Es gibt einige gute Gründe, die größten Werke der deutschen Literatur zu lesen. Wenn Sie keinen kennen, könnten Sie diesen Gründen im Artikel „Deutsche Literatur, die größten Werke – Warum es sich lohnt, sie zu lesen“ auf die Spur gehen.
Wenn Ihnen nur noch ein Ansporn zum Lesen des Bergkristalls fehlt, könnten Sie im Artikel „Deutsche Literatur, die größten Werke: Nach einem Blick auf das Leben des Autors machen sie mehr Spaß“ einiges über den Autor erfahren.
Diese entweder tragische oder einfach nur zu mittelmäßige Gestalt, Adalbert Stifter, hat also den „Bergkristall“ geschrieben, ein anerkanntes Werk der deutschen Literatur, das unter den Freunden spannungsreicher Literatur im Ruf steht, ein echter Langweiler zu sein.
Wer dieses Werk beginnt, tut sich wirklich ziemlich schnell etwas schwer damit, er fragt sich z. B., warum uns der Schriftsteller eine Einleitung vorsetzt, in der er uns in stolzen 735 Worten Weihnachten erklärt … so ähnlich geht es weiter, Stifter verwendet weitere 16.671 Worte, um uns seine Geschichte von den Geschwistern, die sich im Berg verirrt haben, zu erzählen. Bei der Autorin dieses Artikels werden die Sätze auch schon immer länger, Stifter färbt wahrscheinlich ab.
Dabei wäre die Story doch eigentlich ganz kurz zu erzählen:
Die Geschwister Konrad und Sanna verirren sich am Heiligen Abend im Gebirge und müssen die Nacht in einer Steinhöhle verbringen. Konrad und Sanna sind die Kinder von Eltern, die aus zwei durch einen hohen Berg getrennten Dörfern stammen – zum jeweils anderen Dorf überzusiedeln und dann auch noch Kinder zu zeugen, ist unerhört, die Dörfler stehen sich mehr als misstrauisch gegenüber.
Fremdenhass hin oder her, die Kinder darf man nicht auf dem Berg verenden lassen, und so springen die Bewohner beider Dörfer für eine gemeinsame Rettungsaktion über ihre vorurteilsbehafteten Schatten, die Kinder werden gerettet, die Dorfbewohner versöhnen sich, sogar die zum Vater gezogene Mutter der Kinder wird im neuen Dorf endlich akzeptiert, alles ist gut …
Das alles wird von Stifter rund um Weihnachten angelegt, viel symbolträchtiger Stoff für das „Happy End“. Dann gibt es noch jede Menge unbeherrschbare Natur, der die schwachen Menschlein hilflos ausgeliefert sind, Filme wie „The Core“ und „2012“ können da in der Dramatik kaum mithalten (ironisch? Ja!).
Haben Sie auch schon lange Irrfahrten im Auto hinter sich, bei denen der (männliche) Fahrer mitten im Feld, am Ende des Knüppelwegs, immer noch behauptet hat, ganz genau zu wissen, wo er langfahren muss? Dann lernen Sie in Stifters Geschichte die Alm-Öhi-Variante dieses männertypischen Verhaltens kennen: Konrad führt seine kleine Schwester in absoluter Ahnungslosigkeit, aber mit großem sprachlichen Getöse tief in das ultimativ hoffnungslose Schneeloch.
Stifter nennt es Starkmut der Unwissenheit, ein Ausdruck, den hellhörige Beobachter des aktuellen Zeitgeschehens mit Freude aufnehmen könnten, um ihn auf so manchen Vortrag eines Exekutivorgans oder Medienvertreters zu übertragen …
Das Mädchen Sanna scheint auf jeden Fall die cholerischen Ausbrüche zu kennen, die auf vernünftige Orientierungsvorschläge folgen können, sie hat im ganzen Stück nicht viel mehr zu sagen als: „Ja, Konrad“. Das sagt sie allerdings 17 Mal, „Mir tun die Augen weh“ und „Ich sehe keine Bäume mehr“ jeweils zwei Mal, mehr fällt ihr wohl nicht ein.
Je nach Temperament und spätestens bei „Ja, Konrad“ Nr. 17 geht das dem Leser mächtig auf den Geist, und überhaupt fällt ihm in diesem Zusammenhang nun auf, dass unter den 17.406 Wörtern, die Stifter für seine Geschichte aneinander gereiht hat, doch ziemlich viele Wörter ziemlich überflüssig sind.
Zwei Mal „ziemlich“ ist auch überflüssig? Ja klar, aber es handelt sich um eine Art sarkastische Notwehr-Reaktion auf den Stifter-Text. Denn Stifter Umgang mit Sprache gibt durchaus Anlass zu Kritik, wie im Artikel „Deutsche Literatur, die größten Werke: Eine kritische Betrachtung der Sprache in Adalbert Stifters „Bergkristall“ gezeigt werden wird, und dieser Umgang mit der Sprache ist es auch, der den „schlechten Ruf“ dieses Werkes verursacht hat.
Der Inhalt jedoch hat noch ganz andere Bezüge zur Gegenwart als das oben skizzierte typische Verhalten des männlichen Geschlechts auf Irrwegen, und wer hinter dieser Geschichte keine aktuellen Bezüge sieht, dem fehlt es wohl auch gründlich an Phantasie.
Nebeneinander lebende Völker, die sich mit infantilem Misstrauen gegenseitig das Leben unnötig schwer machen?
Israel und Palästina, China und Japan, Türkei und Griechenland, Russland und die Ukraine – alles heute, im Jahr 2010 ff.
Wer Spaß an der deutschen Sprache hat, wird beim langweiligen Stifter übrigens auch ein paar schöne Formulierungen finden: Den oben schon erwähnten „Starkmut der Unwissenheit“, wirklich toll, „feingezackte Wälder“, „Berge, die mit glatten Rande am glänzenden Himmel hinstreichen“, „Sterne, die glänzten, funkelten und zitterten und von nur schießenden Schnuppen durchfahren werden“, „die Sonne, die am schiefsten gegen unsere Gefilde steht“, „zaubrische Geschenke“ und „Milchblau des fernen Schnees“ sind auch nicht schlecht.
Vielleicht sehen wir das alles aber auch ganz falsch und Stifter nimmt uns mit dieser ganzen langatmigen Darstellung einfach nur kräftig auf die Schippe. Auf diese verwegene Idee könnte man zumindest kommen, wenn man liest, dass der gut und gerne mit Sprache jonglierende Friedrich Nietzsche, die sprachgewandten Literaten Theodor Storm, Theodor Fontane und Hermann Hesse und sogar der scharfzüngige Satiriker Karl Kraus Adalbert Stifters Werk außerordentlich schätzten.
Vor dem Hintergrund dieser Debatte lohnt sich ein näherer Blick auf den sprachlichen Ausdruck Stifters, nachzulesen im Artikel „Deutsche Literatur, die größten Werke: Eine kritische Betrachtung der Sprache in Adalbert Stifters Bergkristall“.
Passionierte Autorin mit regem Kunstinteresse