Viele Veranstaltungen erinnern an den ersten Akt auf dem Weg zur Wiedervereinigung der Deutschen, in vielen Orten, entlang der gesamten ehemaligen Grenze, ein Schwerpunkt der Festlichkeiten liegt in Berlin.
Dieser Schwerpunkt liegt aus einer ganzen Reihe von Gründen in dieser Stadt:
Berlin war 244 Jahre lang deutsche Hauptstadt, wenn auch Hauptstadt unterschiedlich vieler Deutscher. Ab 1701 war Berlin preußische Hauptstadt, ab 1871 Hauptstadt des Deutsches Reichs, ab 1918 Hauptstadt der Weimarer Republik, ab 1933 Hauptstadt des Drittes Reichs. Und ab dem 08. Mai 1945 dann auf einmal keine Hauptstadt mehr, wegen eines Weltkrieges, der auch die Teilung Deutschland einleitete.
Die Teilung, die mit Deutschland unter Alliierter Verwaltung begann und eigentlich schon am 26.05.1952 vollzogen wurde. Ab diesem Tag durften West-Berliner aufgrund einer Verordnung der DDR-Regierung nicht mehr frei das Gebiet der Deutschen Demokratischen Republik betreten. Aber sich noch frei in allen Teilen Berlins bewegen, bis am 13. August 1961 die Abschottung des Ostteils begann, schnell zur „Berliner Mauer“ und damit real wurde.
Diese Trennung quer durch Berlin und quer durch Deutschland sollte 28 Jahre und 88 Tage Bestand haben, bis am 09. November 1989 die Bürger des Ostteils der Stadt im ursprünglichsten Sinne des Wortes „auf die Barrikaden gingen“… und Deutschland wieder zu einem Land machten, die Stadt Berlin bekam von einem Tag auf den anderen eine alte/neue und ziemlich marode Stadthälfte dazu.
Marode, aber spannend – Berlin wurde zur Hauptstadt des sich gerade völlig neu ordnenden Deutschlands, und es hat nicht sehr lange gedauert, bis eine ununterbrochene Reihe von tatkräftigen, zu großem Einsatz und Investition bereiten Kreativen nach Berlin zog, darunter auch viele, viele Künstler.
Berlin kann Künstler in fünfstelligen Zahlen bieten, seit dem Fall der Mauer hat sich die Hauptstadt zu einem Zentrum der Kunstwelt unseres Jahrhunderts entwickelt, wie Paris im 19. Jahrhunderts und New York in der 2. Hälfte des 20. Jahrhunderts, in Berlin entstand und entsteht immer mehr Kunst, auch zur Mauer und ihrer Öffnung.
Zum Jubiläum wird noch mehr dazukommen, manches Kunstwerk wird gerade bearbeitet und erst zum oder nach dem Jubiläum präsentiert, manches Kunstwerk entsteht um den Jahrestag der Maueröffnung herum unter Beobachtung oder Mitwirkung der Bürger.
Die Mauer im Himmel
Ob es mit 28 Jahren und 88 Tagen zu tun hat, dass der Urheber der wohl aufsehenerregendsten Kunstaktion zum 25. Jubiläum des Mauerfalls gerade 8.000 Ballons für seine Lichtinstallationen einsetzt, darf bezweifelt werden, wahrscheinlich hat Christopher Bauder einfach nur gerechnet: Gut 12 Kilometer maß das menschenverachtende Mega-Bauwerk, das die Berliner fast drei Jahrzehnte trennte, ergibt einen Ballon alle anderthalb Meter.
Beziehungsweise eine Ballonstele, auf diesen ruhen die Ballons nämlich, wenn die ehemalige Mauerlinie vom 7. bis zum 9. November 2014 zur „Lichtgrenze“ wird:
8.000 weiße Ballons mit einem mächtigen Durchmesser von 60 Zentimetern, auf 8.000 3,40 Meter hohen weißen Leuchtstelen, beleuchtet von 8.000 in den Stelen installierten LEDs, betrieben von 60.000 Batterien in den Füßen der Ballonstele – eine Lichtinstallation der Superlative, die außergewöhnliche Schönheit verspricht.
Auf der Website von Christopher Bauder www.christopherbauder.com können Sie sich eine wunderschöne Vorab-Visualisierung und einige zoombare Bilder der Lichtgrenze auf verschiedenen Streckenabschnitten ansehen.
