Am 25.11.2012 wäre der 100. Geburtstag eines Mannes zu feiern gewesen, der durch sein Tun ganz entscheidend dazu beigetragen hat, künstlerische Unterhaltung direkt in die deutschen Wohnzimmer zu bringen.
Francis Durbridge hat uns viele erholsame Abende und viele berühmte Krimis geschenkt, die zuerst als Hörspiele durch die englische BBC ausgestrahlt wurden und nach den Engländern dann die Deutschen so gründlich an die Fernsehsessel fesselte, als wenn tatsächlich ein Ganove Hand angelegt hätte.
Diese Werke hat Durbridge auch zuerst als Hörspiele geschrieben und erst im Anschluss in über 35 Romanen erweitert und publiziert, damit sind seine bis heute berühmten Bücher übrigens in einer Tradition entstanden, von der viele glauben, sie sei eine Erfindung einer viel späteren Zeit:
Warum wir seines Geburtstages gedenken? Kann man Krimis überhaupt als künstlerische Unterhaltung bezeichnen? Das wurde im europäischen Kulturkreis lange bezweifelt, während andere Kulturen eine solche Frage als ähnlich abwegig einordnen, wie die Frage danach, wann Literatur (oder Kunst) beginnt.
Nur bei uns gehörte es lange zum “guten Ton” und zur üblichen Einschätzung im Literaturbetrieb, dass die Krimis von allen gebildeten Menschen als Trivialliteratur zu betrachten seien. Dazu gehörte nicht nur, dass die Qualität eines Krimis gefälligst als gering einzuschätzen war, dazu gehörte in gebildeten Kreisen vor nicht allzu langer Zeit sogar noch, dass man überhaupt nicht zugeben durfte, Krimis zu lesen.
Dabei bietet diese Thematik nicht weniger Möglichkeiten, psychologisch gelungene Feinbetrachtungen anzustellen, die Motive eines Menschen oder die Antriebskräfte und Fehlentwicklungen in einer Gesellschaft zu ergründen und darzustellen, gelungene Dramatik zu entwickeln und gekonnte Milieubeschreibungen anzufertigen, wie jedes andere Themenfeld, das in der “anspruchsvollen Literatur” schon einmal behandelt wurde.
Von der Meinung eines herrschenden Literaturbetriebes unabhängige Literaten hatten so auch niemals Hemmungen, Stücke zu verfassen, die durchaus als Krimis eingestuft werden könnten, um nur Fjodor Dostojewskis Roman “Schuld und Sühne”, Friedrich Dürrenmatts “Der Richter und sein Henker”, Theodor Fontane “Unterm Birnbaum” oder Wilhelm Raabes “Stopfkuchen” als Beispiele aus der “klassischen Literatur” anzuführen.
Heute wird jedoch der Kriminalroman auch bei uns inzwischen als seriöse Literaturgattung betrachtet, für die sogar ein Literaturpreis vergeben wird. Es hat nur ein wenig gedauert: Während Amerika seit 1946 den Edgar Allan Poe Award und seit den 1980er Jahren noch zwei weitere Krimi-Preise vergibt, Frankreich seit 1948 den Grand prix de littérature policière und Großbritannien seit 1955 den Dagger Award verleihen, hat es in Deutschland bis 1985 gedauert, bis der Deutsche Krimi Preis ins Leben gerufen wurde (dem aber 1987 gleich der zweite Krimipreis, der Friedrich-Glauser-Preis, folgte).
Wenn es gut ist, ist es von künstlerischem Wert, wenn es sehr gut ist, ist es Kunst, und unterhalten darf es trotzdem – so könnte man ganz kurz die Haltung vieler Menschen von heute zu der überkommenen Debatte um “ernste” und “unterhaltende” Literatur und Filmkunst charakterisieren.
Durbridge hat auf jeden Fall Werke erschaffen, die nicht nur Menschen in seinem Heimatland inzwischen über ein halbes Jahrhundert lang trefflich unterhalten haben. Er hat die Fähigkeiten für die Erschaffung seiner spannenden Unterhaltungskunst nicht nur an der Universität, sondern auch im Leben gelernt: Francis Henry Durbridge hat an der Universität von Birmingham studiert, Altenglisch und Volkswirtschaft.
Er hat nach seinem Abschluss sogar kurze Zeit als Börsenmakler gearbeitet, hat aber schon während seiner Schulzeit und auch während des Studiums auch immer geschrieben und wandte sich nun ganz dem Schreiben zu, als er mit 21 Jahren (1933) sein erstes Hörspiel “Promotion” an die BBC verkaufen konnte.
1938 erfand er seinen Charakter Paul Temple, einen Kriminalschriftsteller und Detektiv, der ihm zu einer Dauerbeschäftigung durch die BBC verhalf: Paul Temple wurde der Held einer erfolgreichen Hörspielreihe, die von 1938 und 1968 29 gesendete Paul-Temple-Fälle hervorbrachte. Von 1949 bis 1968 war Paul Temple in Deutschland zu hören, bis 1966 mit René Deltgen und 1968 mit Paul Klinger als Sprecher, Paul Temples Ehefrau Steve wurde fast durchgehend von Annemarie Cordes gesprochen.
Von 1946 bis 1952 wurden vier Spielfilme aus dem Stoff der Hörspiele gedreht, und in den 1960er Jahren kaufte die BBC die Lizenz für den Temple-Charakter, mit dem nun ab 1969 eine Fernsehserie mit 52 Folgen entstand. 39 Folgen davon umfasste die erste internationale Co-Produktion der Fernsehgeschichte, zwischen BBC und ZDF.
Weitere von Durbridge geschaffene Charaktere sind Harry Brent und Tim Frazer, die ebenfalls in Romanen und Filmen die Öffentlichkeit erreichten. Viele der Romane von Francis Durbridge wurden in verschiedenen europäischen Ländern in einer Besetzung mit national bekannten Schauspielern für das Fernsehen aufgenommen und erreichten so eine Bücher weit übersteigende Bekanntheit.
Die nach Durbridge-Vorlagen gedrehten mehrteiligen Fernsehkrimis leerten in Deutschland regelmäßig die Straßen, mancher Mitbürger erinnert sich noch heute an Fernsehereignisse wie “Der Andere” von 1959, “Es ist soweit” von 1960, “Das Halstuch” von 1962, “Tim Frazer” aus dem Jahre 1963, “Melissa” von 1966, “Wie ein Blitz” von 1970 oder “Das Messer” von 1971.
Obwohl Einschaltquoten von bis zu 90 % sicher auch in der damaligen Programmarmut begründet sind: Deutschland war während Ausstrahlung der Mehrteiler kollektiv angespannt, und der Kabarettist Wolfgang Neuss verursachte ernsthafte Aufregung, als er der Bild-Zeitung den Halstuch-Mörder verriet (obwohl er den auch nur geraten hatte).
Durbridge hat auch sieben Bühnenstücke verfasst, das Letzte mit dem Titel “Tief in der Nacht“ wurde 1991 in London uraufgeführt und überdauerte in seiner Hörspiel-Umsetzung sogar das Ableben des Autors (1998 in London), es wurde nämlich erst im Jahr 2000 vom Mitteldeutschen Rundfunk aufgezeichnet.
Eine Kostprobe seines Könnens hören Sie in dem folgenden Hörspiel „Tief in der Nacht“.
Passionierte Autorin mit regem Kunstinteresse