Velvet Terrorism: Pussy Riot’s Russia im Haus der Kunst ist die bislang größte Präsentation der Arbeiten des künstlerischen Kollektivs und die erste Museumsausstellung in Deutschland, die Pussy Riot gewidmet ist. Sie stellt die drängende Frage, was Widerstand in der Kunst bedeutet, und welche Geschichten heute wesentlicher Bestandteil von Ausstellungen sein müssen.
- Pussy Riot wandeln repressive Werkzeuge eines autoritären Staates in eine kollaborative Kraft für Kreativität um
- das künstlerische Kollektiv erfindet mit dem fundamentalen Kapitel der jüngeren Geschichte Mediensprache neu
- händisch geschriebene Texte verschmelzen mit einer Flut von Videos und Fotografien, mit Humor, Punk und Lärm.
Das ist Pussy Riot
Pussy Riot. Das ist der Name jener berühmten weiblichen Punk-Gruppe, die in Russland immer wieder gegen Putin demonstriert hat. Die Geschichte von Pussy Riot erzählt nun das Haus der Kunst in München.
Die Bedeutung von Pussy Riot liegt nicht nur in ihrer Musik, sondern auch in ihrem mutigen politischen Aktivismus. Seit ihrer Gründung haben sie sich vehement gegen die autoritäre Führung Wladimir Putins gestellt und dabei ihre Kunst als Mittel des Widerstands genutzt.
Ihre provokativen Aktionen und energiegeladenen Performances haben weltweit Aufmerksamkeit erregt und sie zu einem Symbol für den Kampf um Meinungsfreiheit und Menschenrechte gemacht.
Durch die Darstellung der zunehmend feindlichen Beziehung zwischen dem feministischen Kunstkollektiv und den Staatsbehörden bietet die Ausstellung wesentliche Einblicke in die Entwicklung von Putins Russland im letzten Jahrzehnt, die in der militärischen Invasion der Ukraine gipfelte.
Im Laufe der Jahre haben Pussy Riot durch ihre künstlerische Praxis die repressiven Werkzeuge eines autoritären Staates in eine kollaborative Kraft für Kreativität umgewandelt, und sind dabei furchtlos Risiken eingegangen.
Aufruhr ist immer eine Sache der Schönheit. In der Schule hatte ich diesen Traum, Graffiti-Künstler*in zu werden, und ich übte Graffiti in meinem Schulheft. Wenn man seine Schulaufgaben auf der ersten Seite beginnt und die Skizzen hinten macht, treffen sich die beiden irgendwann in der Mitte. UND NEBEN DEINEN GESCHICHTSNOTIZEN TAUCHT GRAFFITI AUF, was die Geschichte in eine andere Geschichte verwandelt.“
– Maria Alyokhina
Die Ausstellung im Haus der Kunst gibt einen tiefen Einblick in die Entstehungsgeschichte der Gruppe, ihre künstlerischen Projekte und die Auswirkungen ihres Handelns auf die russische Gesellschaft und die Weltgemeinschaft. Mittels Videoaufnahmen, Musik, Fotografien und persönlichen Gegenständen wird der Besucher auf eine Reise durch die bewegte Geschichte von Pussy Riot mitgenommen.
Besonders eindrucksvoll ist die Gegenüberstellung ihrer Kunstwerke mit historischen und politischen Kontexten, die ihre Bedeutung hervorhebt und dem Betrachter ermöglicht, ein tieferes Verständnis für das Engagement und die Gefahren zu entwickeln, denen die Mitglieder der Gruppe ausgesetzt sind.
Die Ausstellung lädt dazu ein, sich weiter mit dem Thema zu beschäftigen, indem sie auf weitere Studienmaterialien und Quellen verweist, die ein umfangreicheres Bild der Situation in Russland und der Rolle von Kunst als Protestmittel zeichnen.
Für Kunst- und Kulturinteressierte, die die Schnittstelle zwischen Kunst und politischem Aktivismus erkunden möchten, bietet diese Ausstellung eine wertvolle und inspirierende Gelegenheit.
