Social-Media-Plattformen führen Journalisten in ein Dilemma
Einerseits verlassen sich Journalisten in vielen hilfreichen Aspekten ihrer Arbeit auf soziale Medien. Um nur einige zu nennen: zur Recherche, um mit potenziellen Quellen in Kontakt zu treten, mit dem Publikum zu interagieren, für ihre Arbeit zu werben und Solidarität unter Journalistenkollegen zu finden.
Auf der einen Seite erweisen sich Social-Media-Plattformen für Journalisten als äußerst nützlich, wenn es darum geht, potenzielle Quellen zu kontaktieren, mit dem Publikum zu interagieren, ihre Arbeit zu bewerben und Solidarität unter Kollegen zu finden.
Auf der anderen Seite bringen Plattformen wie Twitter und Facebook eine Vielzahl von Problemen mit sich, angefangen bei der wachsenden Menge und Intensität von Online-Belästigungen – wie Feindseligkeit, Trolling, Doxing (auch Doxxing genannt), usw. – insbesondere gegenüber Frauen und farbigen Journalisten. Zudem besteht die ständige Gefahr, dass ein falscher Tweet einen aufgebrachten Mob auf den Plan ruft oder einem Journalisten seinen Arbeitsplatz kosten könnte.
Die degenerative Entwicklung großer Social-Media-Plattformen hinsichtlich Nachrichtenberichterstattung
Wie Charlie Warzel mit tiefgehenden Einblicken in die Brutstätte der großen Social Media Konzerne im Silicon Valley in einem „The Atlantic“-Artikel berichtete, ist die Beziehung zwischen Big Tech und Journalismus viel komplizierter, als es scheint.
Vielversprechende Anfänge in den frühen 2010er Jahren
Der Einfluss von Online-Nachrichten und sozialen Plattformen aufeinander wurde im Herbst 2013 deutlich, als Facebook seinen Algorithmus änderte und plötzlich den Traffic zu Nachrichtenseiten stark erhöhte. Dies führte dazu, dass zahlreiche Nachrichtenorganisationen sichtbarer wurden.
In den Folgejahren verfolgten Verlage diesen Trend, um mehr Klicks und Anzeigen zu generieren, was ihre finanzielle Situation verbesserte. Social-Media-Strategien wurden eingeführt, um Geschichten für ein breites Online-Publikum ansprechend zu verpacken. Viele dieser Strategien waren auf Viralität ausgerichtet, einige jedoch auch darauf, die Reichweite der großen sozialen Netzwerke zu nutzen.
Die Nachrichtenzyklen beschleunigten sich erheblich. Trotz der Möglichkeit, durch soziale Medien neue Stimmen in den Diskurs einzubringen, führte die Dominanz dieser Plattformen zu einem Herdentrieb in der Berichterstattung. Neuigkeiten wurden verbreitet, Meinungen dazu veröffentlicht und alles über soziale Netzwerke geteilt, wo Journalisten leicht verfolgen konnten, welche Themen populär waren, um ihre Berichterstattung entsprechend anzupassen.
Insbesondere die Social-Media-Plattform Twitter hat eine neue Rolle als Auftragsredakteur für Nachrichtenredaktionen übernommen, was einen regelrechten Wettlauf um die Veröffentlichung von Nischenstories auslöste. Dadurch wurden bestimmte Journalisten zu einflussreichen Online-Persönlichkeiten und kleinen Stars, was wiederum den Nachrichtenbeschaffungsprozess transparenter machte.
Allerdings führte die menschliche Darstellung von Journalisten in sozialen Medien auch zu vermehrten Angriffen und Belästigungen. Obwohl traditionelle Medien ihre Reporter ermutigten, soziale Medien für berufliche Zwecke zu nutzen, reagierten sie empfindlich, wenn persönliche Meinungen geäußert wurden.
Toxische Entwicklungen und gesellschaftliche Polarisierung
In der Politik entstand infolge ein merkwürdiger, zyklischer Zusammenhang durch virale Werbung und Engagement auf Social-Media-Plattformen, der bestimmten Politikern, insbesondere Donald Trump, einen natürlichen Vorteil verschafft. Seine polarisierenden Äußerungen passen perfekt zum Trend und sorgen für verstärktes Engagement. Trumps Präsenz in den sozialen Medien brachte nicht nur Fans und Spendengelder ein, sondern rechtfertigte auch eine intensive Berichterstattung in den Medien.