Diese Vorschau wurde von Christopher Bauders Bruder Marc umgesetzt, der zweite Kreative in der Familie und der zweite Mann beim Projekt „Lichtgrenze“; ein bekannter Filmemacher, der bereits mehrere preisgekrönte Dokumentarfilme und Spielfilme vorweisen kann.
Marc Bauder nimmt uns vor Ort, entlang der Lichtgrenze, mit auf eine emotionale Reise vom Mauerbau bis zum Mauerfall: Er hat aus Unmengen von Dokumentarmaterial Filme mit historischen Ereignissen und Blickpunkten rund um die Mauer zusammengestellt, die an sechs markanten Orten der Lichtgrenze auf riesigen Videoleinwänden gezeigt werden.
Die aus 40 Einzelteilen bestehenden Leuchtstelen wurden von Christopher Bauders Lichtdesign-Unternehmen Whitevoid (www.whitevoid.com) entworfen. Die Ballons sind aus Naturkautschuk, einem biologisch abbaubaren Material, wie auch die Verschluss-Clips der Ballons – für deren Entwurf und Produktion wurde extra ein Forschungsprojekt an der Universität Hannover ins Leben gerufen.
Wenn sie ihre Aufgabe erfüllt haben, würden sich die Ballons also irgendwo auf Berliner Boden etwa genau so schnell wie ein Eichenblatt zersetzen – falls die Berliner den Ballons eine Chance zur Zersetzung geben, mit Blick auf die weitere, am Abend des 09. November eingeleitete Bestimmung der Ballons eher zweifelhaft:
Jeder Ballon hat einen Berliner Bürger als Ballonpaten, der seinen Ballon mit Helium füllt und ihm eine kleine Karte mit Erlebnissen, Gedanken und Wünschen zur Mauer und zum Mauerfall anhängt.
Am 9. November um 19.30 Uhr wird der Ballon in den Berliner Himmel geschickt, die ganze, 12,6 km lange Licht-Mauer erhebt sich in die Luft, zeigt einen Moment die Mauer-Monstrosität und löst sich dann auf, ganz im Sinne von Udo Lindenbergs Ost-West-Liebeslied „Hinterm Horizont geht’s weiter“ … bis der Ballon irgendwo zur Erde trudelt und mit Sicherheit von jemandem aufgesammelt wird, der Ballon und Karte als Andenken behält und vielleicht irgendwann den Verfasser der angehängten Botschaft ausfindig macht …
Die Mauer vor dem Auge
Die Künstler Justin Allen und Adel Motamedi entwickelten eine temporäre Installation, die die Mauer erscheinen lässt, wenn der Betrachter sich weit genug entfernt:
Im Park am Nordbahnhof haben sie entlang des Wegs, der früher einmal Mauer war, an 562 Birken Spiegelfolien befestigt. Dicht nebeneinander, in drei Metern Höhe, von Nahem betrachtet eine harmlose Versammlung von Zetteln an Bäumen.
Die es in sich hat, was für den Betrachter erst sichtbar wird, wenn er sich weit genug entfernt und klaren Blick hat:
Dann löst sich die scheinbar wahllose Anordnung auf und verdichtet sich zugleich, zu einer vollkommen geraden waagerechten Linie – zur Skizze einer Mauerkrone in Höhe der Mauer, die vor 25 Jahren genau unter dieser Linie stand.
Die überraschende Installation „3METERKONSTELLATION“ im Nordbahnhofpark kann bereits seit Anfang Oktober 2014 besucht werden, und sie kann unter 3meterkonstellation.tumblr.com (vor-) besichtigt werden, mit Lageplan und Möglichkeit, die Künstler zu kontaktieren.
Die Mauer unter den Füßen
Hamish Fulton, der „Walking Artist“, hat seinen Beitrag zum Jahrestag des Mauerfalls leicht vorgezogen im Rahmen der „Art Week Berlin“ am 21. September 2014 präsentiert:
Die Performance „Walking East – Walking West“ lud Berliner dazu ein, auf der zum Brandenburger Tor führenden Straße des 17. Juni mit sehr, sehr langsamem Schritten Mauergefühl zu erleben. 800 Berliner bewegten sich entgegen „schleichend“ je 100 Meter, in 60 Minuten, von Ost nach West und von West nach Ost.
100 Meter in einer Stunde – eine gewaltige Entschleunigung, Zeit für viele Gedanken rund um Mauerbau und Mauerfall und Leben in Berlin und Kunst und das Leben überhaupt … Ganz im Sinne des „laufenden Künstlers“ Hamish Fulton, der es sich schon seit 1967 zur Kunst gemacht hat, unseren Planeten mit seinen eigenen Schritten zu erkunden, allein und mit eingeladenen „Mitwanderern“ (eben keinen Mitläufern).
