„Le Rêve“ ist ein Bild aus dem Jahr 1927. Damit ist es in einer Zeit entstanden, in der Pablo Picassos Interesse in besonderem Maße dem Surrealismus galt, aber auch seiner neuen Liebe Marie Therese Walter. Sowohl die neue Kunstströmung als auch die Frau finden sich im Bild wieder, wobei der Ausmaß der jeweiligen Einflüsse ziemlich unterschiedlich eingeordnet werden kann.
Pablo Picasso war mitten in der Auseinandersetzung mit dem Surrealismus, mit der er im Jahr 1925 begonnen hatte. Im Rahmen dieser Auseinandersetzung hatte er sich unter anderem erneut und sehr intensiv der plastischen Gestaltung zugewandt.
Er jonglierte mit der Form, in Bildern und in Plastiken begann er Ausdrucksformen nebeneinander zu setzen und ineinander zu verschachteln, manchmal in ein einer überbordenden Fülle, manchmal ganz entschieden und „karg“, wie in „Le Rêve“.
Der Surrealismus hat sich aus einer Strömung des Dadaismus heraus entwickelt, und es gibt Menschen, die jede Menge Dada in „Le Rêve“ sehen (das ist nicht ironisch gemeint, sonst stände da Gaga und nicht Dada). Die Surrealisten hatten es gern, wenn Picasso sich mit dem Surrealismus beschäftigte, für die Surrealisten war er eine Symbolfigur der Moderne. Die sie auch gerne einmal für sich einnahmen, was Picasso ablehnte, er wollte sich nie in eine Schublade stecken lassen.
So gibt es Kunstwissenschaftler, die der Meinung sind, weder Picasso noch ein einziges Werk von ihm hätten etwas mit Surrealismus zu tun. Für die herrschende Meinung unter den Kunstwissenschaftler gilt das zumindest für den Surrealismus im engeren Sinn, sie sehen jedoch in zahlreichen seiner Werke surrealistische Einflüsse:
Als „surrealistisch inspiriert“ gelten z. B. das Bild „Schlafende Frau im Armsessel“ von 1927 (es gibt keinen Link dorthin, ist in einer Privatsammlung „untergetaucht“ und damit der Betrachtung für „normale Sterbliche“ für immer entzogen),
die „Sitzende Badende am Meeresstrand von 1929“,
und „Die Kreuzigung“ aus dem Jahr 1930.
Wenn „Die Kreuzigung“ vom Surrealismus inspiriert ist, dann „Le Rêve“ vielleicht auch … mit Blick auf die in Picassos Kunstschaffen immer zutage tretende Eigenständigkeit und Innovationsfreude scheint diese begrenzende Einordnung jedoch irgendwie ein wenig schief.
Es gibt auch Musikkritiker, die behaupten, die Stones seien von den Beatles beeinflusst worden (oder umgekehrt), die meisten Musikwissenschaftler sehen jedoch eigenständige, nicht vergleichbare Leistungen.
Jede Band wurde natürlich von der Musik anderer Bands beeinflusst, die in der gleichen Zeit Musik machten. Manche Bands holten sich aber ein paar Einflüsse mehr als Arbeitsgrundlage heran, wie die Stones und die Beatles es sicherlich taten.
Und auch Picasso holte sich ein paar Einflüsse mehr heran, z. B. aus dem Studium meisterhafter Malerei bis zurück in die Zeiten der prähistorischen Kunst. Mehr als die meisten Surrealisten (bzw. mehr als überhaupt die meisten anderen Künstler), ein Bild von Picasso einer bestimmten Inspiration zuzuordnen, erscheint vor diesem Hintergrund schwierig.
Der zweite Einfluss, der im Bild zu spüren sein soll, ist der von Picassos „neuester Flamme“ Marie Therese Walter. Richtig ist, dass Picasso mit Marie Therese Walter liiert war, als das Gemälde „Le Rêve“ („Der Traum“) 1932 entstand, sie hatten von 1927 bis 1935 eine Beziehung.
Richtig ist auch, dass Marie Therese Walter viele Male als (benanntes und unbenanntes) Motiv in Picassos Bildern auftaucht, den genauen Einfluss einer Frau auf ein Bild von Picasso auszumachen, ist jedoch sicher ebenso schwierig wie die Zuordnung einer bestimmten Inspiration.
