Der Chinesische Künstler Ai Weiwei ist am Donnerstag, dem 30. Juli 2015, um 16:50 Uhr auf dem Flughafen München gelandet.
Nach 14,5 Stunden Direktflug aus Peking – Ai Weiweis erste Auslandsreise, seit er genau auf diesem Flughafen Peking am 3. April 2011 überraschend verhaftet wurde, weil Chinas Regierenden den regimekritischen Künstler endlich zum Schweigen bringen wollten.
Die Regierung wollte Ai Weiwei auch unter direkter Kontrolle haben, so wurde er erst an einen unbekannten Ort verschleppt und dort 81 Tage lang gefangen gehalten, ohne eine Spur eines rechtsstaatlichen Verfahrens, mit ebenso fadenscheinigen wie offensichtlich unhaltbaren Begründungen.
Danach verhängten die chinesischen Machthaber – ebenfalls entgegen jeder Idee von Rechtsstaatlichkeit und Menschenwürde – einen „Hausarrest“ über den Künstler, sein Reisepass und damit die Möglichkeit, sich wie ein freier Mensch zu bewegen, wurden ihm vorenthalten.
Dem chinesischen Regime ist es während dieser 1.579 Tage nicht gelungen, den Künstler mundtot zu machen oder ihn unter Kontrolle zu halten.
Ai Weiwei hat während dieser 4 Jahre und 4 Monate – ermöglicht durch Unterstützer aus aller Welt – Kunst gemacht und ausgestellt, in Dokumentarfilmen auf sein Schicksal aufmerksam gemacht, geschrieben und veröffentlicht.
Einige der Aktivitäten von ihm und der Menschen um ihn herum können Sie hier in den Artikeln „Ai Weiwei und ‚The Fake Case‘„, „Ai Weiwei – Kunst und Aufruhr eines Unbeugsamen“ und „Ai Weiwei – Never Sorry about Oppression“ nachlesen – und in jedem rechtsstaatlichen Medienangebot werden Sie mehrere Berichte darüber finden, dass Ai Weiwei während der 136.425.600 Sekunden seiner Unfreiheit nicht einen Moment auch nur daran dachte, sich dafür zu entschuldigen, die Unterdrückung in China aufzudecken.
Auf dem Münchner Flughafen wurde Ai Weiwei von seinem Sohn empfangen, der seit einem Jahr in Berlin bei seiner Mutter lebt, sicherheitshalber, aus berechtigter Angst des Künstlers vor der Unberechenbarkeit des chinesischen Regimes.
In ein paar Tagen kommt Ai Weiwei nach Berlin, und die Berliner freuen sich auf ihn. Hier leben nicht nur sein sechsjähriger Sohn Ai Lao und dessen Mutter Wang Fen, hier wird er auch durch die Galerie Neugerriemschneider (www.neugerriemschneider.com) vertreten, und hier wartet seit April 2011 eine dreijährige Gastprofessur an der Berliner Universität der Künste auf ihn.
In die Akademie der Künste Berlin war Ai Weiwei Anfang Juni 2011 aufgenommen worden, damals abhängig von seiner Zustimmung, die er nach „Freilassung“ in den Hausarrest mit Freude erklärt hat, gerade im Februar 2015 hat Ai Weiwei während der Berlinale per Fernregie ein rund acht Minuten langes Segment für den Episoden-Film „Berlin, I Love You“ gedreht (Director Oren Moverman, Producers Claus Clausen und Josef Steinberger, seit 2012 und immer noch im Entstehen).
Mehr lesenswerte Infos und Hintergründe zum Besuch des chinesischen Künstlers in Deutschland erhalten Sie hier:
-> DW – Ai Weiwei ist in Deutschland
Ai Weiwei durfte zwischen Entgegennahme seines Reisepasses am 22. Juli und Ankunft in Deutschland am 31. Juli noch ein unangenehmes Intermezzo durchleben – ihm drohte gerade aus dem Grund neues Unrecht zu widerfahren, weil er bereits vorher eine rechtswidrige Behandlung erfahren hatte.