Fulton dokumentiert diese Wanderungen, filmisch und mitunter auch fotografisch, vielleicht tauchen ein paar Bilder der Berliner Jubiläums-Schleicher in der Ausstellung „Landscape in my Mind. Landschaftsfotografie heute. Von Hamish Fulton bis Andreas Gursky“ auf, die vom 11. Februar bis 26. April 2015 im Bank Austria Kunstforum in Wien zu sehen sein wird (Infos: www.kunstforumwien.at).
Die künstlerische Wanderung fand im Rahmen eines Projekts der Akademie der Künste mit dem Titel „Schwindel der Wirklichkeit / Vertigo of Reality“ statt, mehr über das noch bis 14.12.2014 dauernde Kunstprojekt mit Ausstellung und Symposien erfahren Sie auf schwindelderwirklichkeit.de.
Eine Bildstrecke mit einigen Eindrücken vom kontemplativen Flanieren gibt es auf www.art-in-berlin.de/incbmeld.php?id=3352, mehr über Hamish Fulton gibt es demnächst auf Kunstplaza zu lesen.
Die Mauer in den Medien
„Grenzenlos – 25h Mauerfall“ nennt der rbb (Radio Berlin Brandenburg) sein Programm zum Ereignis, in dem rbb Fernsehen, rbb Radio und rbb-online vom 9. November, 9:00 Uhr bis zum 10. November, 10:00 Uhr live von verschiedensten Orten an der Mauer-Linie berichten, Dokumentationen und Hintergrund-Informationen senden.
Der rbb sendet von weltbekannten Schauplätzen wie Checkpoint Charlie, Brandenburger Tor, Glienicker Brücke und von Orten mit geheimnisvollen Namen wie Entenschnabel, Enklave und Engelbecken, er spricht mit bekannten und mit unbekannten Menschen über ihren Tag des Mauerfalls, er lässt diesen historischen Tag rundum wieder aufleben.
Der TV-Sender ARTE bringt am Sonntag, dem 9. November 2014, um 22.10 Uhr einen echten Leckerbissen, in deutscher und französischer Erstausstrahlung: „1989“,
ein Film vom bekannten Dokumentarfilmer Anders Østergaard und der jungen Fiimemacherin Erzsébet Rácz aus dem Jahr 2013 und ein Polit-Krimi, der uns klarmachen will, dass mutige Handlungen von Individuen den Lauf der Geschichte sehr wohl ändern können.
Die Mauer und die „Events“
Rund um den 9. November wird es in Berlin sehr viele Veranstaltungen geben:
Beim großen „Bürgerfest“ am Brandenburger Tor mit dem Motto „Mut zur Freiheit“ gibt es am 09. November 2014 umfassendes Programm und reiches Star-Aufgebot:
Es beginnt ab 12 Uhr mittag mit der öffentlichen Probe der Staatskapelle Berlin, dirigiert von Daniel Barenboim. Von 14:00 bis 17:30 Uhr ist Familienprogramm mit Auftritten von Beat’n Blow, Clueso, Mine und Otto Normal, einer Breakdance-Performance und Künstler-Gesprächen zum Thema Mauerfall.
Um 18 Uhr beginnt das Abendprogramm mit gemeinsamem Gedenken an die Maueropfer, anschließend folgt das von der Berliner Künstlercompany „phase7“ inszenierte Bühnenprogramm mit Auftritten der Fantastischen Vier, von Peter Gabriel und Paul Kalkbrenner, der Band Silly und Udo Lindenberg, und Gesprächen mit Zeitzeugen, Wolf Biermann, Freya Klier, Ulrike Poppe zum Beispiel.
Dann spielt die Staatskapelle Berlin unter Daniel Barenboim den 4. Satz der 9. Symphonie von Beethoven, die Ode an die Freude, und die „Lichtgrenze“ steigt gen Himmel …
Eine Übersicht der Veranstaltungen finden Sie unter www.berlin.de/mauerfall2014 (direkt auf den Menupunkt „Veranstaltungen“ in der Menuleiste klicken, nicht auf die ausklappenden Reiter achten, die sind nur für Anbieter).