Pussy Riot’s Aufstieg zu Ruhm und Relevanz
Pussy Riot wurde im Jahr 2011 gegründet und ist eine russische feministische Punk-Protestgruppe. Sie setzt sich aus etwa 11 Frauen zusammen, wobei die Mitglieder regelmäßig wechseln. Die Gruppe engagiert sich für Feminismus und die Rechte von LGBT-Personen, und kritisiert das Regime von Wladimir Putin sowie den Einfluss der russisch-orthodoxen Kirche.
Dabei bekennt sich Pussy Riot zu demokratischen Prinzipien wie Meinungsfreiheit, Recht auf Regierungskritik und Pressefreiheit. Sie lehnen den Kapitalismus und die egoistischen Werte, die damit verbunden sind, ab.
Die Proteststrategie von Pussy Riot umfasst Guerillakonzerte an öffentlichen Plätzen, bei denen sie Protestlieder im Punk-Stil aufführen. Die auffälligen Farben ihrer mittlerweile ikonischen Kostüme sollen Freude verbreiten und andere dazu motivieren, sich ebenfalls zu erheben und gemeinsam zu protestieren.
Das Ziel von Pussy Riot ist es, in Russland eine demokratischere Gesellschaft ohne die autoritäre Herrschaft von Wladimir Putin zu schaffen.
Putin Zassel in Moskau (2012)
Ihr erster Auftritt am 20. Januar 2012 auf dem Roten Platz in Moskau sorgte landesweit für Aufsehen. Hier trugen sie den Song „Putin Zassel“ vor, was grob übersetzt so viel bedeutet wie „Putin hat Angst bekommen“.
Dieser Auftritt war inspiriert von den Dezember-Protesten gegen Putin, bei denen über 100.000 Demonstranten auf die Straße gingen und auf chaotische Weise mit Sicherheitskräften konfrontiert wurden. Die Gruppe berichtete der Financial Times: „Wir sahen Truppen um Moskau herum, Hubschrauber in der Luft, das Militär in Bereitschaft.“ An diesem Tag zeigte das Regime seine Schwäche – und das Symbol dieses Regimes ist Putin.
Punk Prayer (2012) – Ein Moment von globaler Tragweite
Am Morgen des 21. Februar 2012 betraten fünf junge Frauen von Pussy Riot die Moskauer Christ-Erlöser-Kathedrale. Die Aktivistinnen trugen ihre charakteristischen ärmellosen Kleider, Neonstrumpfhosen und Sturmhauben-Skimasken. Sie sprangen auf den heiligen Altar, holten ihre E-Gitarren hervor und begannen, das Stück „Punk Prayer“ aufzuführen. Dieses Lied war eine ungewöhnliche Mischung aus energetischer Punkmusik und traditionellem orthodoxem Gesang, untermalt von kritischen Texten über die enge Verflechtung zwischen Wladimir Putin und der russisch-orthodoxen Kirche.
Insbesondere prangerten die Künstlerinnen die konservative, frauen- und LGBT-feindliche Haltung der Kirche an und formulierten einen Appell direkt an die Gottesmutter, Putin „zu stürzen“ und „Feministin zu werden“.
Punk Prayer – Der Original-Wortlaut (aus dem Russischen übersetzt)
„Punk Prayer“ – Pussy Riot
Schwarzes Gewand, goldene Schulterklappen
Alle Gemeindemitglieder kriechen zur Verbeugung
Das Phantom der Freiheit ist im Himmel
Gay-Pride in Ketten nach Sibirien geschickt
Der Chef des KGB, ihr Hauptheiliger,
Führt Demonstranten unter Eskorte ins Gefängnis
Um Seine Heiligkeit nicht zu beleidigen
Frauen müssen gebären und liebenScheiße, Scheiße, die Scheiße des Herrn!
Scheiße, Scheiße, die Scheiße des Herrn!(Chor)
Jungfrau Maria, Mutter Gottes, werde Feministin
Werde eine Feministin, werde eine Feministin
(Endchor)Das Lob der Kirche für faule Diktatoren
Der Kreuzträgerumzug schwarzer Limousinen
Ein Lehrer-Prediger wird Sie in der Schule treffen
Geh zum Unterricht – bring ihm Geld!