Dieser Kreislauf machte ihn immer populärer und damit auch immer berichtenswerter. Zwischen 2013 und 2017 spielten politische Nachrichteninhalte eine entscheidende Rolle im Social-Media-Bereich. Sie führten zu toxischen politischen Diskussionen, die von riesigen, überparteilichen Facebook-Seiten verbreitet wurden.
Ein argumentativer und provokanter Schreibstil wurde zur Standardsprache der sozialen Medien. In diesen Räumen trafen Aktivisten, Journalisten, Propagandisten, Politiker sowie extremistische Gruppen aufeinander und verwandelten die Plattformen in feindselige Schlachtfelder mit Nachrichten als Hauptmunition.
Diese Toxizität führte dazu, dass der öffentliche Raum für vernünftige Diskussionen feindlich wurde und das Publikum marginalisiert wurde. Die Verbreitung von Inhalten auf den sozialen Medien trug somit maßgeblich zu einer gesellschaftlichen Polarisierung bei.
Abkehr vom Nachrichtengeschäft
In den vergangenen zehn Jahren hat demnach das Silicon Valley erkannt, dass Nachrichten ein unübersichtliches, kostspieliges und margenschwaches Geschäft sind. Ein Geschäft, das, wenn man nicht vorsichtig ist, aus einem „harmlosen CEO“ einen internationalen Schurken machen und ihn vor den Kongress bringen kann.
Es ist aus wirtschaftlicher Betrachtung also nicht verwunderlich, dass die großen Technologieunternehmen beschlossen haben, sich vollständig von Nachrichteninhalten zurückzuziehen. Nach 2016 wurden Nachrichten in den Vorstandsetagen dieser reichweitenstarken Plattformanbieter eher als störend empfunden und weniger als nützliches Merkmal, mit dem sich Führungskräfte befassen wollten.
Langsam, und dann immer schneller, distanzierten sich diese Unternehmen von Nachrichten. Facebook reduzierte die Sichtbarkeit von Nachrichten in den Feeds der Nutzer. Sowohl Meta als auch Google beschränkten die Verbreitung von Nachrichteninhalten (zunächst in Kanada).
Der Chef von Metas Instagram, Adam Mosseri, postulierte, dass das neueste soziale Netzwerk Threads keine Anstrengungen unternehmen würde, um Nachrichteninhalte zu betonen oder zu verstärken. Elon Musk brachte Twitter ins Wanken, angeblich als Teil eines reaktionären politischen Projekts gegen die Presse, und traf Entscheidungen, die dazu führten, dass sein Nachfolger X mit Müll überschwemmt wurde.
Wie kürzlich treffend in der New York Times (siehe Quelle #2) erklärt wurde:
Die großen Online-Plattformen steigen aus dem Nachrichtengeschäft aus.“
Geändertes Leserverhalten – Medienkonsum im Umbruch
Diese Beobachtungen zum Paradigmenwechsel der Plattformen sind grundsätzlich richtig, jedoch fehlt für das Gesamtbild noch ein wichtiger Aspekt.
Journalisten fokussieren sich laut Charlie Warzel oft darauf, wie ihre Arbeit verbreitet wird oder nicht. Dadurch entsteht der Eindruck, dass Algorithmen und kurzfristige, launische Tech-Führungskräfte allein dafür verantwortlich wären, dass journalistische Arbeit nicht ausreichend wertgeschätzt und konsumiert wird.
Es ist wahr, dass Plattformen, vor allem Facebook, Nachrichtenorganisationen in der Vergangenheit dazu gedrängt haben, ihre Veröffentlichungsstrategien anzupassen, beispielsweise durch drastische Umstellungen auf Videos, nur um dann durch ein Update des Algorithmus oder die Manipulation wichtiger Kennzahlen die Richtung zu ändern. Sie haben auch zugelassen, dass ihre Plattformen für gefährliche Propaganda genutzt werden, die legitime Informationen verdrängt.
