Gute Bücher gehören für die meisten gebildeten Menschen ganz klar zum weiten Feld der Kunst, und gute Autoren zählen für diese Menschen zu den wahren Künstlern. Wie immer, hilft auch im Bereich der literarischen Kunst eine nähere Beschäftigung mit dem Thema dabei, ein besseres Verständnis für Qualität zu gewinnen.
Den Weg zu diesem besseren Verständnis, der hauptsächlich mit der angenehmen Tätigkeit des andauernden Lesens gepflastert sein sollte, möchten wir im Kunstplaza-Magazin mit einer kleinen Serie zur Theorie der deutschen Literatur begleiten – eher mit Anregungen zum Nachdenken als im Wege trockener wissenschaftlicher Betrachtung:
Was ist Literatur?
Die erste Frage, die sich hier stellt, ist wohl die, was Literatur eigentlich ist. Die Literaturwissenschaftler selbst haben bereits über die Einordnung des Begriffs ihrer Forschungen sehr viel zu erzählen: Die Bezeichnung selbst kommt vom lateinischen littera, dem “Buchstaben”. Im Plural bezeichneten die “litterae” schon in der Antike als feststehender Terminus Dokumente, geschriebene Werke der Wissenschaften und Briefe.
Wobei man davon ausgehen darf, dass der Inhalt dieser Briefe gehaltvoller war als eine Twitter-Nachricht, ein Nachklang dieser Bedeutung ist noch im Englischen und Französischen zu spüren, wo der “man of letters” bzw. “homme de lettres” heute den literarisch gebildeten und tätigen Menschen bezeichnet.
Ein wenig früher noch war der “man of letters” einfach der gelehrte Mann, denn bis ins 18. Jahrhundert sprach man von der res publica litteraria (literaria), der “Republik der Gelehrten“, ein Ausdruck, der den gesamten internationalen Wissenschaftsbetrieb umfasste, in englisch die “republic of letters”.
Zu dieser res publica literaria zählten sich alle wissenschaftlich Publizierenden, die in regem Austausch per Brief miteinander standen, das einzige damals verfügbare Medium. Womit wir also wieder bei den litterae wären, den gelehrten Briefen, die damals ohne Ansehen der Stellung von jedem verfasst werden konnten, der viel wusste – damals lebten Lehrende und Lernende in einer Republik der Gleichberechtigten, die sich von der üblichen Regierungsform der ständisch gegliederten Monarchie durch ihren Gegenstand abgrenzte.
Diese elitäre, auf Menschen mit hoher Bildung beschränkte res publica literaria löste sich langsam auf, als gedruckte Werke immer mehr in Verbreitung kamen. Die allgemeine Verfügbarkeit setzte der Beschränkung auf gelehrte Inhalte schnell ein Ende, mit den Inhalten veränderte sich auch die Bedeutung des Begriffs Literatur grundlegend.
Das nachfolgende Video soll einen Einstieg in den Gattungsbegriff bieten und einen ersten Überblick über den Begriff der Literatur liefern:
Wozu brauchen wir Literatur?
Seit wann gibt es Literatur? Wozu brauchen wir sie? Und was veranlasst Menschen literarische Texte zu schreiben? Diesen Fragen geht folgendes Video von alpha Lernen auf den Grund.
Literarische und nicht-literarische Texte
Was sind literarische Texte und was unterscheidet sie von nicht-literarischen Texten? Antworten liefert ein weiterer Videobeitrag von alpha Lernen:
Wie die Literatur zur Literatur wurde
Was hier jetzt zu berichten wäre, wäre eigentlich auch gleich eine Geschichte der Ausbreitung der Buchdruckerkunst, die vom 15. Jahrhundert an der Taktgeber für das Fortschreiten der Zivilisation war, bis sie von den audiovisuellen und digitalen Medien abgelöst wurde. Den ganzen Siegeszug wiederzugeben wäre wirklich zu umfassend, die hier betrachtete Begriffseingrenzung hat sogar eher mit den Brüchen in diesem Siegeszug zu tun.
Denn der Buchdruck musste manchen Rückschritt durchhalten, nicht nur die technische Entwicklung musste in den zahlreichen Kriegen des 17. Jahrhunderts empfindliche Rückschläge hinnehmen, sondern auch die Inhalte litten gewaltig. Je mehr Menschen die gedruckten Werke lesen konnten, desto mehr fragwürdige Inhalte wurden aus verkaufsmotivierten Gründen zum Buch, und im 17. Jahrhundert entstand sogar eine Art Kriegsliteratur – mit Erzeugnissen übelster Art, die die Menschen von der ebenso üblen Gegenwart ablenken sollten.
Die deutschen Varianten dieser Schauerliteratur haben ihre Ursprünge durchaus in einem deutschen Kulturgut, nämlich den volkstümlichen Schriften, seit dem Mittelalter überlieferten Historien, die als volkstümliche Sagen, märchenhafte Schwänke und Legenden und romantische Abenteuer von Generation zu Generation weitererzählt wurden.