Hinweis: Im Veranstaltungskalender auf der Seite müssen Sie zur näheren örtlichen Eingrenzung einer Veranstaltung einen „Stadtteil“ auswählen, wobei die Auswahlliste Bezirke („Bezirk Mitte“, „Lichtenberg“), Teile von Bezirken („Kreuzberg“, „Zehlendorf“) und Stadtteile („Rummelsburg“, „Prenzlauer Berg“) enthält, in bunter Mischung und einer auch für einen Berliner nicht erkennbaren Logik.
Für den Navi eines Touristen oder den schlichten Blick in eine Landkarte wird es im Zweifel erst recht schwierig, deshalb folgt hier eine Liste, in der Nicht-Berliner nachlesen können, in welchen Bezirken sich die Orte der Auswahlliste befinden:
- Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg – klar, das ist der offizielle Bezirksname
- Bezirk Mitte – s. o.
- Charlottenburg liegt im Bezirk Charlottenburg-Wilmersdorf
- Friedrichshain liegt im Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg (s.o., unergründbare Dopplung)
- Hellersdorf liegt im Bezirk Marzahn-Hellersdorf
- Hohenschönhausen liegt im Bezirk Lichtenberg
- Kreuzberg liegt im Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg (s.o. …)
- Lichtenberg ist selbst ein Bezirk
- Mitte ist selbst ein Bezirk (s.o. …)
- Pankow ist selbst ein Bezirk
- Prenzlauer Berg liegt im Bezirk Pankow
- Rummelsburg liegt im Bezirk Lichtenberg, Westsüdgrenze Friedrichshain-Kreuzberg
- Steglitz liegt im Bezirk Steglitz-Zehlendorf
- Tempelhof liegt im Bezirk Tempelhof-Schöneberg
- Tiergarten liegt im Bezirk Mitte
- Treptow liegt im Bezirk Treptow-Köpenick
- Wedding liegt im Bezirk Mitte
- Wilmersdorf liegt im Bezirk Charlottenburg-Wilmersdorf
- Zehlendorf liegt im Bezirk Steglitz-Zehlendorf
Die Mauer in der Kunst
Die Künstler haben die Mauer nicht erst jetzt entdeckt, hier einige der schönsten Mauer-Kunstwerke zum Ansehen:
„Wiedervereinigung“, eine Skulptur von Hildegard Leest, Standort nahe des einstigen Grenzübergangs Chausseestraße im Bezirk Mitte.
„The Day the Wall Came Down“ von Veryl Goodnight, ein Geschenk des US-amerikanischen Volkes an Berlin, Standort Clayallee nahe Allierten-Museum im Bezirk Berlin-Zehlendorf.
Mauerstreifen „Platz des 9. November 1989“, Standort Bornholmer Strasse nahe einstigem Grenzübergang, der die Bezirke Pankow und Mitte verband.
Ein Stück hoffnungsfroh bunt verzierter Berliner Mauer aus der „East-Side-Gallery“, Standort Open-Air-Galerie: Berlin-Friedrichshain, Mühlenstraße, zwischen Berliner Ostbahnhof und Oberbaumbrücke entlang der Spree.
Die Mauer der „East-Side-Gallery“ wurde im Frühjahr 1990 von 118 Künstlern aus 21 Ländern der Welt bemalt, ganze 1,316 Kilometer wurden mit über 100 Gemälden gestaltet, in denen die Künstler die politische Veränderung seit 1989 auf ganz unterschiedliche Art und Weise illustrierten.
Die East Side Gallery ist nicht mehr durchgehend erhalten, die Originale von 1990 wurden 2009 durch Repliken ersetzt, um deren Erhaltung in Berlin seit einiger Zeit heftigste Diskussionen toben.
Rund um den 9. November wird es in Berlin viele Veranstaltungen geben; und es wird viele weitere Feste und Feiern rund um den Jahrestag der Maueröffnung geben, in Wismar und in Lübeck, in Wittenberge und in Wolfsburg, in Salzgitter und in Nordhausen, in Eisenach und in Fulda, in Suhl und in Coburg, in Hof und in Plauen und bestimmt noch in vielen kleineren, aber der ehemaligen Grenze näheren Orten und wahrscheinlich auch an einer ganzen Reihe von persönlichen Erinnerungspunkten am ehemaligen Grenzstreifen.
Wenn Sie am Tag des Jubliäums Kunst gemacht haben, also einzigartige Fotos oder sonstige Erinnerungsdokumente von diesen Freudenfeiern erstellt haben, würde sich Kunstplaza freuen, diese einzigartigen Stücke in der Online Galerie präsentieren zu können.
Passionierte Autorin mit regem Kunstinteresse