Doch gibt es auch eine weniger offensichtliche und vielleicht existenziellere Seite bei der Marginalisierung und Manipulation von Nachrichten durch die Tech-Branche. Es sind nicht nur die Plattformen:
Auch die Leser wenden sich von den traditionellen Nachrichtenmedien ab.“
Die neueste Studie des Pew Research Center zeigt, dass im Jahr 2021 oder 2022 weniger Erwachsene regelmäßig Nachrichten verfolgten als je zuvor (siehe Quelle #3).
Insgesamt verfolgen 38 Prozent der amerikanischen Erwachsenen die Nachrichten aufmerksam, verglichen mit einem Höchstwert von 52 Prozent im Jahr 2018. Axios hat Daten verschiedener Web-Traffic-Überwachungsunternehmen analysiert und festgestellt, dass der Nachrichtenkonsum seit 2020 stark zurückgegangen ist.
Dieser Rückgang erfolgte trotz bedeutender Ereignisse wie dem Krieg in der Ukraine. Das Vertrauen in die Medien ist in den letzten Jahren stark gesunken. Die Entwicklungen lassen sich auch in Deutschland beobachten, wie der Reuters Institute Digital News Report 2023 zur Nachrichtennutzung in Deutschland zeigt (siehe Quelle #4).
Dies kann auf falsche Berichterstattung und Bemühungen der Rechten zurückgeführt werden, Mainstream-Medien zu delegitimieren. Lokale Nachrichtenagenturen sterben langsam aus, während jüngere Menschen Influencer und Creator auf Plattformen wie Instagram und TikTok als vertrauenswürdige Nachrichtenquellen betrachten.
In diesen Zusammenhängen basiert das Vertrauen nicht länger nur auf qualitativ hochwertiger Berichterstattung, sondern auch auf persönlichen Beziehungen zu bestimmten Persönlichkeiten.
Wie geht es weiter? Warzel wagt eine Prognose
Charlie Warzel gibt uns in Ihrem Artikel nicht nur eine messerscharfe Analyse des Status Quo, sondern liefert uns dazu eine Prognose aus Ihrer professionellen Sicht.
Es wäre aus ihrer Sicht nicht korrekt zu behaupten, dass Nachrichten und Kommentare dazu vollständig verschwinden werden. Jedoch könnten wir auf eine Zukunft zusteuern, in der einzelne Influencer ein großes Publikum erreichen und soziale Netzwerke sowie textbasierte Medien im Vergleich zu Videoplattformen mit Empfehlungsalgorithmen wie TikTok in den Hintergrund treten.
Dies könnte mit dem anhaltenden Verlust an kultureller Macht und Einfluss von Nachrichtenorganisationen zusammenfallen. In einem kürzlich veröffentlichten Artikel im New Yorker schlug John Herrman vor, dass der Präsidentschaftswahlkampf 2024 „die erste moderne Wahl in den Vereinigten Staaten ohne ein Mindestmaß an lebensfähigen zentralen Medien“ sein könnte, um breite politische Narrative zu prägen (siehe Quelle #5).
Dies muss keine negative Entwicklung sein, aber sie wird zumindest verworren sein und von immer undurchsichtigeren Algorithmen getrieben werden. Auch wenn es offensichtlich voreingenommen sein mag, zu behaupten, dass ein Rückgang der traditionellen Medien zerstörerische Auswirkungen auf den Journalismus, unser Verständnis der Welt und den öffentlichen Diskurs haben könnte, ist es doch im Bereich des Wahrscheinlichen.
Es wird zu beobachten sein, dass ein schöpferökonomischer Ansatz gegenüber Nachrichten das Vertrauen verschiebt – von Organisationen mit Standards und etablierten Praktiken hin zu Einzelpersonen mit ihren eigenen Anreizen, Agenden und Einflüssen.
Sollte die Ära der Informationsfreiheit tatsächlich für alle anbrechen, wird ihre Entstehung ein tragisches Element – oder zumindest eine Ironie – in sich tragen. Die grenzenlose Verfügbarkeit und immense Verbreitung sozialer Medien hätten eine ideale Partnerschaft für Nachrichten darstellen können, genau die Art von Beziehung, die das Vertrauen in Institutionen stärkt und eine langfristige integrative Realität fördern könnte.
Doch nichts davon ist geschehen. Die sozialen Medien haben die Schattenseiten des Journalismus enthüllt, während die Nachrichten ihrerseits die negativen Aspekte vieler sozialer Medien ans Licht gebracht haben.
Ära des Widerstands (!?)
