein zentrales Motiv in der Kunst und wurde auf vielfältige Weise dargestellt.
Besonders in der Griechischen Antike erlebte die Idealisierung des menschlichen Körpers eine große Beliebtheit. Die griechische Skulptur zeichnete sich durch ihre realistische Darstellung des Körpers aus, wobei vor allem das Streben nach Perfektion und Harmonie betont wurde.
Die berühmten Statuen wie beispielsweise die Venus von Milo oder der Diskuswerfer sind bis heute beeindruckende Zeugnisse dieser Zeit.
Aber auch schon lange vor den antiken Griechen spielte die Darstellung körperlicher Attribute eine wichtige Rolle in verschiedenen archaischen Kulturen.
In Ägypten zum Beispiel wurden Pharaonen als starke und mächtige Herrscher dargestellt, während Frauen oft als fruchtbarkeitsbringendes Symbol abgebildet wurden. Im Laufe der Geschichte haben sich verschiedene Kunstrichtungen intensiv mit dem Thema des menschlichen Körpers beschäftigt.
Während in manchen Epochen eher idealisierte Formen dominierten, fokussierten andere Perioden auf die realistische Abbildung von individuellen Merkmalen und Emotionen.
Der menschliche Körper in der zeitgenössischen Kunst
Auch im 21. Jahrhundert findet diese Faszination für den Leibhaftigen weiterhin Ausdruck in zahlreichen Ausstellungen und Werken zeitgenössischer Kunstschaffender. Dabei geht es nicht nur um die bloße Darstellung des Körpers, sondern auch um die Reflexion gesellschaftlicher Normen und Identität.
In unserer heutigen Gesellschaft wird uns täglich ein intakter, schöner Körper als das Selbstverständlichste der Welt präsentiert.
Egal ob in Zeitschriften, auf Plakaten, im Fernsehen und nicht zuletzt im Internet und den sozialen Medien – überall werden wir mit perfekten und makellosen Körpern konfrontiert. Dieses Schönheitsideal ist allgegenwärtig und übt einen enormen Druck auf uns aus.
Es scheint fast so, als wäre es eine Pflicht geworden, sich diesem Ideal anzupassen. Wir bemühen uns redlich unseren Körper zu formen und zu verbessern. Diäten, Fitnessstudios und Schönheitsoperationen sind nur einige Mittel, die wir nutzen, um unserem Wunsch nach einem attraktiven Äußeren gerecht zu werden.
Es ist daher nicht wichtig, uns wieder stärker bewusst machen, dass Schönheit nicht ausschließlich äußerlich definiert wird. Ein intakter schöner Körper kann auch mit Unvollkommenheiten einhergehen – Narben erzählen Geschichten, Falten zeigen Lebenserfahrung und Kurven symbolisieren Weiblichkeit oder Männlichkeit.
Mit vollem Körpereinsatz setzen sich Künstlerinnen und Künstler dafür ein, den menschlichen Körper in all seinen Facetten zu erforschen und darzustellen. Sie tragen Ausstellungen auf ihre Schultern, um dem Publikum immer wieder neue Blickwinkel auf das Thema zu ermöglichen.
Dabei werden nicht nur traditionelle Medien wie Malerei oder Skulptur genutzt, sondern auch neue Formen der Kunst wie Performance, Aktionskunst, Installationen, Concept Art oder digitale Medien kommen zum Einsatz.
Der Körper als kulturelles Konzept
Körper unterliegen Veränderungen, allein schon aus Evolutions- und medizinischer Sicht (Stichwort: Altern). Aber auch unter ästhetischen und kulturellen Gesichtspunkten.
Doch war der Körper vor 500 Jahren grundlegend anders als der heutige? „Ganz sicher nicht“, postuliert Philip J. Sampson, Autor von “Die Repräsentation des Körpers”.
Ein Körper bleibe ein Körper, ob es sich um den des Christuskindes von Leonardo Da Vinci oder um die gestählten Muskelberge von Arnold Schwarzenegger in einem Action-Film handelt. Der Körper hat keinen Wunsch und keine Fähigkeit zur Veränderung. Das schien offensichtlich zu sein. Aber ist das noch immer wahr?
