Nikita Golubev lebt in Moskau, wühlt jeden Tag im Dreck, ihm folgen eine ganze Menge Menschen, die mehr oder weniger begeistert sind von dem, was er macht.
Und doch werden die sozialgestörten Zeitgenossen, die sich geifernd auf diesen Artikel über
a) einen Moskauer Zuhälter auf unterstem Niveau (es soll Leute geben, die glauben, dass es Zuhälter mit Niveau gibt)
b) einen Moskauer Funktionär, der mit großer Aktivität im Korruptionsgeschäft unterwegs ist,
vom Künstler Nikita Golubev bitter enttäuscht:
Sein Dreck befindet sich auf einem Lkw, je länger nicht geputzt, desto besser; und Nikita Golubev „wühlt im Dreck“, weil er die dreckigen Lkws als Leinwand für seine Kunst nutzt.
Auf diesen finsteren Flächen, die eine Geschichte von Überarbeitung und Ausbeutung, Gleichgültigkeit und Verwahrlosung erzählen, entstehen faszinierende Gemälde.
Mit Themen/Motiven, die einen Augenblick in eine bessere Welt entführen:
- „Surfer“
- „Blaue Lilien“
Oder Werken, die gedankliche Ausflüge in ganz andere Welten eröffnen:
- „Krake“
- „Krokodil“
Oder Bildern, die mitten auf der Straße kurz zum Nachdenken, Wundern und Bewundern anregen:
- „Gebet“
- „Shark“
Oder Gemälden, die einfach nur wunderschön sind:
- „Eule“
- „Tauben“
Nikita Golubev: Dirty Car Art / Dirty Paintings made in Russia
Der talentierte russische Street Art Künstler Nikita Golubev hat eine einzigartige Technik entwickelt, um seine Kunstwerke zu schaffen. Statt auf klassischer Leinwand oder Papier verwendet er die staubigen Oberflächen von Autos als seine Leinwand.
Mit seinen Pinseln und Fingern malt er beeindruckende Bilder in den Schmutz der Wagen. Diese faszinierenden Werke werden von ihm selbst als “Dirt Paintings” bezeichnet. Durch die Verwendung des natürlichen Staubs und Drecks auf den Fahrzeugen entstehen unglaubliche Kontraste und Texturen, die das Auge des Betrachters sofort einfangen.
Was diese Dirty Car Art noch interessanter macht, ist ihre Mobilität. Sobald Nikita Golubev sein Werk vollendet hat, rollen die Autos durch die Straßen der Stadt und präsentieren stolz seine kreative Vision für jedermann sichtbar. Die Menschen können diese unkonventionelle Form der Kunst bewundern, während sie ihrem Alltag nachgehen.
Allerdings sind diese ephemeren Meisterwerke nicht von Dauer. Mit dem nächsten Regenschauer oder einfach durch das Ablagern von neuem Staub verschwinden die Dirt Paintings allmählich wieder vom Auto. Dies verleiht ihnen eine gewisse Vergänglichkeit und Einzigartigkeit – denn nur wer zur richtigen Zeit am richtigen Ort ist, kann diese flüchtige Kunst genießen.
Nikita Golubevs Talent liegt darin, aus etwas so Alltäglichem wie einem dreckigen Autolack wunderschöne Bilder zu erschaffen.
Seine Arbeit zeigt uns auch eine andere Seite der Street Art – dass man nicht immer traditionelle Materialien oder Oberflächen verwenden muss, um Kunst zu schaffen. Seine Dirty Car Art ist ein Beweis dafür, dass Kreativität keine Grenzen kennt und überall gefunden werden kann – selbst auf den staubigen Straßen unserer Städte.
In einer Welt voller Graffiti und Wandmalereien sticht Nikita Golubevs Dirt Paintings hervor und zieht die Aufmerksamkeit der Menschen auf sich. Sie sind nicht nur eine interessante visuelle Erfahrung, sondern auch eine Erinnerung daran, dass Schönheit oft an ungewöhnlichen Orten zu finden ist – man muss nur genau hinsehen.
Bildhafte Anspielungen & bitterböse Ironie
Manchmal ist auch bitterböse Ironie, Anspielung, Verwirrung im Spiel, aber wir wollen Ihnen nicht den Spaß verderben, das Werk von Nikita Golubev selbst auf der Straße oder im Netz zu entdecken.
Nikita Golubevs künstlerisches Pseudonym lautet „ProBoyNick“ (Instagram: @proboynick) und ist auf jedem seiner Werke zu finden.
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Beziehungsweise auf fast jedem seiner Werke, denn manchmal bekommt Golubev beim Malen eines seiner LKW-Gemälde Schwierigkeiten. LKW-Fahrer arbeiten unter Bedingungen, die sie sehr häufig zum Schlaf in den Fahrerkabinen zwingen.
Gerade während der Übernachtung steht der LKW als „perfekte Leinwand“ herum, weshalb Golubev es sich zur „Vor-Frühstücks-Routine“ gemacht hat, jeden Morgen ab sechs Uhr auf der Suche nach Zielobjekten die Nachbarschaft zu durchstreifen.
Sobald er fündig wird, wird ein Stück Dreck in ein Stück Kunst verwandelt. Normalerweise wird die halbe Stunde, die Golubev für ein Gemälde braucht, vom Fahrer friedlich verschlafen. Aber es kann natürlich vorkommen, dass der Fahrer gerade ausgeschlafen hat oder nicht ausgeschlafen, aber eine lange Fahrt vor sich hat, und nun verwundert bemerkt, dass jemand an seinem LKW herummalt.