Angesichts dieser massiven Herausforderungen für den Journalismus und für die Nachrichtenwelt im Allgemeinen stellt sich folgende zentrale Frage:
Was unternehmen Medienverlage und Nachrichtenredaktionsleiter, um den Journalismus angesichts der zunehmenden Risiken und Herausforderungen der sozialen Medien zu unterstützen und zu schützen?“
Unzureichende Social-Media-Richtlinien und ein ambivalentes Publikum
In einer Studie zum Thema Digital Journalism wurde vergangenes Jahr versucht, Antworten auf diese drängende Frage zu finden. Im Zentrum der US-amerikanischen Studie stand die Frage, wie Journalisten in den USA mit den Social-Media-Richtlinien ihrer Redaktion umgehen (siehe Quelle #6).
Der Autor, Jacob L. Nelson, führte ausführliche Interviews mit 37 Reportern, Redakteuren, Verlegern, Freiberuflern und Social-Media-/Publikums-Engagement-Managern. Dabei befragte er sowohl aktuelle als auch ehemalige Mitarbeiter verschiedener Medien (lokal und national, gewinnorientiert und gemeinnützig, Legacy-Medien und digitale Medien). Besonderes Augenmerk lag auf den Erfahrungen und Gedanken der Journalisten bezüglich der Social-Media-Richtlinien. Frauen und farbige Journalisten wurden besonders berücksichtigt, da sie häufiger Online-Belästigungen ausgesetzt sind.
Die Ergebnisse der Studie betonen, dass Journalisten trotz des Drucks von außen und innen oft auf Social-Media-Plattformen wie Twitter aktiv sind, jedoch wenig Anleitung oder Unterstützung erhalten, um mit den dortigen Gefahren umzugehen. Die Social-Media-Richtlinien von Nachrichtenredaktionen werden kritisiert, da sie anspruchsvoll sind und hauptsächlich dazu dienen, das Image der Organisation zu wahren anstatt die Journalisten vor Belästigungen zu schützen.
Die Aussagen legen nahe, dass ein Umdenken in der Unterstützung und Anleitung von Journalisten im Umgang mit sozialen Medien erforderlich ist.
Die befragten Journalisten scheinen ihren Vorgesetzten in Bezug auf die Nutzung von sozialen Medien voraus zu sein. Sie haben erkannt, dass persönliche und authentische Interaktionen online berufliche Chancen bieten können, gleichzeitig aber auch zu persönlichen Angriffen und Vorwürfen führen können.
Diese Dualität wird als “Twitter-Gratwanderung” bezeichnet. Journalisten wünschen sich mehr Unterstützung von ihren Managern, um mit den Herausforderungen und Risiken ihrer Arbeit im digitalen Zeitalter besser umgehen zu können. Trotzdem zeigen Studien, dass Nachrichtenorganisationen bisher wenig getan haben, um ihre Mitarbeiter vor Online-Belästigung zu schützen.
Die Unberechenbarkeit des Social-Media-Publikums, insbesondere wenn Beiträge viral gehen oder unbeachtet bleiben, sorgte für Frustration bei Journalisten gegenüber ihren Managern. Traditionelle journalistische Werte wie Professionalität und Neutralität sind leichter vorhersehbar in einem festen Publikum einer Nachrichtenagentur als in den weitaus variableren sozialen Medien.
Einige Studienteilnehmer hinterfragten, ob das Publikum wirklich an vollkommener Objektivität festhält oder eher Authentizität bevorzugt. Zukünftige Forschung könnte helfen, dieses Rätsel zu lösen. Es scheint eine Ambivalenz bei den Zuschauern zu geben, die sowohl objektive Nachrichten als auch Meinungen der Journalisten schätzen.
Nachrichtenredaktionen könnten möglicherweise stärker auf die Wünsche ihres Publikums eingehen, um deren Erwartungen an Journalismus und Journalisten besser zu verstehen.
Was passiert mit dem Journalismus, wenn Social-Media seine Relevanz verliert?
Seit Elon Musk im Oktober 2022 Twitter für 44 Milliarden US-Dollar übernommen hat, sind Datenschutzbedenken, ein Anstieg von Hassreden und Musks generelle Feindseligkeit gegenüber den Medien Gründe dafür, dass unzählige Journalisten der Plattform den Rücken gekehrt haben.