Die Vorstellung vom menschlichen Körper blieb über mehrere Jahrhunderte hinweg konstant. Es wurde angenommen, dass der Körper ein komplexes, aber unproblematisches natürliches Objekt ist und aufgrund seiner physikalischen und biologischen Eigenschaften Nahrung, Wärme und Sauerstoff benötigt.
Die Form des Körpers hat sich seit dem letzten evolutionären Sprung relativ wenig verändert (sofern sie nicht zeitlos ist) und wird auch nicht von sozialen oder kulturellen Umständen maßgeblich beeinflusst. All diese Annahmen werden von postmodernen Theoretikern infrage gestellt und wirken dabei manchmal recht naiv.
Der menschliche Körper ist ein Produkt der Kultur und unser Verständnis davon hat sich im Laufe der Geschichte entwickelt.“
Der menschliche Körper – oder besser gesagt die Wahrnehmung davon – ist ein Produkt der kulturellen Entwicklung und unser Verständnis davon hat sich im Laufe der Geschichte stetig weiterentwickelt. Von den antiken Schönheitsidealen bis hin zu den heutigen modernen Vorstellungen von Ästhetik haben wir eine bemerkenswerte Wandlung durchgemacht.
Nehmen wir beispielsweise das Bodybuilding, in dem der bereits erwähnte Arnold Schwarzenegger zu Weltruhm aufstieg und den Zeitgeist der Bodybuilding-Hochphase widerspiegelte.
Die Wurzeln des Bodybuildings reichen jedoch bis ins antike Griechenland zurück. Dort wurde bereits vor über 2000 Jahren der menschliche Körper als Ausdruck von Schönheit und Kraft verehrt. Athleten wurden bewundert für ihre muskulösen Körper und ihr athletisches Können. Diese Verehrung bildete den Grundstein für das spätere Bodybuilding.
Die Entwicklung des Bodybuildings als Kunstform wurde vor allem durch die Medien vorangetrieben. Filme wie “Pumping Iron” mit Arnold Schwarzenegger oder Magazine wie “Muscle & Fitness” führten dazu, dass immer mehr Menschen sich von der Ästhetik des Bodybuildings inspirieren ließen.
Der Fokus lag nun nicht mehr allein auf individuellen Wettkämpfen – es entstand eine ganze Subkultur rund um das Thema. Neben großer Disziplin und hartem Training spielten auch Supplemente wie Aminosäuren für Muskelaufbau ein Rolle bei den Athleten.
Besonders interessant ist dabei, wie sehr die Popkultur und die Durchdringung unseres modernen Lebens mit sozialen Medien immer weiter Einfluss auf unsere Körperwahrnehmung, Identität und Definition von Schönheitsidealen nehmen.
In einer Welt, in der Selfies und bearbeitete Bilder allgegenwärtig sind, wird das Streben nach Perfektion immer präsenter. Es scheint fast schon zwanghaft zu sein – dieser ausufernde Körperkult bei jungen Menschen ebenso wie bei älteren.
Fitnessstudios boomen, Diätprogramme werden zum Trend und sogar chirurgische Eingriffe zur Verschönerung des eigenen Aussehens erfreuen sich großer Beliebtheit.
Der allgegenwärtige Körperkult ist das Ergebnis eines komplexen Zusammenspiels verschiedener Faktoren: gesellschaftlicher Druck, mediale Einflüsse und persönliche Motivation spielen alle eine Rolle bei unserer Wahrnehmung des eigenen Körpers und dem Streben nach Schönheit.
Es ist jedoch wichtig anzumerken, dass sich Schönheitsideale im Laufe der Zeit immer wieder verändern. Was heute als schön gilt, kann morgen schon wieder out sein. Daher unterliegt auch der subjektiv geprägte Ästhetikbegriff einer stetigen Anpassung.