Aber darüber sollen sich andere streiten, hier geht es vor allem um die Provenienz des Bildes „Le Rêve“.
Zum Bild „Le Rêve“ gehört eine für Picasso-Werke nicht ganz untypische, ziemlich sensationelle Geschichte, die in einer ebenfalls ziemlich sensationellen Schätzung des Gemäldewerts endet:
1941 legte der begabte Kunst-Autodidakt und Sammler Victor Ganz in den Vereinigten Staaten die Grundlage für seine Picasso-Sammlung, indem er „Le Rêve“ kaufte – für ganze 7.000 US-Dollar. Victor Ganz starb 1987 und hinterließ den „Traum“ seiner seit 1942 mit sammelnden Frau Sally.
Die Familie lebte mit ihrer Kunst, der kleine Tony Ganz fragte einmal die Mutter eines Schulkameraden, „wo sie denn ihre Picassos hängen hätten“. Als Sally im Jahr 1997 starb, mussten der Sohn und die drei Töchter der Ganz‘ sich vom wertvollsten Teil der Sammlung ihrer Eltern trennen, um z. B. mit dem Erbe anfallende Steuern zu zahlen.
Eine schwierige Trennung, auch wenn die Ganz-Kinder befanden „dass die Bilder in der Präsentation bei Christie’s viel besser zur Geltung kämen als in der nicht sehr großen New Yorker Wohnung ihrer Eltern“. So wurde „Le Rêve“ als Teil des Nachlasses des legendären Sammler-Paares in der November-Auktion 1997 bei Christie’s versteigert, wo es für einen der zwei Picasso-Rekorde zuständig wurde, die in dieser Auktion zu verzeichnen waren:
„Le Rêve“ erzielte mit 48,8 Millionen US-Dollar einen völlig unerwartet hohen Preis und wurde so zum damals sechst-teuersten Gemälde der Welt. Der zweite Rekord war der Gesamtpreis: Der veräußerte Teil der Ganz-Kollektion brachte über 200 Millionen US-Dollar ein, die höchste bis dahin durch Verkauf einer Privatsammlung erzielte Summe – und beim Kaufpreis um 2 Millionen Dollar mit 10.000 Prozent auch eine wirklich nette Rendite.
Mit dabei bei der Versteigerung der Ganz-Sammlung im Jahr 1997 war die „Femme en chemise assise dans un fauteuil“ von 1913, „Die Frau im Hemd im Sessel“.
„Die Frau im Hemd im Sessel“ erzielte 24,7 Millionen Dollar und brachte damit einen guten Teil des Erlöses der 200-Millionen-Dollar-Auktion ein. Käufer war Leonard Lauder, Sohn der Firmengründerin Estée Lauder und neben seiner Mitarbeit im Kosmetikunternehmen der Familie begabter und mit ausreichenden Mitteln ausgestatteter Kunstsammler. Leonard Lauder baute im Laufe seines Lebens eine bedeutende Sammlung kubistischer Bilder auf, die er im April 2013 an das New Yorker Metropolitan Museum of Art vermachte.
Vom 20. Oktober 2014 bis zum 16. Februar 2015 ist diese Sammlung – mit der Femme en chemise assise dans un fauteuil“ – in der Ausstellung „Cubism: The Leonard A. Lauder Collection“ im Museum zu sehen.
Zurück zu „Le Rêve“: Die auf der Auktion als Zuschlagsgebot und Verkaufssumme aufgerufenen knapp 50 Millionen US-Dollar soll ein österreichischer Investmentbanker aufgebracht haben, allerdings wohl nicht wirklich und tatsächlich:
Dieser österreichische Investmentbanker ist für Wohnsitze in New York und auf den Bermudas bekannt, dafür, dass er von 1995 bis 2001 mit „Karibik“-Geschäften um 1,9 Milliarden Euro Verlust gemacht hat, nicht unbedingt für sich, wohl eher auf Kosten einer österreichischen Gewerkschaftsbank … Von „Le Rêve“ wird berichtet, dass der österreichische Investmentbanker das Bild 2001 unter finanziellem Druck für geschätzte 60 Millionen US-Dollar an Stephen Wynn verkaufte.