Sie suchen nun Schutz auf anderen, wenn auch weniger populären Plattformen. Nachrichtenorganisationen wie CBC, NPR und PBS sind nicht mehr aktiv auf Twitter und einige bezweifeln die Zukunftsfähigkeit der Plattform. Zusätzlich begann Meta im Jahr 2022, sich von den Medien zu distanzieren, indem es die Mittel für US-Nachrichtenverlage kürzte, die Inhalte im News Tab von Facebook veröffentlichen.
Vor diesem Hintergrund trafen sich im April letzten Jahres Journalisten aus der ganzen Welt in Perugia, Italien, zum 17. Internationalen Journalismus-Festival – #IJF23 –, um einige der wichtigsten Themen zu diskutieren, mit denen die Branche konfrontiert ist.
Eine Podiumsdiskussion beschäftigte sich intensiv sich mit den Folgen des Niedergangs von Twitter und der Abkehr von Facebook von Nachrichten für den Journalismus. Diese wurde von Mathew Ingram, dem Chefredakteur für digitale Medien bei Columbia Journalism Review, geleitet. An der Diskussion nahmen auch Charlie Beckett, der Leiter von Polis, dem Medieninstitut der London School of Economics, teil; sowie Emily Bell, Direktorin des Tow Center for Digital Journalism an der Columbia Journalism School; und Mitra Kalita, Mitbegründerin von URL Media.
Die Referenten erörterten brennende Themen wie den Twitter-Exodus und beleuchteten die komplexe Beziehung zwischen Journalismus und Social-Media-Plattformen sowie die Notwendigkeit für Journalisten und Medienunternehmen, sich anzupassen.
Holly Pate fasste die Kernpunkte im Global Investigative Journalism Network wie folgt zusammen:
Bevor investigative Journalisten den Schritt wagen, Twitter zu verlassen, sollten sie sich eine Reihe von Fragen stellen:
- Verfüge ich über andere Netzwerke, in denen ich arbeiten, Zielgruppen aufbauen und stärken kann?
- Welche Funktionen bietet mir Twitter derzeit?
- Können diese Funktionen durch andere Plattformen oder Tools ersetzt werden?
Außerdem: Anstatt Ihr Twitter-Konto dauerhaft zu löschen, experimentieren Sie mit anderen Social-Media-Seiten wie Instagram, TikTok, LinkedIn oder sogar Twitter-Alternativen wie Mastodon. Das Ergebnis könnte Sie angenehm überraschen.
Alternative Media-Plattformen für Journalisten
Auch beim Journalismus greifen die üblichen Marktgesetzte von Angebot und Nachfrage. Da sowohl seitens der Journalisten als auch auf der Seite des Publikums ein starkes Bedürfnis nach seriöser und verlässlicher Nachrichtenberichterstattung besteht, wird dies auch zunehmend auf Anbieter-Seite erkannt. So erleben wir die Markteinführung von vielversprechenden Alternativen Plattformen zu den von Big-Tech dominierten Social Media Giganten.
Mastodon
Allen voran scheint sich Mastodon zu einem ernsthaften Gegenspieler für X & Co. zu mausern. Das dezentrale Netzwerk Mastodon – von vielen als das Anti-Twitter bezeichnet – nimmt mehreren Berichten zufolge an Fahrt auf (vgl. Quelle #8).
Der Microblogging-Dienst Mastodon führte lange Zeit ein unauffälliges Dasein als Rückzugsort für Nutzer, die der Reizüberflutung kommerzieller Netzwerke entkommen wollten. Doch mit der Ankündigung von Elon Musk, Twitter zu übernehmen, erfuhr das unkommerzielle Netzwerk einen enormen Zuwachs an Nutzern.
Über 500.000 neue User strömten innerhalb kürzester Zeit auf die Plattform, was zu einem regelrechten Aktivitätsanstieg führte. Obwohl dies nur ein Bruchteil der Nutzer von Twitter ist, zeigt sich ein wachsendes Interesse von Institutionen und Medien an Mastodon.
Deutsche und europäische Behörden sowie immer mehr Unternehmen und Medien richten ihre Aufmerksamkeit nun auf das Netzwerk.