Eine kleine Kunstgeschichte des Körpers in der Moderne
Der Titel von Marina Schneedes Publikation, „Mit Haut und Haaren“, liefert uns eine gute Grundlage für die Betrachtung von Körperkunst und dem menschlichen Körper als Leinwand, Projektionsfläche und Material seit den 60er Jahren.
Hier geht es um den Körper und seine bedeutendsten Bestandteile in der zeitgenössischen Kunst. Doch nicht nur das Thema wird durch diesen Titel verdeutlicht, sondern auch die Leidenschaft und Hingabe, mit der sich die Künstler diesem Gegenstand widmen.
Die deutsche Kunsthistorikerin Marina Schneede beleuchtet in ihrer Publikation verschiedene Aspekte des Körpers in der Kunst: Von klassischen Darstellungen bis hin zu abstrakten Interpretationen werden unterschiedlichste künstlerische Positionen präsentiert.
Besonders interessant ist dabei die Vielfalt an Materialien und Techniken, mit denen sich die Künstler dem Thema nähern. Ob Skulpturen aus Marmor oder Bronze, Gemälde auf Leinwand oder Installationen im öffentlichen Raum – jede Form hat ihre eigene Aussagekraft und vermittelt dem Betrachter ganz unterschiedliche Eindrücke.
Doch was diese Werke vereint, ist ihre Intensität. Die Künstler setzen sich mit voller Leidenschaft für ihren Gegenstand ein – sie gehen buchstäblich “mit Haut und Haaren” in ihr Werk hinein. Sie erforschen nicht nur äußerliche Merkmale des menschlichen Körpers wie Proportionen oder Anatomie, sondern dringen tiefer vor: Sie thematisieren Emotionen, Identität und gesellschaftliche Normen.
Dabei scheuen sie sich nicht vor provokanten oder kontroversen Darstellungen, sondern suchen bewusst nach neuen Perspektiven. Dieser Einsatz für den Körper in der Kunst ist auch ein Ausdruck des Zeitgeistes.
In einer Welt, die von technologischem Fortschritt und virtuellen Realitäten geprägt ist, setzt die zeitgenössische Kunst ein Zeichen: Sie erinnert uns daran, dass wir als Menschen immer noch eine physische Präsenz haben – mit all unseren Stärken und Schwächen.“
Die dargestellten Werke vermitteln ein Körperbewusstsein, das nicht auf standardisiertes Body-Styling abzielt, sondern darauf, die Grenzen der Psyche und des Körpers auszuloten. Sie betrachten den Körper als Ausdrucksmittel und untersuchen sowohl seine rituelle als auch manipulative Nutzung.
Die 60er und 70er Jahre: Body Art und Ära der Selbstvergewisserung
In den 1960er Jahren begannen Künstler damit, den menschlichen Körper als direktes Arbeitsfeld zu nutzen. Anfangs geschah dies in Form von Body Art, bei der der Körper selbst zum Kunstwerk wurde.
Body-Art, auch bekannt als Körperkunst, entwickelte sich als künstlerisches Konzept aus der Happening- und Fluxusbewegung heraus. Dabei wird der menschliche Körper sowohl als Medium für die Kunst verwendet, als auch zum eigentlichen Kunstobjekt selbst.
Bekannte Künstler der Body-Art-Bewegung sind Marina Abramović, Chris Burden, Günter Brus, Gina Pane, Pippilotti Rist, Carolee Schneemann, Vito Acconci, Valie Export und Timm Ulrichs. Auch viele Künstler des Wiener Aktionismus der 60er Jahre zählen dazu.
Ein zentrales Element der Body Art besteht darin, den Betrachter herauszufordern. Der Wert eines Kunstwerks hing davon ab, wie sehr die Denkroutinen des Betrachters durcheinandergewirbelt werden und er aus seiner passiven Rolle gerissen wird.
Später in den 1970er Jahren verwendeten sie den Körper dann als Material für ihre Werke. War diese Entwicklung eine Reaktion auf die Dominanz der abstrakten Kunst?
Es gab verschiedene Gründe dafür, den eigenen Körper direkt einzubeziehen. Sicherlich war es auch eine Antwort auf die abstrakte Kunst, aber nach Meinung der Kunsthistorikerin Marina Schneede ging es vor allem darum, unmittelbare Erfahrungen zu erzeugen – und das mit dem eigenen Körper.