Spannende Geschichte am Rande: Dieser Bänker soll Ende der 1990er Jahre auch kurz im Besitz von Van Goghs „Portrait des Dr. Gachet“ von 1890 gewesen sein. Von diesem legendären Bild ist als letzter gesicherter Verkauf eine Auktion bei Christie’s New York am 15. Mai 1990 überliefert, bei der das Bild von den Erben von Siegfried Kramarsky für 82,5 Millionen Dollar an den Japaner Saito Ryoei verkauft wurde … wo der „Dr. Gachet“ heute ist, scheint niemand mehr zu wissen.
Bei „Le Rêve“ wissen wir, wo es landete: Bei einem Kasino-Betreiber aus Las Vegas namens Stephen Wynn, der in strikter Umsetzung des Gesetzes „Die Bank gewinnt immer“ ein Vermögen von knapp 3 Milliarden US-Dollar angehäuft hat. Die 60 Millionen Dollar für „Le Rêve“ belasteten ihn also ungefähr so wie normale Menschen ein Essen in einem Mittelklasse-Restaurant, weshalb Sie bei der nun folgenden Geschichte nicht ganz so viel Mitleid aufbringen müssen:
Im Oktober 2006 wollte Wynn das Gemälde wieder verkaufen und hatte mit einem seiner Millionärs-Freunde – dem Gründer des Hedgefonds SAC Capital, der im April 2014 in New York wegen Betrugs zu einer Strafe von 1,8 Milliarden Dollar verurteilt wurde – bereits einen Kaufpreis von 139 Millionen Dollar vereinbart. „Le Rêve“ wäre damit zum bis dahin teuersten Kunstwerk geworden.
Am Vortag der Übergabe lud Wynn eine Gruppe von Reportern und befreundeten Kolumnisten ein, um seine unmittelbar bevorstehende Stellung als Verkäufer des „teuersten Kunstwerks aller Zeiten“ angemessen in dem Medien zu platzieren, er zeigte bei diesem Termin das Gemälde und gestikulierte lebhaft, um seine Bedeutung zu unterstreichen.
Dabei agierte er etwas zu aufgeregt und stieß seinen Ellbogen kräftig in die Leinwand, die einen rund 15 cm langen Riss davontrug … der potentielle Käufer sprang ab. Wynn ließ das Gemälde für 90.000 US-Dollar restaurieren, der Wert nach der Reparatur wurde (vermutlich von Kunstwissenschaftlern) auf 85 Millionen US-Dollar geschätzt.
Das gefiel Wynn nicht, den Differenzbetrag von 54 Millionen Dollar (139 Mio – 85 Mio) sollte seine Versicherung bezahlen, die sich (vermutlich mit Hinweis auf eigenes Verschulden) weigerte. Wynn will das Bild nun nicht mehr verkaufen, er soll das Ereignis als Zeichen verstanden haben, das Gemälde zu behalten.
Zum Abschluss ein Satz Picassos, der sowohl zu Picassos Einordnung in die „überwirkliche Malerei“ des Surrealismus passt wie auch zu den überwirklichen, völlig abgehobenen Geldsummen, die auf dem spekulativen Kunstmarkt für Picassos Bilder gezahlt werden und zu den nicht an die Realität gebundenen Käufern, die diesen Kunstmarkt unterhalten:
„Manche nennen die Arbeiten, die ich in einer bestimmten Periode geschaffen habe, surrealistisch. Ich bin kein Surrealist. Ich bin nie von der Wahrheit abgewichen: Ich bin immer in der Wirklichkeit geblieben.“
(zitiert nach de.wikipedia.org/wiki/Pablo_Picasso#cite_note-110).
Inhaber und Geschäftsführer von Kunstplaza. Publizist, Redakteur und passionierter Blogger im Bereich Kunst, Design und Kreativität seit 2011. Erfolgreicher Abschluss in Webdesign im Rahmen eines Hochschulstudiums (2008). Weiterentwicklung von Kreativitätstechniken durch Kurse in Freiem Zeichnen, Ausdrucksmalen und Theatre/Acting. Profunde Kenntnisse des Kunstmarktes durch langjährige journalistische Recherchen und zahlreichen Kooperationen mit Akteuren/Institutionen aus Kunst und Kultur.