Wie regieren die Fahrzeugbesitzer?
„Vor dem Frühstück“ ist für die meisten Menschen nicht die beste Zeit für Kunst, außerdem: Pricklige Situation für einen LKW-Fahrer, besonders wenn es nicht sein eigener LKW ist: Findet der Chef das gut? Kann das Bild Ärger verursachen? Ist es Kunst, wenn jemand etwas auf einen LKW malt?
Geht es mich etwas an, wenn es Kunst ist? Wenn diese Gedanken durch den ungewaschenen, noch nicht mit Kaffee getunten Kopf schießen, während Golubev noch malt, kann man sich gut vorstellen, dass LKW-Fahrer in Stress geraten könnten.
Andererseits sind LKW-Fahrer im wahrsten Sinne des Wortes welterfahren und nicht so leicht aus der Ruhe zu bringen, und so ist Golubev in seiner Laufbahn als „Dirt Painter“ erst auf wenige Fahrer gestoßen, mit denen es Diskussionen gab.
Einer wollte mir das Malen verbieten“,
erzählte der Künstler in einem Interview, „aber er war sehr klein und ich bin sehr groß …“. Als kleine Rache hat dieser Fahrer dann ProBoyNicks Signatur entfernt, aber das Bild blieb dran.
Es ist ohnehin zu vermuten, dass die meisten LKW-Fahrer eher Spaß an ihrem Kunst-LKW bekommen, wenn der Morgenkaffee erst drin ist … Nun weiß der juristisch gebildete Bürger natürlich, dass es sich bei dem Bemalen offiziell um Sachbeschädigung handelt – aber erstens können freiheitlich denkende Richter die Strafbarkeit z. B. durch Verneinung des Vorsatzes ablehnen (weil Vorsatzes hier wohl kaum vorliegt, Nikita Golubev will den Dreck beschädigen und nicht den LKW), und zweitens macht sich bei solchen Konflikten langsam die Transparenz bemerkbar, die alle Völker ihren Staaten seit Existenz des Internets in immer stärkeren Maße aufzwingen.
Legal, illegal, scheißegal?
Stellen Sie sich den LKW-Maler in Deutschland vor. Verfolgt von einer Staatsanwaltschaft, die es wegen Arbeitsüberlastung nicht schafft, einen bekannten Extremisten festzusetzen, bevor er auf dem Berliner Weihnachtsmarkt 12 Menschen getötet hat?
Jetzt mal schnell den Künstler festzusetzen, führt zunehmend nicht mehr zu einer ausreichenden Beschönigung des Arbeitskontos nach dem Motto „Wir tun doch was“, sondern nur noch zu mehr Ärger, wenn sich die verbliebenen investigativen (meist öffentlich-rechtlichen) Journalisten der Story annehmen.
Mehr Transparenz führt also zu mehr Freiheit für die Individuen, die etwas Ungewöhnliches tun und sich damit vielleicht am Rande der Legalität bewegen, aber dabei niemandem einen Schaden zufügen, während staatliche Organe durch den Druck der Öffentlichkeit dazu angehalten werden, sich zuerst um die wichtigen Aspekte ihrer Arbeit zu kümmern.
Der in Kunst verwandelte Schmutz rollt mitunter recht lange durch die Gegend, obwohl es dem Künstler bei seinem ungewöhnlichen Phantasie-Training eben gerade nicht darum geht, unvergängliche Kunst zu schaffen. Trotzdem: Von wegen ‚beim nächsten Regen alles verschwommen oder abgewaschen‘, der Schmutz auf den LKWs scheint stabile chemische Verbindungen einzugehen, die die Golubev-Kunst teils etliche Zeit zu konservieren scheinen. Man könnte unschwer aus dem Netz ganze Fotoreihen zum Werden und Vergehen von Nikita Golubev Kunst ziehen, das Krokodil z. B. ist bestimmt nicht erst letzte Woche gemalt worden.
Die von außerordentlichem Talent zeugenden Straßen-Gemälde werden von Golubev mit dem Finger in die staubigen Oberflächen der Lkws gewischt, und er benutzt nur sehr selten andere Farbe als den Schmutz, den er vorfindet, für seine Dirt Paintings.
Nikita Golubev ist auf keiner Weltbestenliste der Kunst zu finden, hat für diese Bilder keinen Galeristen, er macht Kunst, die wirklich frei ist, Kunst um der Kunst willen. Er schenkt übrigens auch den LKW- und Autofahrern ein Stück Freiheit: Wer keine Lust hat, sein Auto zu putzen, kann von nun an behaupten, dass er mit einer Leinwand für einen „street artist“ herumfahre.
Inhaber und Geschäftsführer von Kunstplaza. Publizist, Redakteur und passionierter Blogger im Bereich Kunst, Design und Kreativität seit 2011. Erfolgreicher Abschluss in Webdesign im Rahmen eines Hochschulstudiums (2008). Weiterentwicklung von Kreativitätstechniken durch Kurse in Freiem Zeichnen, Ausdrucksmalen und Theatre/Acting. Profunde Kenntnisse des Kunstmarktes durch langjährige journalistische Recherchen und zahlreichen Kooperationen mit Akteuren/Institutionen aus Kunst und Kultur.