Bluesky und das Fediverse
Meta wurde in der Vergangenheit heftig dafür kritisiert, dass sie umfangreiche persönliche Daten für Facebook, Instagram und Co. abfragte. Als CEO von Twitter verfolgt Musk jedoch eine größere Vision, wenn er sich mit der Konkurrenz anlegt – genauso wie Jack Dorsey, der die Twitter-Alternative Bluesky unterstützt.
Dorsey hatte zuvor betont, dass Twitter unter Musks Führung gut aufgehoben sei, doch in letzter Zeit äußerte er wiederholt Kritik an den Entscheidungen des Tech-Milliardärs. Gemeinsam mit der Geschäftsführerin Jay Graber will er nun die Herausforderungen von Twitter mit der neuen Plattform Bluesky angehen und die Plattform zum Erfolg führen.
Bereits einige Prominente, wie das Model Chrissy Teigen und der Regisseur James Gunn, sind auf der Plattform präsent. Bluesky ist dezentralisiert, was bedeutet, dass die Nutzerdaten nicht auf einem einzelnen Server gespeichert sind, der einem Unternehmen gehört. Stattdessen gibt es ein Netzwerk von verschiedenen Servern mit unabhängigen Administratoren.
Dieses Konzept wird auch als Fediverse bezeichnet. Ansonsten ähnelt Bluesky einem Twitter-Klon: Nutzer können ein Profilbild, eine Kurzbiografie und einen Anzeigenamen festlegen. In der App können sie – ähnlich wie bei Twitter – Beiträge veröffentlichen, auf andere reagieren oder diese mit einem Like versehen.
Im Gegensatz zu Twitter gibt es jedoch zwei separate Feeds: einen für Beiträge von Nutzern, denen man folgt, und einen „What’s Hot“-Bereich mit beliebten Beiträgen.
Die Nutzerzahlen von Bluesky sind bisher noch relativ überschaubar, werden laut dem RedaktionsNetzwerk Deutschland zum Jahresende 2023 auf etwa 100.000 geschätzt (vgl. Quelle #9). Der Grund dafür liegt darin, dass die Plattform sich damals noch in der Beta-Phase befand und Nutzer eine Einladung benötigten, um beizutreten. Seit Februar 2024 ist Bluesky nun für alle offen.
Auch schon vor der Öffnung im Februar erlebte Bluesky einen enormen Anstieg an Registrierungen und musste zeitweise neue Anmeldungen stoppen, um einen Zusammenbruch der App zu verhindern. Dies könnte mit einer kontroversen Entscheidung von Elon Musk zusammenhängen, der die Lesebeschränkungen für nicht-verifizierte Nutzerinnen und Nutzer eingeführt hatte – sie können nur 600 Beiträge pro Tag lesen, während verifizierte Nutzer 6000 Beiträge lesen dürfen. Später erhöhte Twitter diese Zahlen etwas. Musk begründete diesen Schritt damit, dass er gegen massenhaftes Daten-Scraping vorgehen möchte.
Insgesamt zeigt sich also, dass Bluesky trotz anfänglicher Herausforderungen einen positiven Trend verzeichnet und konstruktive Maßnahmen ergreift, um die Plattform zu schützen und zu verbessern.
KiVVON
Vor kurzem hat ein weiterer ehrgeiziger Player das Licht der Welt erblickt. Das noch relativ junge KiVVON positioniert sich als führende plattformübergreifende Lösung für Medienschaffende, darunter Verlage, Medienhäuser, Journalist*innen und Content Creator*innen.
Die innovative Plattform bietet umfassende Unterstützung und Ressourcen für alle, die in der Medienbranche tätig sind. Mitglieder erhalten Zugang zu einem wachsenden Netzwerk und Tools, die ihnen dabei helfen, journalistische Projekte erfolgreicher umzusetzen.
Das Ziel der Initiatoren – allen voran der Medienunternehmer Coskun „Josh“ Tuna – ist es, einen digitalen und nachhaltigen Ort für Journalismus zu schaffen, der die Erstellung, Veröffentlichung, Sammlung, Verbreitung und Vernetzung von Inhalten sowie das Publikumsengagement wieder in den Mittelpunkt stellt. Dieser Claim erinnert uns an die hehren Anfänge von Twitter unter Jack Dorsey.
