Sommer, Sonne, Ferien – Zeit, um zu entspannen und neue Eindrücke aufzunehmen, um die gewohnten Perspektiven zu überdenken und gegebenenfalls zu korrigieren. Seit der Alltag des Menschen eine Besinnungspause namens Urlaub oder Ferien ratsam erscheinen lässt, reisen Menschen zu diesem Zweck an fremde Orte und in unbekannte Länder.
Immer gab und gibt es jedoch auch Menschen, die diese Erholungszeit an ihrem Heimatort verbringen, freiwillig oder durch (finanzielle) Umstände gezwungen, und die an diesem Heimatort auf die Suche nach Entspannung und Erlebnissen gehen.
Heute tun Städte und Gemeinden viel dafür, um ihren Bürgern beides zu bieten, wie z. B. die Stadt München, die diesen Sommer zu einem spannenden Kunst-Spaziergang durch die Stadt einlädt, mit Kunstwerken 17 verschiedener Künstler, die im gesamten Innenstadt-Areal zu besichtigen sind.
Es begann Ende Januar 2013 mit einem einsamen Sockel, der auf einmal frisch betoniert vor dem ehrwürdigen Reiterstandbild des Kurfürsten Maximilian I. auf dem Wittelsbacherplatz auftaucht.
Die Architektur passt gut zum Sockel des Kurfürsten, aber der zweite Sockel steht leer, und er sieht bei Temperaturen nur wenig über dem Gefrierpunkt unter einem schon recht unangenehmen Regen einfach nur trostlos aus.
Dabei hat dieser Sockel einen Sinn, und er kann sich sogar auf Tradition berufen: Der Sockel ist der erste Vorbote eines Kunstprojektes mit dem Namen „A Space Called Public – Hoffentlich Öffentlich“, eine „künstlerische Sommerunterhaltung“, in der internationale Künstler diesen öffentlichen Raum kurzzeitig umgestalten werden.
Dieser Sockel hat auch ein sehr berühmtes Vorbild: Er wurde als genaue Nachbildung des „Fourth Plinth“ geschaffen, des leerstehenden vierten Sockels auf dem Londoner Trafalgar Square, dem größten öffentlichen Platz der Stadt, der ziemlich in der Mitte Londons liegt und für die meisten Londoner „das Zentrum Londons“ ist.
Auf dem Trafalgar Square traf man sich schon im Mittelalter, und das Vorbild für den Münchner Sockel steht auch schon seit 1841 dort. Schon damals gab es finanzielle Not in der öffentlichen Bauplanung – auf diesem Sockel sollte eigentlich ein Reiterstandbild des gerade verstorbenen Königs William IV. installiert werden, aber das Geld ging aus und der Sockel blieb leer.
Da William IV. sowieso nur ein paar Jahre regiert hatte, bevor er an Schwindsucht starb (er hatte den Thron mit 65 Jahren von seinem Bruder geerbt) und auch als wenig königlicher Herrscher mit derben Seemanns-Manieren im öffentlichen Bewusstsein sehr schnell durch seine glanzvolle Nachfolgerin Victoria ersetzt wurde, blieb der Sockel weiter leer.
Sehr lange blieb er leer, man konnte sich einfach nicht einigen, welcher Monarch oder Militärheld dort seinen Gedenkplatz bekommen sollte.
Erst gut anderthalb Jahrhunderte später (1999) hatte die Royal Society of Arts eine Idee: Sie rief das „Fourth Plinth Project“ ins Leben, bei dem zeitgenössische Künstler den Sockel zur Ausstellung ihrer Werke nutzten, „Ecce Homo“ von Mark Wallinger, „Regardless of History“ von Bill Woodrow und das „Untitled Monument“ von Rachel Whiteread waren bis 2001 zu bestaunen.
Danach ging der Streit um die Nutzung weiter, der Sockel wurde gelegentlich für Werbegags missbraucht, bis das Volk gefragt wurde, das sich für mehr zeitgenössische Kunst aussprach.
