Wer Bücher liebt, will irgendwann wissen, wie sich die Bücherwelt aufbaut, und das heißt für gründliche Menschen – zurück zu den Anfängen.
Wann fing die deutsche Literatur eigentlich an?
Die deutsche Literatur in der engeren Bedeutung des heute gebräuchlichen Literaturbegriffs (Schriftkunstwerk) begann mündlich, lange die ersten Menschen schreiben konnten und noch länger bevor Gutenberg den Buchdruck erfand und so eine Verbreitung unter allen Bürgern in unserer Gesellschaft ermöglichte.
Bereits aus dem frühen Mittelalter wissen wir von der Erstellung und Weitergabe sprachlicher Kunstwerke: Der Ritter dichtete und sang für seine Angebetete, der Sieger der Schlacht verfasste die Beschreibung seiner Heldentaten selbst oder wurde betextetet.
Die gesamte geschichtliche Überlieferung der künstlerischen Verwendung von Sprache bezog sich vorwiegend auf das aristokratische Lebensumfeld, hier wurden Heldenlieder weitererzählt, Sagen über wichtige Schlachten und deren Sieger erdacht, mitunter auch höfische Unterhaltungskunst und Liebesdichtung durch häufigen Vortrag archiviert. Erzählungen für das Volk waren ebenfalls meist von diesen Themen beherrscht, daneben wurden erhaltenswerte Wissensbestände in Sprüchen und Geschichten weitergegeben.
Wie gesagt, geschah all dies zuerst ausschließlich mündlich, schreiben konnten in den Anfängen der Aufzeichnungsgeschichte nur wenige Auserwählte, die sich dann der lateinischen Sprache bedienten. Die Anfertigung von Schriften war teuer, wenn Wissen aufgezeichnet wurde, bedeutete das fast immer die Übertragung in die lateinische Sprache, so sind uns zum Beispiel einige germanische Stammesrechte überliefert worden.
Das ist keine Überlieferung von künstlerischer Literatur, die Dichtung des frühen Mittelalters galt im Ansehen der Zeitgenossen noch kaum als erhaltenswert, sondern als interessanter Erzählstoff in der abendlichen Runde, der größte Teil der frühesten Dichtungen unseres Kulturkreises ist deshalb nicht für die Nachwelt verfügbar.
Nur einige Aristokraten, die zu den Schriftgelehrten der damaligen Zeit gehörten, hatten einen so ausgeprägten Sinn fürs Schöne, dass sie ein wenig von ihrer Zeit auch darauf verwandten, ihre Geschichten für die Nachkommen aufzuschreiben.
Und einiges konnte durch das Wirken der Mönche erhalten werden, die sich in den Klöstern ungestört der Verfassung von lateinischen Schriften widmen konnten und außerdem die Aufgabe hatten, Werke in der Volkssprache anzufertigen, die bei der Interpretation der lateinischen Texte halfen und auch als Missionierungshilfen dienen sollten.
So wurden uns die ältesten literarischen Werke unserer Nation überliefert: Bereits aus dem 8. Jahrhundert stammt das Abrogans (um 750 von einem Mönch verfasstes lateinisch-althochdeutsches Glossar), ebenfalls zu den frühesten Zeugnissen deutscher Literatur gehören die Merseburger Zaubersprüche (um 750) und das Hildebrandslied (Heldenepik, Beginn um 830). Letztere sind zwei schöne Beispiele aristokratischer Geschichtsüberlieferung, die uns neben Heldenlieder und Fürstenpreisen eben auch die ersten Werke der lyrischen volkstümlichen Überlieferung mit ihren Liebeslieder, Klageliedern und Zaubersprüchen erhalten hat.
Als ältestes (erhaltenes) Buch in deutscher Sprache gilt das Abrogans, zu den ersten uns bekannten Büchern überhaupt zählen dann neben den erwähnten z. B. auch die Malbergischen Glossen in der Lex Salica (ab 750), die Hammelburger und Würzburger Markbeschreibungen (777 und 779), das Wessobrunner Gebet (um 790), der Althochdeutsche Isidor (um 790) und der Weißenburger Katechismus (Ende 8. Jh.).
Im 9. Jahrhundert entwickelte sich dann eine deutschsprachige Klosterliteratur mit augenscheinlichem literarischen Selbstbewusstsein, die meist von lateinischer Epik ausging und ungemein wichtig für die deutsche Sprachentwicklung war. Berühmt sind die Bibelepen, das Heliand (Altsächsisch, um 830 noch im traditionellen Stabreim verfasst) und das liber evangeliorum (Evangelienbuch) des Otfrid von Weißenburg, das gegen Ende des 9. Jahrhunderts schon im “modernen” Endreimvers verfasst wurde.
Weitere wichtige volkssprachliche Textzeugnisse dieser Zeit sind die “Kasseler Gespräche” (Argumentationshilfen für Priester, um 810), der “Althochdeutsche Tatian” (Übersetzung der Evangelienharmonie des Tatianus, um 830), die Straßburger Eide (ein Vertrag zwischen den Herrschenden vom 14.2.842 in Althochdeutsch und altfranzösisch), das Petruslied (das älteste bekannte deutsche Kirchenlied, um 880), das Muspilli (Stabreimdichtung über das Weltende, um 870), die Märtyrergeschichte “Georgslied” (um 880) und das Ludwigslied (Fürstenpreisung, um 881/882).
Im 10. Jahrhundert ging es dann zunächst abwärts mit der deutschen Literatur, hier wurden im Wesentlichen ein paar Verse, Sprichwörter und Segenssprüche festgehalten, nur ein Mönch hielt die Ehre der heimischen Literatur hoch: Notker Labeo, Mönch in St. Gallen, traute sich etwa um das Jahr 1000, Texte der antiken Philosophen ins Althochdeutsche zu übertragen.
Das gelang ihm auf einem solchen Qualitätsniveau, dass er heute als erster bedeutender deutscher Prosa-Autor gefeiert wird.
Damit ist der Anfang unserer Literatur umrissen, die althochdeutsche Literatur. Zu ihr werden gemeinhin alle Schriftwerke gezählt, die zwischen der Mitte des 8. Jahrhunderts und der Mitte des 11. Jahrhunderts datiert werden konnten und dem hochdeutschen Sprachraum zugerechnet werden, danach spricht man von frühmittelhochdeutscher Literatur.
Hier ging es zunächst um kurze Darstellung der Tatsachen, dass es durchaus spannend sein kann, sich mit einem der oben genannten Werke näher zu beschäftigen, wird später noch zu lesen sein.
Passionierte Autorin mit regem Kunstinteresse