Dies war von entscheidender Bedeutung für die damaligen Künstlerinnen und Künstler. Ein Beispiel hierfür ist Deutschlands vielleicht berühmtester Aktionskünstler Timm Ulrichs, der sich bereits im Jahr 1961 selbst als lebendes Kunstwerk ausstellte.
Aber es gab auch andere Überlegungen: Zum Beispiel wollten einige Forscherinnen und Forscher ganz konkret den Raum erkunden – insbesondere das Umfeld des eigenen Körpers. Rebecca Horn erfand beispielsweise Handschuhfinger – Finger-Verlängerungen von einem Meter Länge -, um genau diesen Aspekt des Raumes näher zu untersuchen.
In den späten 60er und frühen 70er Jahren begannen immer mehr Künstler, sich selbst als politisch aktive Personen zu sehen. Sie strebten danach, Aufmerksamkeit zu erlangen und die Anhänger der sorglosen Wohlstandsgesellschaft sowie das bequeme Publikum des Wirtschaftswunders aufzurütteln. Dies erforderte drastische künstlerische Ausdrucksformen und Inhalte.
Diese sollten offenbarend und schockierend sein, was nicht selten den vollen Einsatz des Individuums erforderte.
Was könnte zu jener Zeit einen stärkeren und bedingungsloseren Einsatz verdeutlichen, als den eigenen Körper zum Ausdrucksmittel der künstlerischen Botschaft werden zu lassen?
Mein Körper ist die Absicht, mein Körper ist das Ereignis, mein Körper ist das Ergebnis“,
verkündete einst Günter Brus, der seine anfänglichen Selbstbemalungen ab 1967 in öffentliche Körperanalysen überführte, die mit Rasierklingen, Verdauungsprodukten, Blut und physischem Leiden einhergingen.
Inwiefern unterscheidet sich die Darstellung des Körpers in der modernen Kunst von jener vergangener Epochen?
Hat sich das Bewusstsein in Bezug auf den Körper verändert?
Die von Marina Schneede genannten Beispiele verdeutlichen, dass die unmittelbare künstlerische Beschäftigung mit dem Körper – was in den meisten Situationen bedeutete: mit dem eigenen Körper – weiterhin bis heute fortbesteht.
Die 80er und 90er Jahre: Entfremdung, Body Modification und Biotechnologie
In den 80er Jahren wurde die Aids-Seuche zur neuen Bedrohung des Körpers und Mona Hatoum, eine Künstlerin auf der documenta 11 im Jahre 2002, betonte kurz nach Anbeginn des neuen Jahrhunderts die Verletzlichkeit des Körpers als zentralen Punkt ihrer Arbeit.
In den 90er Jahren gab es rasante Entwicklungen in der Gentechnologie, Biotechnologie und Informationstechnologie, deren Möglichkeiten und Gefahren zunahmen.
In einer Ära, in der neue Körperkulte florierten und sich intensiv mit den Funktionen und Einschränkungen des menschlichen Körpers beschäftigten, während gleichzeitig die Gefahr einer Auflösung im Cyberspace bestand, wurde über den Platz des individuellen Selbsts angesichts von Body-Design, Gehirntransplantationen und Gen-Manipulationen diskutiert. Diese Diskussion bewegte sich zwischen Reizüberflutung und virtueller Nachahmung.
Obwohl Künstler nicht direkt in biotechnologische Diskurse eingreifen können, können sie die Fremdheit durch Manipulationen in Bildern darstellen und somit die Verunsicherung durch diese Vorhaben ausdrücken.
Mona Hatoum
Die Unbekanntheit des eigenen Körpers, das Gefühl der Fremdheit über seine Nutzbarkeit und die potentielle Bedrohung, sich nicht länger als eine Einheit aus Körper und Geist wahrnehmen zu können – all diese Aspekte einer möglichen Spaltung des Bewusstseins im 21. Jahrhundert wurden von Mona Hatoum in ihrer Ausstellung in Kassel auf eindrucksvolle Weise dargestellt.