Im September 2005 machte Marc Quinn mit „Alison Lapper pregnant“ den Anfang, seitdem war eine bunte Glasskulptur von Thomas Schütte zu sehen („Model for a Hotel“, 2007), Antony Gormley machte die Besucher des Platzes in seinem Living Art-Projekt „One & Other“ 2009 selbst zur Kunst, Yinka Shonibare stellte von 2010 bis 2012 mit „Nelson’s Ship in a Bottle“ ein riesiges Buddelschiff auf die vierte Plinthe, das beim Wechsel im Frühjahr 2012 durch ein Kind auf einem Schaukelpferd, die „Powerless Structures Fig. 101“ der Künstler Elmgreen und Dragset abgelöst wurde.
Das Schaukelpferd auf dem Sockel in London macht am 25. Juli 2013 dem „Blue Cockerel“ (Blauer Hahn) von Katharina Fritsch Platz, aber das norwegische Künstler-Duo Elmgreen und Dragset stellt die Verbindung zum Münchner Sockel her, für den sind die beiden nämlich im Sommer 2013 verantwortlich sind, wie auch für rund 20 andere Kunstwerke verschiedener internationaler Künstler, die sie als Kuratoren des Münchner Kunstprojekts in die Stadt brachten.
Bis zum September gehen die Künstler quer durch die Münchener Innenstadt über Brücken und Brunnen und auf Parks und Plätzen der Frage nach, welche Bedeutung Stadträume in Zeiten sozialer Netzwerke haben.
Unser Sockel durfte den Anfang machen, ab März betreuen die Künstler Li Li Ren und Stephen Hall die „4th Plinth Munich“ und werden wechselnde Kunstwerke darauf platzieren.
Über den Sommer sind weiterhin Kunstwerke von Iván Argote & Pauline Bastard, Han Chong, den Kuratoren Elmgreen & Dragset selbst, Funda, Helin Alas & Robert Keil, Martin Kippenberger, Ragnar Kjartansson, Alexander Laner, Namill, Henrik Olesen, Kirsten Pieroth, Ed Ruscha, David Shrigley, Sissel Tolaas, Tatiana Trouvé und Peter Weibel zu sehen.
Sie finden bei Ihrem Münchner Stadtspaziergang Kunst in der Rathausgalerie Kunsthalle am Marienplatz, auf dem Viktualienmarkt (an der Nordseite der Schrannenhalle), auf dem Odeonsplatz, zwischen Jutier- und Tonnenhalle (Dachauer Straße), auf dem Wittelsbacherplatz (unser Podest!), dem Marienhof, dem Gärtnerplatz, im Hotel Deutsche Eiche in der Reichenbachstraße, am Isartorplatz und am Lenbachplatz und am Promenadeplatz, in der Passage Sparkassenstraße/Falkenturmstraße, vor St. Stephan und vor dem Schäfflerhof Maffeistraße.
Etwas kürzer ausgedrückt: Sie werden ziemlich sicher irgendwo auf ein Kunstwerk stoßen, wenn Sie durch die Innenstadt von München laufen. Außerdem gibt es bis Ende Juni Bustouren von der Rathausgalerie aus, und Aktionstage in der Weinstraße, in den Außenbezirken und den Isarauen.
Über die Kunstwerke selbst wird noch nichts verraten, außer dass unser Sockel ab Ende Mai zur exklusiven Kleinst-Immobilie (mit Dachterrasse und kleinem Garten) wird, die probeweise bewohnt werden darf.
Wenn Sie Ihren Spaziergang doch vorher planen möchten, oder genau wissen möchten, welche Kunstwerke Sie erwarten, finden Sie auf der Website www.aspacecalledpublic.de genaue Angaben zu Künstlern und Kunstwerken, alle Zeiten und alle Adressen.
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Passionierte Autorin mit regem Kunstinteresse