Diese erhaltenswerten Ortsereignisse, Minnelieder und Ritterdichtungen waren bisher in der mundgerechten Reimform überliefert worden, in den Büchern bekamen sie nun ihre volkstümliche Prosafassung, die eine gedruckte Verbreitung ermöglichte.
Johann Gottfried von Herder und Joseph Görres erfanden den Begriff Volksbuch für diesen niederen Markt des Frühdrucks, der weder durch spezifische Stoffe noch durch eine einheitliche Herkunft vereint wurde, nur im reißerischen Design ähnelten sich diese Volksbücher. Ihre Bedeutung für die Neubestimmung des Literaturbegriffs war jedoch nicht gering – sie stellten von der Qualität her den wohl größtmöglichen Gegensatz zu den früheren Inhalten der “Literatur” dar.
Etwas mehr an den bisherigen Literaturbegriff erinnerten die sogenannten Belles Lettres, wie die ab dem 17. Jahrhundert vorwiegend in Frankreich verlegten Bücher bezeichnet wurden, die den geistigen Raum zwischen der gelehrten Literatur und den anspruchslosen Volksbüchern einnahmen.
In Deutschland hießen Werke dieser Art auch erst Belles Lettres, durchwanderten aber in der Folgezeit eine ganze Reihe von Bezeichnungen, wie der Literaturbegriff insgesamt eine ganze Reihe von Wandlungen erfuhr.
Etwa gegen Mitte des 19. Jahrhunderts kristallisierte sich dann eine einheitliche Definition von Literatur heraus: Der Begriff Literatur wurde nun auf alle fiktionalen und poetischen Werke der Nation verwandt.
Damit war der Begriff Belles Lettres wieder frei und wurde ab diesem Zeitpunkt von den Deutschen für die Erzeugnisse des internationalen Marktes populärer Bücher benutzt, im 20. Jahrhundert wurde daraus unsere Belletristik.
Wenn dieser engere Literaturbegriff (der anfangs immer das Adjektiv “schöne” bei sich trug) nun alle Texte umfasste, in denen Sprache im Umfeld künstlerischer Freiheit geformt wird, gab es für die ursprünglichen “literarischen”, die gelehrten Texte, die eben keine künstlerische Freiheit erlauben, auf einmal keine Bezeichnung mehr in Deutschland.
Um diese Lücke zu schließen, entstand im Laufe des restlichen 19. Jahrhunderts bei uns ein zweiteiliger Literaturbegriff, nach dem Literatur im weitesten Sinne jede schriftsprachliche Überlieferung umfasst, und Literatur im engeren Sinne die “literarischen Kunstwerke”.
Die Literatur ist frei – auch in der Betrachtung
Wenn Sie jetzt glauben, sich ein Bild davon machen zu können, was deutsche Literatur eigentlich ist, ist das sicher in den Grundzügen korrekt. Allerdings sollten Sie sich immer bewusst sein, dass die Arbeit der mit der Neudefinition des Begriffs ebenfalls als eigene Gattung entstandenen Literaturwissenschaftler genau hier erst beginnt: Literatur lässt sich in Sprachen und Nationen zergliedern, in literarische Gattungen gruppieren, in Kategorien nach den gewünschten Adressaten einteilen und nach Niveau klassifizieren.
Spannend für jeden Leser ist natürlich zuerst die Unterscheidung in “hohe” Literatur und Trivialliteratur, denn die Erste wird gelehrt und diskutiert, und die Zweite wird gelesen. Fast jeder Leser wurde schon einmal in seinem Leben durch eine überaus ernste, aber auch überaus langweilige Betrachtung eines Werkes davon abgehalten, sich eben diesem Werk zu nähern.
Was mehr als schade ist, und eigentlich auch wissenschaftlich nicht ganz korrekt, denn welche Werke wirklich zur hohen Literatur zählen und unter welchen Gesichtspunkten diese Werke besprochen werden, ist durchaus ein Gegenstand, der frei diskutiert werden darf.
Viele klassische Werke sind wie das Leben ihrer Autoren höchst aufregend und spannend, und die Belletristik erobert sich trotz ihrer Unterhaltungsabsicht in steigendem Maße einen Platz in der Literatur.
Wir laden Sie deshalb zu einem nicht höchst wissenschaftlichen, aber hoffentlich unterhaltsamen Spaziergang durch die deutsche Literatur ein, in der Klassiker neu betrachtet werden, Lieblingswerke der Belletristik ihren Platz finden, die schon Leben verändert haben, und einige Werke, die die Bestsellerlisten sehr lange bevölkerten, etwas entzaubert werden.
Dabei werden bei der Behandlung einzelner Werke weitere der oben erwähnten Spezifikationen zur Sprache kommen, häufig geben gerade diese Betrachtungsansätze spannende Hinweise zum Verständnis eines Werkes.
Wenn dabei am Ende auch nur ein paar neue “Leseratten” herauskommen oder auch nur ein junger Leser dazu angeregt wird, über einen Erwerb auf Kunstplaza ein altes Werk neu zu entdecken, hat sich diese ungezwungene Art der Literaturbetrachtung dann wohl bereits bewährt.
Passionierte Autorin mit regem Kunstinteresse