Sie visualisierte dies durch eine endoskopische Reise durch ihr Inneres.
Orlan
Etwa seit 1990 entschied sich die französische Aktionskünstlerin und Feministin Orlan zu einer außergewöhnlichen Entscheidung: Sie unterzog sich einer Reihe von Gesichtsoperationen. Doch diese waren nicht nur rein ästhetischer Natur, sondern wurden zu einer künstlerischen Performance in einer renommierten New Yorker Galerie inszeniert.
Mit dieser spektakulären Aktion wollte sie nichts Geringeres als die gängigen Schönheitsideale unserer Zeit infrage stellen.
Orlan dokumentierte den gesamten Prozess ihrer abstoßenden Transformation durch eine faszinierende Fotoserie, die sie der Öffentlichkeit präsentierte. Dadurch konnte jeder Betrachter unmittelbar Zeuge werden, wie ihr Gesicht nach jedem chirurgischen Eingriff verändert wurde.
Diese schockierenden Bilder zeigten deutlich auf, was hinter den Kulissen der Schönheitsindustrie vor sich geht und regten zum Nachdenken über unsere Vorstellungen von Ästhetik an.
Mit ihrer Performance rückte Orlan das Thema Körpermodifikation (Body Modification) in ein völlig neues Licht. Statt dem Druck nach Perfektionismus und Konformität nachzugeben, setzte sie bewusst ihre eigene Individualität und Einzigartigkeit in Szene.
Durch ihren radikalen Akt des Widerstands gegenüber den herrschenden Normen forderte sie uns alle dazu auf, unsere eigenen Definitionen von Schönheit zu hinterfragen.
Marina Abramovic und Jenny Holzer
Die Szene der Körper-Kunst ist eine schillernde Gemeinschaft von frühen Body-Artists bis hin zu ethisch motivierten und gesellschaftspolitisch engagierten Künstlern wie Marina Abramovic und Jenny Holzer.
Sie muten sich und dem Publikum viel zu, arbeiten meditativ oder mit aufrüttelnden Mitteln.
Jenny Holzer, eine renommierte Künstlerin und Konzeptkünstlerin aus den USA, hat so im Jahr 1993 für die Süddeutsche Zeitung ein Magazin gestaltet. Dabei setzte sie einen provokanten und schockierenden Akzent, indem sie Blut in die Schrift des Titelblatts mischte.
Diese ungewöhnliche Gestaltung hatte einen ganz bestimmten Zweck: Auf das gewaltsame Blutvergießen auf der Welt hinzuweisen. Durch ihr künstlerisches Werk versuchte sie auf eindringliche Weise auf die schrecklichen Auswirkungen von Gewalt und Krieg hinzuweisen.
Das Einbinden von Blut in das Design des Magazins sorgte für eine enorme Wirkung bei den Lesern. Es löste starke Emotionen wie Entsetzen, Abscheu oder auch Empörung aus.
Indem Jenny Holzer diese radikale Form der Kunst nutzte, sprach sie direkt unsere menschliche Verantwortung angesichts des weltweiten Leidens durch Gewalttaten an. Ihr Ziel war es nicht nur darauf hinzuweisen, dass solches blutiges Geschehen stattfindet; viel mehr wollten ihre Werke dazu anregen, dass wir uns mit diesem Problem auseinandersetzen und aktiv nach Lösungen suchen.
100. Biennale di Venezia
Der menschliche Körper war auch das zentrale Thema der 100. Biennale in Venedig im Jahr 1995. In einer beeindruckenden Ausstellung, die mit ihrer Fülle an Materialien überzeugte, wurde dort sowohl die Kunstgeschichte der letzten 100 Jahre unter diesem Aspekt präsentiert als auch teilweise Vergleiche zu wissenschaftlichen Untersuchungen gezogen.
Die Ausstellung überzeugte durch ihre Vielfalt und Qualität der Exponate. Von klassischen Gemälden bis hin zu modernen Installationen bot sie einen umfassenden Überblick über verschiedene Kunstrichtungen und Stile, die den menschlichen Körper als ihr Hauptmotiv gewählt hatten.