Der Gründer schickt sich an, mit seiner Plattform nicht weniger als eine eine neue Ära des Journalismus einzuläuten, indem gleichermaßen die Bedürfnisse der Leser:innen als auch der Autor:innen in den Fokus gerückt werden. Das Werteversprechen betont dabei insbesondere die Förderung von Vertrauen, Transparenz und Kreativität.
Coskun Tuna ist als Medienunternehmer kein unbeschriebenes Blatt in der Branche, außerdem bekennender Familienmensch und Humanist.
Als Seriengründer hat er Höhen und Tiefen erlebt. Mit seinem vorigen Unternehmen, der Seeding Alliance GmbH, das heute zu 70% zur Ströer-Gruppe gehört, hat er über Jahre hinweg Online-Publikationen verschiedener Verlage und Medienhäuser vermarktet. Dies führte zur Verwirklichung eines früheren unternehmerischen Traums aus dem Jahr 2007, nämlich im Bereich Journalismus und Publishing aktiv zu werden.
Diesen Traum hat er durch die Gründung der KiVVON Media GmbH realisiert.
Betrachtet man die Gründerphilosophie, das Bekenntnis zu journalistischen Prinzipien und humanistischen Werten, dann ist der Plattform von Herzen aller Erfolg zu wünschen. Die Erfahrung, das Know-How und die berufliche Vernetzung des Gründers und seines Teams dürften hier durchaus zum Tragen kommen.
Die Anzahl an Kanälen und Inhalten ist noch sehr überschaubar, die Plattform ist jedoch noch sehr jung und noch in der Beta-Phase. Mastodon ist auf ähnliche Weise gestartet. Mit der richtigen Strategie, der nötigen Portion Herzblut und finanziellem Durchhaltevermögen ist KiVVON durchaus einiges zuzutrauen. Vor wenigen Monaten kann man mittels Trafficanalysen (wir nutzen SimilarWeb und SEMrush) zur Plattform jedenfalls schon mal einen steilen Besucheranstieg beobachten.
Quellen und Referenzen
- Charlie Warzel in The Atlantic (2023): The Great Social Media–News Collapse, https://www.theatlantic.com/technology/archive/2023/11/social-media-news-readership-decline/675890/
- The New York Times (2023): Silicon Valley Ditches News, Shaking an Unstable Industry, https://www.nytimes.com/2023/10/19/technology/news-social-media-traffic.html
- Pew Research Center (2023): Americans are following the news less closely than they used to, https://www.pewresearch.org/short-reads/2023/10/24/americans-are-following-the-news-less-closely-than-they-used-to/
- Behre, Julia; Hölig, Sascha; Möller, Judith (2023): Reuters Institute Digital News Report 2023 – Ergebnisse für Deutschland. Hamburg: Verlag Hans-Bredow-Institut, Juni 2023 (Arbeitspapiere des Hans-Bredow-Instituts | Projektergebnisse Nr. 67), https://doi.org/10.21241/ssoar.8685
- John Herrman im New York Intelligencer (2023): The Nowhere Election, https://nymag.com/intelligencer/2023/07/the-2024-election-will-be-an-informational-nightmare.html
- Jacob L. Nelson (2023): “Worse than the Harassment Itself.” Journalists’ Reactions to Newsroom Social Media Policies, https://www.tandfonline.com/doi/full/10.1080/21670811.2022.2153072
- Holly Pate im Global Investigative Journalism Network: What Happens to Journalism When Social Media Sites Lose Their Relevance?, https://gijn.org/stories/journalism-social-media-sites-lose-relevance/
- Torsten Kleinz auf zdfheute: Microblogging-Dienst Mastodon: Das Anti-Twitter nimmt Fahrt auf, https://www.zdf.de/nachrichten/panorama/mastodon-twitter-alternative-elon-musk-100.html
Inhaber und Geschäftsführer von Kunstplaza. Publizist, Redakteur und passionierter Blogger im Bereich Kunst, Design und Kreativität seit 2011. Erfolgreicher Abschluss in Webdesign im Rahmen eines Hochschulstudiums (2008). Weiterentwicklung von Kreativitätstechniken durch Kurse in Freiem Zeichnen, Ausdrucksmalen und Theatre/Acting. Profunde Kenntnisse des Kunstmarktes durch langjährige journalistische Recherchen und zahlreichen Kooperationen mit Akteuren/Institutionen aus Kunst und Kultur.