Ai Weiwei hatte ein Visum für London beantragt, um seine Tochter zu sehen und seine dort demnächst startende Ausstellung zu begleiten, das ihm von der Britischen Botschaft in Peking verweigert wurde, weil er nicht angegeben habe, dass er vorbestraft sei. Vorbestraft durch ein Vorgehen der chinesischen Regierung, das die Menschenwürde und viele weitere rechtsstaatliche Grundsätze verletzt …
Inzwischen hat sich ein mehr der Idee des Rechtsstaat verpflichteter Vertreter der britischen Regierung die Ablehnung angesehen und Ai Weiwei hat sein Visum bekommen.
Dieser Alptraum eines sich weiter vererbenden Unrechts scheint eine systemimmanente Erscheinung der Bürokratie zu sein. Immer wieder wird über das Schicksal von Menschen berichtet, deren gesamte Existenz in Gefahr geriet oder sogar vernichtet wurde, weil ein Unrecht ganz am Anfang einer Handlungskette weiteres Unrecht nach sich zog bzw. hervorbrachte.
Hier ist es der durch willkürlich und gegen Menschenrechte ausgeübte Staatsmacht bedrohte/geschädigte Künstler, dem von der nächsten, vermeintlich rechtsstaatlicher gesinnten Staatsmacht unter Verweis auf das vorherige Unrecht ein Visum verwehrt werden soll.
In irgendeinem Dorf in Deutschland ist es der minderjährige Asylbewerber, der in einem höchst umstrittenen Verfahren als volljährig eingestuft wird und von nun an in jeder folgenden bürokratischen Entscheidung der Schutzrechte beraubt wird, die einem Kind zustehen.
In irgendeiner Gemeinde in Deutschland ist es ein freundlicher Mensch, der einem überraschend obdachlos gewordenen Freund hilft und plötzlich vom Sozialamt gemeinsam mit diesem als Bedarfsgemeinschaft eingestuft wird, eine Sippenhaft, die durch die tatsächliche Hilfe begründet wird und aus der ein Entkommen sehr schwierig ist.
In irgendeiner Stadt in Deutschland ist es der durch einen Justizirrtum Geschädigte, der ab diesem Urteil keine Chance mehr hat, weil die Justiz ihre eigenen Fehler nicht korrigiert … das sind Beispiele aus einem Rechtsstaat, in den zahlreichen Staaten auf unserem Planeten, die nicht als Rechtsstaaten anerkannt sind, geht das noch besser bzw. noch wesentlich schlimmer für den Betroffenen.
Die Entscheidung zu Ai Weiweis Visum wurde korrigiert, weil er prominent genug ist, für weniger prominente Betroffene kein Grund zum Neid: Ai Weiwei führt seit Jahren/Jahrzehnten einen harten und gefährlichen Kampf mit genau dem Ziel, dass alle Menschen auf der Welt zu ihrem Recht kommen …
Wenn Sie Ai Weiwei dazu gratulieren möchten, dass er so lange den Mut und die Kraft hatte, sich gegen Unrecht zu wehren und dass er nach Jahren als Teilerfolg seine Freiheit wieder bekam: twitter @aiww, instagram.com/aiww.
Auf instagram gibt es viele Fotos von Ai Weiwei und seinem Sohn, am Freitag, dem 31.07.2015 (wohl genau zu der Zeit, zu der dieser Artikel geschrieben wurde), wurde das Foto eingestellt, das einen sichtbar erschöpften, aber entspannten Ai Weiwei mit seinem ebenso sichtbar glücklichen Sohn im Schwimmbad zeigt.
Was wünschen Sie ihm? Drei Jahre „Pause in rechtstaatlicher Umgebung“, als Gastprofessor an der UdK, dann Rückkehr nach China, in ein Regime, in dem er nicht sicher ist? Oder Ausbürgerung durch die chinesischen Machthaber, ein Leben voller Sehnsucht nach seiner Heimat in Deutschland, mit ungehindertem Kunstschaffen und seinem Sohn und ohne weitere Schikanen, aber sicher nicht ohne weiteren persönlichen Einsatz für die Beachtung der Menschenrechte in unserer Welt?
Passionierte Autorin mit regem Kunstinteresse