Körperkunst im 21. Jahrhundert – Body Art Renaissance?
Die bildende Künstlerin Käthe Wenzel, die seit Juni 2016 Professorin für Ästhetische Praxis an der Europa-Universität Flensburg ist, stellte wenige Jahre nach der Jahrhundertwende in einem Buch drei außergewöhnliche Künstler in den Mittelpunkt, die den menschlichen Körper als Ausstellungsobjekt gewählt haben.
Gunther von Hagens, ein renommierter Anatom und Plastinator, hat durch seine bahnbrechenden Techniken der Präparation und plastischen Darstellung des menschlichen Körpers weltweite Bekanntheit erlangt.
Seine faszinierenden Plastinate ermöglichen es dem Betrachter, das komplexe Zusammenspiel von Organen und Geweben auf eine einzigartige Weise zu erleben.
Ein weiterer Protagonist in dem Buch ist der Fotograf Michael Brendel. Mit seiner künstlerischen Herangehensweise setzt er den menschlichen Körper gekonnt in Szene und schafft eindrucksvolle Bilder voller Ästhetik und Tiefgründigkeit. Durch seinen Blick für Details gelingt es ihm, die Schönheit des menschlichen Körpers in all seinen Facetten festzuhalten.
Der britische Installationskünstler Damien Hirst ist ebenfalls einer der Hauptakteure dieses Werkes. Bekannt für seine provokativen Kunstwerke rund um das Thema Leben und Tod stellt er auch hier den Menschen als zentrales Element dar. Mit seinen spektakulären Installationen regt er zum Nachdenken über Sterblichkeit, Vergänglichkeit und Existenz an.
Hier offenbart sich ein detaillierter Einblick in das Schaffen dreier herausragender Künstlerpersönlichkeiten sowie deren Auseinandersetzung mit dem menschlichen Körper als Ausdruck von Leben und Vergänglichkeit. Eine detaillierte Buchkritik findet sich übrigens hier: Deutschlandfunk Kultur – Der Körper in der Kunst.
Es gibt aber auch weiterhin radikalere Künstler, die mit vollem Körpereinsatz agieren – und das mitunter sogar gewalttätig. Das zeigte auch eine 2010 im Centre d’art contemporain in Brétigny bei Paris stattfindende Einzelausstellung des Spaniers Santiago Sierra in Frankreich.
In der Ausstellung wurden Fotografien einer äußerst provokanten und kontroversen Aktion präsentiert, bei der Polyurethanschaum und verschiedene Prostituierte eine zentrale Rolle spielten.
Diese Inszenierung zeigte die Damen in schwarze Plastikfolie gehüllt, während sie eindeutige und explizite Positionen einnahmen, die definitiv nicht für jugendliche Augen bestimmt waren.
Der Künstler Sierra hatte sich dafür entschieden, mehrere Männer zu engagieren, um den Schaum gezielt in Richtung der weiblichen Genitalien zu spritzen – eine gewagte Entscheidung mit dem Ziel, Grenzen zu überschreiten und Diskussionen über Sexualität sowie den Umgang mit sexuellen Tabus anzuregen. Die Bilderserie erzeugt dabei eine starke visuelle Wirkung und löste gleichzeitig intensive Reaktionen aus.
In den letzten Jahren beschäftigen sich einige Kunstausstellungen mit den neuen Anpassungen und Ausdrucksformen des menschlichen Körpers im Zeitalter von genetischer Manipulation, Body Modification und kapitalistischen Reproduktion (SZ berichtete).
Die Ausstellung “Body Extensions” im Museum für Gestaltung in Zürich untersuchte beispielsweise die zunehmende Bedeutung von Fitness und Schönheit in unserer Gesellschaft, die durch plastische Chirurgie und künstliche Körperprothesen perfektioniert wird.
Die Wiener Secession präsentierte dagegen Strategien zur Werbung und Fluchtphantasien innerhalb des globalen kommerzialisierten Körpergefüges in der Ausstellung „Body Display“.