Patriarch Gundyaev glaubt an Putin
Schlampe, glaube lieber an Gott
Der Mariengürtel kann Massenversammlungen nicht ersetzen
Maria, die Mutter Gottes, ist im Protest bei uns!(Chor)
Die Jungfrau Maria, Mutter Gottes, hat Putin weggebracht
Steck Putin weg, steck Putin weg
(Endchor)
Der Auftritt wurde zwar innerhalb weniger Minuten beendet, hatte jedoch tiefgreifende Auswirkungen auf die russische Politik und die Weltöffentlichkeit. Bei der Performance wurden Nadeschda Tolokonnikowa, Maria Alychina und Jekaterina Samuzewitsch sofort festgenommen. Eine Freilassung auf Kaution wurde ihnen verweigert und sie blieben bis zu ihrem Prozess Ende Juli in Haft.
In einem kontroversen Gerichtsverfahren wurden sie wegen „aus religiösem Hass motiviertem Rowdytum“ zu jeweils zwei Jahren Gefängnis verurteilt. Im Berufungsverfahren wurde Jekaterina Samuzewitsch freigelassen, weil sich herausstellte, dass sie es nie bis zum Altar geschafft hatte und dementsprechend die ihr zur Last gelegten Taten nicht begangen hatte.
Tolokonnikowa und Alychina hingegen verloren ihre Berufung und wurden in zwei verschiedene russische Gefängnisse verlegt.
Diese mutige Aktion von Pussy Riot und die darauffolgende harte Bestrafung lenkten internationale Aufmerksamkeit auf die Repressionen in Russland, die Menschenrechte und die Meinungsfreiheit. Die Geschichte dieser jungen Frauen ist ein eindrucksvolles Beispiel dafür, wie Kunst und Aktivismus in der Lage sind, gesellschaftspolitische Missstände aufzuzeigen und eine globale Diskussion anzuregen.
Details zur Ausstellung in München
Die Ausstellung wird in der LSK-Galerie präsentiert, die sich im Luftschutzkeller des Haus der Kunst befindet, einem Ort, an dem die herausfordernde Vergangenheit des 1937 eröffneten Gebäudes besonders spürbar ist.
„Velvet Terrorism: Pussy Riot’s Russia“ folgt den Einzelausstellungen des afroamerikanischen Künstlers Tony Cokes (2022) und des Indigenen, in Australien ansässigen Filmkollektivs Karrabing (2023), die übersehene Geschichten durch neue Sprachmittel darstellten.
Wie diese beiden vorherigen Ausstellungen im ehemaligen Bunker zielt „Velvet Terrorism: Pussy Riot’s Russia“ darauf ab, die Grenzen der Ausstellungsgestaltung zu erweitern und eine dichte Erfahrung zu schaffen, die ein fundamentales Kapitel der jüngeren Geschichte und die Präsentation einer bahnbrechenden Praxis darstellt, die Mediensprache neu erfindet.
Die Ausstellung lädt ein, sich Zeit zu nehmen und eine persönliche Reise zu erleben, um die von Maria Alyokhina händisch an die Wände geschriebenen Texte in einem Raum zu lesen, in dem eine Flut von Videos und unzähligen Fotografien in Farben, mit Humor, Punk und Lärm verschmelzen.
„Velvet Terrorism: Pussy Riot’s Russia“ im Haus der Kunst entstand aus leidenschaftlichen Gesprächen mit dem isländischen Künstler Ragnar Kjartansson, der Maria Alyokhina erstmals in Moskau traf. „Velvet Terrorism: Pussy Riot’s Russia“ ist von Maria Alyokhina und Kling & Bang, Reykjavik organisiert und auf Tournee gebracht.
Das Haus der Kunst plant die Ausstellung seit Anfang 2023. Kuratiert von Ragnar Kjartansson, Ingibjörg Sigurjónsdóttir und Dorothee Maria Kirch (Kling&Bang, Reykjavik); Lydia Antoniou, Andrea Lissoni und Margarita (Haus der Kunst München).
Inhaber und Geschäftsführer von Kunstplaza. Publizist, Redakteur und passionierter Blogger im Bereich Kunst, Design und Kreativität seit 2011. Erfolgreicher Abschluss in Webdesign im Rahmen eines Hochschulstudiums (2008). Weiterentwicklung von Kreativitätstechniken durch Kurse in Freiem Zeichnen, Ausdrucksmalen und Theatre/Acting. Profunde Kenntnisse des Kunstmarktes durch langjährige journalistische Recherchen und zahlreichen Kooperationen mit Akteuren/Institutionen aus Kunst und Kultur.