In der Kunst geht es oft um den menschlichen Körper, aber vor allem um seine Machtlosigkeit. In Teresa Margolles‘ Ausstellung “En el aire” betrat man einen Raum, der an eine Waschküche erinnert. Zwei Luftbefeuchter erhöhten den Wassergehalt in der Zelle erheblich und man wurde mit den Ausdünstungen von zuvor gewaschenen Leichen kontaminiert.
Diese Leichen waren angeblich anonyme Opfer des Drogenkrieges in Mexiko City. Die Ausstellung forderte dazu auf, genauer nachzufragen und die Realität des Drogenkrieges zu erkennen.
Was bleibt?
Die Arbeiten von Margolles und Sierra erinnern an die Body Art Bewegung der 60er und 70er Jahre, als Künstler ihre Körper als Leinwände nutzten und sich mit Waffen durchbohrten. Ziel war es, Erfahrungen wie Lust, Leiden und Tod direkt in den Körper zu schreiben.
Auch Chris Burden, Gina Pane und Marina Abramovic setzten sich beträchtlichen Schmerzen aus, um auf eindrucksvolle zu demonstrieren, wie die Body Art dazu diente, abgestumpfte Gefühle und gesellschaftliche Unterdrückung zu überwinden.
Die Wiener Schule der radikalen Aktionskunst um Otto Mühl, Günter Brus und Hermann Nitsch wurde im 21. Jahrhundert in Museen in Wien und Graz wiederentdeckt. Jedoch erscheint ihr einstiges destruktives Potential heute eher verspielt und humorvoll anstatt skandalös. Ihr Vertrauen in die Echtheit des Körperindividuums wirkt naiv und überholt im Zeitalter der genetischen Manipulation und der kapitalistischen Massenkonformität der Körper.
Die Body Art der 60er und 70er Jahre, bei der Künstler ihre Körper als Leinwand benutzten, um Erfahrungen wie Lust, Leiden und Tod darzustellen, wird heute von einer raffinierteren und zynischeren Form der Körperkunst abgelöst.
Diese neue Körperkunst trägt die realen Schlachtfelder ins Museum und ist posthuman ausgerichtet. Trotzdem ist auch diese neue Körperkunst nicht vor Kitsch und Pathos gefeit.
Quellenverzeichnis und Bibliographie
Bücher und Zeitschriften
- KUNSTFORUM: Bd. 132 – Die Zukunft des Körpers I (1995)
- Marina Schneede: Mit Haut und Haaren: Der Körper in der zeitgenössischen Kunst, DUMONT Literatur und Kunst Verlag (2002)
Internet
- Philip J. Sampson: Die Repräsentation des Körpers: , https://www.kunstforum.de/artikel/die-reprasentation-des-korpers/
- Deutschlandfunk: Mit Haut und Haaren. Der Körper in der zeitgenössischen Kunst, https://www.deutschlandfunk.de/mit-haut-und-haaren-der-koerper-in-der-zeitgenoessischen-100.html
- Susanne Nessler: Der Körper in der Kunst, Deutschlandfunk Kultur, https://www.deutschlandfunkkultur.de/der-koerper-in-der-kunst-100.html
- Holger Liebs (Süddeutsche Zeitung): Der menschliche Körper in der Kunst: Die Nackten und die Chaoten, https://www.sueddeutsche.de/kultur/der-menschliche-koerper-in-der-kunst-die-nackten-und-die-chaoten-1.415429
Inhaber und Geschäftsführer von Kunstplaza. Publizist, Redakteur und passionierter Blogger im Bereich Kunst, Design und Kreativität seit 2011. Erfolgreicher Abschluss in Webdesign im Rahmen eines Hochschulstudiums (2008). Weiterentwicklung von Kreativitätstechniken durch Kurse in Freiem Zeichnen, Ausdrucksmalen und Theatre/Acting. Profunde Kenntnisse des Kunstmarktes durch langjährige journalistische Recherchen und zahlreichen Kooperationen mit Akteuren/Institutionen aus Kunst und Kultur.